Unterer Leihof

Quelle: Kleine Schriften zur Zürcher Denkmalpflege, Heft 2 von Peter Ziegler

Vers.-Nrn. 515 und 514, Fuhrstrasse 11 und 12
Unterer Leihof. Bauernhaus Fuhrstrasse 11, Vers.-Nr. 515, von Südosten. Das Fachwerk der Giebelfassade wurde 1971/72 freigelegt.

Lage

Der Untere Leihof liegt auf der ersten Hangterrasse unmittelbar oberhalb des Dorfkerns von Wädenswil. Sein Ausgelände erstreckte sich einst bis auf die Geländestufe des Rötibodens. Die Bezeichnung Unterer Leihof wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts nötig, zur Unterscheidung vom damals neu erstellten Oberen Leihof nahe der heutigen Speerstrasse.
Situationsplan. Masstab 1 : 2 500.
1 Vers.-Nr. alt 255 c Scheune, abgebrannt 1880.
2 Vers.-Nr. alt 255 d Scheune, abgebrochen 1832.
3 Vers.-Nr. 510 Käsekeller, erwähnt 1787.
4 Vers.-Nr. 511 Scheune, bestehend 1813.
5 Vers.-Nr. 512 Waschhaus, bestehend 1813.
6 Vers.-Nr. 513 Trotthaus, erbaut 1753.
7 Vers.-Nr. 514 Wohnhaus, erbaut um 1678.
8 Vers.-Nr. 515 Wohnhaus, erbaut um 1682–1684, erweitert 1836–1837.
9 Vers.-Nr. 516 Waschhaus, erbaut im 18. Jahrhundert.
10 Vers.-Nr. 517 Sennhütte, bestehend 1813.
11 Vers.-Nr. 888 Scheune, bestehend 1813.
12 Vers.-Nr. 892 Scheune, bestehend 1813.
13 Vers.-Nr. 893 Scheune, bestehend 1813.

Ziel der Renovation

Das Bauernhaus Vers.-Nr. 515 wurde 1993/94, begleitet von der kantonalen Denkmalpflege, aussen renoviert und im Innern zur Nutzung als Zweifamilienhaus umgestaltet. Dabei blieben die Raumaufteilung und das wertvolle Interieur erhalten.

Geschichte

Die ganze Gegend südostlich des heutigen Rotwegs und oberhalb der Oberdorfstrasse und der Leigass hiess im Spätmittelalter «uff lein» oder «am leime», bis ins Gebiet von Rutenen, Mulibach und unterhalb des Furthofs. «Lein, Leime, Lei» bedeutet Lehm. Der Hof, zu dem ausgedehnte Rebberge gehörten, war im Jahre 1357 Eigentum des Zisterzienserklosters Kappel und ging noch vor 1400 an den Johanniterorden über. Im weiten Gelände «uff ley» entstanden im Verlauf des 15. bis 17. Jahrhunderts weitere Höfe. Nach der Familie Rellstab, die im frühen 17. Jahrhundert hier ansässig wurde, nannte man den Leihof auch «Rellstaben-Hauser». Die Familie Rellstab besass von 1615 bis 1679 den ganzen Leihof. Nach dem Verkauf der einen Hofhälfte an die Blattmann blieb sie bis auf den heutigen Tag Eigentümer des restlichen Gutes mit dem oberen Wohnhaus Vers.-Nr. 515. Über zehn Generationen hinweg waren die Rellstab auf dem Leihof sesshaft, und zwar oft mit mehreren Sohnesfamilien gleichzeitig.
Heinrich Rellstab-Sennhauser, der Stammvater der Leihoffamilie, kaufte 1615 das ganze Gehöft «auf Lei», bestehend in Haus, Öltrotte, zwei Scheunen, Matten, Weide, Acker und Reben. Sieben Jahre nach dem Tod des ersten Leihofbauers Rellstab scheint das alte Sasshaus 1667 für zwei Söhne unterteilt worden zu sein. 1678 wohnten vier Brüderfamilien immer noch zusammen. Spätestens in diesem Jahr durfte das zweite Wohnhaus auf dem Leihof, Vers.-Nr. 514, errichtet worden sein. Der Hof wurde in dieser Zeit aufgeteilt. Die Hälfte mit dem älteren Wohnhaus ging ins alleinige Eigentum von Hans Rudolf Rellstab-Hottinger über und vererbte sich in seiner Familie über Sohn und Enkel weiter. Die andere Hälfte mit dem neu erbauten Wohnhaus scheint Hans Rellstab-Strickler übernommen zu haben, der die Liegenschaft im Jahre 1679 an Hans Blattmann-Isler (geb. 1634) veräusserte. Das Leben der wohlhabenden Bauern Rellstab und Blattmann scheint in ausserordentlich geordneten Bahnen verlaufen zu sein. Anders lässt sich nicht erklären, dass von diesen Familien weder Erbteilungen noch Schuldverschreibungen oder Handänderungen in den Grundprotokollen erscheinen. Die Hofgeschichte lässt sich deshalb erst im 19. Jahrhundert wieder in Einzelheiten verfolgen. Der 1801 aufgenommene Helvetische Kataster, die erste vollständige Güterstatistik im Kanton Zürich, führt die beiden Hofe «auf dem Leyhof» auf. Die Liegenschaft von Hauptmann Hans Heinrich Rellstab-Hottinger (1750–1821) umfasste nebst Wohnhaus mit angebauter Trotte und Waschhaus sowie drei Scheunen ungefähr 28 Jucharten Land, wovon 7 Jucharten als Wiesen, 17 Jucharten als Weide, 21/2 Jucharten als Reben und 11/2 Jucharten als Wald bezeichnet sind. Der benachbarte Blattmannsche Hof war demgegenüber nur ungefähr halb so gross. Nach dem Tod des angesehenen Leihof-Bauers und alt Gemeindepräsidenten Hans Kaspar Rellstab-Hofmann (1815–1899) übertrugen die drei Geschwister den gemeinsamen Hof von 26 Jucharten Grosse ihrem Bruder, dem Landwirt Emil Rellstab-Streuli (1853–1922), dem späteren Nationalrat und Grossvater der heutigen Eigentümer.
Unterer Leihof, Vers.-Nr. 515. Südliche Stube im erhöhten Erdgeschoss des Bauernhauses Rellstab, nach der Renovation von 1993/94. Würfelparkett, Wandtäfer, Türschlösser, Beschläge, Kachelofen und Einbaumöbel zeugen von früherer Handwerkskunst.
Die Familie Blattmann, welche 1679 einen Teil des Rellstaben-Gutes gekauft hatte und von der Fuhr auf den Leihof gezogen war, blieb hier bis 1832 sesshaft. Schützenmeister Heinrich Blattmann-Eschmann (1697–1759), der als Leihof-Bauer der dritten Generation wirtschaftete, liess 1753 oberhalb seines Hauses gegenüber dem Rellstab-Haus das heute noch bestehende Trotthaus Vers.-Nr. 513 errichten, welches als eines der letzten noch die alte Baumpresse beherbergt und damit in der heutigen Zeit zum wertvollen Kulturdenkmal geworden ist. Anlässlich einer 1787 vorgenommenen Erbausscheidung wurde das Blattmannsche Heimwesen Leihof detailliert beschrieben. Zum Besitz gehörten damals das Wohnhaus, die Trotte, ein Käsekeller, eine Sennhütte, zwei Scheunen und ein abgerundetes Hofareal mit Garten, Wiesen, Weideland und einem Stück Reben. Nach dem Tod von Gemeinderat Hans Kaspar Blattmann-Sauter (1790–1831) verkaufte die Witwe den Leihof im Sommer 1832 an Hans Jakob Keller von Gossau. Seine Nachkommen bewirtschafteten den Besitz bis 1938. Dann veräusserte die Alleinerbin Anna Hauser-Keller den einstigen Blattmann-Hof an Willi Blattmann (1906–1984), welcher das Stammhaus seiner Vorfahren 1939 im Innern durch den dem neuen Bauen verpflichteten Architekten Hans Fischli (1909–1989) in damals zeitgemässen Heimatstilformen umgestalten liess.

Kunstgeschichtliche Würdigung

Der als Schutzobjekt von regionaler Bedeutung eingestufte Weiler Unterer Leihof besteht aus zwei Wohnhäusern, einem Waschhaus, einer Trotte und einem Speicher. Das Bauernhaus Vers.-Nr. 515 bergseits der Fuhrstrasse ist ein stattliches zweigeschossiges Riegelhaus mit mächtigem Satteldach mit Knick und Biberschwanzziegel-Bedachung.
Haus Vers.-Nr. 515 mit verputzter südöstlicher Giebelfassade, 1963.
 
Die Schaufassade gegen Südosten, mit 1971/72 wieder freigelegtem Riegelwerk, ist über den Reihenfenstern der Stuben noch mit den alten Falläden versehen und weist im Firstbereich eine grosse Aufzugsöffnung auf. Das Holzwerk im Oberteil dieser Fassade stammt, wie der Dachstuhl, laut dendrochronologischer Altersbestimmung aus den Jahren 1682 bis 1684. Die gegenüberliegende Giebelseite ist verputzt und präsentiert sich im Stil des 19. Jahrhunderts. An die nördliche Traufseite wurde 1836/37 ein dreigeschossiger Quergiebeltrakt angebaut. In der östlichen Stube, mit Nussbaumdecke und Nussbaumtüren, befindet sich ein Nussbaum-Einbauschrank mit Zinnausguss aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Erhalten sind auch das Treppengeländer in Louis XVI-Formen sowie der Warenaufzug im Dachgeschoss.
Das Äussere sowie Innere der Trotte Vers.-Nr. 513.
Links: Verzierungen aus Rotackersteinen im Mauerputz. Rechts: Türsturz von 1753 mit Initialen des Bauherrn Heinrich Blattmann.
Links: Trottbett; hölzerne Spindel zum Heben und Senken des Trottbaums. Rechts: Pressraum mit Trotte von 1753. Eichene Trottbäume wie im Bild sind im Kanton Zürich eine Seltenheit.

Am Hang oberhalb des Bauernhauses der Familie Rellstab steht das aus dem 18. Jahrhundert stammende ehemalige Waschhaus Vers.-Nr. 516, ein langgestreckter, gemauerter Bau mit Fachwerkkonstruktion im Giebelbereich und mit Satteldach, das eine Eindeckung aus Biberschwanzziegeln trägt.
Das unterhalb der Fuhrstrasse gelegene ehemalige Bauernwohnhaus Vers.-Nr. 514 ist ein zweigeschossiger Baukörper in Fachwerkkonstruktion mit leicht geknicktem, steilen Satteldach. Mit Ausnahme der südostlichen Giebelseite mit sechs Züri-Vieri, wo 1939 der Riegel aufgedoppelt wurde, sind heute alle Fassaden verputzt. Am stichbogigen Türsturz des nordwestlichen Hauseingangs steht die Jahreszahl 1693, die sich nicht auf das Baujahr bezieht. Ein Keller unter dem Haus blieb beim Verkauf von 1679 im Besitz der benachbarten Familie Rellstab. Diese eigenartigen Rechtsverhältnisse wurden erst 1939 bereinigt.
Links: Unterer Leihof. Bauernhaus Fuhrstrasse 12, Vers.-Nr. 514, von Westen. Aufnahme von 1963. Rechts: Jahreszahl 1693 am Türsturz des nordwestlichen Hauseingangs.

Schützenmeister Heinrich Blattmann (1697–1759) liess 1753 die Trotte Vers.-Nr. 513 erbauen, woran die Inschrift «H 1753 B» am Türsturz erinnert. Der wohlproportionierte Riegelbau auf gemauertem Sockel trägt einen sorgfältig ausgeführten liegenden Dachstuhl mit Biberschwanzziegeln und weist auf der Nordseite eine symmetrische Fassade mit grossem Eingangstor auf. Das eichene Holzgittertor des Trotteneingangs verfügt noch über die reich gegliederten Originalbeschläge. Das Mauerwerk des Sockelgeschosses und der westlichen Giebelfassade ist mit Sandsteineckquadern und Bruchsteinmauerwerk mit Sernifitsprenkeln in den Fugen gearbeitet.
Eine ehemals zweiläufige Freitreppe führt an der Westfassade ins erste Obergeschoss. Der gewaltige Trottbaum mit Traubenmühle ist noch am Ort erhalten, ebenso der 1753 datierte Trottstein, was im Kanton Zürich selten ist.
In der Südecke der Blattmannschen Liegenschaft, an der Kreuzung von Fuhrstrasse und Töbeliweg, tritt der gut in den Hang eingefügte ehemalige Käsekeller eingeschossig und mit reichem Sichtriegelwerk im seeseitigen Giebel in Erscheinung. Hangseitig ist nur der Giebel mit oberem Eingangstor sichtbar. Der 1787 erwähnte Käsekeller wurde 1855 als Waschhaus genutzt. Wichtig ist der räumliche Zusammenhang mit dem Töbelibach, dessen Wasser zu Kühlzwecken durch den Käsekeller geleitet wurde.
Käsekeller und Waschhaus Vers.-Nr. 510. Aufnahme von 1963.

Schutz

Die Wohnhäuser Vers.-Nrn. 514 und 515, der ehemalige Käsekeller Vers.-Nr. 510, die Trotte Vers.-Nr. 513 und das Waschhaus Vers.-Nr. 516 sind als Schutzobjekte von regionaler Bedeutung eingestuft. Über die Gebäude wurde 1992 ein Unterschutzstellungsvertrag abgeschlossen.

Literatur

Christian Renfer, Der Untere Lehmhof – Ein Familienbesitztum über zehn Generationen. Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1991, Wädenswil 1991, S. 36–58 (mit Stammtafeln der Familien Rellstab und Blattmann). – Bestandesaufnahme der kantonalen Denkmalpflege vom Oktober 1984. – Denkmalpflegekommission des Kantons Zürich, Gutachten Nr. 11–1990. – Zeitschrift «Das Werk», Heft 9/1940. – Albert Hauser, Zur Renovation des Hauses Rellstab zum unteren Leihof, Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 2. Februar 1972.




Peter Ziegler