Die Schallplattenfabrik Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1986 von Frank Erzinger

Die ehemalige Schallplattenfabrik an der Auerenstrasse 10 in Wädenswil beherbergte nacheinander zwei Unternehmungen, nämlich von zirka Mitte bis Ende der 1920er Jahre die Kalophon-Record AG und während eines Teils der 1930er Jahre die Turicaphon AG. Ihre Geschichte wird nur dann verständlich, wenn wir in unsere Betrachtungen die gesamte Pionierzeit der schweizerischen Schallplattenindustrie miteinbeziehen.

DIE PIONIERZEIT DER SCHALLPLATTE IN DER SCHWEIZ

Während sich in unserem Land schon früh eine bedeutende Industrie zur Herstellung von Grammophonen entwickelte, fehlte vorerst eine solche für die Produktion von Schallplatten. Die bestehende Marktlücke bezüglich Aufnahmen einheimischer Artisten wurde von ausländischen Firmen geschlossen. Die grösseren europäischen Schallplattenhersteller führten einen sogenannten Exportkatalog, sowohl für die Schweiz als auch für andere Länder. Sie sandten ihre Aufnahmeequipen mit einer tragbaren Aufnahmeeinrichtung in unser Land, um an Ort und Stelle von Sängern und Musikern Aufnahmen zu machen.
Auf diese Weise entstanden anfangs dieses Jahrhunderts die ersten Schweizer Aufnahmen, welche Spezialisten der Deutschen Grammophon Gesellschaft Hannover im Hotel Baur au Lac in Zürich machten. Andere Schallplattenfirmen beschafften sich später in analoger Weise Aufnahmen von schweizerischen Künstlern, so zum Beispiel die französische Firma Pathe, die deutschen Odeon-Werke usw.
Es gab im weiteren Musikhäuser, welche im Kontraktverhältnis mit ausländischen Schallplattenfirmen standen. Sie besorgten nun die Aufnahmen am Platze. Die Aufnahmematrizen sandten sie an ihre Partner, die dann die Schallplatten pressten.
Solche Geschäftsverbindungen bestanden unter anderem zwischen den 1902 gegründeten Schweizer Automaten-Werken Zürich und den Lyrophon-Werken Berlin. Die für unser Land bestimmten Exportplatten erhielten einen typisch schweizerischen Anstrich, indem ein Etikett, Marke «Helvetia», gewählt wurde.
Eine analoge Geschäftsverbindung bestand zwischen dem 1909 eröffneten Musikhaus Hans Eichholz+ Co in Zürich und der Firma Ernst Holzweissig, Leipzig. Auf der Marke «Lipsia-Record» erschienen verschiedene Schweizer Aufnahmen.
In der Zeit von etwa 1900 bis 1914 wurden von ausländischen Produzenten schätzungsweise rund 5000 Aufnahmen von Schweizer Artisten gemacht. Verglichen mit heutigen Qualitätsansprüchen sind sie in akustischer Hinsicht oftmals erbärmlich schlecht. Doch aus dem Blickwinkel des Musikforschers sind es Dokumente von unschätzbarem Wert.
Während des Ersten Weltkrieges kam die europäische Schallplattenfabrikation beinahe vollständig zum Erliegen. Erst nach Friedensschluss setzte allmählich eine Wiederbelebung ein. Zu den bereits etablierten Herstellern kamen neue. Der Schweizer Markt wurde weiterhin von ausländischen Schallplatten­Unternehmungen beherrscht, welche nach wie vor ihren Exportkatalog führten.
Die Tonqualität der Schallplatte wurde wesentlich verbessert, vor allem ab zirka Mitte der 1920er Jahre, als das akustische durch das elektrische Aufnahmeverfahren abgelöst wurde. Die Interpreten fuhren von da an meistens ins Ausland, wo bei den Schallplatten-Produzenten erstklassige Aufnahmestudios zur Verfügung standen.
Ab Beginn der 1920er Jahre wurden dann in unserem Land Ansätze sichtbar, welche in der Folge zu einer einheimischen Schallplattenindustrie führten.

DIE SCHWEIZERISCHE TONKUNSTPLATTEN-GESELLSCHAFT AG

Die Gründung dieser Aktiengesellschaft in Zürich erfolgte offiziell im Januar 1921. Sie umschrieb ihre Tätigkeit wie folgt: «Herstellung und Vertrieb von Schallplatten im In- und Ausland, Betrieb von Schallplattenfabriken, Herstellung von Schallplattenmassen etc.» Der Verwaltungsrat bestand aus Robert Aebi, Kaufmann, aus Zürich (Präsident), Max Sauter, Oratoriensänger, aus Mailand/Italien und Dr. Eugen Curti, Rechtsanwalt, aus Zürich. Der Geschäftssitz befand sich am Werdmühleplatz 2 in Zürich.
Das eigentliche Gründungsdatum dürfte jedoch rund anderthalb Jahre früher sein. Es erschienen bereits Ende 1919 in der Zürcher Presse Inserate dieser Gesellschaft, welche auf neu in den Handel gebrachte Schallplatten hinwiesen. In der Folge, bis etwa 1922, brachte die Firma weitere Schallplatten heraus. Das Repertoire umfasste zwei Serien. Einmal die sogenannten «Künstler-Platten» mit klassischen Aufnahmen. Auf dem Etikett steht «Schweizerische Tonkunstplatten-Gesellschaft, Zürich» als Markenname.
Im weiteren gab es die «populären Platten» mit vorwiegend volkstümlicher Musik. Das Etikett dieser Serie trägt den Vermerk «Phonoplatten-Werke, Zürich» und die Abbildung eines Alphornbläsers.
Schweiz. Tonkunstplatten-Gesellschaft AG. Etikett «Populäre Serie», 1919 bis zirka 1922 (links) und Etikett der «Künstlerserie», 1919 bis zirka 1922 (rechts).

Speziell die klassischen Aufnahmen, welche hervorragende Sängerinnen und Sänger umfassen, sind äusserst selten und begehrte Sammlerobjekte.
Aufgefunden wurden bis anhin praktisch nur diejenigen Platten der Gesellschaft, welche in einem Katalog des Musikhauses Hug + Co. vom Januar 1922 aufgeführt sind. Wahrscheinlich wurden sie im Ausland hergestellt. Die Firma Hug + Co. bezeichnete sich als Generalvertreterin dieser Schallplattenmarke für die Schweiz.
Verwirrend ist, dass Exemplare der «populären Serie» aufgefunden worden sind, bei welchen über dem Original-Etikett ein weiteres mit dem Markennamen «Helvetia» aufgeklebt wurde.
Im Sommer 1923 schied Curti aus der Gesellschaft aus. Im Dezember des gleichen Jahres folgten ihm Aebi und Sauter. Dr. Wilhelm Rosenblum wurde nun einziges Mitglied des Verwaltungsrats. Welche Gründe zum Wechsel an der Firmenspitze führten, liegen im dunkeln. Rosenblums Büro an der Bahnhofstrasse 35 in Zürich wurde nun Geschäftssitz der Gesellschaft. Anlässlich einer Statutenrevision im Februar 1924 wurde Dr. Ing. Paul Debrunner aus Brugg zum Technischen und Otto Wänny aus Zürich zum Kaufmännischen Direktor ernannt.
In den Telefonbüchern der Ausgaben 1924/25 und 1925/26 wurden, ausser dem Geschäftssitz an der Bahnhofstrasse, eine Fabrik und Spedition an der Nussgasse 4 in Zürich-Riesbach aufgeführt. Obschon dieses Gebäude noch steht, blieben Nachforschungen nach der angeblichen Fabrik erfolglos. Vermutlich diente der Bau als Zwischenlager und Spedition.
Im Mai 1925 beschloss eine ausserordentliche Generalversammlung, sich einem andern Industriezweig zu widmen. Die Aktiengesellschaft änderte ihren Namen auf S-Ring AG und verlegte sich auf die Herstellung von Schwimmringen und Schwimmanzügen. Bei gleicher Gelegenheit wurde der Austritt von Debrunner gemeldet. Die Firma existierte noch bis anfangs der 1930er Jahre, ist aber für unsere weiteren Betrachtungen uninteressant.

DIE RIBLU-RECORD AG

Wiederum in Zürich erfolgte im November 1923 eine weitere Gründung in der gleichen Branche. Die neue Aktiengellschaft setzte sich zum Ziel, Erfindungen auf allen industriellen Gebieten, speziell für Grammophone und Schallplatten, zu finanzieren und auszuwerten. Eine holländische Bank aus Den Haag war Eigentümerin eines Komplexes von Erfindungen, welche sich auf die Herstellung von Schallplatten bezog, inklusive einem englischen Patent für eine unzerbrechliche Billigplatte, bestehend aus Pappekern und Zelluloid-Beschichtungen. Diese Erfindungen wurden der Riblu-Record AG zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Die Aktiengesellschaft musste sich dafür verpflichten, die Produktion der Schallplatte für den Bedarf Deutschlands und eventuell anderer Länder dem Fabrikbesitzer Johann Carl Müller aus Dresden/Deutschland zu übertragen. Die Bank sicherte sich auch einen Anteil am Reingewinn aus dem Verkauf der in Dresden fabrizierten Schallplatten.
Der Erfinder einer neu zu konstruierenden Schallplatte, der deutsche Doktor/Ingenieur iur. Richard Blum aus Ermatingen/TG, wurde für die Gesellschaft verpflichtet. Aus dem erwähnten Namen lässt sich unschwer die Firmenbezeichnung «Riblu» ableiten.
Die Riblu-Record AG meldete in der Zeit vom Dezember 1923 bis Juni 1924 insgesamt drei weitere Herstellungsverfahren für Platten zum Patent an. Es wurden Wege gesucht, um eine auf Etikett wie Schallfläche beschriftete und bebilderte Platte herzustellen. Doch über die Experimentierphase ist die Firma nicht hinausgekommen. Meines Wissens wurde nie eine Schallplatte aufgefunden, welche von der Riblu-Record AG fabriziert worden ist. Nichts deutet darauf hin, dass dieses Unternehmen eigene Produkte fertig entwickelte und in den Handel brachte.
Die Querverbindung zur Schweizerischen Tonkunstplatten-Gesellschaft ist darin ersichtlich, dass auch hier Dr. Wilhelm Rosenblum einziges Verwaltungsratsmitglied war. Laut den Adressbüchern des Jahres 1924, 1925 und 1926 sind die Adressen von Büro/Verwaltung respektive Spedition der Schweizerischen Tonkunstplatten-Gesellschaft AG und der Riblu-Record AG identisch.
Möglicherweise war dem Speditionsgebäude an der Nussgasse auch ein Labor angegliedert, wo Verfahren zur Herstellung von Schallplatten erprobt wurden.
Mysteriös und ungeklärt bleibt die Rolle, welche Dr. Ing. Richard Blum bei der Riblu-Record AG gespielt hat. Eine ältere Einwohnerin aus Ermatingen erinnert sich an ihn, ohne je etwas von ihm als Ingenieur und Erfinder gehört zu haben. Blum liess sich 1920 in Ermatingen ein Haus bauen, wo er zirka zehn Jahre wohnte. Nach seinen Wegzug hat man in Ermatingen nichts mehr von ihm gehört.
 

DIE KALOPHON-RECORD AG

Anlässlich einer ausserordentlichen Generalversammlung wurde im Mai 1926 der Firmenname «Riblu-Record AG» auf «Kalophon-Record AG» («Kalophon-Record SA») umgeändert. Bei dieser Gelegenheit wurde Otto Wänny zum Kaufmännischen Direktor ernannt. Im Telefonbuch der Ausgabe 1926/27 ist zu lesen, dass sich der Geschäftssitz weiterhin an der Bahnhofstrasse 35 und die angebliche «Fabrik» an der Nussgasse 4 befanden.
Die Kalophon-Record AG kaufte Mitte Juli 1926 für Fr. 81 800.– die ehemalige Webereiutensilien-Fabrik an der Auerenstrasse 10 in Wädenswil. Letztere befand sich zu dieser Zeit in Liquidation. In der Folge wurde der Betrieb an der Nussgasse in Zürich geräumt und nach Wädenswil verlegt.
Die Webereiutensilienfabrik und nachmalige Schallplattenfabrik an der Auerenstrasse 10 in Wädenswil, Aufnahme von 1909.

Auf der Suche nach neuen Geldgebern gelang es Dr. Rosenblum, den Druckereibesitzer und Nationalrat August Peter aus Pfäffikon/ZH und etwas später den Musikdirektor J. Heinrich Müller aus Wädenswil zu gewinnen. Mit letzterem tritt eine Persönlichkeit in Erscheinung, welche zur weiteren Entwicklung der Schallplattenfabrik wesentlich beitrug. Müller gehörte zu den bedeutendsten schweizerischen Pionieren der Blasmusik. Er dirigierte ausser der «Harmonie» Wädenswil weitere Blaskapellen, so diejenige von Pfäffikon/ZH. Er erwarb sich an Eidgenössischen Musiktreffen mit den von ihm geleiteten Gruppen grosse Verdienste. Mit viel Begeisterung und Optimismus widmete er sich in der Folge der Aufgabe, eine Schallplattenfabrikation in Wädenswil in Gang zu bringen. Er reiste zum Studium einschlägiger Betriebe nach Berlin und Wien. In Anbetracht dessen, dass er als Dirigent verschiedener Blaskapellen bereits ein immenses Arbeitsvolumen bewältigen musste, mag es erstaunen, dass er sich bei der Schallplattenfabrik dermassen engagierte.
Es war Müllers Idee, die Fabrikation nach seinem damaligen Wohnort Wädenswil zu verlegen. Er war auch die treibende Kraft, welche die Produktion einer Schallplatte endlich ermöglichte.

Johann Heinrich Müller, 1879-1959.
 
Von der früheren zwei Mann starken Belegschaft wurde nur der eine in den Wädenswiler Betrieb übernommen. Neue Leute wurden engagiert, und die Mannschaft erhöhte sich auf insgesamt sechs. Sie rekrutierte sich vor allem aus den Reihen des Musikvereins «Harmonie» Wädenswil. Auf diese Weise wollte Müller jene Musiker für sich verpflichten, welche er unbedingt zum Einspielen anspruchsvoller Musik benötigte.
Die Firma setzte den von der Riblu-Record AG eingeschlagenen Weg fort, wobei sie sich aber nur auf das zuletzt patentierte Herstellungsverfahren konzentrierte: Ein Pappekern wurde beidseitig mit einer dünnen Schellackmasse beschichtet. Die Idee einer auf Etikett und Schallfläche beschrifteten und bebilderten Platte wurde fallengelassen. Obschon das Ziel, eine Billig-Schallplatte zu produzieren, schliesslich erreicht wurde, setzte sich diese Art von Platten nicht durch. Die Abspielbarkeit liess auf die Dauer zu wünschen übrig, da sich die runden Scheiben verzogen. Die «Kalophon»-Schallplatten gelangten jedoch trotz alledem in den Handel. Es ist bekannt, dass grössere Posten an Warenhäuser verkauft wurden.
Kalophon-Record AG. Etikett-Typen «Kalophon», 1926 bis zirka 1930.
 
Die Platten wurden als «unzerbrechlich» und «flexibel» angepriesen, was jedoch nicht stimmte. Gegen Bruchschäden waren sie in beschränktem Masse gefeit, jedoch waren sie keineswegs flexibel, wie dies auf dem Etikett vermerkt und in einer Zeichnung dargestellt ist.
Nach diesem Fehlschlag verkaufte die Firma anfangs 1928 die Schallplatten-Patente an die Metropole Gramophone Co., Ltd. in England.
Die «Neue Zürcher Zeitung» brachte im Juni 1928 eine Notiz, laut welcher die Kalophon-Record AG eine Sanierung plane. Sie erwäge die Angliederung an die Metropole Gramophone Co., Ltd. Doch zu dem geplanten Zusammenschluss ist es nie gekommen. Die englische Firma hat auch nie von den erworbenen Patenten Gebrauch gemacht. Vermutlich hat sie diese an andere Interessenten weiterverkauft.
An einer ausserordentlichen Generalversammlung im Oktober 1928 wurden August Peter und J. Heinrich Müller in den Verwaltungsrat der Kalophon Record AG aufgenommen.
«Elite-Record»-Serie, noch von der Kalophon-Record AG hergestellt.
Nachdem sich Ende des gleichen Jahres die Hoffnungen zerschlugen, ein Arrangement mit der Metropole Gramophone Co., Ltd. zu treffen, kam es innerhalb der Firmenleitung zu ernsthaften Auseinandersetzungen. Musikdirektor Müller war verärgert, da sich seine Kollegen in der Aktiengesellschaft überhaupt nicht um den Betrieb in Wädenswil kümmerten.
Die Betriebsverluste waren ausserordentlich hoch. Die Aktionäre trafen sich im Januar 1929, um über Wege zu beraten, den drohenden Zusammenbruch des Unternehmens aufzuhalten. Einzelne Mitglieder waren bereit, neue finanzielle Opfer zu bringen. «Kalophon» sollte durch «Elite-Record» abgelöst werden. Die neue Schallplattenmarke wurde im März 1929 zum Patent angemeldet. Die Fabrik in Wädenswil produzierte jedoch nur noch eine kleine Serie mit dem neuen Etikett, wobei immer noch das gleiche Herstellungsverfahren angewendet wurde wie bei den «Kalophon»-Platten. Erst zu einem späteren Zeitpunkt ging die Schallplattenfabrik Wädenswil dazu über, Schallplatten aus Schellack herzustellen.
Der Musikdirektor löste im Sommer 1930 seine Verbindung zur Kalophon-Record AG. An seiner Stelle wurde Fritz Brupbacher, Kaufmann, aus Zürich, neues Verwaltungsratsmitglied. Gleichzeitig avancierte August Peter zum Vizepräsidenten. Als neuer Technischer Leiter des Wädenswiler Betriebs wurde Dr. Max Hausdorff engagiert.
Doch die Firma konnte sich nicht mehr lange behaupten, und im Januar 1931 kam es zur Konkurseröffnung. Zu der Konkursmasse gehörte auch das Fabrikgebäude an der Auerenstrasse in Wädenswil.
Zwei Jahre später gab es noch ein gerichtliches Nachspiel. Gegen Rosenblum wurde Anklage wegen Unterschlagungen erhoben. Er wurde im Januar 1933 verhaftet, etwas später gegen Kaution wieder auf freien Fuss gestellt. Noch während die Strafuntersuchungen liefen, verübte er anfangs Juli 1933 Selbstmord.
Die Schallplattenfabrik in Wädenswil hatte jedoch noch keineswegs ausgespielt. Der Musikdirektor ersteigerte sie im September 1931 von der liquidierten Kalophon-Record AG und verbündete sich später mit der neugegründeten Turicaphon AG.
Leider sind die Aufnahmebücher der Kalophon-Record AG nicht mehr auffindbar, und es fehlen etwelche archivierte Kataloge und Listen. Die seinerzeit in nur kleinen Auflagen gepressten Platten der Marke «Kalophon» sind heutzutage nur noch selten in Trödlerläden oder an Plattenbörsen anzutreffen. Das Repertoire der noch aufgefundenen Exemplare setzt sich aus verschiedenen Musikgebieten, wie Folklore, amerikanische Tanzmusik usw., zusammen und entpuppt sich als wenig sensationell. Nur wenige Aufnahmen wurden in eigener Regie gemacht. Alle andern wurden vom früheren, meist veralteten Repertoire ausländischer Schallplattenmarken übernommen. Vermutlich hatte die Firma Gelegenheit, Pressmatrizen zu günstigen Preisen zu erwerben. Die Namen der Interpreten wurden oftmals durch Bezeichnungen wie «Kalophon (Tanz) Orchestern, «Kalophon Militär Orchestern, «Kalophon Quartett» usw. getarnt.
Aus der Sicht des Schallplatten-Sammlers sind einzig sechs Titel einer amerikanischen Jazzkapelle mit dem Namen «Frank Guarente's Georgians» von Bedeutung. Dieses Orchester trat 1926 mehrmals in Zürich auf. Die erwähnten Aufnahmen entstanden vermutlich im Herbst dieses Jahres während eines Engagements im «Esplanade». Sie stellen Raritäten höchsten Grades dar und werden in Liebhaberkreisen zu unglaublichen Preisen gehandelt. So erschien im Herbst 1985 in einer Sammlerzeitung ein Inserat, wobei in einer Auktion zwei der «Georgians»-Platten dieser Serie zu einem Mindestpreis von DM 900.- pro Stück angeboten wurden.
Alle diese Schallplatten wurden vermutlich in der Zeitspanne von der Firmengründung der Kalophon-Record AG bis zum Verkauf der Patente nach England fabriziert.
Die Schallplattenfabrik begann dann mit der bereits erwähnten Serie, Marke «Elite-Record». Jedoch die Produktion kam nicht mehr in Schwung und wurde bald eingestellt. Bei den wenigen aufgefundenen Exemplaren fällt auf, dass sich einzelne Titel mit solchen decken, welche zum früheren «Kalophon»-Repertoire gehörten.

DIE TURICAPHON AG

Obschon die Gründung dieser Aktiengesellschaft und die Liquidation der Kalophon-Record AG zeitlich nahe beieinanderliegen, besteht kein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen.
Die Turicaphon AG wurde im September 1930 gegründet und gehörte etwa anderthalb Jahre zum deutsch-holländischen Küchenmeister-Konzern. Letzterer fabrizierte unter anderem Schallplatten und führte die Hauptmarke «Ultraphon» und ausserdem «Orchestrola», «Adlern, «Clausophon» und «Schlagerton».
Die erste Vertretung der deutschen Ultraphon AG in der Schweiz besass Emil A. Manger, welcher sein Geschäft im Juni 1930 an der Bahnhofstrasse 37 in Zürich eröffnete. Nur kurze Zeit später, nämlich im September desselben Jahres, übernahm die Turicaphon AG vom Hause Manger die Generalvertretung der Ultraphon AG.
Die Turicaphon AG umschrieb ihre Tätigkeit mit «Handel und Fabrikation von Musikapparaten, Musikplatten und Radiogeräten». Sie übernahm für Fr. 25 000.– von der Ultraphon AG in Berlin solche Produkte und überliess dieser einen entsprechenden Anteil an Gesellschaftsaktien.
Der Verwaltungsrat setzte sich zusammen aus: Dr. Karl Bertheau, Rechtsanwalt, aus Zürich (Präsident), Dr. Kurt Heberlein, Kaufmann, aus Berlin (Vizepräsident), Heinrich Landis, Kaufmann, in London, Rolf Landis, Architekt, aus Zürich, und Erwin Weidmann, Kaufmann, aus Zürich. Emil A. Manger wurde als Prokurist übernommen, ebenfalls dessen Geschäft an der Bahnhofstrasse.
Die Unternehmung beschränkte sich vorerst auf den Vertrieb von importierten Produkten der Ultraphon AG. Dies geht aus entsprechenden Inseraten hervor, welche damals zum Beispiel in der «Schweizerischen Zeitschrift für Musik-Handel und -Industrie» veröffentlicht wurden. Sie enthalten auch spezielle Hinweise auf das Schweizer Repertoire von «Ultraphon»-Schallplatten. Im Juni 1931 übernahm die Turicaphon AG von der Firma W. Schmidt aus St. Moritz die Generalvertretung für die Marke «Orchestrola». Personelle Änderungen fanden im gleichen Monat statt, als Dr. Heberlein, Weidmann und Manger aus der Turicaphon AG ausschieden. Gleichzeitig wurde die Verlegung des Geschäftssitzes an die Schöntalstrasse 7 in Zürich bekanntgegeben. Heberlein war vermutlich der Verbindungsmann zur Deutschen Ultraphon AG. Der Küchenmeister-Konzern krachte bald darauf auseinander. Das Ausscheiden Heberleins könnte mit dem Zerfall der Firmengruppe zusammenhängen. Heinrich Landis, welcher sich zu dieser Zeit immer noch in London aufhielt, wurde nun Vizepräsident der Turicaphon AG.
Schallplattenfabrik Wädenswil. Etikett-Typen «Elitina» und «Elite-Record», ab zirka Mitte 1933.

Kommen wir auf die Fabrik an der Auerenstrasse 10 in Wädenswil zurück. Das Schweizerische Handelsamtsblatt veröffentlichte im Juli 1932 eine Notiz, dass J. Heinrich Müller, Inhaber der Schallplattenfabrik Wädenswil, die firmeneigene Marke «Elite-Record» herstelle und vertreibe.
Der Küchenmeister-Konzern zerfiel anfangs 1932. Die Turicaphon AG sah sich gezwungen, sich auf eigene Füsse zu stellen. Auf der Suche nach einer eigenen Produktionsstätte kam es ihr sehr gelegen, dass Müller ihr seine Fabrik zur Verfügung stellte. Im Juli 1933 unterzeichnete die Turicaphon AG mit dem Musikdirektor einen Mietvertrag für die Dauer von zehn Jahren und vereinbarte ein Vorkaufsrecht für die Fabrik.
An einer ausserordentlichen Generalversammlung im August 1932 beschloss die Turicaphon AG die Reduktion des Aktienkapitals um Fr. 25 000.–, um mit diesem Betrag die Ultraphon Aktien zurückzukaufen und zu annullieren. Im weiteren wurde auch berichtet, dass Heinrich Landis nun in Zürich wohne.
Im August 1933 liess die Turicaphon AG die Plattenmarke «Elite-Record» patentieren. Es wurde ein Etikett mit einer Armbrust als Markenzeichen kreiert.
Um die Kapazität zu vergrössern, wurde der Betrieb ausgebaut und die Belegschaft erweitert. Die Schallplattenfabrik produzierte nicht nur die firmeneigene Marke, sondern presste auch in Lizenz die Schweizer Serien ausländischer Firmen. Die Schweiz besass noch keinen Produzenten für Pressmasse. Die Wädenswiler Fabrik musste sich diese im Ausland besorgen. Erschwerend wirkte sich zudem aus, dass von den ausländischen Herstellern jeder seine eigenen, in der Rezeptur voneinander abweichenden Produkte führte. Wenn nun die Fabrik in Wädenswil von einem ausländischen Kunden einen Auftrag übernahm, dann lieferte dieser seine Pressmasse und die Schallplatten-Etiketten mit. Es gab relativ viel Ausschuss. Die nicht verwendbare Ware wurde an die entsprechenden Lieferwerke gesandt und dort wieder eingeschmolzen. Dieses Verfahren war sehr umständlich und aufwendig.
Belegschaft der Schallplattenfabrik Wädenswil, um 1934.
Belegschaft der Schallplattenfabrik Wädenswil, um 1934.

Im Januar 1934 schied Dr. Bertheau aus dem Verwaltungsrat aus. Der finanzstarke Heinrich Landis wurde nun Präsident und rückte an die Spitze des Unternehmens. Als neues Verwaltungsratsmitglied wurde J. Heinrich Müller gewählt.
Schallplattenfabrik Wädenswil: Arbeiterin an der Plattenpresse.
Schallplattenfabrik Wädenswil: Karl Baur mit Pressmatrize.

Ungefähr zur gleichen Zeit wurde ein deutscher Fachmann namens Hoffmann nach Wädenswil engagiert, um die Produktion in Schwung zu bringen. Veteranen erinnern sich an eine Steigerung des täglichen Ausstosses von früher 100 auf 400 Schallplatten. Mit dem Betriebsausbau nahmen auch die Immissionen zu. Anwohner hatten wenig Freude an dem qualmenden Schornstein, welcher schwarze Rauchwolken ausstiess!
Die schweizerische Schallplattenindustrie hatte in jenen Jahren einen harten Konkurrenzkampf gegen Billig-Importe aus dem Ausland und gegen die zunehmende Verbreitung des Radios zu bestehen. In diesem Zusammenhang ist eine Notiz, welche im November 1933 in der Schweizerischen Zeitschrift für Musik-Handel und -Industrie erschien, von Interesse. Sie hat den folgenden Wortlaut:

Die schweizerische Schallplattenindustrie

«Wie uns mitgeteilt wird, hat die Produktion der schweiz. Plattenindustrie seit der tatsächlichen Zollerhöhung auf Schallplatten stark zugenommen. So hat Wädenswil zahlreiche Pressaufträge ausländischer Konzernmarken erhalten.
Die Fabrik hat sich auch an den Bemühungen des Verbandes Schweiz. Grammophonhändler führend beteiligt, die Detailpreise für die billigen Volksplatten auf ein anständiges Niveau zu bringen (Mindestdetailpreis Fr. 2.50).
Zu hoffen ist nun nur noch, dass Wädenswil die Pressungen der Locarno-Platten einstellt, jene Produkte schlechtester Qualität, die unter marktschreierischer Reklame (der Apparat wird angeblich gratis mitgeliefert!!) an den Mann (lies ,Dummen') gebracht werden.
Wie wir hören, hat die ,Mechanlizenz' die Lizenz an die Locarno AG verweigert, indem Locarno keine Grammophonplattenfabrik ist, jedoch durch ihre Produkte den schweiz. Schallplattenmarkt versaut und indirekt die Einnahmen der ,Mechanlizenz' schädigt.
Ausserdem hat unseres Wissens die «Mechanlizenz» der Plattenfabrik Wädenswil die Bedingung gestellt, auf allen den von ihr gepressten Platten den ausdrücklichen Vermerk anzubringen, dass diese Platte zu Radiosendungen nicht verwendet werden darf. Die Zollerhöhung hat somit arbeitsschaffend gewirkt, zudem aber auch den Handel saniert.»
Schallplattenfabrik Wädenswil: Karl Baur bei der Plattenkontrolle.
Hinter der Locarno AG, Locarno/TI, stand eine ausländische Firma oder Firmengruppe, welche für den schweizerischen Markt eine Platte, Marke «Cimaphon», herstellen liess.
Die Schallplattenindustrie verfolgte mit Besorgnis den Umstand, dass die Radiosender ihre Schallplattensendungen mehr und mehr ausweiteten. Sie glaubte feststellen zu müssen, dass infolge übermässigen Sendens von Schallplatten-Musik eine Übersättigung weiter Bevölkerungsschichten erfolge und damit verbunden ein erschreckender Umsatzrückgang. Sie strebte darum ein Abkommen mit der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft an, um die Sendezeiten für Musik ab Schallplatten einzuschränken. Nach längerem Tauziehen wurde in allen strittigen Fragen zwischen den Schallplattenproduzenten und der SRG Bern eine Übereinkunft erzielt. Von seiten der Hersteller beteiligten sich ausser der Turicaphon AG auch zahlreiche ausländische Firmen.

Das Schweizerische Handelsamtsblatt meldete im September 1934, dass die Firma J. Heinrich Müller, Schallplattenfabrik Wädenswil, infolge Geschäftsaufgabe erloschen sei und einen Monat später, dass J. Heinrich Müller, zusammen mit Rolf Landis, aus dem Verwaltungsrat der Turicaphon AG ausgeschieden sei.
Die genauen Hintergründe, warum Müller sich aus der Geschäftsleitung der Turicaphon AG zurückzog, sind nicht bekannt. Vermutlich hing dies damit zusammen, dass er im Laufe der Jahre viel Geld in die Schallplattenfabrik gesteckt hatte, ohne dass eine Rendite herausgeschaut hatte. Auch persönliche Belange mögen mitgespielt haben. Er trennte sich von seiner Ehefrau und heiratete später eine andere Frau.

Erste Serie Schellackplatten, um 1932/33.
Anlässlich einer ausserordentlichen Generalversammlung der Turicaphon AG im Juni 1935 wurde beschlossen, das Aktienkapital stark zu reduzieren. Neu wurde Hansjörg Stahel, Ingenieur, aus Zollikon/ZH, in den Verwaltungsrat gewählt. Neuer Geschäftssitz wurde nun das Fabrikgebäude an der Auerenstrasse 10 in Wädenswil. Das Mietverhältnis zwischen dem Musikdirektor und der Turicaphon AG bezüglich der Fabrik blieb vorderhand noch bestehen.
Von Hansjörg Stahel ist bekannt, dass er mit den Orchestern und Künstlern verhandelte, welche zu Aufnahmen für die Turicaphon AG verpflichtet wurden.
Im Laufe der Jahre wurde in Wädenswil eine grosse Anzahl der firmeneigenen Marke «Elite-Record» produziert. Es würde den Rahmen dieser Abhandlung übersteigen, im Detail darauf einzugehen. «Elite-Record» war eine ausgesprochene Volksplatte. Demzufolge überwiegt beim Angebot der populäre Teil, bestehend aus volkstümlicher Musik, Schlagern und humoristichen Vorträgen. Die Schallplattenfabrik legte grossen Wert auf ihr Schweizer Repertoire. Dasselbe war unbestreitbar das grösste und vielseitigste dieser Art und enthielt Beiträge aus allen Landesteilen. Im weiteren gab es auch ein beschränktes Angebot mit symphonischer Musik, Ausschnitten aus Opern und Tonfilmen.
Die älteste Serie der nun mit Schellack hergestellten «Elite»-Platten trägt ein Etikett mit blau-schwarzem Grund und goldener Beschriftung und Zeichnung. Es wird ein Frauenkopf gezeigt, in die Betrachtung einer Platte versunken. Ab Sommer/Herbst 1933 erschienen dann neue Etiketten mit verschiedenfarbigem Grund, so in Farben Rot, Blau und Braun und Beschriftung und Armbrustzeichen in Gold. Auf allen diesen Schallplatten steht der Vermerk, dass sie in Wädenswil hergestellt worden sind.

DIE ROSENGARTEN + CO. UND DIE MUSIKVERTRIEB AG

Mitte der 1930er Jahre eröffnete eine zweite Schallplattenfabrik in Riedikon bei Uster/ZH ihren Betrieb. Sie gehörte einer Kommanditgesellschaft, welche im Mai 1933 in Zürich gegründet worden war. Die beiden Inhaber hiessen Maurice A. Rosengarten und Harry Hessford. Letzterer, ein Engländer, war eine führende Persönlichkeit bei der Firma Edison Bell International mit Hauptsitz in London.
Rosengarten war schon längere Zeit in der Branche «Musikapparate und Schallplatten» aktiv. Ende der 1920er Jahre vertrat er die englische Firma Edison Bell in Paris und nahm von dort aus auch die Interessen für die Schweiz wahr. 1930 kam er nach Zürich, um weiterhin für Edison Bell zu arbeiten.
Die Firmengründung der Rosengarten + Co. hing damit zusammen, dass Edison Bell Ltd. im März 1933 ihre beiden Produktionsstätten in England verloren hatte. In der Folge wurde die Fabrikation nach Frankreich, Belgien und in die Schweiz verlegt. Im Februar 1934 kaufte die Kommanditgesellschaft eine bereits bestehende Fabrik in Riedikon/ZH. Das Schweizerische Handelsamtsblatt vom Februar des nächsten Jahres meldete die Verlegung des Geschäftssitzes der Firma nach Riedikon. In der Fabrik wurde nun ein Betrieb zur Herstellung von Schallplatten eingerichtet. Die Produktion umfasste nicht nur die Marke «Edison Bell», sondern auch andere, wie «Decca», «Epacord», «Kristall» usw.
Weitere Aktivitäten von Maurice A. Rosengarten betrafen die Gründung der Musikvertrieb AG in Zürich, welche im Dezember 1935 erfolgte. Das Tätigkeitsfeld dieses Unternehmens umfasste die Herstellung und den Vertrieb von Musikgeräten (Radio und Grammophonapparte) und Schallplatten. Im Januar 1936 kaufte die Musikvertrieb AG von der Rosengarten + Co. die Riedikoner Fabrik.
Doch der inländische Markt war bei anhaltender Wirtschaftskrise übersättigt. Die Voraussetzungen für eine Ausdehnung der Produktion waren keineswegs gegeben. Die Lage wurde unhaltbar, als im Herbst 1934 eine dritte Schallplattenfabrik im Raume Basel dazu kam.
Die Manager der drei Schweizer Schallplattenunternehmungen trafen sich anfangs 1936, um über Wege zu beraten, wie Konkurrenzkämpfe vermie­den werden könnten. Heinrich Landis und Maurice A. Rosengarten beschlossen, inskünftig zusammenzuarbeiten. Die Turicaphon AG erwarb im Juli 1936 die Fabrik in Riedikon samt deren Einrichtungen zur Schallplattenproduktion. Sie verpflichtete sich, den Grosshandel mit Schallplatten der Musikvertrieb AG zu überlassen. Über das Arrangement mit der Schallplattenfabrik im Raume Basel wird im nächsten Kapitel berichtet.
Die Rosengarten + Co. wurde nach dem Tode des Kommanditärs Hessford und erfolgter Liquidation aufgelöst. Maurice A. Rosengarten konzentrierte sich nun auf den Auf-und Ausbau der Musikvertrieb AG, wobei letztere, ausser den Produkten der Turicaphon AG, auch andere in ihr Lieferprogramm aufnahm. Die Firma mit Sitz an der Badenerstrasse in Zürich existiert heute noch.
Rosengarten erwarb sich grosse Verdienste, indem er talentierte Orchester und Künstler in die Aufnahmestudios holte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er eine der führenden Figuren im internationalen Schallplattengeschäft.

DIE SCHALLPAG-SCHALLPLATTENFABRIK AG

Nun noch einige Worte zur bereits erwähnten dritten Schallplattenfabrik. Der Inhaber einer tschechischen Schallplattenunternehmung wollte in der Schweiz Fuss fassen. Zu diesem Zweck sandte er seinen Sohn namens Hans Oestreicher in unser Land, um in Angenstein im bernischen Laufental in der Nähe von Aesch/BL eine weitere Produktionsstätte zu eröffnen. Diese Firma existierte vom Oktober 1934 bis Februar 1936. Sie gehörte zu gleichen Teilen dem Clangor - Schallplatten - Volksverband, Berlin, und der Familie Maassen + Co., Decin/Tschechoslowakei. In der kleinen Presserei der Schallpag wurde Schweizer Folklore und sonstiges Reper­toire auf der Marke «Swisscord» herausgegeben.
Hans Oestreicher nahm anfangs 1936 ebenfalls an der Sitzung der drei krisengefährdeten Schallplatten unternehmer teil. Als Folge der mit ihm getroffenen Vereinbarungen wurde der Betrieb in Angenstein geschlossen. Er kehrte in die Tschechoslowakei zurück, um die Leitung des väterlichen Unternehmens zu übernehmen. Die Geschäftsverbindungen mit der Schweiz blieben bestehen, indem die Firma an die Turicaphon AG Maschinen und Pressmasse liefern durfte.

DIE NEUZEIT DER TURICAPHON AG

Aufgrund des Arrangements zwischen den beiden Direktoren Landis und Rosengarten übernahm die Turicaphon AG die Fabrik in Riedikon. Von Vorteil waren die besseren Platzverhältnisse. Es stand mehr Raum für den Betrieb zur Verfügung, und Landreserven für Erweiterungsbauten waren ebenfalls vorhanden.
Firmenjubiläum Turicaphon AG, 1959. Von links nach rechts: Erwin Stäubli, Abraham Zimmermann, Dir. Heinrich Landis, Hans Sehellenberg, Richard Schöller.
 
Gebäude der ehemaligen Schallplattenfabrik Wädenswil an der Auerenstrasse, 1985.

Im Laufe des Jahres 1937 siedelte ein Teil der früheren Wädenswiler Belegschaft nach Riedikon über. Zudem wurden alle noch verwendbaren Einrichtungen aus der Wädenswiler Fabrik übernommen.
Anfangs 1939 wurde infolge der deutschen Besetzung die Schallplattenfabrik der Familie Oestreicher in der Tschechoslowakei geschlossen. Hans Oestreicher kam neuerdings in die Schweiz. Ihm folgte später seine Familie nach. Heinrich Landis engagierte den versierten Fachmann für die Riedikoner Fabrik. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Turicaphon AG zu einer blühenden Unternehmung, welche sich im Laufe der Zeit ständig vergrösserte und ihre Produkte den veränderten Erfordernissen anpasste.
Auch in Riedikon wurde noch eine Zeit lang die Marke «Elite­Record» fabriziert, bis sie von «Elite­Special» abgelöst wurde. Die neue Marke wurde im Oktober 1941 zum Patent angemeldet.
In den späten 1930er und frühen 1940er Jahren erlebte die Turicaphon AG in Riedikon einen ersten Aufschwung. Dies dank einiger neuer Stars, wie Geschwister Schmid, Martha Mumenthaler, Vreneli Pfyl, Hans Möckel, Teddy Stauffer usw. Im weiteren kam der Firma der Umstand zugute, dass nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Nachfrage nach einheimischen Erzeugnissen sprunghaft anstieg, nachdem der Schallplattenimport aus dem Ausland praktisch vollständig gestoppt worden war.
Fabrikgebäude Auerenstrasse 10, 1985.

DAS WEITERE GESCHICK DER WÄDENSWILER FABRIK

Nachdem die Turicaphon AG den Mietvertrag gekündigt hatte, standen die Räume der Fabrik an der Auerenstrasse lange leer oder wurden anderweitig vermietet. Bis 1945 interessierte sich keine Firma für das Gebäude. Während des Zweiten Weltkrieges wurden hier auch Soldaten einquartiert.
Endlich, im August 1945, fand der Musikdirektor J. Heinrich Müller einen Käufer. Oskar Schmutziger richtete in der erworbenen Fabrik einen Betrieb zur Herstellung von Spannelementen ein. Dann diente das Gebäude der Firma Connex, welche hier Maschinenelemente fabrizierte. Im Jahre 1986 wurde die Liegenschaft an die Pfingstgemeinde Wädenswil verkauft. Diese gedenkt den ehemaligen Fabrikbau mit einem Walmdach zu versehen und das «Auerehuus» als Versammlungshaus zu benützen.

 




Frank Erzinger


ANMERKUNGEN

Diese Abhandlung kam nur dank der wertvollen Mithilfe von zahlreichen Informanten zustande. Mein Dank geht in erster Linie an meinen Freund Dr. Hanspeter Woessner und im weiteren an die nachstehenden Personen: Frank Andrews, Karlo Adrian, Rosmarie Emig, Berta Frey-Treichler, Karl Frutiger, Dr. Comel Fürst, Fanny Gredig­Baur, Willy Kyburz, Robert Masopust, Walter Murbach, Dir. Hans Oestreicher sen., Dir. Hans Oestreicher jun., Adrian Pretto, Alfred Ruh, Berta Sigg-Kolb, Emil Stäubli, Nelly Temperli, Pierre Tschupp und Peter Ziegler. Diese Darstellung ist auch nicht das
letzte Wort über die Schallplattenfabrik Wädenswil. Ergänzungen, Korrekturen und weitere Informationen sowie Fragen sind jederzeit willkommen und zu richten an den Autor, Frank Erzinger, Fuhrweg 1, 8820 Wädenswil.