Die Rokoko-Stuckdekoration in der Kirche Wädenswil, ein Werk der Vorarlberger Meister Moosbrugger
Quelle: Reformierte Kirche Wädenswil Innenrenovation 1998/99 von Christian Renfer
Baumeister Hans Ulrich Grubenmann und der Baubetrieb im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert war der Baubetrieb noch nicht so durchstrukturiert wie heute, weder in Bezug auf die Abfolge der einzelnen Schritte von der Planung bis zur Ausführung, noch in der Rollenzuweisung für alle am Bau beteiligten.
Von den Architekten als Schöpfer von Bauwerken kann nicht im heutigen Sinne gesprochen werden. Baufachmann wurde, wer sich im alltäglichen Beruf die Erfahrung dazu holte oder wer im praktischen Umgang mit Holz, Stein, Mörtel oder Gips bautechnische Kenntnisse besass und sie in Bauten anzuwenden wusste. Zimmerleute, Maurer und Gipser betätigten sich sowohl als Planverfasser (Projekt) als auch als Baumeister (Bauleitung) und als Bauhandwerker (Ausführung).
Die Rollenzuteilung und das Verhältnis zwischen Projektverfasser, Bauleitung und ausführenden Handwerkern war weder geregelt noch stand es zum vornherein fest. Die spezialisierte Bauschule ist im wesentlichen eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts. In den vorausgehenden Jahrhunderten wurde bei grossen öffentlichen Bauvorhaben zu Stadt und Land in unterschiedlicher Weise geplant. Auf der Landschaft war der Bau einer neuen Kirche wohl das grösste Unternehmen und forderte den Einsatz aller Mittel. Aufgrund unterschiedlicher hergebrachter Rechtsverhältnisse konnte die Obrigkeit oder die Gemeinde Auftraggeber sein. So veranlasste der Zürcher Rat 1778 den Bau der Kirche in Embrach und betraute damit David Vogel, den Sohn des Gerichtsherrn und Baumeisters Heinrich Vogel. In Wädenswil dagegen lag 1764 bis 1767 die ganze Verantwortung bei der Kirchgemeinde, welche den Neubau auch selbst finanzierte. Sie bestimmte den Baumeister und schloss mit ihm einen Generalbauvertrag ab, nachdem man über das auszuführende Projekt einig geworden war. Unter seiner Leitung arbeitete schliesslich ein ganzer Bautrupp, der auch die für die Ausstattung verantwortlichen Vorarlberger Stukkateure umfasste.
Die Baumeister und Stukkateure genossen einen überaus guten Ruf, den sie sich mit zahlreichen gemeinsamen Werken verdient hatten.
Das als Baumeistersignatur angebrachte Familienwappen Hans Ulrich Grubenmanns an der Wand der turmseitigen Empore ist das einzige farbige Stuck-Element in der reformierten Kirche Wädenswil.
In der Stuckdekoration von Prunk-, Fest- und Kirchenräumen spiegelt sich ein wichtiger Aspekt der Stilgeschichte. Ausserdem wird hier die Wichtigkeit des künstlerischen Austausches zwischen Kulturräumen sowohl auf der Ebene der Auftraggeber wie der Ausführenden sichtbar.
Plastischen Stuck als Dekorationsform gibt es seit dem Altertum, doch dessen grosse Zeit als künstlerisches Mittel für die Raumausstattung begann in den Ländern nördlich der Alpen erst mit den italienischen Wanderkünstlern des 16. und 17. Jahrhunderts. Andreas Morel hat 1972 in einem Aufsatz zur Geschichte der Stuckdekoration in der Schweiz auf die einzelnen Künstlerformationen und deren Tätigkeitsfeld im sakralen wie im profanen Bereich hingewiesen. Oberitalienische Stukkateure beherrschten während Generationen das Feld der Stuckdekoration auf den Bauplätzen nördlich der Alpen, darunter auch die wichtigsten in der Schweiz. Neben Italienern, denen die hohe Kunst des Stuckierens vorbehalten blieb, arbeiteten aber auch einheimische Gipser mit.
Mittlerer Deckenspiegel mit frei hängenden Stuckpartien.
Dabei haben es Einzelne, wie etwa die Schaffhauser Meister Samuel Höscheller (1630-1713/15) und Johann Jakob Schärer (1667-1736) schon vor der Wende zum 18. Jahrhundert zu hoher Künstlerschaft gebracht. In Zürich legen beispielsweise die Decken im «grossen Pelikan» (Höscheller 1685) und im Rathaus (Schärer und Höscheller 1698) Zeugnis für ihr Können ab. Diese noch unter italienischem Einfluss stehenden, hoch- und spätbarocken Dekorationsstile wichen um 1730 dem feineren Régencestuck, dessen Leitmotiv das Bandelwerk ist. Mit dem Stilwechsel verbunden war wiederum eine Wanderbewegung von Stuck-Künstlern, die man nach der Herkunft Wessobrunner nennt. Ihr Tätigkeitsfeld im süddeutschen Raum erstreckte sich auch die Ost- und Zentralschweiz, wo beispielsweise die Schmuzer-Werkstatt zwischen 1707 und 1732 an der Ausstattung der Klosterkirche in Rheinau mitarbeitete. Im zürcherischen Gebiet sind allerdings bisher ausser in Rheinau kaum Belege für einen umfangreichen künstlerischen Einsatz wessobrunnischen oder süddeutschen Stukkateurtrupps vor 1750 bekannt.
Das es aus dieser Zeit aber durchaus qualitätsvolle Stuckdekorationen in Zürich gibt – es sind dies vor allem private Räume in Bürgerhäusern und Landsitzen – ist anzunehmen, dass das einheimische Handwerk selbst in der Lage war, solche anzufertigen. Zu nennen sind hier bloss Salomon und Heinrich Bürkli, deren Tätigkeit sich im Zusammenhand mit der Ausstattung von St. Peter (1705-1706) zu manifestieren beginnt. Vielleicht wird sich aber in Zukunft auch das eine oder andere Beispiel aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einem bekannten auswärtigen Künstlernamen zuweisen lassen. Die dritte und letzte Phase barocker Stuckdekoration, jene des Rokoko mit dem Leitmotiv der Rocaille, ist mit der Bewegung aus dem Bregenzerwald verbunden. Zu Ihrem Einsatzgebiet gehörte ab 1760 nun auch in hohem Masse die Ostschweiz. Der virtuosen Dekorationskunst der Vorarlberger, die sich auch als Baumeister-Architekten betätigten, verschloss sich weder das katholische noch das protestantische Gebiet.
Kirchendecke: Kompositionen mit C-Rocaillen und Pflanzenornamenten.
Verzierung des Deckengewölbes im Turm-Eingang.
Wenn man bedenkt, dass die Auftraggeber, je nach Verfügbarkeit und Angebot, beide Meister nebeneinander oder wechselweise beschäftigten, wobei zusätzlich auch noch einheimische Stukkateure und Gipser zum Einsatz kamen, so wird die stilistische Landschaft der Stuckdekoration in der Zeit des Rokoko noch unübersichtlicher. Nur ein eingehendes Studium aller bekannten Werke dieser fruchtbaren Schaffensperiode der vorarlbergischen und tirolischen Wandermeister zwischen 1750 und 1790 wird das Ineinanderwirken verschiedener Exponenten desselben künstlerischen Genres und Zeitstils allmählich erhellen können. Dabei wird die gründliche Ermittlung im Bereich der Auftragssituation und der einzelnen Künstlerindivitualität ausschlaggebend dafür sein, wieweit das heutige Bild der «Wanderbewegung» und deren Wirken neu gezeichnet werden kann. In dieser Beziehung stellt der Neubau der Kirche Wädenswil einen exemplarischen Fall für den Baubetrieb dieser Zeit dar: Die Kirchenpflege als Bauherrschaft holt einen renommierten Architekten, welcher sich seinerseits für die Ausstattung mit bewährten Kunsthandwerkern zusammenschliesst, die er überdies von früheren Baurealisierungen her kennt. Damit beruht sowohl die Wahl des bauleitenden Architekten, wie jene der wichtigsten Dekorationskünstler auf «Reputation» und «Rekommandation».
Konsole der Seitenemporen.
Verzierung an den Brüstungen der beiden Seitenemporen.
Die Dekorationskunst der Moosbrugger und ihr Werk in der Kirche Wädenswil
Betrachtet man den Werdegang der Stuckdekoration im zürcherischen Kirchenbau während des 18. Jahrhunderts, so stellt man fest, dass das grosse Initialwerk von St. Peter in Zürich nach seiner Vollendung im Jahre 1706 während eines halben Jahrhunderts keine Nachfolge gefunden hat. Demgegenüber hatte der profane Stuckdekor in öffentlichen und privaten Prunkräumen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Tradition. Festsäle mit mehr oder weniger ornamental gestalteten Stuckdecken sind vom späten 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert (wo der freihändige Stuck zugunsten des Versatzstucks zurücktrat) in lückenloser Reihe und in allen Zeitstilen zu ermitteln.
Kartusche mit Treillagegitter-Motiv, Untersicht der Seitenemporen.
Pilasterbekrönung: Schildkartusche aus C-Rocaillen und mit Blütenranke.
Sieht man von der eigenartig stilverspätet anmutenden Stuckdecke in der Kirche Kilchberg von 1758 ab, deren Ornamentik noch der polychromen Régence verpflichtet ist, so setzt die Stuckdekoration in den Zürcher Landkirchen mit dem Erscheinen der Moosbrugger-Werkstatt im Gefolge der beiden Baumeister Jakob und Johann Ulrich Grubenmann ein und bleibt bis gegen 1790 vorwiegend mit den beiden Vorarlberger Meistern Andreas (1722-1787) und Peter Anton Moosbrugger (1732-1806) verbunden. Sie haben zwischen 1757 und 1787 während drei Jahrzehnten sämtliche Kirchenräume auf der Zürcher Landschaft ausstuckiert, soweit es sich um Grubenmann- oder Haltingerbauten handelte.
Nach der Stuckierung des Chors in Wald (1757) und er Kirche in Hombrechtikon (1758) für Jakob Grubenmann folgten die Kirchen Oberrieden (1761) und Wädenswil (1764-1767) für Hans Ulrich Grubenmann, danach Haltingers Querkirchen in Horgen (1779-1782) und Kloten (1785-1786), und schliesslich bildete die Ausstattung der Querkirche von Hinwil (1785-1787) für den Allgäuer Baumeister Franz Schmid aus Lindenberg den letzten Einsatz der Moosbrugger-Werkstatt auf Zürcher Boden.
Stuck-Bekrönung des Schalldeckels der Kanzel.
In den Moosbruggerschen Stuckdekoration finden sich mehrfach Initialen und Wappen Hans Ulrich Grubenmanns, so in Oberrieden (1761) und die Initialen JUG, in Wädenswil (1764-1767) und Oberuzwil (1766) das Grubenmann-Wappen und in Teufen (1777-1778), seinem letzten Werk in seinem Heimatdorf, schliesslich Wappen und Initialen gemeinsam. Das Grubenmann-Wappen in der Kirche Wädenswil ist das einzig farbig gefasste Element in der sonst blütenweissen Stukkatur des Innenraumes.
Würdigung des Deckenstucks
(Adolf Reinle in der Jubiläumschrift zur 200-Jahr-Feier 1967)
«Die Aufgabe Moosbruggers war es, die langen, nur durch zwei Fensterzonen und die Emporeneinbauten gegliederten Wände in ein Gliederungssystem zu fassen, die weite flache Decke mit einem spannungsvoll disponierten Dekor zu überspielen und alle Teile zueinander in eine Einheit zu bringen.
Vorerst zur grundlegenden Gliederung. Die Wand ist in feiner Nuancierung dreifach geschichtet. Die Fensterachsen liegen in der tiefsten Mauerschicht. Zwischen ihnen sind breite Bahnen aufgesetzt, über denen die gekehlten Partien der Decke mit einem Gesimsstück anheben. In der Mitte der Bahn erfolgt ein nochmaliger Vorsprung durch einen Pilaster. Ganz ausgebildet erscheint dieses Wandsystem natürlich nur an der Kanzelseite des Raumes. Die Pilastur ergeben ein graziles, nur noch optisch-dekorativ, nicht mehr statisch wirkendes Gerüst. Das wird durch die spielerische Auflösung ihrer Basen noch betont. Die Wand ist im Sinne des Spätbarocks soweit wie möglich entmaterialisiert. Zwischen der untern und der obern Fensterzone ist nicht – wie in frühern Beispielen – ein Gesimse durchgezogen. Rocaillen verknüpfen Haupt- und Oberfenster zu einer vertikalen Einheit. Die obere Fensterzone greift weit in die Muldendecke hinauf. Dadurch entsteht eine malerische Verzahnung von Wand- und Deckenzone. Der auf den ersten Blick so einfach scheinende Raum ist mit Feinheiten durchkomponiert. Es entspricht auch der allgemeinen Tendenz des süddeutschen Rokokos – man vergleiche den Idealraum von Birnau am Bodensee -, die Wände verhältnismässig zurückhaltend zu dekorieren und dafür die Ornamentik in der Deckenzone zu einem bewegten Spiel zu steigern. Wir haben im Interieur von Wädenswil ein reformiertes Gegenstück zu den prunkvoll-festlichen katholischen Kirchenräumen der selben Zeit in Süddeutschland und in der Zentralschweiz. In den katholischen Kirchen vereinigt sich die Stukkatur mit ausgedehnten Deckenfresken. Hier in Wädenswil und in den verwandten Zürcher Kirchen gibt es keine Deckengemälde. Hier schliesst sich die ganze weitgespannte Decke zu einem in sich ruhenden reinen Stukkateurwerk zusammen. So entsteht ein Raum von heitester Klarheit und gehobener, aber nicht ekstatischer Stimmung.
Wie hat der Stukkateur die Dekoration dieser Muldendecke von 34 m Länge und 20 m grösster Breite arrangiert? Was auf den ersten Blick verwirrend erscheint, ist wohldurchdacht und nach klaren Grundsätzen der Deckengestaltung jener Zeit aufgebaut. In der geraden Hauptfläche dominieren drei grosse Spiegel, die lose zusammengehängt sind. Die Stichkappen – das heisst die über den Fenstern in die Rundung der Deckenmulde hineinstossenden Ausschnitte – sind mit feinen Stäben gefasst und mit Ornamentwerk garniert. Schliesslich blüht weiteres Ornamentwerk aus den Gesimsen der Pilaster in die Decke hinein. Es sind also drei Hauptgruppen von Ornamenten, welche die ganze Decke formieren.
Wen wir die Ornamentik als solche untersuchen, so finden wir als selbstverständliche Dominante die Rocaille, in ebenso kräftiger wie graziöser Form in den allgemein üblichen Grundgestalten, C-förmig, hahnenkammartig gezackt und ausgefranst, flammenhaft züngelnd. Zu diesem abstrakten Dekor gesellt sich in enger Vermischung naturalistisches Ornament von frei sich windenden Blumengirlanden und Zweigen. Bezeichnend für die Anpassung an den reformierten Kirchenraum ist der Verzicht auf jegliches figürliche Beiwerk. Es scheinen weder Reliefs – wie sie die Brüder Moosbrugger in den profanen Decken liebten – noch die sonst im Rokokostuck so selbstverständlichen Putten oder Puttenköpfe. Ja nicht einmal die damals beliebten versteckten Allegorien der Jahreszeiten oder der vier Elemente durch entsprechende Wahl der pflanzlichen Ornamentik ist hier festzustellen.»
Eck-Kartusche mit Vase und Blütenzweig.
Fensterbekrönung mit Blumenmotiven.
Deckenspiegel im Turm-Eingang.