DER WANDEL DES OBSTBAUS IN WÄDENSWIL

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1993 von Karl Stoll
 
Alles was lebt, befindet sich in einem zeitlich stetigen Wandel. Selbst die Betriebsformen des Obstbaus entziehen sich dieser Regel nicht.
In unserem von einem Reizklima geprägten und von den fruchtbaren Moränenböden her begünstigten Produktionsraum sind Zeugen der Obstkultur schon seit vielen Jahrhunderten feststellbar. Neben der Kirche Wädenswil ist ein Baumgarten erwähnt, in welchem am 30. August 1270 ein Kaufvertrag besiegelt worden ist.1 Im Jahr 1278 ist im benachbarten heutigen Schönenberg der Hof «Nussbäumen» erwähnt. Walnüsse für die Ölgewinnung waren zu jener Epoche notwendig zum Unterhalt des ewigen Lichtes in der Kirche. Um 1488 war der Einzug des Wein- und Nusszehnten dem Komtur des Johanniterordens übertragen.
Waren die Baumgärten bislang rund um die Höfe und Siedlungen konzentriert, begann man im 17. und 18. Jahrhundert auch die freien Feldflächen mit Obstbäumen zu bepflanzen.2 Dies lässt sich zudem belegen anhand der Dendrochronologie (Jahrringzählung), denn in unserem Gemeindebann wiesen auch einige der im freien Feld gefällten Birnbäume über 250 Jahrringe auf. Das kann auf eine zunehmende Bedeutung der Mostbereitung zu dieser Zeit hinweisen.
Weitere bedeutende Pflanzungen an Mostbirnbäumen müssen um 1780, 1800, 1880 und 1913 erfolgt sein. Im Zeitraum zwischen dem Ersten Weltkrieg und 1930 (neue Alkoholordnung) erwuchsen vielen Bauernhöfen wesentliche Einnahmen aus dem Branntweinverkauf.
Die absolut höchste Baumzahl in unserer Gemeinde ist ungefähr in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts erreicht worden.
Eine brüske Wende zur Abnahme zeichnet sich ab in den nächsten Jahrzehnten:
 
Feldobstbäume in der Gemeinde Wädenswil3
Erkennbar ist in dieser Tabelle, wie innerhalb der verflossenen vierzig Jahre die Zahl der hochstämmigen Feldobstbäume zurückgegangen ist auf unter einen Drittel des ursprünglichen Bestandes und somit eine Schmerzgrenze erreicht hat. Die Ausräumung unserer Landschaft wäre bestimmt noch krasser ausgefallen, wenn nicht die Obst- und Weinbau-Genossenschaft (OWG) während rund eines Jahrhunderts für den gesicherten Absatz des Mostobstes gesorgt hätte. Im Jahr 1895 gegründet, konzentrierten sich ihre erfolgreichen Bemühungen vorerst auf die Qualitätsverbesserung und damit auf die Absatzförderung von vergorenen Obstgetränken.
Moderner Intensivobstanbau an Niederstämmen auf dem Bauernhof Brändli im Oberort.

An der Versuchsanstalt Wädenswil hatte deren Direktor, Hermann Müller-Thurgau, die Herstellung alkoholfreier Obst- und Traubensäfte zur Praxisreife entwickelt. Der Süssmostpionier Rudolf Leuthold hat jahrelang diese Technik zu fördern versucht. Von 1936 an stellte die OWG in grossen Mengen alkoholfreie Obstsäfte her, worauf 1944 auch die Konzentratherstellung dazu kam. Der Landwirtschaftliche Verein unternahm Wesentliches, um die Qualitätsproduktion und den Tafelobstabsatz zu fördern. Sowohl von der Forschungsanstalt als auch von der Ingenieurschule aus sind bemerkenswerte Impulse notierbar zugunsten der Obstwirtschaft.
Die Ursachen des starken Rückgangs der Zahl der Feldobstbäume sind vielfältiger Art. An erster Stelle steht die beachtliche Ausdehnung der überbauten Siedlungsfläche. Viele erinnern sich noch an den Obstbaumwald vom Meierhofrain hinaus zum Boller und hinauf zur Eichweid. Auch gegen Westen, der Au zu, wurden grosse Lücken gerissen durch die rege Bautätigkeit. Zudem setzte in den 1950er Jahren die Umstellung ein vom traditionellen Hochstammobstbau zur Intensivkultur an Niederstämmen. Allein bei der Reorganisation des Sandhofes wurden 280 Bäume gefällt.
Nicht dass die Intensivkultur als solche etwas völlig Neues gewesen wäre für Wädenswil. Edelobst auf schwach wachsenden Pfropfunterlagen hatte Heinrich Zuppinger auf Rötiboden schon gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts produziert, was fortgeführt wurde von dessen Sohn Karl. Dörrmeister Ernst Stössel sorgte dafür, dass auch nichtverkäufliches Obst zu Ehren gezogen werden konnte. Die moderne Obstbautechnik, auf Kommerzialisierung und Mechanisierung ausgerichtet, kann allerdings mit den früheren, fast skurril wirkenden Baumformen, wie Spiralschnurbaum und Belgischer Hecke, nicht arbeiten.
Auf dem Bauernhof Zuppinger im Rötiboden stand einst diese Belgische Hecke.

Die momentan rund 35 Hektaren umfassende Anbaufläche an Intensivkulturen wird von initiativen, dem Neuen stetig aufgeschlossenen Baumpflegern betreut. Mit der Trennung von der Viehwirtschaft wurden viele Pflanzenschutzprobleme entschärft. Die hier angewandte «Integrierte Produktion», welche auf ein Minimum an systembelastenden Hilfsstoffen zielt, erfordert allerdings ein hohes Mass an Fachkenntnissen sowie einen ausreichenden Zeitaufwand zur Kulturüberwachung.
Der heutige Grossmarkt übt gewisse Zwänge aus, denn im Verkaufsmodus der Selbstbedienung ist fleckenbehaftetes Obst unverkäuflich geworden. Zudem benötigen moderne Sorten, wie Golden Delicious, Jonagold und Idared, ein Ausdünnen des Fruchtansatzes, was praktisch nur bei Niederstammkulturen durchführbar ist.
Im Wädenswiler Berg wurden grössere Lücken in den Baumbestand gerissen durch den Parzellenumtausch beim Bau der Autobahn. Doch wesentlich bedeutsamer ist hier der Wandel in den Betriebsformen hin zu einer gesteigerten maschinellen Feldbearbeitung. Die Möglichkeiten des Einsatzes des Ladewagens sowie der gesteigerte Anbau von Silomais haben grössere hindernisfreie Feldflächen erfordert. Somit werden die Baumgärten wieder zurückgedrängt in die Hofnähe. Feststellbar sind hier auch Bemühungen, einen Intensivobstbau in kleineren Parzellen aufzubauen. Allerdings respektiert man eine klimatische Höhenbegrenzung bei zirka 550 m ü. M. insofern, als die wärmebedürftigen Sorten Golden Delicious, wie auch spätreifende Tafelbirnen und Fellenberg-Zwetschgen, nur in begrenztem Ausmass kultiviert werden.
Neben dem zirka 240 Jahren alten Theilersbirnbaum wachsen auf dem Bauernhof der Familie Haab im Steinacher Jungbäume.
 
Besonders gefährdet sind die Feldobstbäume auf den RestparzelIen der in den letzten Jahrzehnten aufgelassenen mehr als 50 Bauernhöfe. In der Regel bar jeglicher Aufsicht und Pflege sind diese Bäume zahlreichen Gefahren ausgesetzt, und ihre Zahl wird voraussichtlich weiterhin stark abnehmen. Viele Beschädigungen sind verursacht durch Weidevieh, Mäusefrass und Landmaschinen jener Pächter, denen ein entwickeltes Verständnis für Obstbäume mangelt. Dabei sind es gerade diese Exemplare, weIche in ökologischer Hinsicht und in ihrem landschaftsprägenden Charakter erhalten bleiben sollten.
Der Obstbau in Wädenswil weist momentan sieben Betriebe auf mit Schwerpunkt Intensivkultur. Auf etwa 25 Höfen besteht noch ein gepflegter Hochstammobstbau in Kombination mit Intensivkulturen. Die ausschliesslich traditionellen Hochstammformen sind vorläufig noch in etwa 50 Betrieben anzutreffen. Hier erfolgt die Betreuung durch den Baumwärter oder den Betriebsleiter selbst. Hoffnungsgeladene Zeichen eines neuen Aufbruches sind jetzt feststell bar. Die Mehrzahl der Betriebsleiter lebt weiterhin in einem wohltuenden geistigen Gleichgewicht zwischen der bewahrenden Tradition und einer gestalterischen Beweglichkeit. Auf einigen Betrieben werden erneut Hochstammanlagen gepflanzt. Dass die Öffentlichkeit auch ein Interesse daran hat, zeigt sich in bestehenden Anfängen einer staatlichen Unterstützung. Verschiedene Betriebe haben ihre Wirtschaftsweise sogar auf die biologische Produktion umgestellt. Von Wädenswil auch strahlen die Ideen der Vereinigung «Fructus» aus zur Förderung von Genbanken alter Obstsorten und der Erhaltung von Hochstammobstgärten.
Wädenswil selbst besitzt momentan die grösste Genbank unseres Landes: Es werden in den Sortensammlungen der Forschungsanstalt, der Ingenieurschule und bei einem Privatsammler zusammen mehr als 650 Apfel-, 350 Birnen- und 100 Pflaumen- resp. Zwetschgensorten systematisch überprüft.
Hochstamm-Obstbäume rahmen die Bauernhöfe im Oedischwend malerisch ein.

Alleine schon aus landschaftsprägenden und klimaverbessernden Überlegungen gilt es, einen gewissen minimalen Bestand an Hochstämmen zu erhalten. Hochstämmige Obstgärten bilden einen gewissen Ersatz für den in unserer Gemeinde eher spärlich vorhandenen Wald. Sie stellen beste Lebensräume dar für Bilche, Fledermäuse, Vögel, Nutzinsekten und eine Vielzahl weiterer Lebewesen. Selbst der materielle Nutzen beschränkt sich nicht auf den Obstertrag. Die Walnuss-, Kirsch- und Birnbäume können nach Jahren sehr wertvolles Möbelholz liefern. Ein durch Blitzschlag gefällter Amlisberger-Mostbirnbaum hat noch ganze drei Klafter Brennholz erbracht. Schliesslich stellen die sehr alt werdenden Hochstämme ein Kulturgut dar, welches als geistiges Band die Generationen auf den Bauernhöfen miteinander verbinden kann.




Karl Stoll


Literaturhinweise

1 Peter Ziegler. Wädenswil, Bd. 1, Wädenswil 1970.
2 Albert Hauser. Was für ein Leben, Zürich 1987.
3 Eidgenössisches Statistisches Amt, Bern