Sturm «Lothar» in den Wädenswiler Wäldern

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2000 von Kurt Pfeiffer

Um die Mittagszeit des Stefanstags 1999 fegte ein aussergewöhnlich starker Westwindsturm über Teile des Mittellandes und der nördlichen Voralpen und Alpen. Es wurden Böenspitzen von über 200 km/h bei mittleren Windgeschwindigkeiten von 50 bis 80 km/h gemessen! Ab Böenspitzen von 100 krn/h ist mit einzelnen Gebäude- und Baumschäden zu rechnen, bei Windgeschwindigkeiten von über 120 km/h halten auch gut verankerte Bäume den Naturgewalten nicht mehr Stand.
Laut Zeitungsberichten stand die Feuerwehr Wädenswil in pausenlosem Einsatz und entfernte 45 Bäume, welche auf Strassen, Autos, Häusern, Freileitungen und auf der SOB-Linie lagen. Radio Zürichsee blieb mehrere Stunden stumm. Viele dieser Schäden sind durch Versicherungsleistungen abgedeckt, nicht so die Waldschäden, welche nicht versicherbar sind.
Gesamtschweizerisch geht man von einer Sturmholzmenge von 12 Millionen Kubikmetern aus, was fast einer Normalnutzung von drei Jahren entspricht. Im Kanton Zürich wird die Schadenmenge auf 1,2 Millionen Kubikmeter geschätzt. Für den Bezirk Horgen lauten die Förstermeldungen auf 30‘000 Kubikmeter, die Hälfte davon im Revier Richterswil − Hütten − Schönenberg − Wädenswil. Revierförster Georg Kunz schätzt die Sturmschäden in Wädenswil − ohne 23 Hektaren Staatswald − auf rund 3000 Kubikmeter. Wie bedeutsam ist dies für Wädenswil? Hier stocken 115 Hektaren vorwiegend Privat- und etwas Gemeindewald. In normalen Jahren beträgt die genutzte Holzmenge 500 bis 700 Kubikmeter oder vier bis sechs Kubikmeter pro Hektare.
Seit dem Sturm «Vivian» vom 27./28. Februar 1990 wurden die Wädenswiler Waldungen durch sechs Naturereignisse geschüttelt!
Sturm «Lothar» war wohl der heftigste Sturm, der in Wädenswil weithin sichtbare Narben hinterliess; er war aber hier kein Ausnahme-Ereignis. Als Gründe für die ausserordentliche Anfälligkeit der hiesigen Waldungen werden vermutet: Hagelzüge, Föhneinfluss, kleine Wälder mit aufgerissenen Beständen und der grosse Anteil an sturmgefährdeten Rottannen (Fichten).
Holz liegen lassen oder aufrüsten? Ob dieser Frage entbrannten sofort hitzige Diskussionen. In Wädenswil lag das Bruchholz meist auf den Wiesen oder über den Wegen, was die Aufrüstung nahe legte. Gegenüber früher blieb viel mehr Stamm- und Astmaterial liegen. Sturmholzerei ist keine Tätigkeit für Hobby-Holzer! Diese gefährliche Arbeit übernahmen Forstunternehmer mit Grossmaschinen sowie einige gut ausgerüstete Landwirte mit langjähriger Walderfahrung.
Schwere Unfälle blieben glücklicherweise aus. Für das Aufräumen der Schlagabfälle kamen im Mai 2000 unter Anderem rund 60 örtliche Zivilschutz-Angehörige zum Einsatz. Diese verrichteten ausgezeichnete Arbeit in den stark betroffenen Kleinwäldern Geren, Widen, Rötiboden, Langrüti, Rinder- und Grossholz.
Erbärmlicher Anblick des Widenholzes.

Gesperrte Strasse beim Widenholz.

Zerzaustes Widenholz.

Die Feuerwehr räumt die Schöneggstrasse frei.


Enttäuscht sind viele Waldbesitzer von der kurz nach dem Sturm angekündigten raschen und unbürokratischen Hilfe der Öffentlichkeit. Bis Jahresmitte ist praktisch nichts passiert, sieht man von der Riesenarbeit ab, welche die Revierförster geleistet haben. Von den Bundes- und Kantonsbeiträgen werden nur jene Waldeigentümer mit Flächenschäden voll über 25 Aren profitieren. Generell soll wo immer möglich der Naturverjüngung der Vorrang gegeben werden. Angestrebt werden naturnähere, stufige und damit stabilere Bestockungen. Keine Mittel sind für die Pflanzung der sturmanfälligen Rottanne vorgesehen.
Die Erfahrungen aus dem Sturm «Vivian» lehren uns, dass mit beträchtlichen Folgeschäden durch Wind, Schnee und Käfer gerechnet werden muss. Im Falle «Vivian» erreichten diese die Grössenordnung von 50 bis 100 Prozent des ursprünglichen Schadens. Es bedarf schon einer gehörigen Portion Optimismus seitens der privaten Waldbesitzer, um weiterhin ihren Wald zu bewirtschaften.
 




Kurt Pfeiffer,
Kreisforstmeister, Au