Die Wädenswiler Dorfschule und ihre Schulmeister vor 1832

Quelle: «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 23. März 1960 von Peter Ziegler

Seit welchem Jahr in Wädenswil Schule gehalten wird, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Das früheste Zeugnis gibt die Landvogteirechnung von 1596 (Staatsarchiv Zürich, F III 38), wo im Bussenregister ein Schulmeister Pfister figuriert. Ums Jahr 1640 wirkte Schulmeister Sprüngli in Wädenswil. Über seinen Unterricht äusserten sich Landvogt Füssli und Pfarrer Vollenweider in einem Visitationsbericht wie folgt: «Die Schul hat er, so lang er sich hie ufgehalten, versehen mit allen Trüwen, die Kinder wol gelehrt schryben und lesen. So hat er sy auch gewehnt zum Gebet und dahin gebracht, das wo si für (vor) ehrlich Lüth uf der Gassen anen göhnd, denselbigen wüssend mit Hut-Abziehen ihr Ehr anzutun. In der Kilchen ist er gar flyssig mit dem Gesang beide Sonntags und Zinstags, wie auch in den Nachpredigen, also das ihm die Lobwasser'schen , Psalmen gar wol bekannt sind.»
1644 wird ein Schulmeister Treichler genannt. Er kam ebenfalls mit dem Gesetz in Konflikt und musste wegen Urkundenfälschung gebüsst werden. Zu seiner Verteidigung führte Treichler an, es «syge trunkenerwys beschehen». 1647 erwähnen die Akten einen Schulmeister Ziegler, 1655 einen Schulmeister Trinkler; 1659 erscheint in den Batzengutsrechnungen (Stadtiv Wädenswil, III A 1) ein Hans Baumann, und 1668 wird erstmals ein Vertreter der Familie Eschmann genannt. Diese Familie stellte, im Wechsel mit den Hofmann, während vielen Jahrzehnten den Wädenswiler Schulmeister.
Aus einem Schreiben, welches Pfarrer Hans Konrad Ryff zu Ende des 17. Jahrhunderts an den Zürcher Rat sandte, vernimmt man, dass es in Wädenswil rund zweihundert Kinder gab, welche bei einem einzigen Lehrer Unterricht genossen. Der Schulmeister erhielt vor 1697 als Besoldung von jedem Kind wöchentlich einen halben Batzen, und aus dem Schloss wurden ihm die sogenannte Mostsuppe und zwei Klafter Holz verabreicht.
Im Jahre 1697 entwarf der Wädenswiler Stillstand eine neue Schulordnung, die er dem Zürcher Rat zur Genehmigung vorlegte. Darin wurde unter anderem festgehalten, dass die Schule das ganze Jahr dauern solle, mit Ausnahme von 14 Tagen Ferien im Heuet und im Wümmet. Anstelle des halben Batzens Wochenlohn von jedem Schüler sollte der Schulmeister fortan von der Gemeinde ein vierteljährliches Salär erhalten. Um dem Gemeindegut neue Ausgaben zu ersparen, wollte der Stillstand die nötigen Finanzen wie folgt beschaffen:
a) Die Gemeinde verzichtet auf den vom Landvogt und von der Zürcher Regierung gespendeten Neujahrstrunk.
b) Das Zechen des Untervogts, der Weibel, Schreiber und Richter nach der St. Johannes-Gemeindeversammlung unterbleibt in Zukunft, wodurch der Gemeinde gegen zweihundert Gulden erspart werden. Diese fallen dem Schulgut zu.

Das älteste Wädenswiler Schulhaus

stand am Fusse des Kirchhügels, direkt unterhalb des Pfarrhauses, also ungefähr da, wo sich heute die Liegenschaft «Rosenhof» befindet. Es mag in der zweiten Hälfte des 16., eventuell in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gebaut worden sein, war einstöckig und bot nur einer Klasse Raum. Aus dem 1757 gezeichneten Plan der Pfrundliegenschaften ist ersichtlich, dass das Dorfschulhaus im Grundriss etwa den selben Flächeninhalt aufwies, wie die benachbarte Pfarrscheune: es war rund 11 Meter lang und 7 Meter breit.
Plan der Kirchenumgebung von 1759 mit Standort des ersten Schulhauses.

Die Gemeinderechnungen bilden die einzige Quelle, die uns über die Einrichtung und das Aussehen des alten Schulhauses Aufschluss gibt. Und auch diese Hinweise sind äusserst lückenhaft und lassen sich nicht zu einem Baubeschrieb verdichten: Die erste Erwähnung des Schulhauses fällt ins Jahr 1655. Damals musste Schmied Keller verschiedene Reparaturen ausführen; 1661 fand auch der Baumeister Heinrich Wyder Arbeit im Schulhaus. Zur seIben Zeit gliederte man dem Schulgebäude einen Holzschopf an. Er stand auf einem gemauerten Fundament und war aus Latten aus dem Geren gezimmert. 1678 errichtete man in der Schulstube einen neuen, grünen Kachelofen. Im Jahre 1699 wurde das Schullokal mit neuem Mobiliar versehen: mit Schultischen und Stühlen. Gleichzeitig ersetzte man die blind gewordenen Butzenscheibchen. Die stets anwachsende Schülerzahl nötigte zum Ausbau der Schulstube. So lesen wir in den Gemeinderechnungen, dass man in der oberen Stube des Dorfschulhauses eine neue Wand erstellt, die Stube erweitert und mit einem neuen Fenster und einer neuen Tür versehen habe. Im April 1705 wurde auch die Lehrerwohnung repariert: Neben verschiedenen Neuerungen in der Küche wurde eine Kammer erhöht und getäfert. Trotz stetigem Ausbau erwies sich das Schulhaus als zu klein, um die rund zweihundert Schüler aufzunehmen. 1779 musste ein zweiter Lehrer angestellt werden. Unser Dorf hatte nun zwei Lehrer, aber leider nur eine Schulstube. An einen Schulhausneubau wollte der Stillstand wegen «verdienstloser Zeit» nicht denken. Man einigte sich dann auf folgende Lösung:
«Schulmeister Leuthold unterrichtet die Kinder derjenigen Eltern, die diesseits des Kronenbaches (Unterlauf des Gerbe- oder Töbelibaches) wohnen in zwei Klassen, und zwar die höhere Klasse von 07.00 bis 09.30 Uhr und die untere Klasse von 09.30 bis 12.00 Uhr. Eschmann gibt hingegen von 13.00 bis 15.30 Uhr der untern und von 15.30 bis 18.00 Uhr der oberen Klasse aller derjenigen Schüler den nötigen Unterricht, deren Eltern jenseits des Kronenbaches wohnen.»
Diese Stundenverteilung scheint jedoch vielen Eltern nicht gepasst zu haben. Sie gelangten daher am 6. Oktober 1779 an die Kirchenpflege – welche damals noch die Oberaufsicht über das Gemeindeschulwesen ausübte – und erklärten, «dass ihnen die kleinen Kinder im Weg stehen bei Haus» (Stillstandsprotokoll). Sie baten deshalb die Behörde, man solle doch im Schulhaus eine zweite Schulstube einrichten, damit alle Kinder am Vormittag und am Nachmittag den Schulunterricht geniessen könnten. Der Stillstand prüfte das Gesuch und nahm schon am folgenden Tag einen Augenschein im Schulhaus. Der bauverständige Landrichter Hauser hatte festzustellen, ob das Fundament so viel Tragkraft habe, dass man auf dem oberen Boden durch Herausbrechen einiger Wände eine neue Schulstube einrichten könne. Das Gutachten fiel befriedigend aus, und so beschloss man dann, das Dorfschulhaus aufzustocken. Damit man die Baukosten möglichst tief halten konnte, beschloss der Stillstand, vor allem solche Meister anzustellen, «die mit Not den halben Taglohn verdienen».
Von diesem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgebauten Dorfschulhaus ist eine Ansicht erhalten geblieben. Sie zeigt den Bau von Südosten, also etwa vom heutigen Rosenmattpark her gesehen. Links erkennen wir einen Teil des Schulgartens und des angrenzenden Pfrundareals, rechts ist der damals noch offen dahinfließende Gerbebach sichtbar. Das Schulhaus präsentiert sich als schlichter Holzbau. Die zwei langen, gekoppelten Fensterreihen in der Giebelfront des Hauses erhellten wohl die beiden Schulstuben. Das obere Stockwerk kragte auf der seeseitig orientierten Längsfassade über das Untergeschoss vor und wurde von drei Holzpfeilern getragen. Auf diese Weise entstand eine Laube, welche den Eingang gegen den Regen abschirmte. Eine Holztreppe führte zur erhöht gelegenen Türe. Durch die Pforte am Fuss der Treppe gelangte man in den Keller, welcher dem Schulmeister laut Besoldungsvertrag zu Nutzen zustand. Auf der Nordwestseite des Schulhauses war ein Holzschopf angebaut, welcher Brennholz und einige landwirtschaftliche Geräte enthielt.
Das erste Schulhaus unterhalb der Kirche um 1780.

'Bis zum Jahre 1832 lässt sich eine enge Bindung zwischen Schule- und Kirche feststellen. Dies zeigt sich etwa in der Wahl der Schulmeister, welche vom Examinatorenkonvent, dem Vorläufer des Kirchenrates, ernannt wurden. Die Schule lehrte vor allem lesen, schreiben, rechnen und singen. Grundlage all dieser Fächer war jedoch der Religionsunterricht. Das belegt schon ein Blick auf die Lehrmittel. Da stand seit 1639 an überragender Stelle der Katechismus von Markus Bäumler und seine Kleinausgaben, der «Lehrmeister» und die «Fragstücklein», das Psalmenbuch; später kamen dazu das «Schul- und Hausbüchlein» von Felix Waser, das «Gebetbüchlein» von Felix Wyß, die «Hüberischen Historien», biblische Historien aus dem Alten und Neuen Testament und natürlich das Neue Testament selbst. Mit diesen Lehrmitteln wurde lesen gelernt, aus ihnen wurde auswendig gelernt; selbst die Vorlagen für den Schreibunterricht enthielten Stellen aus der Bibel. Das Singen war alleinig auf Psalmen und Kirchenlieder ausgerichtet.
Diente auch die Schule den Zwecken der Kirche, so kann doch nicht geleugnet werden, dass sie aus diesem Verhältnis Nutzen zog. Gewiss gab es Zeiten, in denen das Schulwesen von der Kirche im allgemeinen keine 'Förderung erfuhr; das waren die Epochen, die auch eine Erstarrung und Verknöcherung des kirchlichen Lebens aufwiesen, Wenn aber ein freierer Geist die Kirche und ihre Träger beseelte, bekam die Schule den frischeren Zug ebenfalls zu spüren. Dies zeigte sich namentlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die Ideen der Aufklärung auch in Zürich Eingang fanden. So schufen beispielsweise Antistes Ulrich und seine Gesinnungsfreunde eine «Erneuerte Schul- und Lehrordnung für die Schulen der Landschaft Zürich», die am 26. Oktober 1778 von Bürgermeister und Rat genehmigt wurde und auch für die Gemeinde Wädenswil Gültigkeit hatte. Einige Artikel mögen zeigen, was und wie damals in unserer Schule unterrichtet worden ist:
Der Schulmeister soll einen vernünftigen Unterschied machen zwischen denen, welche in den Anfängen des Betens und Lesens begriffen sind und denen, welche mittelmäßig oder gut lesen. Die Kinder sollen Geschriebenes erst lesen lernen, wenn sie Gedrucktes lesen gelernt haben. Am Vormittag sollen sie im Lesen von Gedrucktem, am Nachmittag dagegen im Lesen von Geschriebenem geübt werden. Jedes Kind, das schreibt, erhält einen «Zeddel» und ein «Zeddelbüchlein». Der Schulmeister soll ihm die Hand fleissig führen und alle Tage die Schriften beschauen und alle Monate neue Zeddel vorschreiben. In der Schule soll der Schulmeister ein Kind halten wie das' andere. Der Schulmeister soll die Kinder in die Kirche führen. Alle Sonntage und Dienstage soll er sie vor und nach der Predigt in der Schule versammeln und sie nach dem Gottesdienst über die Predigt des Herrn Pfarrer abfragen ...
Die Stillstandsprotokolle zeigen, dass es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts um die Wädenswiler Schule zum «grösstenteil nicht zum besten bestellt» war. Der Pfarrer war überbeansprucht und konnte der Kontrolle des Unterrichtes nicht die genügende Aufmerksamkeit schenken. Der Geistliche wünschte daher von den Stillständern, sie sollten «künftig geflissentlich Schulbesuche machen». Dieser Vorschlag wurde «einmütig applaudiert». Am 26. Mai 1778 hielt man in Wädenswil im Beisein des Stillstandes das erste Schulexamen. Von sechs bis zwölf Uhr vormittags wurden 197 Knaben «verhört», am Nachmittag von 13 bis 18 Uhr 172 Töchter. Drei Tage später wurden auch die 84 Schüler im Mittleren Berg, die 95 Kinder im Hinteren Berg und die 50 Schüler im Ort geprüft.
Und noch eine ergötzende Notiz kann den Stillstandsprotokollen entnommen werden: Am 4. August 1782 suchte Schulmeister Eschmann für sich und seinen Kollegen Leuthold um Verlängerung der Ferien nach, worauf ihm aber der Pfarrer «aus vielen guten Gründen abschlägige Antwort» gab. Der Landvogt war anfänglich geneigt, das Feriengesuch zu bewilligen. Als sich dann aber herausstellte, dass die beiden Schulmeister den Unterricht «eigenmächtig bereits auf vierzehn Tage eingestellt» hatten, mit der Begründung, «dass sie dem Stillstand in Corpore nichts nachfragen und weder den Landvogt noch den Pfarrer als Richter und Befehlshaber anerkennen», verfügte der Landvogt nur acht Tage Ferien. Dieser Beschluss wurde dem Schulmeister Leuthold durch den Weibel «in Gemeindefarb» überbracht. Der Weibel erhielt vom Schulmeister zur Antwort: «Dies wird sich schon geben!» Und siehe da, die Repetier- und Singschule wurde eigenmächtig für vierzehn Tage eingestellt, was «dann neben vielem anderem Grund genug war, dass denen frechen Stölzlingen Montags darauf in dem Schloss der Kopf tüchtig gewaschen wurde!»
Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwies sich das Wädenswiler Schulhaus, das jetzt über zwei Schulstuben verfügte, erneut als zu klein.1815 erteilte daher der Erziehungsrat der Schulpflege den Auftrag, ein neues Schulhaus zu bauen, das den Bedürfnissen der Zeit und den Wünschen der Eltern angemessen sei. Es wurden in der Folge Projekte ausgearbeitet, die jedoch noch nicht spruchreif waren; die Gemeindeversammlung, welche über den Neubau hätte Beschluss fassen sollen, endete mit Tumult. Die Hunger- und Teuerungsjahre 1816/17 drängten das Bauvorhaben der Wädenswiler stark in den Hintergrund. Erst 1819 befasste man sich wieder mit der Frage des Schulhausneubaus. Man einigte sich dann auf folgende Lösung: Das alte Schulhaus wird niedergerissen, und an seiner Stelle wird ein grösserer dreistöckiger Bau errichtet. So geschah es.
Mitte Mai wurde das alte Dorfschulhaus niedergerissen; am 24. Mai begann man, das Fundament für den Neubau auszuheben. Die Bürger halfen durch Fronarbeit wacker am Bau mit, wodurch sich die Kosten erheblich verringerten. Zur Finanzierung der Baute wurde eine Vermögenssteuer von 2 Prozent erhoben, ausserdem mussten für jede heizbare Stube fünf Gulden entrichtet werden. Im Jahre 1820 konnte das neue Schulhaus, welches drei Klassenzimmer und zwei Lehrerwohnungen enthielt, bezogen werden. Gleichzeitig trat auch eine neue Schulordnung in Kraft, welche die Organisation der Schule, die Lehrziele der einzelnen Klassen und die Besoldung der Lehrer regelte. Diese Ordnung ist von J. H. Kägi in seiner «Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1867, voll umfänglich abgedruckt worden.
Man scheint im Jahre 1820 sehr kurzsichtig gebaut zu haben. Schon neun Jahre später musste man wieder nach neuen Schulräumen Umschau halten. Als Notbehelf konnte im Armenhaus eine Schulstube eingerichtet werden. 1834 entschlossen sich dann die liberal und schulfreundlich denkenden Bürger unserer Gemeinde zum Bau des heutigen «alten» Eidmattschulhauses, welches im November 1835 eingeweiht wurde. Das 1819/20 errichtete Schulhaus aber wurde am 1. Februar 1836 auf offener Gant für 7300 Gulden an einen Privaten verkauft (Grundprotokoll, 1836, S. 28).

Das Schulhaus vor dem Abbruch. Zeichnung von Gottlob Werner.




Peter Ziegler