Vom «Holderbaum» und der Mützenfabrik Fürst

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2007 von Peter Ziegler

Die Produktion der Fürst AG Wädenswil ist 1992 nach Seon verlegt worden. Die Gebäude in der Ecke Eintrachtstrasse/Rebbergstrasse, auf dem südlichen Ausgelände des 1985 abgetragenen Hauses Holderbaum, sollen abgebrochen und durch eine Wohnüberbauung ersetzt werden. Dies gibt Anlass zu einem Rückblick auf die Geschichte der Liegenschaft Holderbaum und der Mützenfabrik Fürst.

HAUS HOLDERBAUM

Das Doppelwohnhaus Holderbaum wurde in den frühen 1670er Jahren für den Färbermeister Heinrich Schnyder-Zollinger erstellt. Der Wädenswiler Landschreiber Hans Jakob Eschmann trug die Liegenschaft am 20. Mai 1676 ins Grundprotokoll ein als «ein neu erbautes Haus mit der Farb, Scheune, Mange und einer Jucharte Reben», gelegen im Dorf Wädenswil.1 1680 wird auch der obere Hausteil aktenkundig. Er gehörte damals ebenfalls dem Färber Heinrich Schnyder,2 kam aber 1691 samt Färberei an Sigmund Leuthold.3 Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten dann die beiden zusammengebauten Häuser getrennte Besitzverhältnisse.

Haus Holderbaum, abgebrochen 1985. Ansicht von der Eintrachtstrasse her. 

Der obere, bergseitige Teil,
später unter Nr. 70 A bzw. 267 brandversichert, gehörte noch 1754 der Familie Leuthold,4 1812 dem Weibel Heinrich Rheiner und 1824 dem Graveur Jakob Brupbacher.5 Der obere Hausteil hiess 1830 nicht «Holderbaum», sondern «zur Harmonie». 1832 wurde Johann Jakob Eschmann Besitzer der Liegenschaft, der im dazugehörigen Schopf mit Waschhaus eine Bäckerei einrichtete.6 1848 veräusserte Bäcker Eschmann seinen Besitz dem Obersten Caspar Brupbacher-Hauser.7 Dieser liess die Bäckerei eingehen, das südlich benachbarte Waschhaus mit Schopf abbrechen und 1850 durch ein Magazingebäude für seinen Handel mit Eisenwaren (Ass.-Nr. 70 b) – den Kernbau der späteren Mützenfabrik Fürst – ersetzen. Im Zusammenhang mit dieser Handänderung wurde eine auf 50 Gulden lautende Gült – eine Hypothek – gelöscht, die am 5. August 1550 zugunsten des Spitals Zürich errichtet worden war. Offensichtlich vergass man aber, die Löschung im Grundprotokoll vorzumerken. Darum findet sich 1896 folgender Eintrag: «Auf dieser Liegenschaft besteht ein Schuldbrief zugunsten des Spitals Zürich vom 5. August 1550. Laut Quittung vom 26. April 1850 gelöscht, aber im Protokoll nie gelöscht worden.»8
 
Der untere, seeseitige Teil
des Doppelwohnhauses – einst zum Luftquartier gezählt – kam 1680 durch Kauf an Heinrich Diezinger-Heusser.9 In dieser 1905 ausgestorbenen alten Wädenswiler Familie vererbte es sich über mehrere Generationen. 1713 war der Trompeter und Tischmacher Hans Diezinger Eigentümer, 1754 dessen Sohn, der Schlosser Heinrich Diezinger, der 1766 für das Turmportal der neuen reformierten Kirche Wädenswil das schmiedeeiserne Gitter angefertigt hat.10 1784 lässt sich eine Tochter, Susanna Alder-Diezinger, als Besitzerin des unteren Hauses nachweisen. Sie brachte dieses in die Familie Alder. 1812 war der Tischmacher Caspar Alder Eigentümer des Hauses und 1824 Graveur Heinrich Brupbacher, der Magdalena Alder geheiratet hatte. 1830 ist erstmals der Hausname «zum Holderbaum» aktenkundig.

Im Besitz der Familie Brupbacher
Seit 1824 war das Doppelwohnhaus Holderbaum Eigentum des Geschlechts Brupbacher. Heinrich im unteren Hausteil und Jakob im oberen betätigten sich um 1830 beide als Graveure und setzten damit eine alte Familientradition fort. Carl Brupbacher-Hauser, Oberst und Kaufmann im Eisenwarenhandel, war ab 1850 Besitzer beider Häuser. Er starb 1883. Nach Auskauf der anderen Erben wurde die Tochter Fanny Brupbacher 1886 neue Inhaberin des «Holderbaums», gelegen «oberhalb der Eintracht in Wädenswil».11 Nach dem Tod von Fanny Brupbacher im April 1896 kaufte deren Schwester, Sophie Fisch-Brupbacher (1852–1938), Gattin des Mützenfabrikanten Jacques Fisch zum Holderbaum, die andern Erben aus und übernahm die Liegenschaft Holderbaum – zwei zusammengebaute Wohnhäuser, ein Gewerbehaus (Mützenfabrik) und ein Magazingebäude – zu Eigentum, verkaufte diese aber mit Neujahr 1897 ihrem Gatten Jacques Fisch.12 Die zur Mützenfabrik gehörenden Gebäude wurden 1911 veräussert; der «Holderbaum» schliesslich kam durch Erbschaft an die Familie Schöberlein. 1985 wurde das Doppelwohnhaus abgebrochen und durch den modernen Nachfolgebau Eintrachtstrasse 11 ersetzt.

Sophie Fisch-Brupbacher (1852-1938).

WÄDENSWIL – ZENTRUM DER BEKLEIDUNGSINDUSTRIE

Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Wädenswil zu einem Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie. Heinrich Hauser und Johannes Fleckenstein bauten 1821 eine Wolltuchfabrik am Reidbach und legten damit den Grundstein zur späteren Tuchfabrik Wädenswil AG (Tuwag).13 Als Firma Rensch & Hauser entstand 1833 auf dem Giessenhorn die untere Tuchfabrik, seit 1887 Pfenninger & Co.14 Im Seidengewerbe waren ab 1833 Blattmann & Kunz tätig. Aus diesem Unternehmen ging 1841 die Seidenstoffweberei Gessner hervor. Sie wurde anfänglich im Haus Rosenhof im Verlagssystem betrieben, bis man 1882 im Neubau im Neuwiesenquartier zur fabrikmässigen Produktion überging.15
1869 übernahm Johann Ferdinand Wellinger die Strumpffabrik von Jakob Schneider und wandte sich nebst der Strumpfwirkerei auch der Handschuhfabrikation zu. «Am Platz» gegenüber der reformierten Kirche richtete der aus alter Aargauer Hutmacherfamilie stammende H.J. Hochstrasser im Jahre 1848 ein Hutmacherei ein und fabrizierte und exportierte als Spezialität Hamburger und Bremer Zimmermannshüte. Die Firma produzierte bis 1965; die Gebäude zwischen Türgass und Blumenstrasse wurden 1967 abgebrochen.16
Karl Felber, einst Reisender bei Hochstrasser, machte sich 1870 selbständig und gründete die Hutfabrik Felber. Er fabrizierte anfänglich in einer Wohnung im Haus Reblaube an der Seestrasse und bezog 1889, als die Räume zu knapp wurden, das dritte Stockwerk des grossen Hauses Gerbe. 1911 war das dreigeschossige neue Fabrikgebäude an der Oberdorfstrasse bezugsbereit. Hier stellte die Felber & Co. AG vor allem Haar- und Wollfilzhüte für Herren, Stoffhüte für den Strand sowie Uniformmützen und historische Kopfbedeckungen her. Nach dem Tod des Fabrikanten Ernst Felber-Rutishauser im Mai 1954 wurde der Betrieb stillgelegt.17
Zu den Hutfabriken Hochstrasser und Felber kam in den 1880er Jahren ein weiterer Betrieb der Bekleidungsbranche: jener des Mützenfabrikanten Jacques Fisch zum Holderbaum.

FISCH & CIE., MÜTZENFABRIKATION

1884 machte sich Jacques Fisch-Brupbacher (1859–1908), vorher Reisender und Buchhalter für die Hutfabrik Felber, selbständig und begann, unterstützt von seiner Gattin Sophie, im Nebengebäude oberhalb seines Wohnhauses Holderbaum mit der fabrikmässigen Herstellung von Mützen. Am 1. September 1890 trat Eduard Fürst (1866–1944), «ein junger Reisender der Manufakturwaren- und Schuhmacherfourniturbranche», als Angestellter in die Mützenfabrik Fisch & Co. ein.18 Rasch arbeitete er sich in die veränderte Branche ein. Durch seine Zuverlässigkeit erwarb er sich bald das Vertrauen des Prinzipals Fisch. 1902 wurde er als Kommanditär ins Geschäft aufgenommen, und 1903 erhielt er die Prokura.

Fabrikbau von 1897/98
Mützen aller Art waren um die Wende zum 20. Jahrhundert sehr begehrt. Die Firma Fisch & Co. erzielte gute Geschäftsergebnisse und konnte die Produktion steigern. Bald erwies sich der Fabrikationsraum im bisherigen Gewerbehaus und Magazingebäude als zu eng.19 Der Wädenswiler Baumeister Alfred Dietliker erhielt daher 1897 den Auftrag, einen Fabrikneubau zu planen. Dieser sollte parallel zur Eintrachtstrasse verlaufen, an die bisherige Fabrik angebaut werden und sich bis zur Rebbergstrasse erstrecken. Am 17. November 1897 schickte die Firma Fisch & Cie. die Baupläne mit folgendem Begleitschreiben an den Fabrikinspektor Fridolin Schuler (1832–1903) in Mollis:20
 
«Wädensweil, 17. November 1897
Wir beabsichtigen, anschliessend an unser bestehendes Fabrikgebäude einen Neubau zu erstellen und erlauben uns, Ihnen hiemit die bezüglichen Pläne zur gefl. Genehmigung zu unterbreiten. Mit Bezug auf die bestehenden Vorschriften über Neu- und Umbauten geben wir Ihnen folgende Aufschlüsse:
Geschäftsbetrieb wie bisher, Mützenfabrikation. Als Arbeitssaal dient nur der Parterreraum wie er im Grundriss vorgeführt ist, ohne irgendwelche Einteilung. Der erste Stock und der Dachraum werden als Lagerräume für Stoffe und fertige Mützen verwendet. Die Nähmaschinen und Installationen werden wie bisher durch Kraft betrieben, nur kommt anstelle des bisherigen Gasmotors ein Elektromotor. Derselbe wird genau so erstellt, wie die bisherigen und wird betreffend Transmissionen alle Sicherheit bieten. Die Anlage wird erst im März oder April montiert.
Die Masse der Fenster sind im Plan eingezeichnet. Der obere Teil derselben besteht aus einem Klappflügel. Die Fenster haben Riegelschluss und sind also leicht zu öffnen. Die Ventilation des Saales durch oben genannte Klappflügel dürfte genügen. Es werden darin 40 bis 50 Arbeiter beschäftigt werden.
Der im Neubau eingezeichnete Abtritt mit Pissoir ist für die männlichen Arbeiter berechnet. Den weiblichen Arbeitern steht der im alten Gebäude befindliche Abtritt zur Verfügung.
Da die Erstellung der Neubaute im Interesse der Entwicklung unseres Geschäftes sehr drängt, so bitten wir Sie höflich, unser Gesuch möglichst zu befördern.
Hochachtungsvollst: Fisch & Cie.»

Briefkopf der Mützenfabrik Fisch & Cie., 1908.

"Lageplan über die Liegenschaft des Herrn Fisch, Fabrikant, Wädenswil", datiert März 1903.

Der Fabrikinspektor kam dem Wunsch nach rascher Bewilligung nach. Bereits am 22. November 1897 leitete er die Pläne mit befürwortendem Antrag an die Direktion des Innern des Kantons Zürich, Abteilung Fabrikwesen, weiter. Er verlangte aber, dass die Stockwerkhöhe 3,5 m betrage, die oberen Lokale nicht als Arbeitsräume verwendet werden und der Abtritt ein über das Dach hinaus reichendes Dunstrohr erhalte.21
Mit Protokoll vom 30. November 1897 – also nur 14 Tage nach der Eingabe – genehmigte die Direktion des Innern den Neubau der Mützenfabrik Fisch & Cie. Als Auflagen wurden lediglich zusätzlich festgehalten, die Fenster im zweiten Stockwerk seien von 1,7 m auf 1,8 m zu erhöhen und müssten bis wenigstens 30 cm an die Decke heranreichen. Für die Treppe vom ersten ins zweite Geschoss wurde eine Laufbreite von 1,2 m vorgeschrieben. Der Dachstock durfte nur als Lager- und nicht als Arbeitsraum Verwendung finden.
Der Fabrikneubau an der Eintrachtstrasse kam zügig voran. Bereits am 7. Mai 1898 konnte er inspiziert werden, worauf die Direktion des Innern am 16. Mai 1898 die Betriebsbewilligung erteilte unter der Bedingung, dass der erste Stock nur Lagerzwecken diene.22

FÜRST & CO., MÜTZENFABRIK

Nach längerem Leiden starb der Kaufmann Jacques Fisch-Brupbacher am 17. Januar 1908 im 48. Altersjahr. Neben seiner beruflichen Tätigkeit hatte er sich auch in Wädenswil in manchen Ämtern eingesetzt. Ab 1892 gehörte er während zwei Amtsdauern dem Gemeinderat an und besorgte die Gutsverwaltung. Später war er Mitglied der Rechnungsprüfungskommission, der Steuerkommission und der Eisenbahnkommission, Direktionsmitglied der Bank Wädenswil sowie kantonaler und eidgenössischer Geschworener. Im Männerturnverein, im Schützenverein und im Männerchor Eintracht war er ein gerne gesehenes Mitglied.23
Durch testamentliche Verfügung vom 28. Oktober 1907 hatte der kinderlose Jacques Fisch-Brupbacher seine Frau als Universalerbin seiner gesamten Hinterlassenschaft eingesetzt.24 Mit Vertrag vom 31. Mai 1908 verkaufte sie die Mobilien der Mützenfabrik – Maschinen und Lager – an Eduard Fürst, der fortan unter eigenem Namen, als «Fürst & Cie., Mützenfabrik», in den gemieteten Räumen fabrizierte.25 1911 entschloss sich Sophie Fisch, nur noch das Doppelwohnhaus Holderbaum zu behalten und auch die zur Mützenfabrikation dienenden Gebäude an der Eintrachtstrasse an Eduard Fürst-Zurlinden zu veräussern. Die Handänderung wurde am 28. März 1911 auf dem Notariat Wädenswil vollzogen.26 Die Witwe Fisch blieb der Firma als Kommanditärin bis Ende Mai 1913 verbunden.

Briefkopf der Mützenfabrik Fürst & Cie., 1913.

Briefkopf von 1921.

Briefkopf von 1925.

Fabrikerweiterung von 1911
Die Mützenfabrik Fürst war ein blühendes Unternehmen, denn Kopfbedeckungen gehörten damals zu den unentbehrlichen Kleidungsstücken. Für die Produktion gab es noch genügend Raum, doch die Betriebsabläufe sollten rationeller und übersichtlicher gestaltet werden, und zudem fehlte es an Lagerräumen. Im Mai und Juni 1911 zeichnete der Wädenswiler Baumeister Alfred Dietliker Pläne für einen Fabrikanbau auf der Südostseite, der ebenso zügig realisiert werden konnte wie der Fabriktrakt von 1897/98. Die Baueingabe der Firma Fürst an das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Zürich erfolgte mit Schreiben vom 10. Juni 1911. Zwei Tage später leitete die Direktion die Pläne an den Fabrikinspektor weiter. Dieser erteilte am 13. Juni die Zustimmung unter der Voraussetzung, dass die Türen sich nach aussen öffnen, und am 14. Juni genehmigte die Volkswirtschaftdirektion den Erweiterungsbau der Firma Fürst & Cie.27
Die ausführliche Baueingabe enthält Informationen über die Nutzung des neu zu erstellenden Fabrikflügels: Im Souterrain wird die Büglerei placiert . Hier sind maximal 8 Mann beschäftigt. Um für die Büglerei den nötigen Dampf zu erzeugen, wird ein 3½ PS Dampfkessel aufgestellt. Mit dem Kessel verbunden ist eine Dampfmaschine, die als Reserve die Kraft statt dem 1½ PS elektrischen Motor (im alten Bau) liefern soll.
Im zweiten Raume des Souterrains wird ein kleiner Saal für die Arbeiterschaft eingerichtet, damit sich diese dort in der freien Zeit aufhalten kann. Jedoch soll das Lokal in der Regel nur von auswärts wohnenden Arbeitern, zirka 20 Personen, benützt werden. Das Lokal und die übrigen Arbeitsräume, ausgenommen die Büglerei, erhalten Warmwasserheizung.
Im ersten Stock wird ein 100 m2 grosser Teil für die Handnäherei benützt. Beschäftigt sind dort etwa 24 Personen. Neben der Näherei befindet sich – durch eine Wand mit Türe abgeschlossen – das Musterzimmer. Vorderhand wird darin nicht gearbeitet.
Der zweite Stock dient als Lagerraum für Fertigwaren. Für die Beleuchtung wird teils Gas, teils Elektrizität verwendet. Als Aborte werden die alten bestehenden benützt und nur zwei neue mit Wasserspülung installiert.
 
Wadenbinden und Büsi-Mützen
An der Schweizerischen Landesausstellung 1914 in Bern wurde die Firma Fürst & Cie. für ihre Produkte mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet. Während des Weltkrieges 1914–1918 stellte das Unternehmen nicht nur Mützen her, sondern auch Wadenbinden für die Schweizerarmee. Noch im Katalog von 1925 warb die Firma zweisprachig für ihre Wadenbinden und Bandes Molletières. Durchschlagenden Erfolg erreichte Eduard Fürst-Zurlinden aber mit den Mützen der Marke Büsi, die er 1923 patentieren liess. Geschickte Werbung, unter anderem mit grossformatigen Plakaten, machte die Büsi-Mützen innert kurzer Zeit in der ganzen Schweiz bekannt. So 1931 mit hinter einer braunen Mütze sitzendem Büsi auf gelbem Grund, 1948 mit dem Profil eines bemützten Mannes vor einer Gebirgslandschaft, 1959 mit einem Pfeife rauchenden Mann mit Büsi-Mütze und Büsi im Hintergrund.

Werbung 1926.

Werbung 1931.


Eduard Fürst-Zurlinden
Am 1. September 1940 feierte Eduard Fürst-Zurlinden das 50-jährige Geschäftsjubiläum. Mit Freude konnte er auf sein Unternehmen zurückblicken. Der Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee würdigte dies mit folgenden Worten: «Durch Fleiss, Sparsamkeit und Tüchtigkeit, gepaart mit sozialem Edelsinn, nicht zuletzt auch dank der tatkräftigen Mithilfe seiner beiden Schwiegersöhne Fritz Zurschmiede und Armin Staub, brachte er das Geschäft aus kleinen Anfängen zu grosser Blüte.»28 In der Öffentlichkeit trat Eduard Fürst nie hervor. Er widmete sich ganz seinem Geschäft, dem seine Frau Lina seit 1921 als Kommanditärin angehörte.29 Am 3. April 1944 starb Eduard Fürst nach kurzem Leiden im 79. Altersjahr. Damit verlor die Mützenfabrik Fürst ihren Seniorchef, von der Belegschaft liebe-, aber respektvoll «Papa Fürst» genannt.30

Eduard Fürst-Zurlinden (1866-1944).

 
Fürst & Cie. AG
Nach dem Tod von Eduard Fürst-Zurlinden wurde die Mützenfabrik in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Erster Verwaltungsratspräsident der Fürst & Cie. AG war Dr. iur. Hans Fürst-Sender (1902–1968), der spätere Bundesanwalt. Als Delegierter des Verwaltungsrates übernahm Fritz Zurschmiede-Fürst (1901–1989) – seit 1930 in der Mützenfabrik seines Schwiegervaters tätig – die Geschäftsführung.31 Die schwierigen Krisen- und Kriegsjahre waren vorbei, und ein neuer Aufschwung begann. Noch immer waren die Büsi-Mützen ein begehrter Artikel. Auch zahlreiche Nationalmannschaften für Olympiaden und Weltmeisterschaften trugen die modischen Sportmützen.

Die Mützenfabrik von Süden, um 1940. Rechts der Erweiterungsbau von 1911. Auf dem Parkplatz erstellte man später einen eingeschossigen Bau, der um 1970 aufgestockt wurde.

Mützenfabrik Fürst AG, Luftaufnahme um 1950. Rechts der Fabrikbauten des Haus Holderbaum.

Sportartikel Gattino
1959 begann die Herstellung von Sportartikeln. Die Rucksäcke, Badetaschen und Reisetaschen kamen unter dem Namen Gattino (Katze) in den Handel. Namentlich die Rucksäcke gehörten bald zu den Spitzenprodukten in Berglerkreisen. Bei Expeditionen und Erstbesteigungen wurden die Gattino-Sportartikel getestet und laufend verbessert.32
Die Mützenfabrik beschäftigte jetzt bis zu 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Einsiedeln wurde eine Näherei eingerichtet. Und in Wädenswil schuf man, um der wachsenden Nachfrage zu genügen, neue Produktionsräume in einem eingeschossigen und um 1970 aufgestockten Anbau an der Südseite des Fabriktrakts von 1911.
 
Fürst Holding AG
Mitte der 1960er Jahre begann sich die Struktur in der Bekleidungsindustrie zu wandeln. Geänderte Konsumgewohnheiten und Verknappung der Arbeitskräfte waren die Hauptgründe für diese Entwicklung. Auch für die Mützenfabrik Fürst stellte sich die Frage nach einer neuen Konzeption.
Anfangs 1964 übernahmen Dr. Edgar Cantieni und Dr. Cornel Fürst gemeinsam die Geschäftsleitung. Sie rationalisierten die Produktion, strafften das Sortiment und trieben die Diversifikation auf neue Produkte voran. Nach zwei Jahren war der Betrieb konsolidiert, und mit der Gründung der Fürst Holding AG legte man die Grundlage für die weitere Entwicklung.
Mit der Übernahme einer renommierten deutschen Mützenfabrik im Jahre 1966 wurde der Schritt in die EWG vollzogen. Die Fürst GmbH Lorsch im Ruhrgebiet belieferte fortan den deutschen, französischen und italienischen Markt mit Fürst-Produkten. Für den österreichischen Markt war man von der Schweiz aus tätig: In Wien wurde ein Auslieferungslager eingerichtet, und ein Nähbetrieb in Vorarlberg übernahm einen Teil der Produktion.

Werbung 1959.

Werbung 1964.


Standortbestimmung 1974
Im Jahre 1974 feierte die Mützen- und Sportartikelfabrik Fürst das Jubiläum des 90-jährigen Bestehens. In der Festschrift nahm Dr. Edgar Cantieni eine Standortbestimmung vor und blickte zuversichtlich in die Zukunft.33 Dies sein Urteil:
«Fürst Produkte werden heute (1974) in der Schweiz, in Deutschland und Österreich produziert. Wir wollen dem Kunden ein vollständiges und verkaufsgerechtes Sortiment anbieten. Artikel, welche wegen zu hoher Gestehungskosten oder aus anderen Gründen nicht in diesen Ländern hergestellt werden können, werden nach unseren Spezifikationen in Finnland, Schweden, Italien, Japan, China oder anderen Ländern hergestellt. Fast unser ganzes Sortiment ist in der Saison ab Lager lieferbar. Damit übernehmen wir für unsere Kunden sowohl einen Teil des Lagerrisikos als auch einen Teil der Finanzierung.
Wir sind überzeugt, dass ein Unternehmen unserer Grösse und Struktur in der Zukunft seine Berechtigung haben wird und überleben kann. Dies wird nur möglich sein, wenn jeder einzelne Mitarbeiter an seinem Platz bereit ist, jederzeit in höchster geistiger Beweglichkeit die von aussen herantretenden Veränderungen zu bewältigen.»

FÜRST AG WÄDENSWIL

Neue Standortbestimmung 1975
Die Rezession 1975 erwies sich einschneidender als 1974 angenommen, die zweite Hälfte der 70er Jahre war durch eine weitere Schrumpfung des Marktes für Kopfbedeckungen gekennzeichnet. Die Geschäftsleitung sah sich gezwungen, eine neue Strategie für die Zukunft zu entwickeln.34
Einerseits wurde durch Firmenzukäufe – Augsburger AG (Lammfellmäntel und Kopfbedeckungen), Seeli AG (Generalvertretung von Weltmarken wie Yamaha Skis, Tennisrackets und Bogensport; Tiger Sportschuhe) – die Diversifikation vorangetrieben; im weitern übernahm man die Generalvertretung von Dolomite Skischuhen. Andererseits wurde im Bereich Rucksäcke stark in Entwicklung und Verkauf investiert, mit Spitzenbergsteigern als Beratern. Bisher stand der Name Gattino nur für einfachere Wanderrucksäcke. Neues Ziel war, die Marke Fürst aufzubauen und bei den Rucksäcken für Spezialisten auf die ausländischen Spitzenmarken aufzuschliessen.

Neue Standortbestimmung 1982
Der Kopfbedeckungsumsatz war modebedingt so stark geschrumpft, dass er nicht mehr tragend war. Die Fokussierung auf den Sportartikelmarkt hatte sich bewährt. Hier lag die Zukunft. Die Rezession 1982 hinterliess aber auch bei der Fürst AG Spuren. Es zeigte sich, dass bei der Generalvertretung von Weltmarken die Abhängigkeit von den Herstellern sehr gross war; auch erwies sich der Markt Schweiz oft als zu klein.
Obwohl die Fabrikation der Eigenprodukte, Rucksäcke und Kopfbedeckungen teilweise in kostengünstigere europäische Länder wie Italien, Frankreich, Spanien und Portugal verlegt wurde, lagen die Kosten langfristig zu hoch.
1982 wurde beschlossen, die Produktion der Rucksäcke, ergänzt durch Schlafsäcke, nach Asien – schwerpunktmässig Korea und Hongkong, aber auch China und Taiwan – zu verlegen. Dies nahm rund vier Jahre in Anspruch. Entwicklung, Verkauf, Lager, Warenkontrolle und Kundendienst blieben weiterhin in Wädenswil, was die Qualität gewährleistete. Dank günstigen Gestehungskosten konnten die Produktentwicklung und die Markenwerbung massiv ausgebaut werden. Mitte der 80er Jahre war die Fürst AG in der Schweiz Marktführer, auch in hochwertigen Rucksäcken, mit einem Marktanteil von zirka 40 Prozent. Das Ziel war erreicht, das Unternehmen ertragsstark.

Der Erweiterungsbau von 1911, Ansicht von Norden, nach Abbruch des Hauses Holderbaum, im Oktober 1985.

Neue Standortbestimmung 1987
Da die Firma keine Kapazitätsprobleme mehr hatte, wurde der Export ausgebaut, mit Schwerpunkt Österreich und Deutschland. In Deutschland kam es zu einer Exportkooperation mit der Firma Arova-Mammut in Lenzburg, einer Tochtergesellschaft der Zürcher Ziegeleien (heute Conzzeta) von Jakob Schmidheiny. Arova-Mammut hatte eine Vertriebsgesellschaft in Deutschland erworben, aber ihren Rucksacklieferanten durch Konkurs verloren. Die Produkte der beiden Firmen ergänzten sich, da Arova-Mammut bei Bergseilen, Bergsport, Spezialbekleidung und Schlafsäcken führend war.

Die Mützenfabrik von Süden, mit um 1970 aufgestocktem Anbau. Aufnahme von 2007.

1986 entwickelte die Fürst AG den weltweit ersten Gleitschirmrucksack und produzierte anschliessend Gleitschirme für die neu aufkommende Sportart, mit dem ersten Weltmeister als Berater. Gleitschirme wurden auch als Werbeträger eingesetzt, und man drehte Promotionsfilme beim ersten Dreierstart vom Jungfraugipfel und anlässlich des Engadiner Marathons. Den Unternehmern war aber klar, dass beim Bergsport und im Outdoor eine nationale Marke im Zuge der Globalisierung langfristig keinen Bestand haben würde.
Auf dem Höhepunkt des Unternehmens und in Absprache mit der kommenden Generation der Familie nahmen die Inhaber ein Angebot von Jakob Schmidheiny an und verkauften das Aktienpaket der Fürst AG Wädenswil im März 1988 den Zürcher Ziegeleien. Die Arova-Mammut baute anschliessend in Seon eine moderne Produktionsstätte mit Hochregallager. Nach deren Fertigstellung wurde die Arova-Mammut Produktion von Lenzburg nach Seon und der Betrieb der Fürst AG Wädenswil im Februar 1992 von Wädenswil nach Seon verlegt. Das Gebäude an der Eintrachtstrasse 13 wurde vermietet. Heute werden die Produkte der ehemaligen Firmen Arova-Mammut und Fürst unter der Marke Mammut weltweit vertrieben.

Die Mützenfabrik von Westen, 2007. Von links Magazingebäude von 1850 und Bau von 1897/98.

WIE WEITER?

Im Jahre 2002 wurden die Gebäude der einstigen Fürst AG Wädenswil an die Xelux Holding AG in Zug verkauft. Deren Tochterfirma, die Xelux Produktions AG, stellte hier elektronische Schweissschutzfilter her und hatte ihren Sitz im Gewerbehaus. Im Dezember 2004 jedoch verlegte die Firma den Produktionsstandort nach Frankreich.35 Wenige Monate später meldete die Muttergesellschaft Konkurs an. Die Liegenschaft an der Eintrachtstrasse 13 in Wädenswil kam im November 2005 zur Versteigerung und ging an die Deso Immobilien AG mit Sitz in Basel über. Diese plant, die ehemalige Mützenfabrik Fürst abzubrechen und an diesem Platz ein Wohnhaus mit Tiefgarage zu erstellen.36




Peter Ziegler


ANMERKUNGEN

1 StAZH, B XI Wädenswil 2, S. 270a.
2 StAZH, B XI Wädenswil 2, S. 55.
3 StAZH, B XI Wädenswil 3, S. 248.
4 StAZH, B XI Wädenswil 6, S. 604.
5 StAZH, RR I 260a, Ass.-Nr. 70B
6 StAZH, B XI Wädenswil 21, S. 103.
7 StAZH, B XI Wädenswil 303, S. 246.
8 StAZH, B XI Wädenswil 303, S. 246; B XI Wädenswil 326, S. 479; B XI Wädenswil 335, S. 457–462.
9 StAZH, B XI Wädenswil 2, S. 19b.
10 StAZH, B XI Wädenswil 4, S. 538d; B XI Wädenswil 6, S. 604.
11 StAZH, B XI Wädenswil 322, S. 400–402.
12 StAZH, B XI Wädenswil 326, S. 479 und 545.
13 Peter Ziegler, Von der Tuchfabrik Treichler am Sagenbach in Wädenswil zur TUWAG Immobilien AG, Wädenswil 2001.
14 Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1956, S. 152–161.
15 Peter Ziegler/Max Mumenthaler, Gessner & Co. AG 1841–1966, Wädenswil 1966.
16 Peter Ziegler, Das einstige Wädenswil im Bild, Wädenswil 1992, S. 93.
17 Peter Ziegler, Aus der Geschichte eines markanten Gebäudes (Oberdorfstrasse 16). Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 12. Juni 1986.
18 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 31. August 1940 und 4. April 1944.
19 StAZH, RR I 260f, S. 300, Ass.-Nr. 265, alt Nr. 70 B.
20 StAZH, O 58q 7, Nr. 339, dat. 17. November 1897.
21 StAZH, O 58q 7, Nr. 339, dat. 22. November 1897.
22 StAZH, O 58q 8, Nr. 127, dat. 16. Mai 1898.
23 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 17. Januar 1908.
24 StAZH, B XI Wädenswil 334, S. 399.
25 Kanton Zürich. Firmenverzeichnis 1912, Zürich 1912, S. 48.
26 StAZH, B XI Wädenswil 334, S. 400.
27 StAZH, O 58q 36, Nr. 137, dat. 14. Juni 1911.
28 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 4. April 1944.
29 Firmen- und Güterverzeichnis 1921, Zürich 1921, S. 84.
30 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 31. August 1940.
31 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 7. April 1989.
32 Edgar Cantieni, 90 Jahre Mützenfabrik Fürst, Wädenswil 1974. – Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 9. März 1974.
33 Edgar Cantieni, 90 Jahre Mützenfabrik Fürst, Wädenswil 1974.
34 Die folgenden Abschnitte basieren auf Informationen von Dr. Edgar Cantieni und Dr. Cornel Fürst.
35 Zürichsee-Zeitung, linkes Ufer, 15. Dezember 2004.
36 Zürichsee-Zeitung, linkes Ufer, 26. September 2006.