Ingenieurschule Wädenswil für Obst-, Wein und Gartenbau

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1984 von Walter Müller

Die Ingenieurschule Wädenswil neu im Grüntal

Wädenswil ist − und da staunt man als Reisender immer wieder − weitherum bekannt. Zu diesem hohen Bekanntheitsgrad tragen sicher die Eidgenössische Forschungsanstalt und die Ingenieurschule wesentlich bei. Diese beiden Betriebe sind insbesondere in den letzten 20 Jahren − zuerst die Forschungsanstalt, dann die Ingenieurschule − zu funktionstüchtigen und fortschrittlichen Instituten ausgebaut worden. Die Erstellung der Neubauten im Grüntal fügt sich ausgezeichnet in das grossräumige Konzept von Wissenserarbeitung und -vermittlung, Das ganze Potential von Wissen und Einrichtungen kann nun optimal genutzt werden. Die Forschungsergebnisse können noch besser und in idealerer Weise sofort in die Aus- und Weiterbildung einfliessen. Wädenswil ist jetzt mit den neuen Einrichtungen im Grüntal in der Lage, beste Voraussetzungen anzubieten für eine effiziente Schulung mit zweckmässigen Räumen und der dazu notwendigen Infrastruktur.
An den beiden Instituten wird bekanntlich in den Bereichen Obstbau, Obstverwertung, Rebbau, Weinbereitung, Zierpflanzenbau, Gemüsebau sowie Konserventechnologie einerseits geforscht und andererseits die entsprechende Aus- und Weiterbildung angeboten. Forschung, Beratung und Ausbildung sind Dienstleistungen für die entsprechenden Branchen und im weiteren Sinn für die ganze Bevölkerung. Wädenswil ist mit dem Abschluss der Neubauten der Ingenieurschule noch stärker geworden als Zentrum für die Spezialgebiete der Landwirtschaft. Von Wädenswil ausgehen viele Fachpublikationen und Beiträge an Symposien. Wädenswil ist jetzt noch besser in der Lage, Schülern, Studenten und Kursteilnehmern von nah und fern das anzubieten, was man in Wädenswil zu profitieren erhofft.

Versuchsstation und Schule (1890–1914)

Die geschichtliche Entwicklung der Wädenswiler Institutionen auf den Gebieten Obst-, Wein- und Gartenbau begann vor bald 100 Jahren, nämlich 1890. Vierzehn Kantone der deutsch-sprachigen Schweiz gründeten die «Deutsch-schweizerische Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau». Die Verträge von damals sahen vor: «Durch ununterbrochene sorgfältige Beobachtungen und Versuche sowie durch die Bekämpfung schädlicher Einflüsse die Erträgnisse dieser Wirtschaftszweige zu fördern und durch Verbreitung besserer Fachbildung die Leistungsfähigkeit in den Betrieben zu erhöhen.»
Damals standen erst die Gebäude rund um den Schlosshof. Im Schulgebäude, heute mit Vortrags- und Bibliotheksgebäude bezeichnet, fanden die meisten Schulzimmer, das chemische Laboratorium, ein Dörr- und Obstverwertungsraum, eine Brennerei, ein Gärkeller sowie die Anstaltsküche Platz. Im ersten Stock befanden sich eine Verwalterwohnung und vier für die «Zöglinge» eingerichtete grosse Schlafzimmer.
Ihr erster Direktor, Prof. Dr. Hermann Müller-Thurgau, gliederte die damalige Lehranstalt in zwei Abteilungen, nämlich in die Obst- und Weinbauschule und in die Gartenbauschule. Ein unübersehbares Merkmal der damaligen Ausbildung war die sehr lange Präsenzzeit an der Schule. Die Hausordnung hält zum Beispiel fest, dass die Schüler, ohne spezielle Erlaubnis des Direktors oder eines von ihm Bevollmächtigten, die Anstalt nicht verlassen dürfen. Der Sonntagnachmittag − nicht etwa der Samstagnachmittag − sei frei bis abends 21.00 Uhr, mit Ausnahme von zwei bis drei Schülern, welche abwechselnd zur Beaufsichtigung des Gartens und des Gewächshauses beordert werden. Je nach Arbeit und Länge des Tages wurde zwischen 04.00 und 06.00 Uhr zum Aufstehen geläutet. Der eigentliche Unterricht begann am Morgen meistens um 06.30 Uhr. Der Nachmittag wurde den praktischen Übungen gewidmet, und im späteren Nachmittag folgten noch weitere Lektionen bis um 18.30 Uhr. Die Tätigkeit an der Anstalt war also sehr stark geprägt durch den Schulbetrieb.
Nachdem 1902 die Eidgenossenschaft die Versuchsanstalt übernommen hatte, konnte der Schulbetrieb nur noch auf Zusehen hin weitergeführt werden. Der Bundesrat lehnte die Übernahme der Schule ab. Die gesetzlichen Grundlagen für die Übernahme von Lehranstalten fehlten. Ferner bemerkte der Bundesrat, dass eine ständige Lehrtätigkeit der Beamten der Versuchsanstalt der Forschungstätigkeit ohnehin hinderlich sei. So musste auf Ende des Schuljahres 1913/14 der Schulbetrieb eingestellt werden.
 

Schweizerische Obst- und Weinfachschule (1942–1976)

Der Wiederaufbau einer Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau war nur mit Zielstrebigkeit und hoher Ausdauer zu verwirklichen. Nur in vielen kleinen Schritten konnte der heutige Zustand erreicht werden. Die Initiative ging dieses Mal vom Schweizerischen Obstverband aus. Die zentrale Lage Wädenswils in der deutschsprachigen Schweiz, die erspriesslichen Verhandlungen mit dem Gemeinderat Wädenswil und die Nachbarschaft der Versuchsanstalt Wädenswil trugen stark zur Standortwahl bei. Die Gemeinde Wädenswil stellte das alte Gewerbehaus zur Verfügung, wo die Schule bis 1984 das Gastrecht hatte
Im Jahre 1942 war es dann so weit, dass der Schulbetrieb aufgenommen werden konnte. Zum ersten Direktor wurde der dynamische Emil Züllig, dipl, Ingenieur Agronom, gewählt.
In den ersten Jahren wurde die Schule als Stiftung geführt und bekam die Bezeichnung «Schweizerische Fachschule für Obstverwertung Wädenswil». Die Bundesbehörden, namentlich die Abteilung für Landwirtschaft und die Eidgenössische Alkoholverwaltung, unterstützten unsere Fachschule mit Überzeugung. Im Jahre 1950 konnte die Abteilung Rebbau/Weinbereitung angegliedert werden. Daher stammt auch der Name «Schweizerische Obst- und Weinfachschule Wädenswil» und dessen Kürzel SOW. Zur gleichen Zeit begann man mit dem Aufbau des Schulrebberges auf der Halbinsel Au. Erst 1970 glückte die Wiederintegrierung des Gartenbaus. Bis 1976 lag die Trägerschaft in den Händen der drei Stiftungen Obstbau, Weinbau und Gartenbau.

Ingenieurschule Wädenswil (seit 1976)

Noch heute wollen es die Gesetze, dass der Bund, ausser den Eidgenössischen Hochschulen, keine Schulen selbst verwaltet. Auf der Suche nach einer vernünftigen Rechtsform für das Wädenswiler Ausbildungszentrum wurde nach dem Willen aller deutschsprachigen Kantone das Konkordat gewählt. Im Jahre 1976 konnte dann das Konkordat betreffend Technikum für Obst-, Wein- und Gartenbau gegründet werden, dem die Kantone im Einzugsbereich der Schule, der Bund und die Wirtschaftskreise angehören. Nach dem Konkordatstext hat die Ingenieurschule Wädenswil die Aus- und Weiterbildung von Fachleuten für die Spezialzweige der Urproduktion, wie vor allem Obstbau, Rebbau und Gartenbau, sowie für die Verarbeitungs- und Veredlungswirtschaft anzubieten. Organisatorisch wurden drei Ausbildungsstufen gebildet, nämlich die folgenden:
- Ingenieurstufe: Ausbildung zum Ingenieur HTL der Fachrichtungen Obstbau/Rebbau, Obstverwertung/Weinbereitung oder Gartenbau. Dieses Studium dauert drei volle Jahre. Gegenwärtig sind auf dieser Stufe rund 80 Studenten immatrikuliert.
- Lehrlingsstufe: Lehrbegleitender Unterricht in Blockkursen bis und mit der Lehrabschlussprüfung für die Berufe Obstbauer, Obstverwerter, Winzer, Weinküfer/Holzküfer, Gemüsegärtner, Konserven- und Tiefkühltechnologen. Dieser Unterricht wird mit einer Gesamtdauer von 27 Wochen, verteilt auf die Lehrzeit von drei Jahren, angeboten. Gegenwärtig bestehen in den erwähnten Berufen rund 300 Lehrverhältnisse. Da die Gruppen in den einzelnen Kantonen für eine zweckmässige Schulung in den regionalen Gewerbeschulen zu gering waren, werden eben alle zentral in Wädenswil ausgebildet.
- Weiterbildungsstufe: Diverse Kurse für die Vertiefung und Ergänzung der Fachkenntnisse im Sinne einer «Formation permanente». Rund 15 Kurse mit unterschiedlicher Dauer, von eintägigen bis vierwöchigen Veranstaltungen, werden jährlich von über 1000 Personen besucht.
Bei der Erarbeitung der Konzepte für die Schulanlage im Grüntal musste dieser sehr vielseitige Aufbau der Ingenieurschule Wädenswil angemessen berücksichtigt werden. Jede Berufsausbildung verlangt heute etwas mehr als nur die Ausbildung «am Trockenen», das heisst im Schulzimmer. Sie fordert zusätzlich Übungs- und Werkräume, sei es für Demonstrationen, Übungen, Semester- oder Diplomarbeiten. So wie zum Beispiel der Chemielaborant bestimmte Übungen im Labor ausführen muss, so verlangen auch der Winzer, der Gemüsegärtner, der Weinküfer und alle weiteren ihre praxisnahe Ausbildung.
Mit dem Wachsen der Schule und den neuen Anforderungen an die Qualität der Ausbildung vermochten bei allem guten Willen vonseiten der Stadt Wädenswil, der Forschungsanstalt und den eigenen Mitarbeitern die Räume im Stadtzentrum nicht mehr zu genügen. Vor allem die sehr notwendigen Übungs- und Nebenräume fehlten fas vollständig. Mit der Übernahme und dem Aufbau des Lehrbetriebes auf der Halbinsel Au konnte der Sektor Rebbau/Weinbereitung wesentlich ausgebaut werden. Als die kantonale landwirtschaftliche Schule Grüntal den Betrieb allmählich mangels Schülerfrequenzen einstellen musste, konnte unsere Schule den Betrieb Grüntal, da heisst die bestehenden Gebäude und rund 100‘000 Quasdratmeter Land, im Jahre 1964 übernehmen. In den 70er Jahren endstanden die ersten Baupläne, und 1978 gab Bundesrat Dr. Fritz Honegger grünes Licht für die Bearbeitung unsere Anliegens auf eidgenössischer Ebene Die Regelungen bezüglich Finanzierung, die Bearbeitung von Plänen un Verträgen beanspruchten nochmal drei Jahre. Die eigentliche Bauzeit dauerte nur etwas mehr als drei Jahre. Nun steht die ganze Anlage da. Ein Bauvolumen von über 55‘000 Quadratmetern, verteilt auf mehr als 20‘000 Quadratmeter Bauland wird etwas mehr als 30 Millionen Franken kosten. Es ist von der Architektur her gesehen ein etwas eigenwilliges Werk. Die Innenräume der Gebäude hingegen sind in jeder Beziehung sehr zweckmässig, zeitgemäss, studenten- und mitarbeiterfreundlich gestaltet. Auch organisatorisch entsprechen die Räume den Anforderungen für einen effizienten Schulbetrieb.
Neubauten der Ingenieurschule Wädenswil für Obst-, Wein- und Gartenbau im Grüntal. Von links nach rechts oben sichtbar: Personalhaus mit zwei Wohnungen und 15 Personalzimmern; Maschineneinstellhalle; Werkgebäude mit Übungsräumen und Einrichtungen für die Lehrbetriebe; Hauptgebäude mit Schulräumen und Verwaltung, «Altes» Grüntalschulhaus mit Internatsanbau und Mensa. Rechts im Bild die Gartenbaugebäude und die Obst- und Gemüsekulturen der Lehrbetriebe.

Nach einer recht aufwendigen «Züglete» konnte der Betrieb in der Schule und in der Administration am 2. April 1984 aufgenommen werden. Studenten, Schüler und Kursteilnehmer fühlen sich in den neuen Räumen wohl. Die Einrichtungen werden weitgehend als gut beurteilt. Besonders angenehm empfinden alle Benutzer auch die wohltuenden, grosszügigen, gartengestalterisch und botanisch sehr geschickt angeordneten Flächen rund um die Gebäude.
Moderne Geräte in den Laboratorien und Werkstätten sind absolute Bedingungen für einen effizienten Unterricht.

Zweckmässige Schulungsräume sind unerlässlich. Man darf bei den Instruktionen aber nie die Praxis vergessen.

Auch sie sind ein Teil der Ausbildungsräume, in diesem Fall für die Gärtner. Im Weiteren finden unsere jungen Leute die Verpflegungsmöglichkeit in der Schulmensa und die Unterkunftsmöglichkeit im eigenen Internat nicht nur angenehm, sondern auch kostensparend. Am 13. September 1984 wurde die Schulanlage offiziell im Beisein von Vertretern der Bundesbehörden, der Konkordats-Kantone, der einschlägigen Wirtschaftskreise und vielen anderen mehr eingeweiht. Die neuen Anlagen gehören nun definitiv den Benutzern, unserer Jugend, unseren Berufsleuten. Sie werden weitgehend auch über die Zukunft dieses, nach heutigem Massstab sehr vernünftigen und wohlgelungenen Bauwerke entscheiden. Die Gesellschaft der Zukunft verlangt nach mehr Personen mit einer guten Allgemeinbildung, dazu gehören auch Betriebslehre, Informatik, Psychologie, um nur einige Fächer zu nennen, und sicher auch Leute mit genügender praktischer Erfahrung. Die Ingenieurschule Wädenswil kann nun mit den Neubauten ihre Ziele in diese Richtung noch besser erfüllen.




Dr. Walter Müller