Wie sich in der Herrschaft Wädenswil die Reformation durchgesetzt hat

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2017 von Peter Ziegler

Der Reformator Ulrich Zwingli

Ulrich Zwingli, 1484 in Wildhaus geboren, studiert an den Universitäten Wien und Basel Theologie, wird 1506 Priester in Glarus, wechselt 1516 nach Einsiedeln und tritt am Neujahrstag 1519 die Stelle als Leutpriester am Zürcher Grossmünster an. Nicht Martin Luther in Wittenberg ist Zwinglis Vorbild, sondern der Humanist Erasmus von Rotterdam in Basel. Von ihm übernimmt er das Prinzip der «sola scriptura», die Ansicht, die Heilsbotschaft werde im Gemeindegottesdienst allein durch die Bibel vermittelt. Zwingli unterscheidet zwischen Gott und der Welt, zwischen Schöpfer und Geschöpf.1 Nach seinem Verständnis braucht es zur Vermittlung des Heils keine Sakramente, keine kirchlichen Riten und keine geweihten Menschen. Denn der Mensch wird durch die Gnade Gottes, allein durch seinen Glauben, nicht auf Grund guter Werke, in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen.2 Darum werden in Zürich 1523 die Bilder aus den Kirchen entfernt, die Sakramente aufgegeben und anstelle der abgeschafften Messe wird 1525 das Abendmahl eingeführt.
Ulrich Zwingli (Porträt von Hans Asper).
Die Zürcher Disputation von 1523 befürwortet die Reformation (Illustration aus Bullingers Reformationsgeschichte).

Zwingli befürwortet eine starke Obrigkeit. Für ihn ist der gute Christ ein guter Bürger und die politische Stadt soll eine christliche Stadt sein.3 Der Reformator arbeitet daher eng mit dem Kleinen und dem Grossen Zürcher Rat zusammen, der 1523 in der Zweiten Zürcher Disputation die Reformideen Zwinglis billigt. Der Rat befürwortet die Umgestaltung der Kirche, denn dies erlaubt ihm, den Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen. Die Hoheit über das Eherecht wird dem Bischof von Konstanz entzogen und der Zürcher Obrigkeit übertragen, welche 1525 ein kommunales Ehegericht schafft. Durch die Aufhebung der Klöster und die Verstaatlichung der Kirchengüter fliesst dem Staat Geld zu, das für die Armenfürsorge eingesetzt werden kann. Starken politischen Rückhalt geniesst die 1525 gegründete Prophezei4, eine Schule der Theologie am Grossmünster, aus der das Collegium Carolinum und später die Universität hervorgehen wird. Hier wird unter Zwinglis Leitung die Bibel ins Deutsche übersetzt; Christoph Froschauer in Zürich druckt sie 1531.
Gedankengut, wie oben ansatzweise skizziert, und entsprechendes Handeln haben all jene Personen zu befolgen, die sich zur Reformation bekennen oder dazu gezwungen werden. Das gilt auch für die Bewohnerinnen und Bewohner der Herrschaft Wädenswil.

Erstes Aufleuchten

Als Ulrich Zwingli am Neujahrstag 1519 erstmals im Grossmünster predigt und damit den Anstoss zur Reformation in Zürich gibt, lebt die Bevölkerung der Herrschaft Wädenswil, in den Dörfern Wädenswil und Richterswil, streng den römisch-katholischen Glauben. Denn das Sagen hat hier seit 1287 der Johanniterorden. Seit 6. Januar 1500 amtet auf der Burg Wädenswil Hans Wirz der Ältere (um 1450–1528), ein Anhänger des alten Glaubens, als Schaffner, Statthalter, der Johanniterkomture Rudolf von Werdenberg (von 1482–1505), Johannes Heggenzi (1507–1512) und Johann von Hattstein (1513–1546).5
1521 lehnen Wädenswil und Richterswil den Solddienstvertrag mit Frankreich im Sinne der Stadt Zürich ab. Dass sie das Solddienstverbot mittragen, bedeutet einen wichtigen Schritt hin zur Reformation.6
1523 verbreitet der Leutpriester zu Richterswil, Gregorius Lüthi, geboren 1485 in Schaffhausen, reformatorisches Gedankengut. Am 25. Juni 1523 ist er als Nachfolger des Johanniterbruders Gallus Studli an die Pfarrkirche Richterswil gekommen, begleitet von seiner Haushälterin, Jungfrau Margreth Hermann von Oehningen bei Stein am Rhein. Lüthi ist von Ulrich Zwingli beeinflusst, denn er ist in Glarus dessen Kaplan gewesen.7 Er ist für Neuerungen aufgeschlossen und predigt Anfang Juli gegen den Zehnten. Da mischt sich der in der Kirche anwesende Schaffner Wirz ein und unterbricht die Predigt mit den Worten: Wo steht das im Evangelium geschrieben? Und sie kommen «mit worten in der kilchen an einanderen, dass man si stillen müesste.8 Der Schaffner verklagt den Neuerer Lüthi beim Ordensmeister Johann von Hattstein. Ende September 1523 wird Gregorius Lüthi vom Obersten Meister des Johanniterordens «von sins predigens wegen» seines Leutpriesteramtes in Richterswil enthoben.9

Komtur Rudolf von Werdenberg.

Zürichs Einfluss

Der Rat von Zürich verfolgt die Vorgänge in der Johanniterherrschaft Wädenswil aufmerksam. Denn seit 1342 besteht zwischen Zürich und der Kommende Wädenswil ein immer wieder erneuertes Burgrecht, das Zürichs Einfluss auf Kosten des Ordens stärkt: Seit 1351 besitzt Zürich hier das Mannschaftsrecht, das Recht, Krieger aufzubieten, und seit 1402 das Steuerrecht. Ab 1484 darf Zürich als Verwalter einen weltlichen Schaffner ernennen, der von 1500 bis 1550 der Familie Wirz von Uerikon entstammt.10
Wegen seiner Absetzung ersucht Gregorius Lüthi den Zürcher Rat um Beistand. Der Rat anerkennt aber den Entscheid des Ordensmeisters, betont jedoch, man hätte es gerne gesehen, wenn man den Geistlichen aus Gnade an seiner Stelle in Richterswil gelassen hätte.11 Mitte November wird das Urteil vollzogen: Lüthi wird aufgefordert, die Herrschaft Wädenswil spätestens bis Weihnachten 1523 zu verlassen und bis dann keine weiteren Schritte gegen den Orden zu unternehmen.12 Dem Weibel von Richterswil schreibt der Rat am 24. Dezember 1523, man habe mit Wohlgefallen zur Kenntnis genommen, dass man sich des Pfaffen entschlagen werde. Man werde sich gegenüber dem Ordensmeister und dem Schaffner, unseren Bürgern, wohlgesinnt verhalten.13
Allein, der umstrittene Leutpriester bleibt hartnäckig – und zunächst erfolgreich. Im Februar 1524 werden der Zürcher Bürgermeister Marx Röist (1454−1524) und vier Ratsherren beauftragt, zwischen dem Ordensmeister und Gregorius Lüthi einen Vergleich auszuhandeln.14 Das Ergebnis ist nicht bekannt. Im Juli 1524 befindet sich der vom Zürcher Rat versetzte Lüthi in Töss, wo er um Pfingsten 1527 die einstige Nonne Katharina von Ulm heiratet.15

Komtur Johannes Heggenzi.

Unruhen

Am 12. und 28. Dezember 1523 finden hinter dem Rücken von Richter und Weibel Gemeindeversammlungen statt. Es wird verlangt, die Burg Wädenswil zuhanden der Herrschaftsleute einzunehmen, denn Rhodos sei von den Türken erobert worden und die Abgaben würden nicht mehr zur Bekämpfung der Ungläubigen verwendet.16 Am 3. Januar 1524 schickt der Zürcher Rat vier seiner Mitglieder nach Wädenswil, um die Burg zu sichern und den Schaffner zu unterstützen.17
In der Nacht vom 10. auf den 11. Januar 1524 kommt es in der Herrschaft Wädenswil zu Unruhen. Angeführt von Jakob Schmid aus Wädenswil, zieht ein aufrührerischer Trupp mit Trommeln, Pfeifen und Pfauengeschrei vor die Burg und opponiert so gegen den Orden und den Schaffner, der von einer Zürcher Besatzung geschützt wird. Die bewaffneten Aufständischen schlagen Fenster ein, werfen Holz und andere Gegenstände, die in der Nähe der Burg zu finden sind, ins Tobel hinunter, nehmen Angestellte gefangen oder beschimpfen und misshandeln sie. Hintergrund dieser Ausschreitungen sind nicht in erster Linie Glaubenssachen, sondern man beklagt sich vielmehr über allerlei Ungerechtigkeiten und Einschränkungen durch den Orden, unter denen man zu leiden hat.18

Alter oder erneuerter Glaube?

Es scheint, dass die Bevölkerung der Herrschaft Wädenswil zunächst von den Neuerungen der Reformation nicht besonders begeistert ist. Denn man steht den Nachbarn in den angrenzenden Orten Schwyz und Zug teils durch Verwandtschaft, teils aus wirtschaftlichen Interessen sehr nahe. Viele Männer können sich auch nur schwer mit Zürichs Verbot des Reislaufens abfinden und lassen sich darum in Zug für fremde Dienste anwerben.19 Solange Schaffner Hans Wirz, der religiöse Neuerungen ablehnt, an der Spitze der Johanniterherrschaft Wädenswil steht, kann die Reformation hier nicht festen Fuss fassen. Dies beginnt sich zu ändern, nachdem Hans Wirz um die Jahresmitte 1528 stirbt20 und sein Sohn Hans Wirz, ein Befürworter der Reformation, an seine Stelle tritt.


Auf dem Weg zur Reformation

Der junge Hans Wirz bringt Zwinglis Ideen und den Bestrebungen des von ihm beeinflussten Rats mehr Verständnis entgegen als sein Vater. Mit Hilfe des reformfreudigen Schaffners kann es die Zürcher Obrigkeit wagen, gestützt auf die Bestimmungen des Burgrechts von 1342, das «ius reformandi» – den Grundsatz: Wessen Gebiet, dessen Religion – auch in der Herrschaft Wädenswil anzuwenden.21
Kurz nach dem Tod das alten Schaffners Hans Wirz äussert der Rat gegenüber einer Abordnung des Ordensmeisters, die in Zürich erschienen ist, den Wunsch, «die mess und bilder zu Wädiswil und Richtliswil hinweg zu thuond».22 Die Gesandten versprechen, das Begehren dem Ordensmeister vorzutragen. Den gleichen Auftrag erhalten am 6. Juni 1528 einige Ratsmitglieder.23
Ordensmeister Johann von Hattstein (um 1447−1546) äussert Befremden über den Antrag aus Zürich. Er will auf die Abschaffung der Messe nicht eintreten und stützt sich auf den Bussnang-Brief von 1466. Eine seiner Bestimmungen verbietet es nämlich dem jeweiligen Komtur, den Untertanen ohne Zustimmung der Gemeinden neue Vorschriften zu geben. Er, von Hattstein, hat darum seine Herrschaftsleute ermahnt, gleich ihren Vorfahren bei der guten alten christlichen Ordnung zu bleiben und weder Messe noch Bilder abzuschaffen. Dies, bis ein Konzil über die Neuerungen in Glaubenssachen entschieden hat oder bis sich die Orte auf einer Tagsatzung geeinigt haben.24
Trotz der ablehnenden Haltung des Ordensmeisters drängt nun der Rat energisch auf die Durchführung der Reformation in den Kirchen Wädenswil und Richterswil. Am 4. Juli 1528 richtet er entsprechende Zuschriften an die Geistlichen Konrad Nüppein zu Wädenswil und Joachim Rugglisperger in Richterswil.25 Darin heisst es, seit einer guten langen Zeit werde das heilige Evangelium und göttliche Wort zu Stadt und Land ohne Vermischung mit menschlichen Lehren lauter und rein gepredigt, so weit unser Gebiet reicht. Wir haben in den vergangenen Tagen dem hochwürdigen Herrn Johann von Hattstein, Meister des Johanniterordens in deutschen Landen, unserem Burger, geschrieben. Er beschwert sich nicht, dass das Gotteswort ohne Vermischung menschlicher Lehren von euch rein und lauter gepredigt werde. Wir ermahnen euch, Gottes Lob und Ehre zu bedenken und das göttliche Wort treulich zu verkünden, euch mit unsern Prädikanten zu vergleichen und euch davon nicht abwenden zu lassen.
Schaffner Hans Wirz und beide Gemeinden werden aufgefordert, «üch im glouben uns glichförmig ze machen und die mess und bilder, als wider das wort Gottes strebent, abweg ze tuond».26

Komtur Johann von Hattstein (Grabstein).

Einführung der Reformation

Bis die Reformation in der Herrschaft Wädenswil eingeführt wird, dauert es nochmals knapp ein Jahr. Dann drängt der Zürcher Rat auf deren Einführung. Am 12. Mai 1529 erklären Schaffner Wirz und Heinrich Eschmann von Richterswil namens der dortigen Kirchgemeinde, die Gemeindeversammlung habe sich mit offenem Mehr dem göttlichen Wort zugewendet und beschlossen, «götzen und bilder» zu beseitigen und dem «äusserlichen, erdichteten gottesdienst» zu entsagen.27 Gleiches ist in Wädenswil geschehen. Damit ist die Reformation zwinglischer Prägung in der Johanniterkommende Wädenswil vollzogen.

Opposition aus Wollerau

In seiner Antwort auf das Schreiben Zürichs vom 4. Juli 1528 vermerkt der Geistliche von Richterswil, Joachim Rugglisperger, was die Abschaffung der Bilder und Messe betreffe, würden die Kirchgenossen von Wollerau niemals zustimmen.28 Sie gehören zwar seit alters kirchlich zur Pfarrei Richterswil, nicht aber territorial zur Herrschaft Wädenswil.

Rugglisperger hat recht: Die Wollerauer verlangen den dritten Teil der Tafeln, Bilder, Glocken, Kelche und übrigen Kirchenzierden. Unterstützt werden sie von Kaplan Peter Bottenweiler (1489–1529), einem Johanniterbruder, der von Richterswil nach Wollerau umgezogen ist, um den dortigen Kirchgenossen im alten Glauben zu dienen.29 Die Richterswiler erkundigen sich beim Zürcher Rat, wie sie sich verhalten sollen. Dieser antwortet, man solle die Glocken hängen lassen, die Tafeln und Bilder aber verbrennen, die Altäre abbrechen und die Kirchen säubern und weisseln. Diese Anweisung wird sofort vollzogen. Am 19. Mai 1529 schreibt der Rat von Schwyz, an den sich die Wollerauer gewendet haben, nach Zürich, die Richterswiler hätten letzter Tage die Bilder verbrannt und die Messe und andere Sakramente abgeschafft.30 Einzig eine hölzerne Figurengruppe «Marientod» überlebt den Bildersturm und steht noch heute im linken Seitenaltar der Pfarrkirche Wollerau.31 Am 18. Oktober 1536 bewilligt der Bischof von Konstanz die Abtrennung der Kirchgenossen zu Wollerau von der Kirchgemeinde Richterswil und erhebt die dortige Kapelle zur selbständigen Pfarrkirche.32 Zur endgültigen Teilung der Kirchengüter zwischen Richterswil und Wollerau kommt es erst im Jahre 1547.33
Das von Richterswil nach Wollerau gerettete Marienbild.

1529: Zwei wichtige Ereignisse

Das Jahr 1529, in dem die Bevölkerung der Herrschaft Wädenswil zum erneuerten Glauben nach Zwinglis Vorgaben übertritt, ist auch für den Zürcher Reformator bedeutsam. Ohne sich zu einigen, debattieren Ulrich Zwingli und Martin Luther auf dem Marburger Religionsgespräch über die Art der Präsenz Christi im Abendmahl. Die konfessionelle Unterscheidung zwischen Lutheranern und Zwinglianern wird Tatsache.34
Ebenfalls ins Jahr 1529 fällt der Erste Kappelerkrieg. Der Durchbruch der Reformation in den Städten Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen hat die Stellung der Reformierten gegenüber den altgläubigen fünf inneren Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug gestärkt. Einer der Hauptstreitpunkte sind die Reformierten in den Gemeinen Herrschaften, besonders in den Freien Ämtern und Baden, dem Verbindungsglied zwischen Zürich und Bern. Der auch politisch denkende Ulrich Zwingli sieht nun die Möglichkeit, den erneuerten Glauben in der ganzen Eidgenossenschaft durchzusetzen.
Der Zweite Kappelerkrieg von 1531 (Illustration in der Stumpf-Chronik von 1548).

Als Reaktion auf die Verbrennung des reformierten Pfarrers Jakob Kaiser in Schwyz erklärt Zürich den fünf Orten am 8. Juni 1529 den Krieg und zieht mit seiner Hauptmacht nach Kappel an der Zuger Grenze.35 Auf der andern Seite sammeln sich die Fünförtischen. Ordensmeister von Hattstein befiehlt den Herrschaftsleuten, sie sollten wie im Alten Zürichkrieg «still sitzen» und sich nicht am Waffengang beteiligen. Trotzdem greifen 40 Männer aus Wädenswil und 30 aus Richterswil zur Waffe und schliessen sich dem Hauptbanner der Stadt Zürich an.36 Der Glarner Landammann Hans Aebli kann in Kappel vermitteln und den Waffengang verhindern. Man schliesst den 1. Kappeler Landfrieden, der die Reformierten begünstigt.
Im Oktober 1531 kommt es zum Zweiten Kappelerkrieg, den die Reformierten verlieren und in dem Ulrich Zwingli stirbt. Diesmal haben die Herrschaftsleute bedingungslos zu Zürich gehalten und auf dem Schlachtfeld gekämpft, unterstützt vom Schaffner Hans Wirz, nun ein Feind der katholischen Orte.37

Nur zögerlicher Abschied vom alten Glauben

In Gemeindeversammlungen zu Wädenswil und Richterswil haben die Herrschaftsleute 1529 beschlossen, zur Reformation überzutreten. Der Wechsel zum neuen Glauben vollzieht sich aber nur schleppend. Zum Teil mag das auch an den Pfarrern beider Gemeinden liegen. Joachim Rugglisperger, seit 1528 Pfarrer in Richterswil, steht 1530 im Verdacht, wieder den alten Glauben anzunehmen und auf eine Messpfrund-Stelle in Unterwalden zu spekulieren.38 Auf der Synode vom 25./26. Oktober 1530 muss er ermahnt werden, sich weniger im Wirtshaus aufzuhalten, fleissiger in der heiligen Schrift zu lesen und sich des Trinkens und Spielens zu enthalten.39 Am 12. Juli 1535 wird Rugglisperger vor dem Zürcher Ehegericht von Ursula Suter geschieden. Er ist geständig, doppelten Ehebruch begangen zu haben.40 1534 wechselt Pfarrer Rugglisperger an die Kirchgemeinde Seegräben.
Pfarrer Konrad Nüppein, seit 1524 Pfarrer in Wädenswil, führt keinen besseren Lebenswandel. An der Synode vom Oktober 1530, an der er wegen Krankheit nicht teilnimmt, wird ihm vorgeworfen, er nenne in seinen Predigten noch viel zu häufig die heilige Messe, als ob er darauf noch etwas halte. Zudem habe er keine Ehefrau, sondern eine Muhme. Diese solle er heiraten oder fortschicken. In einem Brief entschuldigt sich Nüppein später, unter der heiligen Messe verstehe er das Abendmahl.41 Auch an der Synode vom 18./19. April 1531 nimmt der Wädenswiler Pfarrer wegen Krankheit nicht teil. Nun heisst es, er habe «die vilfaltig meldung der mess zum teil underlassen». Der Ehe halber wolle er noch nicht zusagen. Er hege Zweifel, ob er in Wädenswil bleiben wolle.42

Rohe Sitten

Seit der Reformation gelten in der Herrschaft Wädenswil die vom Zürcher Rat erlassenen Sittenmandate. Dies kümmert die Bevölkerung allerdings wenig. Auf der Synode vom Oktober 1530 wird geklagt, in Wädenswil nehme man sich Freiheiten heraus mit Unzucht, Schwören, Saufen, Huren und Spielen. Dies besonders, wenn die Nachbarn von Schwyz und Zug zu Besuch kommen.
Nicht nur der Schaffner Hans Wirz äussert sein Missfallen, auch «biderbe leute» nehmen Anstoss am sittenlosen Leben in Wädenswil. Um den Auswüchsen zu steuern, vereinbaren Schaffner und Gemeinde am 19. Dezember 1530 – angelehnt an das Reformationsmandat des Zürcher Rats – eine für ein Jahr gültige Ordnung; die Zahl der Wirtschaften für die Gemeinden Wädenswil und Richterswil wird auf acht beschränkt.43

1549: Verkauf der Herrschaft Wädenswil an Zürich

Der Beschluss von 1529, die Altäre in den Kirchen der Herrschaft Wädenswil zu entfernen, wird nicht sofort umgesetzt. An der Frühlingssynode 1540 bittet Michael Schlatter, Pfarrer in Wädenswil seit 1534, um die Versetzung. Der Grund: Obwohl man gegen die Altäre predigt, stehen sie noch immer in der Kirche. Man führt sogar Pilger, die auf dem Weg nach Maria Einsiedeln vorbeikommen, in die Kirche, um ihnen zu zeigen, dass man in Wädenswil die Altäre noch hat.44 In Zürich tritt Schlatter eine neue Stelle an. In der Jakobskapelle Hütten werden die drei Altäre erst 1604 beseitigt.45
Die Burg Wädenswil um 1500 (Illustration aus der Zürcher Chronik von Gerold Edlibach).

In den 1540er Jahren kommt es zu Spannungen zwischen den reformierten Herrschaftsleuten und dem Landesherrn, dem Johanniterorden. 1543 lehnen sich Einwohner gegen den Orden auf. Zürich vermittelt und entscheidet, die Bewohner sollten den Johannitern Gehorsam geloben und ihren Pflichten getreu nachkommen. Um zu zeigen, dass man zu Zürich gehören will, wird 1545 das Ordenswappen von den Kirchentüren entfernt und durch das Zürcher Wappen ersetzt.46 1545 löst Beat Wirz seinen verstorbenen Vater als Statthalter zu Wädenswil ab. Auch er hat seine Probleme. So klagen 1548 die Anwälte des Grossprior Johann von Hattstein vor dem Zürcher Rat, die Untertanen hätten dem Schaffner die von ihm verhängten Bussen verweigert. Einige hätten sogar gedroht, ihm die Burg über den Haufen zu werfen.47
Am 1. Februar 1548 erscheinen Vertreter des Johanniterordens vor dem Zürcher Bürgermeister und einigen Ratsverordneten und bieten ihnen die Kommende Wädenswil zum Kauf an.48
Sie melden, Grossprior Georg Schilling von Cannstatt (1490–1554), Hattsteins Nachfolger ab 1546, habe sich mit Zustimmung des Ordens entschlossen, die Herrschaft Wädenswil samt hoher und niederer Gerichtsbarkeit sowie den Patronatsrechten in Wädenswil und Richterswil unter allen Umständen zu veräussern. Er sehe sich dazu gezwungen wegen des andauernden Ungehorsams der Untertanen und wegen der Misswirtschaft des gegenwärtigen Schaffners Beat Wirz. Am 31. März 1549 stimmt das Provinzialkapitel zu Speyer dem Verkauf der Herrschaft Wädenswil an Zürich zu.49 Am 9. Juli kündet der Grossmeister dem Rat von Zürich das baldige Eintreffen einer Gesandtschaft an.50 Man einigt sich in der Folge auf eine Kaufsumme von 20 000 Gulden und setzt einen Vertag auf, den der Zürcher Stadtschreiber am 3. August 1549 vor dem Grossen Rat verliest, und dem einhellig zugestimmt wird.51 Die eigentliche Kaufverschreibung wird vom Johanniterorden ausgefertigt. Sie trägt das Datum 16. August 1549 und die Siegel des deutschen Provinzialkapitels, des Grosspriors Georg Schilling von Cannstatt sowie der Komture von Tobel, Würzburg, Villingen und Basel.52
Komtur Georg Schilling von Canstatt (Medaille).
Schwyz und Glarus fühlen sich nun von Zürich bedroht und erheben Einspruch. Die Tagsatzung genehmigt 1550 zwar den Kauf, Zürich muss aber die Burg abbrechen und durch ein unbefestigtes Verwaltungsgebäude ersetzen. Nach diesem Beschluss wird die Herrschaft Wädenswil 1550 als letzte Landvogtei dem Zürcher Stadtstaat einverleibt.53 Die Bevölkerung hat damit erreicht, was sie schon 1529 angestrebt hat: Das Leben im reformierten Staat.




Peter Ziegler



Anmerkungen

1 Matthias Neugebauer. Moral im Waffenrock. UZH Magazin 2/2017, S. 23.
2 Peter Opitz. Die Welt wurde weltlicher. UZH Magazin 2/2017, S. 26.
3 Thomas Maissen. Zwingli war Optimist. UZH Magazin 2/2017, S. 32.
4 Konrad Schmid. Kritik und keine Bücklinge. UZH Magazin 2/2017, S. 39/40.
5 Hans Georg Wirz. Zürcher Familienschicksale im Zeitalter Zwinglis, Separatdruck aus Zwingliana, Bd. 6, 1935–1938.
6 Emil Egli. Actensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation, Zürich 1879, Nr. 169 (15.5.1521). –
Hans Rudolf Fuhrer/Christian Moser. Der lange Schatten Zwinglis, Zürich 2009, S. 112.
7 Albert Keller. Geschichte der Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil für 1932, Wädenswil 1932, S. 35/36. Auch für weitere Zitate.
8 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 379 (9.7.1523).
9 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 427 (30.9.1523)
10 Peter Ziegler. Wädenswil (Herrschaft) in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 13, Basel 2014, S. 134/135.
11 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 427 (30.9.1523).
12 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 445 (14.11.1523).
13 Emil Egli, Actensammlung, Nr. 466 (24.12.1523).
14 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 500 (22.2.1524).
15 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 562 (23.7.1524). – StAZH, A 7.1, Ehegericht (17.2.1528).
16 StAZH, A 150.1 (8.1.1524).
17 StAZH, A 150.1 (undatiert)
18 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 496 (8.2.1524). – Johann Heinrich Kägi. Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1867, S. 45.
19 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1084 (13.12.1526), Nr. 1118 (23.1.1527).
20 StAZH, A 367.1 (17.6.1528).
21 Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, S. 46.
22 StAZH, B VI 250, S. 162 (6.6.1528).
23 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1422 (6.6.1528).
24 StAZH, A 150.1 (24.6.1528). – Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1439 (4.7.1528).
25 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1439. – Emanuel Dejung/Willy Wuhrmann. Zürcher Pfarrerbuch 1519–1952, Zürich 1953, S. 96, 72.
26 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1140 (4.7.1528).
27 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1575 (12.5.1529). – Peter Ziegler. Die Johanniter im Stadtstaat Zürich, in: Vom Luxus des Geistes, Festschrift Bruno Schmid, Zürich 1994, S. 94/95.
28 StAZH, E I 55 (23.7.1528).
29 StAZH, C II 3, Nr. 277. – Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, S. 48/49.
30 Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, S. 49.
31 Christian Winkler. Die Rolle der Kirche im Alltag, in: Wollerau 1217–2017, Geschichte(n) eines Dorfes, Wollerau 2017, S. 80.
32 Justus Landolt. Geschichte der Orts- und Kirchgemeinde Wollerau, in: Geschichtsfreund Bd. 29, 1874, S. 127, Beilage 4.
33 StAZH, B I 279).
34 Christian Moser. Zwingli, Huldrych, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 13, Basel 2014, S.911–913.
35 Helmuth Meyer. Kappelerkriege, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 7, Basel 2008, S. 91–93.
36 StAZH, A 150.2. – Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, S. 58.
37 Johann Heinrich Kägi. Herrschaft Wädenswil, S. 51/52.
38 Emanuel Dejung/Willy Wuhrmann. Zürcher Pfarrerbuch, S. 491.
39 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1714 (25./26.10.1530).
40 StAZH, YY 1.5. Protokoll des Ehegerichts 1533–1538, S. 19.
41 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1714 (25./26.10.1530).
42 Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1757 (18./19.4.1531).
43 StAZH, B VII 41. – Emil Egli. Actensammlung, Nr. 1714 (25./26.10.1530). – Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, S. 54.
44 StAZH, E II 1, S. 249. – Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 3. Teil, S. 50. Wann die Altäre abgebrochen worden sind, ist nicht bekannt.
45 StAZH, F III 38, Landvogteirechnung Wädenswil 1604.
46 Johann Heinrich Kägi. Herrschaft Wädenswil, S. 54/55.
47 StAZH, A 150.1 (28.2.1548).
48 StAZH, A 150.1 (1.2.1548).
49 Albert Keller. Herrschaft Wädenswil, 4. Teil, Wädenswil 1933, S. 15.
50 StAZH, A 150.1 (9.7.1549).
51 StAZH, C II 3, Nr. 322.
52 StAZH, C II 3, Nr. 324. – StAZH, C I 2838.
53 Peter Ziegler. Wädenswil (Herrschaft), in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 13, Basel 2014, S. 134/135.