Das «Wädi-Fäscht am Zürisee» von 1987

Quelle: Peter Ziegler in: Karl Pellens (Hrsg.) Historische Denkjahre im politischen Bewusstsein, Hannover 1992
 
Die Gemeinde Wädenswil am linken Ufer des Zürichsees in der Schweiz zählt heute knapp 20‘000 Einwohner. Seit alter Zeit legt man hier Wert auf ein eigenständiges kulturelles Leben; man will nicht in den Sog der nahen Stadt Zürich geraten.
Dorffeste und Umzüge aus historischem Anlass haben in Wädenswil, das 1974 das Parlament eingeführt hat und sich seither «Stadt» nennt, lange Tradition: Fotos und Texthefte halten die Erinnerung wach an historische Umzüge von 1908 bis 1923. Ältere Leute erzählen vom 1938 in Wädenswil durchgeführten Zürcher Kantonalturnfest mit Festspiel und vom 1948 zum Volksfest ausgeweiteten Jubiläum «Hundert Jahre Turnverein Wädenswil». 1967 fand das in der Bevölkerung ebenfalls breit abgestützte «Chile-Fäscht» statt. Es erinnerte daran, dass vor zweihundert Jahren die vom bekannten Brücken- und Kirchenbauer Hans Ulrich Grubenmann geplante reformierte Barockkirche eingeweiht worden war.
Die Geschichte lehrt es: Wädenswil braucht in etwa zwanzig-jährigem Turnus ein grösseres Fest. Ein solches war in den 1980er Jahren auch deshalb erwünscht, weil die Gemeinde seit 1970 nochmals starkes Wachstum erfahren hatte, sich Zuzüger in den neuen Quartieren um Kontakte mit den Alteingesessenen bemühten und sich für Geschichte und Eigenheiten ihres neuen Wohnortes interessierten.
1979 machte der Schreibende – er wirkt in seiner Wohn- und Heimatgemeinde seit vielen Jahren als Lokalhistoriker – den Stadtpräsidenten darauf aufmerksam, der Name Wädenswil werde 1130 erstmals urkundlich genannt; man könne also 1980 eine 850-Jahr-Feier begehen. Da indessen die Zeit für grössere Vorbereitungen zu knapp war, wurde auf eine Feier verzichtet; man bekundete aber den Willen, das nächstmögliche historische Datum rechtzeitig zum Anlass für ein grösseres Fest zu nehmen. Die Gelegenheit zur Realisierung bot sich 1987. Eine solche Idee lag auch im Sinne des Präsidenten des Verkehrsvereins, Hans Zollinger-Tschudi. Er nahm darum Verbindung auf mit den fünf grössten und Festerfahrenen Vereinen.

Der Anlass: Eine Urkunde vom 17. Juli 1287

Das Staatsarchiv in Zürich verwahrt eine für Wädenswil bedeutsame lateinisch abgefasste Pergamenturkunde mit dem Datum des 17. Juli 1287. An diesem Tag verkaufte Freiherr Rudolf III. von Wädenswil, als letzter männlicher Vertreter seines Zweiges, im Beisein verschiedener Zeugen und anderer ehrwürdiger Männer im Baumgarten vor seiner Burg allen Besitz samt Rechten dem durch die Kommende Bubikon vertretenen Johanniterorden.
Zugegen war auf der Seite der Verkäufer ein Großteil der freiherrlichen Familie, nämlich außer Rudolf dessen Gattin Anna, die Töchter Margareta und Elisabeth sowie deren Ehemänner als Bevollmächtigte. Als Vertreter des Johanniterordens waren angereist: Bruder Beringer von Lauffen, Vertreter des Obersten Meisters des Johanniterordens in Deutschen Landen, sowie Bruder Heinrich von Lichtensteig, seit 1276 Komtur des Johanniterhauses Bubikon.
Für den Betrag von 650 Mark Silber (= 152,75 Kilogramm) übertrug der Freiherr von Wädenswil dem Komtur und den Brüdern des Hauses Bubikon zu ewigem Besitz die Burg Wädenswil mit Grund und Boden, seine Gerichts- und Vogteirechte in den Dörfern Wädenswil und Richterswil, den Kirchensatz, die Lehengüter samt den sie bewirtschaftenden Leuten, ferner die bebauten und unbebauten Güter, Weinberge, Wälder, Wiesen, Weiden und Gewässer.
Warum war es zur Handänderung gekommen? Durch die Übertragung von Heiratsgütern an mindestens vier Wädenswiler Erbtöchter war der Grundbesitz des letzten Freiherrn von Wädenswil aufgesplittert worden. Überdies hatte Rudolf III. finanzielle Schwierigkeiten. Dies kommt auch in der Urkunde vom 17. Juli 1287 zum Ausdruck, wo es heisst, Rudolf habe den Kauf preis erhalten und zum Teil zur Ablösung von Schulden verwendet.
Um den Rechtsakt zu bestätigen, versahen Verkäufer, Käufer und Zeugen die Urkunde mit ihren Siegeln. Vonseiten der Verkäufer waren dies Rudolf III. (auch namens seiner Gattin Anna), der Edle Ulrich von Rüssegg (für Rudolfs Tochter Margareta) und Ulrich von Balm (für Rudolfs Tochter Elisabeth). Für die Käufer brachten Bruder Beringer und Komtur Heinrich ihre Siegel sowie jenes des Johanniterhauses Bubikon an. Um dem Dokument noch mehr Gewicht zu verleihen, hefteten auch zwei Autoritäten ihre Siegel an den Verkaufsbrief: Bischof Rudolf von Konstanz und Graf Ludwig von Homberg, Inhaber der benachbarten Grafschaft Rapperswil.
Mit der Handänderung von 1287 wurde die während Generationen von Adeligen geführte Grundherrschaft Wädenswil ein vom weltweit organisierten Johanniterorden verwalteter geistlicher Staat und blieb dies bis zum Übergang an die Stadt Zürich im Jahre 1550.

Herbst 1986: Die Festvorbereitungen beginnen

Nachdem sich Prominente aus Vereinen und Behörden hinter die Idee eines Festes «700 Jahre Johanniterkomturei» gestellt hatten, bildete sich im Herbst 1986 ein Organisationskomitee für das «Wädi-Fäscht 1987» (Wädi = mundartliche Kurzform für Wädenswil). Zur gleichen Zeit entwarf ein Grafiker ein auch als Kleber verbreitetes Werbe-Emblem: einen Ritter mit Wädenswiler Fahne. Dieser war zunächst namenlos und wurde später gemäss Vorschlag des Siegers in einem Wettbewerb «Wadimir» genannt.
Titelblatt des Festführer mit Emblem des «Wadimir».

Am 20. November 1986 gab der Präsident des Organisationskomitees (OK), Rolf Bieri, unter dem Titel «Das Wädi-Fäscht ist für alle Wädenswiler» ein Interview im Gratisanzeiger «Seerundschau». Daraus erfuhren die Leser nebst Angaben über den historischen Hintergrund des Festes von den Zielsetzungen und von ersten Vorstellungen eines für den Herbst 1987 in Wädenswil geplanten zehntägigen Festes: «Das Ziel ist, dass die Trägerschaft von allen Vereinen übernommen wird und der Stadtrat lediglich das Patronat übernimmt.»
Breiten Raum im Interview nahm die Finanzierung des Festes ein. Dazu Bieri: «Der Stadtrat hat sich von Anfang an hinter dieses Fest gestellt. Er hat auch das Patronat und die Defizitgarantie zugesichert. Man hat die Risiken für das OK und die Vereine besprochen. Die Frage war, was passiert, wenn aufgrund des Wetters eine finanzielle Katastrophe eintreten würde. Der Stadtrat hat jetzt eine Defizitgarantie in Maximalhöhe seiner Kompetenz zugesichert. Das sind 100‘000 Franken. Unser Budget liegt zwischen 300‘000 und 500‘000 Franken. Das Fest sollte zumindest selbsttragend sein. Wir haben auch ein Ressort Sponsoring. Wir hoffen, dass sich die Wirtschaft an der Unterstützung von einzelnen Veranstaltungen beteiligt. Es könnte zum Beispiel auch ein Sujet am Umzug gesponsert werden. Es gibt hier viele Möglichkeiten der Mitwirkung.»
«Besteht bei einem solchen Fest nicht die Gefahr, dass der historische Anlass vergessen geht und sich alles nur noch um Jubel, Trubel, Heiterkeit dreht?», fragte der Reporter. Und Bieris Antwort: «Es kam uns auch in den Sinn, dass wir vor allem diesem Punkt sehr grosse Aufmerksamkeit schenken müssen. In der ersten Euphorie ergaben sich diese Tendenzen auch im OK. Wir bekamen aber dieses Problem mit unserer Planung in den Griff. Wir wollen eine kleine Festschrift mit den historischen Hintergründen herausgeben. Am Fest selber wollen wir einen historischen Umzug machen. Die Sujets sollen die Geschichte Wädenswils von den Anfängen bis heute aufzeigen. Integrierter Bestandteil des Festes wird auch eine Gewerbeausstellung sein. Der Plan eines Feuerwerks ist wieder in Frage gestellt. Die Entscheidung ist noch nicht getroffen. Wir haben einzelne Anlässe, die Jubel und Trubel bieten. Aber daneben haben wir ein Konzert mit Maurice André für Leute, die eher das Klassische lieben. Auch die andern kulturellen Veranstaltungen sollen kanalisierend wirken. Wir wollen also nicht, dass Kraut und Rüben durcheinander sind. Es ist auch noch ein Landwirtschaftstag mit einem grossen Markt und einem folkloristischen Unterhaltungsabend geplant.»
Konkrete Vorstellungen gab es auch bereits darüber, wie die Vereine die Festwirtschaften betreiben sollten: «Es wird Anlässe geben, die Geld bringen und solche, die nicht so ein Publikumserfolg sind. Die Einnahmen sollen anteilmässig unter alle Vereine verteilt werden. Für die wirtenden Vereine besteht ein gemeinsamer Einkauf. Allfällige Überschüsse – neben den Entschädigungen an die Vereine von 25 Prozent des Umsatzes – werden einem wohltätigen Zweck zugutekommen. Das können natürlich ebenfalls wieder die Vereine sein.»
In den folgenden Wochen war nicht mehr viel zu vernehmen vom «Wädi-Fäscht 1987», das für die meisten noch in weiter Ferne lag. Hinter den Kulissen aber gingen Planung und Arbeit unvermindert weiter. Vor allem im OK, das folgende Ressorts umfasste: Präsident, Vizepräsident und Chef Infrastruktur, Sport und Spiel, Personelles, Werbung und Sponsoring, Festwirtschaften, Veranstaltungen, Finanzen, Ausstellungen, Sekretariat.

Begeisterung für einen historischen Umzug!

Für die Organisation des das zehntägige Fest abschliessenden historischen Umzugs stand ein Team aus der Neuen Fasnachtsgesellschaft zur Verfügung, welches über fünfzehnjährige Erfahrung mit der Durchführung von Fasnachtsumzügen verfügte. Wie aber konnten die Vereine motiviert werden mitzuwirken? Nun kam wieder der Historiker zum Zug.
Der Schreibende machte dem Komitee Vorschläge, welche Episoden aus 700 Jahren Dorfgeschichte dargestellt werden könnten. Der Umzug sollte wichtige Ereignisse und Entwicklungen aufleben lassen und Einblicke geben in das Leben in früherer Zeit, mit Licht und Schattenseiten, Alltag und Festtag. Vergangenheit, Werden, Wachsen und historisches Ereignis sollten für den Zuschauer aus festlichem Anlass gleichsam nochmals Wirklichkeit werden. Nachdem man sich auf etwa 50 Sujets geeinigt hatte, wurde jede Begebenheit kurz beschrieben und mit einer alten Darstellung, einem Foto oder einer Skizze illustriert.
Auf den 15. Mai 1987 lud das OK zwei bis drei Abgeordnete der wichtigsten Vereine zu einer Orientierung ein. Jedes Sujet wurde in Wort und Bild (Hellraumprojektor) kurz vorgestellt und dann einem sich dafür interessierenden Verein zugeteilt. Wider Erwarten konnten an diesem Abend 49 der geplanten 58 Sujets definitiv vergeben werden, und zwar ohne dass sich Leute um einzelne Themen stritten. Dies wohl auch deshalb, weil bei der Präsentation erwähnt wurde, diese Reminiszenz aus der Dorfgeschichte könnte wohl am besten von den Schützen, Sängern, Turnern usw. gestaltet werden.
Neben den Vereinen sagten auch Einzelpersonen, Familien, Behörden (Evangelisch-reformierte Kirchenpflege), Organisationen (Seerettungsdienst, Feuerwehr), Institutionen (Kinderheim Bühl, Kinderkrippe) und Schulklassen ihre Beteiligung zu.
Die Idee des Umzugs hatte gezündet. In den folgenden Tagen meldeten sich immer neue Gruppierungen, die auch mitwirken wollten. Nur noch ganz vereinzelte Bewerber, deren Beitrag eine Lücke in der Chronologie zu schließen vermochte, wurden indessen nachträglich berücksichtigt. Der Umzug durfte nicht mehr länger werden, rechnete man doch – bei über 600 Mitwirkenden – bereits mit einer Umzugsdauer von gut zwei Stunden.
Als Nächstes nahm das Umzugskomitee mit den einzelnen Gruppen Verbindung auf, besprach das zu zeigende Sujet im Detail, erhob den Materialbedarf (z. B. Wagen, Holz, Stoff, Karton Papier, Schrauben, Nägel, Farben) und führte erste Gespräche betreffend Kostümierung. Der Historiker gab historische Hintergrundinformationen, verwies auf Literatur und Museen, beriet im Detail und beantwortete auftauchende Fragen. Dabei kam er oft ins Schwitzen: Welche Farbe hatten die Schnäbel von Pestmasken? Kann man im Bauernaufstand von 1489 heutige Mistgabeln mitführen? Präsentierte sich eine Hexe um 1520 auch oben ohne? Wo findet man ein Hochrad?

Aufklärung über den historischen Hintergrund des Festes

Für das OK und alle Mitgestalter des «Wädi-Fäschts» war klar, dass der historische Anlass, der Verkauf der Herrschaft Wädenswil an den Johanniterorden im Jahre 1287, nie vergessen werden sollte. Viele Einwohnerinnen und Einwohner begannen sich für die Verhältnisse und Zustände vor 700 Jahren zu interessieren. Diesem Informationsbedürfnis kam der Autor dieses Beitrags mit zwei grösseren Artikelserien in der Lokalzeitung, dem «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee», entgegen. Eine erste Folge im Mai behandelte «Die Herrschaft Wädenswil im 13. Jahrhundert», eine zweite im Juli und August «Die Johanniterkomturei Wädenswil 1300 bis 1550».
Das Echo war erfreulich; auf Weihnachten 1987 erschien die historische Abhandlung – mit weiteren Abbildungen ausgestattet und mit einem Quellennachweis versehen – auch als gebundenes Buch: Peter Ziegler, Die Johanniterkomturei Wädenswil 1287 bis 1550.
Auch das im November 1987 in 13. Folge herausgegebene Jahrbuch der Stadt Wädenswil veröffentlichte Beiträge zum Jubiläum. Thomas Bitterli-Waldvogel, welcher im Sommer 1983 Ausgrabungen in der Burgruine Wädenswil geleitet hatte, publizierte eine Untersuchung «Zur Baugeschichte der Burg Wädenswil». Daniel Reicke beschrieb das Mauerwerk des Wädenswiler Freiherrenturms. Der Schreibende teilte den Wortlaut der Verkaufsurkunde von 1287 mit, und Georges Hoffmann gab anhand von Fotos einen Querschnitt durch das erfolgreiche zehntägige «Wädi-Fäscht».

Ideenreichtum ohne Grenzen

Ab Mai 1987 tauchten im Zusammenhang mit dem «Wädi-Fäscht» immer wieder neue originelle Ideen auf. So las man am 16. Mai im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» unter dem Titel «Blumen für das Wädi-Fäscht»: «Die Bevölkerung ist aufgerufen, ebenfalls einen aktiven Beitrag zu leisten. Dies kann zum Beispiel durch Anpflanzen von Blumen geschehen, die dann im September den Festorganisatoren für verschiedenste Zwecke zur Verfügung stehen. Das Organisationskomitee und eine Gärtnerei steIlen gratis Blumensamen zur Verfügung. Welcher Hobbygärtner und welche Hobbygärtnerin hat Spass, in dieser Form am „Wädi-Fäscht“ mitzuwirken? Was jetzt ausgesät wird, kann am „Wädi-Fäscht“ geerntet werden!»
Am 6. Juni gelangten erstmals die in fünf Farben und dreizehn Grössen angebotenen «Wädi-Fäscht»-T-Shirts in den Verkauf. Am 30. Juni bestimmte eine Jury den Sieger in jenem von der Lokalzeitung ausgeschriebenen Wettbewerb zur Benennung des Maskottchens. 229 Personen hatten Namenvorschläge eingereicht. Die Bezeichnung «Wadimir» (Wadin soll der alemannische Dorfgründer geheissen haben) trug dem Träger des ersten Preises eine sechstägige Reise nach Wien für zwei Personen ein.

Ein Blick ins definitive Programm

Am 1. Juni 1987 erhielt die Bevölkerung durch die Lokalpresse erstmals detaillierten Einblick ins definitive Programm. Es ist hier leicht gekürzt wiedergegeben:
 
Donnerstag, 3. September
Eröffnung auf der Burgruine, mit Ansprache, Tambouren und Posaunenchor. Anschliessend Stafette zum Eidmattareal, Eröffnung der Gewerbeausstellung. Imbiss, Musik und Tanz im Festzeit Gasiplatz; Eröffnung des SAC-Klettergartens; Eröffnung der Ausstellung «Wädenswil im Wandel der Zeit» durch die Kulturkommission; Fesselstart eines Heissluftballons; Fallschirmspringen.
 
Freitag, 4. September
Konzert der Big-Band des Musikvereins Harmonie Wädenswil im grossen Festzelit auf dem Gasiplatz; Tanz mit «Original Oberkrainern» aus Glarus; Markt an der Gerbestrasse; Kinderparadies; Eröffnung der Ausstellung «Wädenswiler Künstler».

Samstag, 5. September
Tischtennis-Turniere; Sportanlass «De schnällscht Wädischwiiler»; Bunter Abend mit Wädenswiler Vereinen; Auftritt von Guggenmusiken; Open-air-Rock-Konzert auf dem Seeplatz; Kirchweih mit Reitschulen und Verkaufsständen; Nationale Rock'n'-Roll-Veranstaltung zur Schweizer Meisterschaft.
 
Sonntag, 6. September
Präsentation des Wettkampfprogramms im Geräteturnen durch den Turnverein; Jazzkonzert; Frühschoppenkonzert der Jugendmusik; Mini-Triathlon auf dem Seeplatz.
 
Montag, 7. September
Flohmarkt; Chilbi; Volkstümlicher Tanzabend mit der Kapelle Alpsteinblick.
 
Dienstag, 8. September
Eröffnung des Kinderparadieses; Schäferhunde-Demonstration; Trompeten-Konzert von Maurice André in der reformierten Kirche; Swing-Abend; Gospel-Musical.
 
Mittwoch, 9. September
Bauerntag auf dem Seeplatz: Viehauftrieb mit Tieren aller Gattungen; historischer Warenmarkt; Auftritte von Jodelclub, Handharmonikaclub, Trachten- und Volkstanzgruppen, EinschelIern und Alphornbläsern; Prominenten-Fussballmatch; Marionettentheater der Sekundarschüler; Künstlertreff «I Pifferari»,
 
Donnerstag, 10. September
Klassisches Konzert in der reformierten Kirche mit Kammerorchester, Kirchenchor und Orgel; Show-Sport für Jugendliche.
 
Freitag, 11. September
Bisher unentdeckte Künstler aus Wädenswil und Umgebung können sich auf der Bühne präsentieren. Auftritt des Pantomimen Dominic Fisher aus den USA; grosser Jazz-Abend, diverse Unterhaltungsabende.
 
Samstag, 12. September
«Spiel ohne Grenzen» auf dem Seeplatz, durchgeführt vom Yacht-Club; Simultanschachturnier mit dem internationalen Meister Werner Hug; Strassen-Theater; Seenachtsfest mit grossem Feuerwerk; Disco-Night.
 
Sonntag, 13. September
Ökumenischer Gottesdienst im Festzeit; Frühschoppenkonzert; historischer Festumzug; Ausklang in allen Festzeiten.
 
Vergleicht man dieses detaillierte Programm, das effektiv realisiert worden ist, mit den im November 1986 skizzierten Ideen, so fällt die beträchtliche Ausweitung und Vielfalt der Veranstaltungen auf. Dies ist einerseits das Resultat vieler von dritter Seite eingebrachter Vorschläge und Wünsche, andererseits aber auch Ausdruck dafür, dass die Organisatoren allen Bevölkerungs- und Altersschichten etwas bieten wollten. Im musikalischen Bereich gab es nun Jazz- und Rockmusik neben klassischen und volkstümlichen Konzerten; und auch für Tanzgelegenheiten war reichlich gesorgt. Maler, Bildhauer und Schauspieler kamen ebenso zum Zug wie die verschiedenen Sportarten; das Gewerbe konnte sich in der Gewerbeausstellung präsentieren, das Handwerk in der Marktstrasse, die Landwirtschaft am Bauerntag auf dem Seeplatz.

Der 17. Juli 1987

Das erste Startzeichen zum «Wädi-Fäscht» wurde am 17. Juli 1987 gegeben, am 700. Jahrestag der Besiegelung der Kaufurkunde durch die Johanniter.
Organisatoren, Behördenmitglieder und geladene Gäste – darunter Ritter des Johanniter- und des Malteserordens – trafen sich zur Feier in den gastlichen Räumen der BASF (Schweiz) AG. Altgediente Artilleristen feuerten aus einer 7,5-Zentimeter-Feldkanone, die von 1950 bis 1982 der Schweizer Armee gedient hatte und 1986 von einem Wädenswiler Bürger im Hinblick auf das Fest erworben worden war, drei Salutschüsse ab. Dann führte der Historiker die Gäste in die Zeit von 1287 zurück. Beim anschliessenden Nachtessen wurden einige Anwesende geehrt, und zwar mit der Überreichung einer originalgetreuen, gerahmten Kopie der Verkaufsurkunde vom 17. Juli 1287.
In den folgenden Wochen erfuhr man aus der Lokalzeitung täglich etwas Neues über das grösste Wädenswiler Fest aller Zeiten. «Die Gewerbeausstellung nimmt Gestalt an. Die Vorbereitungen sind allerorts in vollem Gang», hiess es am 15. August, und «Alles bereit für das Fest des Jahrhunderts» in der Ausgabe vom 21. August. «Zehn Tage im Festtaumel», titelte die «Wochen-Post am Zürichsee» am 27. August. Und endlich las man am Mittwoch, 2. September: «Morgen beginnt das Zehntagefest».

Eröffnungsfeier in der Burgruine

Fanfarenklänge eröffneten am Donnerstagnachmittag, 3. September, in der Burgruine Wädenswil das «Wädi-Fäscht». Ein Quartett des Wädenswiler Posaunenchors spielte in zeitgenössischer Tracht Turmmusik aus dem 16. Jahrhundert von Giovanni Gastoldi. Der Präsident des Organisationskomitees, Rolf Bieri, begrüsste die Gäste und skizzierte in knappen Umrissen, was seit den ersten Entwürfen der Idee vor anderthalb Jahren bis zur Eröffnung des Festes an diesem Tage alles geschah.
Anschliessend ergriff Freiherr Rudolf III. von Wädenswil persönlich das Wort – übrigens ein erhebender Augenblick für einen Historiker, in die Kleider und die Rolle des Burgherrn zu schlüpfen:
Liebe Wädenswilerinnen und Wädenswiler, liebe Richterswilerinnen und Richterswiler, liebe Gäste!
Ich, Freiherr Rudolf III. von Wädenswil, begrüsse Euch ganz herzlich da oben auf meiner Burg. Es freut mich, dass plötzlich so viele Leute sich für meine Geschichte interessieren. Ich habe gehört, dass ihr jetzt dann zehn Tage lang festen werdet. Auch wir Ritter haben von Zeit zu Zeit gefestet. Besonders dann, wenn nach einem langen Winter wieder die Sonne und die Wärme gekommen ist. In meinem Burgturm war es nämlich kalt und dunkel und feucht, und meistens hat es hier auch gestunken!
Wir feierten, als ich meine Frau, Anna von Bürglen, heiratete. Und wir feierten, als unsere Tochter Katharina vom Ritter Peter von Hünenberg geheiratet wurde. Und auch an der Hochzeit unserer Margareta mit dem Ritter Hartmann von Hünenberg und an der Hochzeit von Elisabeth mit dem Ritter Walter von Buttikon ging es fröhlich zu. Und wieder ein Fest gab es, als Ulrich von Rüssegg unsere jüngste Tochter Cäcilia ehelichte.
Am 17. Juli 1287 aber, dem Tag, den ihr jetzt feiert, war es uns nicht ums Festen. Es ist nämlich nicht angenehm, wenn man seine Burg verkaufen muss, die Höfe, die Wälder, Wiesen, Rebberge und alles, was einem seit langer Zeit gehört hat.
Warum kam es zu diesem Verkauf, werdet Ihr jetzt fragen. Ich will es kurz erzählen: Meine Frau Anna und ich hatten sechs Töchter, aber keine Knaben. Kein Sohn hätte also meine Herrschaft und meine Burg übernehmen können. Den Töchtern gab ich Heiratsgüter, an der Burg musste ich Reparaturen ausführen lassen, und all dies kostete Geld. Ich musste mehr und mehr Schulden machen, musste Grundstücke veräussern und Rechte abtreten. Und dann rang ich mich schließlich durch, die von meinem Vater geerbte Burg und Herrschaft Wädenswil zu verkaufen.
Am 17. Juli 1287 kamen dann die Käufer hierher, in den Baumgarten vor der Burg. Johanniter waren es: Bruder Beringer als Vertreter des Obersten Meisters und Heinrich von Lichtensteig, der Komtur von Bubikon. Ihnen verkaufte ich die Burg und die Herrschaft Wädenswil mit allen Rechten und allen Leuten zum Preise von 650 Mark Silber.
Von meiner Familie waren ausser mir und meiner Frau noch zwei Töchter anwesend: Margareta und Elisabeth. Katharina lebte damals bereits als Nonne im Kloster FrauenthaI. Weil Frauen zu meiner Zeit nichts zu sagen hatten bei Rechtsgeschäften, hatten sie Beistände erbeten: Ritter Ulrich von Balm und Ritter Ulrich von Rüssegg. Und ausserdem war eine stattliche Zahl von Zeugen anwesend: unter anderem unser Verwandter, Graf Rudolf von Homberg und Herr zu Rapperswil, und weiter drei Zürcher Bürger. Wir ersuchten sodann den ehrwürdigen Bischof von Konstanz, er möge die Urkunde mitsiegeln Er kam zwar nicht nach Wädenswil, hängte aber später sein Siegel ebenfalls an die Verkaufsurkunde, und zwar zuvorderst.
Das Geld, das ich von den Johannitern erhielt, brauchte ich zum grössten Teil, um meine Schulden zu begleichen. Und dann musste ich natürlich dafür sorgen, dass ich und meine Frau irgendwo wohnen konnten und dass wir Einkünfte hatten, um daraus den Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich bedingte mir daher von den Johannitern aus, dass ich und meine Frau bis zum Tod auf der Burg bleiben konnten. Und weiter regelte ich, dass mir die Johanniter eine jährliche Rente zahlten: Korn, Hafer und Geld mussten sie mir geben, und zwar recht viel.
Alles, was ich Euch jetzt erzählt habe, schrieben wir auf, und zwar gleich zweifach. Einmal für mich, und einmal für die Johanniter zu Bubikon. Und zwar auf Pergamentstreifen, etwa so lang wie mein Arm und halb so hoch. Ganz genau schrieben wir auf, was die Johanniter bekommen sollten und was sie mir dafür zu geben hatten. Und zum Schluss hängten wir unsere Siegel an die Urkunden: Bruder Beringer, der Graf von Homberg, der Komtur von Bubikon und ich, Rudolf von Wädenswil. Ich siegelte auch im Namen meiner Frau. Denn diese besass kein eigenes Siegel. Und im Namen meiner Töchter siegelten Ulrich von Balm und Ulrich von Rüssegg. Wenn es Euch interessiert, wie die Urkunde ausgesehen hat, könnt Ihr hinsehen. Ich habe eine mitgebracht und lege sie hierhin.
So, und nun komme ich zum Schluss. Ich wünsche Euch allen ein schönes und gefreutes «Wädi-Fäscht»!
(Diese Ansprache wurde in Mundart gehalten und für diesen Beitrag in die Hochsprache umgeschrieben.)
Historiker Peter Ziegler eröffnet als Freiherr Rudolf III. von Wädenswil auf der Burgruine das «Wädi-Fäscht».

Nach der Rede des Burgherrn wandte sich Stadtpräsident Walter Höhn in einer kurzen Ansprache an die Gäste. Er dankte vor allem auch Petrus für das schöne Wetter. Und Wetterglück hatten die Wädenswiler dann in den zehn folgenden Tagen. Eine Periode milden, sonnigen Herbstwetters bildete den idealen Rahmen für die unzähligen Festivitäten am Tag und bis tief in die Nächte hinein. Auch die gegen vierzig kleinen Beizlein, die Vereinsmitglieder in Gärten, Höfen, auf Plätzen, Trottoirs, Terrassen und in Kellern führten, hatten Hochbetrieb und halfen mit, dass das «Wädi-Fäscht» auch in finanzieller Hinsicht zum Erfolg wurde.
Doch zurück auf die Burgruine! Mit Trommelwirbeln leitete der Tambourenverein die Aufmerksamkeit auf die 7,5-Zentimeter-Feldkanone des Wädenswilers Jakob Bohli. Als Geschützchef feuerte er zusammen mit alten Dienstkameraden sieben Böllerschüsse in den blauen Himmel.
Eine Schüler-Stafette mit Fackeln brachte inzwischen einen grossen Schlüssel, der angeblich aus der Burg Wädenswil stammte, von der Ruine ins Ortszentrum, zur Eröffnung der «Gewerbeausstellung Wädenswil 1987», einer beeindruckenden Leistungsschau von über hundert Handwerkern und Gewerbetreibenden. Sie war an drei Tagen geöffnet und erfreute sich eines Rekordbesuchs.

Historische Aspekte am «Wädi-Fäscht»

Das reichhaltige Programm der zehn Festtage ist bereits vorgestellt worden. Es wurde mit weiteren Ergänzungen so realisiert. In diesem Beitrag, der geschichtlichen Aspekten von Jubiläumsfeiern gewidmet ist, sollen indessen nur noch jene Veranstaltungen gewürdigt werden, in denen Historisches zum Zuge kam.
Am 2. September fand die Preisverteilung für den «Wädi-Fäscht»-Schild-Wettbewerb statt. 83 Schülerinnen und Schüler aus sieben Schulklassen hatten mit viel Aufwand und Fantasie Schilde bemalt, die von der Jury hinsichtlich Heraldik und Farb-zusammenstellung beurteilt und mit Preisen ausgezeichnet wurden.
Als Begleitveranstaltung zum «Wädi-Fäscht» organisierte die Kulturkommission die Ausstellung «Wädenswil im Wandel der Zeit», einen historischen Rundgang in Bildern. Auf neun Plätzen im Ortskern wurden Bildtafeln aufgestellt. Sie zeigten, durch knappe Texte erläutert, alte Ansichten, die zum Teil um die Jahrhundertwende am jetzigen Standort der Tafeln aufgenommen worden waren. Diese Methode erlaubte es, das frühere Aussehen von Strassenzügen, Plätzen und Gebäuden eindrücklich nachzuvollziehen. Dabei wurde auch bewusst, wie stark sich das Dorfbild seither durch Hausabbrüche, Strassenerweiterungen und Umbauten gewandelt hat. Die viel beachtete Ausstellung war bis zum 12. Oktober zu sehen. Besonders erfreulich ist die Feststellung, dass die Tafeln weder verschmiert, bekrizzelt, umgeworfen noch beschädigt oder gestohlen wurden.
Historisch ging es wieder am 9. September zu: am grossen Bauern- und Landwirtschaftstag. Die Akteure waren Wädenswiler Bauernfamilien; für die Durchführung zeichnete der Landwirtschaftliche Verein verantwortlich. Der Umzug, welchen die Wädenswiler Bauern vom heute noch landwirtschaftlich genutzten Wädenswiler Berg zum Seeplatz durchführten, war vor allem nostalgischer Art. Fuhrwerke von anno dazumal mit eisenbereiften Wagen, von Pferde- oder Kuhgespannen gezogen, erinnerten an die Zeit vor der Mechanisierung und Motorisierung der Landwirtschaft. Es wurden auch verschieden beladene Wagen mitgeführt: ein fachmännisch gebundenes Heufuder, ein Holzfuhrwerk, ein Wagen voll Mostobst, ein Einspänner-Jauchewagen, ein zwei aufgeladene Michkannen ziehendes Hundegespann, eine Schnapsbrennerei. Was wäre ein solcher Umzug ohne Tiere? Eine Herde mit etwa 25 Kühen und einem kräftigen Stier war zu sehen; dazu kamen alle übrigen Tiere, die auf einem Bauernhof gehalten werden: Schweine, Schafe, Gänse, Hühner...
Verschiedene Vorführungen bereicherten die Landwirtschaftsschau auf dem Seeplatz. Man konnte zusehen beim Holzsägen, beim Mosten und um 16 Uhr beim Melken. Auch die Schnapsbrennerei war in Betrieb. Eine kleine Festwirtschaft in Ufernähe sorgte für Speis und Trank.
Der Markt an der Gerbestrasse vermittelte zuweilen ebenfalls Einblick in vergangene Zeiten. So betrieb ein Coiffeurmeister eine Barbierstube. Am 9. September gab das Renaissance-Ensemble «I Pifferari» aus dem benachbarten Horgen musikalische Kostproben aus Spätmittelalter und Renaissance. Dabei kamen Instrumente wie Gemshorn, Krummhorn, Schalmei, Psalter, Dulcinea und Brummtopf zum Einsatz. Mit kurzen Erklärungen und Überleitungen verstand es der Ensemble-Leiter, die verschiedenen Stücke, Stilarten und Instrumente einzuführen.
Die Johanniterköche, ein Klub kochender Männer, brieten als besondere Attraktion einen Ochsen am Spiess. Das am 4. September geschlachtete Tier hatte ein Schlachtgewicht von 330 Kilogramm. Der Ochse wurde schlachtwarm auf einen Spiess aufgezogen und dann täglich mit Marinade eingerieben. Am 11. September stellte man den Grill auf dem Platz vor der Kreditanstalt auf; und dann wurde der Ochse während 24 Stunden über dem Holzkohlefeuer gedreht, ehe sich die hungrigen Besucherinnen und Besucher über die saftigen Stücke hermachten.

Der historische Umzug als Schlusspunkt

Die Umzugsgruppen sollten sich historisch möglichst getreu präsentieren. Aus diesem Grunde liess man den grössten Teil der rund 600 Mitwirkenden durch eine Kostüm- und Fahnenfabrik einkleiden. Auch in diesem Punkt beeindruckte die Organisation: Jeder Teilnehmer hatte eine persönliche Masstabelle auszufüllen, beginnend bei der Hutnummer und endend mit der Schuhnummer. Nach diesen Angaben wurden die Kostüme zusammengestellt und für jeden Träger in einem mit seinem Namen beschrifteten Kleidersack bereitgemacht. 520 historische Kostüme brauchte es, 500 Perücken und 120 Paar zeitgetreue Schuhe. Am frühen Sonntagmorgen, 13. September, stand der Kleiderwagen bei den Eidmatt-Turnhallen zur Fassung bereit.
Nach genauem Plan gestaffelt, erschienen nun die einzelnen Gruppen, erhielten die Säcke mit den Kostümen und zogen sich in der Turnhalle um. Der geleerte Kostümsack diente dabei zum Versorgen der Zivilkleider an klar bestimmtem Platz. Die Rückfassung nach dem Umzug geschah auf die gleiche reibungslose Weise: Zivilkleider aus dem Sack, Kostüme in den Sack, Rückgabe des Sacks beim Kleiderwagen, Kontrolle, Fassen des Bons für die Verpflegung.
Am Sonntagmorgen ab acht Uhr sah man die ersten kostümierten Personen und Gruppen durch Wädenswils Strassen ziehen, fröhlich plaudernd und lachend. Man traf Leute aus verschiedenen Jahrhunderten in der Kirche beim Gottesdienst und später in den Festzelten beim Frühschoppen oder Mittagessen. Und immer wieder posierten andere Gruppen in prächtigem Sonnenschein für Amateur- und Berufsfotografen, für die Presse und vor Video-Kameras.
Für die Umzugsorganisation, die ebenfalls reibungslos klappte, zeichnete die Neue Fasnachtsgesellschaft verantwortlich. Sie verfügte über langjährige Erfahrung im Aufstellen und Führen von Umzügen durch Wädenswils Hauptstrassen. Um die 30‘000 Zuschauer mögen die Strassenränder gesäumt haben, um – wieder bei strahlendem Sonnenschein – den historischen Festumzug, den farbigen Ausklang des «Wädi-Fäschts», zu bewundern und zu beklatschen.
Für den Festumzug wurde übrigens – dank der Mithilfe von vier Sponsoren – ein farbiger Faltprospekt geschaffen. Ein Grafiker stellte die einzelnen Sujets in Zeichnungen vor; Kurztexte erhellten den historischen Zusammenhang.
«Wädenswil liess 700-jährige Geschichte wieder aufleben», titelte der Zürcher «Tages-Anzeiger» am folgenden Tag und berichtete dann unter anderem: «Und so ritten, rollten, hüpften und marschierten sie denn daher, die Sujets und ihre festfröhlichen, sehr gegenwärtigen Zeitgenossen: Vom Verkauf von Burg und Herrschaft Wädenswil über Rudolf III. von Wädenswil selbst, über die Johanniter, den Bauernaufstand von 1489, die Pilgerschiffe, den Übertritt zur Reformation, die Pest am See, den Wädenswiler Handel von 1646, die Spinnerinnen der Heimindustrie, den Kirchenbau von 1767, den Einmarsch der Franzosen und die Internierten der Bourbaki-Armee, die Kinderkrippe um 1910, die ersten Postkutschen und Velos bis zum Solarmobil. Dazwischen in buntem Wechsel die Gruppen der Vereine und Musikkorps und die Beine der Majoretten – nichts als Augenweiden, und das zwei Stunden lang.
Kritik? Bitte: Rudolfs fürstliche Damen sassen allesamt in einer zu jener Zeit ungehörigen Art zu Pferd, das mittelalterliche Landvolk erschreckte unvorbereitete Zuschauer mit an langen Stangen baumelnden toten Hühnern, und die Feuerwehr spritzte beim Löschen des supponierten Schlossbrands (1804) auch gleich die Zuschauer ab. Echt und ehrlich.
Titelblatt des Umzug-Leporellos.
In den drehbaren Pranger liess sich allerdings mancher Wädenswiler auch freiwillig sperren, wenigstens für fünf Minuten; die vielen mittelalterlichen Pfäfflein nahmen sich selbst nicht mehr so ernst, und unter den historischen Kleidern und Perücken sahen die kleinen, grösseren und ganz grossen Wädenswiler tatsächlich so aus, als kämen sie gerade aus tiefstem Mittelalter. Sie werden hoffentlich hernach keine Anpassungsprobleme gehabt haben.»
Ausführlich würdigte die Lokalzeitung, der »Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee«, am 14. September 1987 unter dem Titel «Streifzug in die Vergangenheit von Wädenswil» den denkwürdigen historischen Umzug. Auch daraus einige Passagen: «Auf diesen Sonntag hatte man sich in Wädenswil gefreut. Der historische Umzug sollte zum glanzvollen Höhepunkt des „Wädi-Fäschts am Zürisee“ werden. Die hochgesteckten Erwartungen wurden denn auch nicht enttäuscht. Der historische Umzug mit seiner Farbenpracht und den aussergewöhnlich schönen Kostümen begeisterte alle. In 55 eindrücklichen historischen Darstellungen bot der Umzug Einblicke in das Leben früherer Jahrhunderte, zeigte den Alltag der Freiherren und Bauern auf und erzählte anhand der wichtigsten Ereignisse die bewegte Geschichte der Johanniterkomturei Wädenswil. Voller Stolz eröffnete hoch zu Ross Freiherr Rudolf III. mit seinem Gefolge den Umzug...
Die Teilnehmer, allesamt in die damals üblichen Kostüme gekleidet, bemühten sich, die Szenen auch wirklich nachzuempfinden, sie darzustellen. Man fühlte sich in frühere Jahrhunderte zurückversetzt. Mit den Bauern, die dem Vogt ihre Zehnten ablieferten, wäre wohl mancher am liebsten gleich mitgegangen. Oder wie wäre es mit den schmucken Kriegern, die voller Mut und mit geschwellter Brust in den Kappeler Krieg zogen? Mit Jauchzern und Freudensprüngen verkündeten die Bauern kurz vor Ende des 18. Jahrhunderts den Ausbruch der Französischen Revolution. Auch in Wädenswil tanzte man damals um den Freiheitsbaum und genoss das neue Gefühl der Freiheit.
Aber nicht nur die schönen und angenehmen Seiten der Vergangenheit wurden gestern in Wädenswil dargestellt. Die unzähligen Zuschauer entlang der Umzugsstrecke bekamen auch die tragischen, die unglücklichen Seiten zu sehen; traurige Seiten übrigens, die mehrheitlich das Leben der Menschen in früheren Jahrhunderten bestimmten. In der Zeit der Johanniter wurden 1501 und 1520 der Hexerei bezichtigte Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ein Sargzug erinnerte an die schrecklichen Pestepidemien. Der Brand des Schlosses im Jahr 1804, sehr realistisch mit Rauch und brennenden Schindeln nachempfunden, rief ein für die Geschichte von Wädenswil ebenfalls eher unerfreuliches Kapitel in Erinnerung. Das Verteilen der Armensuppe verdeutlichte, dass es gerade den Armen und Notdürftigen früher schlecht ging und man sich gemeinhin oft ein falsches Bild von Glanz und Glorie früherer Zeiten macht.
Echte Lebensfreude strahlten vor allem jene Gruppen aus, welche die Modeströmungen der verschiedenen Jahrhunderte darstellten. Für die meisten Zuschauer dürfte es ganz interessant gewesen sein, den frappanten Wandel der Mode in kurzen Bildern nacheinander zu verfolgen. Das noch relativ schlichte Gewand des 14. Jahrhunderts entwickelte sich über die Jahrhunderte zum farbenprächtigen, eleganten Kostüm, mit welchem sich die Damen des 19. Jahrhunderts in der feinen Gesellschaft stolz präsentierten.»

Beispiele aus dem Festumzug.

Bemühungen um historische Richtigkeit

Bei der Planung und Realisierung des Umzugs bemühten sich Verantwortliche und Mitwirkende in hohem Masse um historische Genauigkeit und scheuten dafür keinerlei Aufwand. Hierzu zwei Beispiele.
Zum ersten: Die Johanniterköche stellten die Austeilung der Armensuppe in den Hunger- und Teuerungsjahren 1816/17 dar. Dabei sollten die Zuschauer die Rumfordsche Armensuppe – benannt nach ihrem Erprober Graf Benjamin Rumford (1753–1814) – kosten können. Aber aus welchen Zutaten bestand sie? Wie lange musste man sie kochen?
Darum Auftrag an den Historiker, das Rezept zu beschaffen: «Sollte es an Gemüse-Arten gänzlich fehlen, so wird eine etwas weniger nahrhafte, aber gleichwohl sehr gute Suppe auf folgende Art bereitet: ½ Mäß Erdäpfel, 1 Viertel-Mäss (Immi) Rübli, ½ Pfund frische Butter, ½ Immi Habermehl, ½ Pfund Salz. Dazu kommen 20 Mass Wasser, die etwa in fünf Stunden Zeit auf 16 Mass eingekocht werden. Wenn das Wasser kocht, wird das Habermehl und die Butter beigemischt; ½ Stunde später die Hälfte der beschnittenen Kartoffeln und die gelben Rüben.» (1 Mäss = 13,58 Liter; 1 Mass = 1,67 Liter)
Die Johanniterköche setzten das Rezept zur Probe um und waren gespannt auf das Resultat: Entstanden war ein durch stundenlange Kocherei zähflüssiger, nahrhafter Brei mit hohen Kalorienwerten, nicht gerade angenehm im Geschmack und vor allem sehr salzig. Für den Umzug musste die Suppe etwas «verbessert» werden. Weniger Salz und mehr Wasser hiess die Devise.
Zum zweiten: Vorstand und Personal der Kinderkrippe wählten für den Umzug das Thema «Spaziergang der Kinderkrippe um 1910». Eine zeitgenössische Fotografie lieferte konkrete Anhaltspunkte. Die schwarzen Roben und die grossen Hüte für die Vorstandsdamen waren aufzutreiben: originale Röcklein und Schösslein für die Krippenkinder fanden sich noch im Kasten auf der Winde. Aber wo waren Diakonissentrachten für das Personal herzuholen, wo hochrädrige Kinderwagen?
Auch da wussten ideenreiche Leute Rat. Das Diakonissenhaus Bethanien in Zürich konnte überzeugt werden, dass die originalen alten Schwesterntrachten keinen Schaden nehmen würden, und half gerne aus. Ja die Trägerinnen erhielten sogar noch Instruktion, wie die Haube fachgerecht zu binden sei. Und die hochrädrigen Kinderwagen? Ein Aufruf in der Sendung «Talismann» am Radio DRS, man suche für den Umzug in Wädenswil alte Kinderwagen, löste ein überraschend grosses Echo aus. Über 40 Meldungen gingen ein, sogar von Eigentümern, die in der Nähe von Wädenswil wohnten. Rasch waren Transporte organisiert, und so fuhren denn am 13. September drei alte Kinderwagen durch Wädenswils Strassen. Und darin lachten oder weinten Knaben und Mädchen aus der Kinderkrippe in den Kleidchen ihrer «Vorfahren».

Das «Wädi-Fäscht» und die Medien

Schon Wochen zuvor erfreute sich das «Wädi-Fäscht» grosser Publizität. Fast täglich berichtete die Lokalzeitung unter einem besonderen Logo über einen andern Aspekt. Vom 3. bis 13. September 1987 informierte das sonst am rechten Seeufer beheimatete Radio Zürisee von einem mobilen Studio in Wädenswil aus über das Geschehen.
Das zehntägige Fest schlug sich auch in der Zürcher Presse nieder. Über den Eröffnungsakt und den historischen Umzug erschienen sogar ausführliche, bebilderte Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung».
Die Festtage waren sodann eine besondere Attraktion für viele Amateur- und Berufsfotografen. Da gab es kaum eine Szene, die nicht mit der Kamera festgehalten wurde. Das Organisationskomitee brachte nach dem Fest zwei Videokassetten in den Verkauf: die eine über den Umzug, die andere mit einem Querschnitt durch das Zehn-Tage-Fest.

Was ist geblieben?

Von bestem Wetter begünstigt, ging das Wädenswiler Jahrhundertfest ohne Unglücksfälle zu Ende. Aus dem Reingewinn flossen ansehnliche Beträge in die Vereinskassen, und auch soziale Institutionen wurden mit Spenden bedacht.
Wädenswils Einwohner sind sich in diesen Tagen bei der Vorbereitungsarbeit und beim Fest nähergekommen. Kaum je haben sich hier auch so viele Leute mit Geschichte auseinandergesetzt, wie rund um das «Wädi-Fäscht». Geblieben ist die Erinnerung an unbeschwerte Tage und Nächte. Erhalten sind die Publikationen, gehütet werden die Fotoalben und Videokassetten. Noch prangt auf manchem Auto, auf mancher Schulmappe der Kleber mit dem «Wadimir». In der gepflasterten Türgass, einem historischen Strassenzug im Ortskern, erinnern zwei gegossene Schachtdeckel mit dem gleichen Emblem an den Höhepunkt im Jahre 1987.
Jakob Bohli, Eigentümer der 7,5-Zentimeter-Feldkanone, mit deren Salutschüssen das Fest eröffnet und beendet wurde, ist nun bekannt als Jakob Bohli m.e. K. (mit eigener Kanone). Und sein Geschütz ist jetzt das Prunkstück der im Anschluss an das «Wädi-Fäscht» gegründeten «Barbara-Zunft», deren rund 40 Mitglieder sich unter anderem an jedem 17. Juli versammeln und mit einer Salve daran erinnern, dass an diesem Tag die Burg und Herrschaft Wädenswil vom letzten Freiherrn an den Johanniterorden verkauft wurde.




Peter Ziegler