Der Auwald

Quelle: Die Au gestern - heute, 1984 von Peter Ziegler
Auhügel mit Eichenwald und Rebbergen. Ausschnitt aus dem Zehntenplan IV von Rudolf Diezinger, 1830.

Noch der Wädenswiler Zehntenplan des Geometers Rudolf Diezinger aus dem Jahre 1830 zeigt den Auhügel zum grössten Teil mit Wald bedeckt. Das Auholz, ein stämmiger Eichenwald, zog sich einst über hundert Jucharten gross aus dem Gelände nach der Höhe des Hügels. Sorgsam wurde der Holzreichtum von den Besitzern gehütet. Schon im ältesten Hofrodel der Herrschaft Wädenswil, datiert vom 28. Februar 1409, wurde den Leuten im Gebiet der Johanniterkomturei Wädenswil, im Auwald, welcher damals Besitz der Johanniter war, Holz zu schlagen. Ähnliche Bestimmungen musste 1484 der Lehenmann Hans in der Au eingehen, als er aus den Händen des Johanniterkomturs Rudolf von Werdenberg die Güter in der Unteren Au zu Erblehen empfing. Man überband dem Lehenmann die Pflicht, das Holz in der Au getreu zu hüten, damit niemand darin frevle und Schaden anrichte. Sämtliche Vergehen sollten dem Grundherrn gemeldet werden. Als Entgelt für die Aufsicht durfte der Lehenmann im Auwald Fallholz zu seinem Gebrauch sammeln und so viel grünes Holz fällen, als er zur Umzäunung des Gutes benötigte. Dagegen war ihm untersagt, Holz zu verkaufen. Bei jeder Erneuerung des Lehens musste der neue Inhaber geloben, das Auholz «getreulich zu gaumen».
Im Jahre 1550 ging die Johanniterherrschaft Wädenswil durch Kauf an die Stadt Zürich über. Zürich erhielt damit auch die au, und der grosse Auwald wurde nun zürcherischer Staatswald. 1584 war der Auwald «nur ein Laubholz». Würde man 1500 Eichen stehen lassen und den Rest fällen, so wurde damals vermerkt, ergäbe es «in die 15 000 Klaffter schyter».
Der Staatswald auf der Halbinsel Au lieferte der Zürcher Regierung während Jahrhunderten vorzügliches Eichenholz für allerhand Bauwerke in der Stadt Zürich und in der Landvogtei Wädenswil. Schon in den 1550er Jahren wurden hier Bäume gefällt für den Bau des neuen Landvogteischlosses Wädenswil. Man schlug hier aber auch Eichen für einzelne Schiffe der Zürichseeflotte, für Hochwachtstuden und für Palisaden und Festungswerke, für Trottbäume in die Wädenswiler Zehntentrotte und für Reparatur der Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser n der Umgebung.
Noch 1705 umfasste der Staatswald auf der Halbinsel Au hundert Jucharten. In den folgenden Jahren aber wurde der Bestand stark dezimiert. 1725 mussten, um den Eichenholzbedarf der Stadt Zürich zu decken, 15 Jucharten Holz in der Au geopfert werden. 1725/26 führte der Obervogt von Horgen Dutzende von Fuhren für den Bau der neuen Horgener Stust- und Hafenanlage weg, und 1740 liess die Familie Bräm Eichen für einen neuen Stall schlagen. 1785 wurden 19 Jucharten fast vollständig ausgeholzt, fällte man doch 678 Eichen für Palisaden an der neuen Schifflände in Zürich. 1786 bis 1788 schlug man auf dem Auhügel weitere 17 Jucharten Holz. Der Inselwald hatte damit noch ein Ausmass von rund 75 Jucharten. Nun setzte in der obrigkeitlichen Waldung auf der Au die künstliche Nachzucht ein. 1790 besäte man 23 Jucharten mit Föhren- und Lärchensamen, dazu pflanzte man Eichensetzlinge.
Seit dem 16. Jahrhundert rissen die Klagen über Frevel im Auwald nie ab. Zu den unverbesserlichen Holzdieben gehörte der Horgener Hans Baumann, welcher anfangs 1652 aufgegriffen und bestraft wurde. Nicht weniger als 29 junge Eichen hatte er auf dem Gewissen. Dafür verschrieben ihm die Richter zwei Monate Haft im Zürcher Oetenbach. Dem Landvogt aber und den Förstern wurde aufgetragen, noch fleissigere Aufsicht über die Hölzer zu halten.
Allein, es währte nicht lange, so wurden neue Klagen über Waldfrevel laut. 1686 beauftragte der Zürcher Rat den Wädenswiler Landvogt Schwerzenbach, eine Reihe von Holzdieben mit Busse zu belegen. Samuel Wild, der sich weigerte, das Geld zu geben, büsste im Gefängnis im Oetenbach. Anfangs 1708 brachte man wieder zwei Frevler, Jakob Wieland von Thalwil und seinen Tochtermann, nach Zürich. Nach ihrer Freilassung mussten die beiden Schelme alle Kosten begleichen. Und am folgenden Sonntag hatten sie überdies nach dem Gottesdienst an die Kirchentüren des Fraumünsters zu stehen, jeder mit einem Eichenbäumchen auf der Achsel. Die Kirchgänger massen sie dort mit verächtlichen Blicken, Gott dankend, dass sie besser waren.
Aber auch solche exemplarische Bestrafung der Frevler hielt andere nicht davon ab, dem Auwald unberufene Besuche zu machen. Da es bisher an der richtigen Aufsicht gefehlt hatte, beschloss der Rat am 29. Mail 1713, für das Auholz einen eigenen Bannwart anzustellen. Und durch ein Mandat wurde in allen Gemeinden am See in Erinnerung gerufen, dass Frevel im Auwald bei Strafe am Leib und Gut verboten seien.
Im Jahre 1821 unterbreitetet ein Mitglied der Domänen-Verwaltung der Finanzkommission den Vorschlag, etwa 25 bis 30 Jucharten mit kleinen Eichen, Buchen und mit Gestrüpp bewachsenes Land am Südhang der Halbinsel Au roden zu lassen und dieses Gebiet in einen Weinberg umzuwandeln. Die Behörden waren dem Plan der Umwandlung von Waldboden in Rebland günstig gesinnt, und bald erfolgten Rodungen. Bis 1823 waren sieben Jucharten geschlagen. 1824 opferte man dem Rebbau nochmals 8 ½ Jucharten Wald.
Die 1830 eingesetzte radikal gesinnte Zürcher Regierung war bestrebt, Staatsdomänen abzubauen. Sie schrieb auch die Halbinsel Au samt den 46 Jucharten grossen Wald und dem Rebberg zum Kauf aus. Umsonst wurde der Regierung nahegelegt, den prächtigen Eichenwald nicht zu veräussern: am 23. Juni 1835 ging das Gut auf der zweiten Gant an Konrad Stünzi von Horgen über, welcher noch im selben Jahr einen Heinrich Leuthold von Oberrieden als Teilhaber aufnahm. Die beiden neuen Besitzer der Au begannen sogleich mit dem Fällen der alten Eichen und leiteten so einen schwungvollen und gewinnbringenden Handel in die Wege. Der Eichenwald wurde bis auf einen kläglichen Stummel gerodet. Mit Bedauern stellte ein Zeitgenosse, der Historiker Gerold Meyer von Knonau, im Jahre 1846 fest, die schöne Halbinsel Au sei dadurch «in einen geschorenen Pudel» verwandelt worden.
 




Peter Ziegler