Der Brunnenhof erwacht aus seinem Dornröschenschlaf

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2015 von Mariska Beirne
 

Die Familie Wehrli-Tänner und Mahler-Wick auf der Freitreppe vor dem Haus Brunnenhof.

Seit kurzem weht ein frischer Wind durch den Brunnenhof in der Au und das Haus ist mit neuem Leben erfüllt: Fünf Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren springen über die knarrenden Dielenböden und entdecken Haus und Garten: die grossen alten Tannen, die Wiese zum Fussballspielen oder die gewölbten Keller mit einem Weinfass, in das man hineinkriechen kann. Zwei Familien haben 2014 den zweiteiligen Hof gekauft: Barbara und Samuel Wehrli-Tännler das gegen Südosten ausgerichtete Haupthaus, Nicole und Lukas Mahler-Wick den rückseitigen Anbau. Während einem Dreivierteljahr sah man vor dem Brunnenhof fast täglich Fahrräder der beiden Familien sowie zahlreiche Handwerkerfahrzeuge stehen. Mulde um Mulde wurde draussen gefüllt, während im Inneren Wände niedergerissen, Küchen und Bäder ersetzt, Leitungen verlegt, Wände gestrichen und tapeziert wurden; vieles davon eigenhändig von den neuen Besitzern. «Wir hatten damit gerechnet, dass es beim Umbau eines solch alten Hauses die eine oder andere Überraschung geben könnte», meint Barbara Wehrli und erzählt: «Zum Glück hielt sich das aber in Grenzen. Positiv überrascht wurden wir beim Boden im Wohnzimmer, dort kam ein Fischgratparkett aus Kirsche und Eiche zum Vorschein.» Im Elternschlafzimmer fanden sie unter dem Teppich einen hölzernen Dielenboden aus rötlich schimmerndem Holz - eine Kanadische Douglasie, wurde ihnen beschieden. Weil in der einen Ecke des Zimmers ein kleiner Treppenaufgang verschlossen worden war, fehlte dort nun ein Stück des Bodens. Samuel und Barbara Wehrli bestellten Ersatzdielen in Kanadischer Douglasie. «Die neuen Dielen passten wunderbar – allerdings nur solange bis wir den ganzen Boden schleifen liessen – dann wurde aus der vermeintlichen Kanadischen Douglasie eine ganz normale, gelbliche einheimische Fichte, ganz im Gegensatz zur richtigen rötlichen Kanadischen Douglasie in der Ecke», lacht Barbara Wehrli. Solche Überraschungen erlebten die Mahlers nicht, aber mit der Geschichte des Hauses kamen auch sie in Berührung: «Wir fanden hinter dem Täfer einen „Anzeiger vom Zürichsee“ vom 15. Mai 1869, hinter der Heizung einen silbernen Ohrring mit eingelegtem Stein und in der Küche eine Postkarte von 1940. Adressatin der Karte war die Haushälterin der Familie Huber, die vorher hier gewohnt hatte und geschrieben worden war die Karte von einem Bekannten», erzählt Nicole Mahler.
 

Eine kleine sprachliche Irreführung

Genauere historische Kenntnisse zum Haus, das nun ihr Heim werden würde, hatte beim Einzug keine der beiden Familien. Warum heisst das Gebäude Brunnenhof? Und wann war es gebaut worden? Hat der Name mit dem kleinen Brunnen zu tun, der rechts der einläufigen Freitreppe an der Hauptfassade steht? Wohl kaum, denn dieser ist mit der Jahreszahl 1956 versehen, während das Haus älter sein muss, denn im Schlussstein des vordersten der drei grossen Kellertore steht die Jahreszahl 1837, und im Türsturz des Nebengebäudes findet man die Jahreszahl 1755 sowie die Initialen HH und IBH. HH könnte für Hans Heinrich Hottinger1 oder einen seiner Nachfahren stehen, in deren Besitz der Hof von spätestens 1694 an war. Die Jahreszahlen in den Türstürzen stehen aber nicht etwa für die Gründung des Hofes, sondern für zahlreiche bauliche Veränderungen zwischen 1694 und 1867, als die bestehenden Bauten kontinuierlich durch modernere ersetzt wurden. Doch wie alt ist der Brunnenhof nun wirklich? Gemäss den Nachforschungen Peter Zieglers ist der Brunnenhof eine der wenigen Liegenschaften im Gebiet Au, dessen Geschichte sich lückenlos bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt. Zum ersten Mal erwähnt wurde der Brunnenhof in einem Rodel der Fraumünsterabtei Zürich aus dem Jahr 1256, als H. Fuscus und seine Frau ihr vom Fraumünster empfangenes Zinsgut in «Ophangesowa» aufgaben und die Abtei die Besitzungen fortan den Brüdern des Leutpriesters Rudolf von Wädenswil, Ulrich, Heinrich und Walter, zu einem jährlichen Zins verlieh. Mit «Ophangesowa» wurde damals das Gebiet bezeichnet, auf dem der Hofkomplex liegt. Zu deuten ist der Name als «Aue» für «owa», also Land am Wasser, das wohl einem «Ophango» gehörte. Der Flurname veränderte sich später zu «Opfensowe» und schliesslich zum heutigen «Opfisau». Der Name Brunnenhof kommt erstmals in einer Quelle von 1342 vor: Damals musste Johannes Scherer, wohl aus wirtschaftlicher Not, vom Kloster Oetenbach in Zürich eine Hypothek auf seinen Lehensgütern des Fraumünsters «die man nennet des Brunen Guot ze Opfensowe» aufnehmen.
Er verpflichtete sich damit, den Dominikanerinnen von Oetenbach jährlich zwei Mütt Kernen2 abzuliefern und im folgenden Jahr erhöhte er die Hypothek gleich noch um ein weiteres Mütt.

Die Bezeichnung «des Brunen Guot» liefert ganz unauffällig die Lösung zur Herkunft des Namens «Brunnenhof». Er impliziert, dass der Hof einst einer Familie Brun gehörte. Aus dem Brunen Guot wurde der Brunen Hof und von hier ist es nicht mehr weit zu dem kleinen sprachlichen Missverständnis, das aus dem Hof des Brun einen Hof mit Brunnen machte. Über die Jahrhunderte hinweg wurde der Hof jedoch eher mit «Opfensowe» in variablen Schreibweisen bezeichnet. Zum letzten Mal erschien die Bezeichnung «Opfinsau» auf der Wädenswiler Quartierkarte von Johann Felix Vogler aus dem Jahre 1748. Erst danach begann sich der Name Brunnenhof durchzusetzen.3

"Opfinsauw" auf der Zürcher Kantonskarte von Hans Conrad Gyger, 1667.

Von armen zu wohlhabenden Bauern

Doch zurück ins 14. Jahrhundert: Nach Johannes Scherer lassen sich 1378 Ruedi Rebmann und seine zwei Söhne nachweisen, die dem kapitalkräftigen Ulrich Minner von Wädenswil zwei Mütt Kernengeld jährlich zahlen mussten. Nicht besser ging es den Erblehenbauern Heini Keller und Ullmann Tollinger, die neu ihren jährlichen Zins dem Johanniterorden in Wädenswil schuldeten. Zusätzlich hatten sie den Johannitern eine respektable Menge von Zürichsee-Fischen abzuliefern, dafür durften sie in den zum Hof gehörenden Wäldern Holz zum Eigenbedarf schlagen. Um 1530 hiess der Pächter des Hofes zu Opfisau Hans Bachmann und 1634 sind die Familien Rudolf Hottinger-Baumann und Rudolf Haab-Schäppi nachgewiesen.4 Ein Nachfahre Rudolf Hottinger-Baumanns war der bereits erwähnte Hans Heinrich Hottinger, der 1694 im Zusammenhang mit der Erbauszahlung seiner Schwester in den Quellen erscheint. Aus dem Grundbucheintrag geht hervor, dass Hottinger seine Schwester Anna in mehreren Raten mit 1500 Gulden aus dem väterlichen Erbe auszahlen musste. Als Sicherheit diente das Haus Hottingers, der Brunnenhof, der in der Quelle detailliert beschrieben wird: «Ein Haus, eine Trotte, ein Schopf und Schweinestall und eine Scheune. Zudem Garten, Hanfland5, Matten6 und Weide sowie ungefähr 2 Jucharten7 Reben an 4 Stellen, an- und beieinander gelegen, genannt zu Opfisau. (...)».8 Spätestens am Ende des 17. Jahrhunderts war der Brunnenhof also bereits ein Gutsbetrieb, der aus mehreren Gebäuden bestand.
 

Der Brunnenhof in der noch wenig überbauten Au, um 1960.

Ein separates Trotthaus und elektrische Beleuchtung

1808 beschloss der Zürcher Rat ein Gesetz betreffend «Feuer-Assecuranz» für alle Gebäude des Kantons Zürich. Diese Gebäudeversicherung nahm 1812 mit Schätzungen ihre Arbeit auf: Jedes Haus erhielt eine Brandassekuranznummer, es wurde notiert, ob es gemauert, aus Holz oder mit Riegelbauweise gebaut und womit das Dach bedeckt war. Aus diesen Büchern geht hervor, dass der Brunnenhof im Jahr 1813 den Erben von Rudolf Brändli gehörte. Versichert waren ein Wohn- und Trotthaus unter demselben Dach, ein Trottwerk, ein Waschhaus mit Keller, eine gemauerte Scheune und eine Scheune aus Holz. 1832 erscheint als Eigentümer Schulpfleger Rudolf Brändli. 1843 bleibt der Name Rudolf Brändli, doch als Schulpfleger wird er nicht mehr bezeichnet. Neu wird zum Wohn- und Trotthaus ein gewölbter Keller versichert, ebenso eine Birnenmühle und allerlei Trottgerät. 1855, das Haus ist noch immer im Besitz von Rudolf Brändli, baute dieser seine hölzerne Scheune in ein Trotthaus um und versetzte das Trottgerät vom Wohnhaus hierher. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Trotte, Scheune und Waschhaus wohl verkauft, denn 1895 wird unter der Besitzerin Emma Meier, geb. Brändli, nur noch das Wohnhaus mit gewölbtem Keller und einem neuen Zinnenanbau aufgeführt. Ebenso gibt Emma Meier ein Torfhäuschen an, in dem gestochener Torf als Brennmaterial gelagert wurde.

Brunnenhof von Westen.

Brunnenhof von Süden.

Dieses sei bisher nicht versichert gewesen. Nur fünf Jahre später, 1900, meldet sie das Häuschen als abgebrochen. Spätestens ab 1906 ist der Brunnenhof in Händen von Johannes Huber-Vogt, der 1908 in der Gebäudeversicherung erscheint, als das Haus durch den Einbau von elektrischer Beleuchtung an Wert gewinnt.9 Ab 1922 gehörte der Hof Ernst Huber, dessen Erbengemeinschaft den heute mindestens 759-jährigen Brunnhof an die neuen Besitzer, die Familien Wehrli und Mahler, verkaufte. Nachdem ein grosser Teil des Hauses im letzten Jahrzehnt mit verschlossenen Fensterläden als verwaist erschien, weil nur ein kleiner Teil bewohnt wurde, ist der Brunnenhof nun zu neuem Leben erwacht. Alles Gute den beiden Familien in den geschichtsträchtigen Gemäuern!
 

Ostfassade mit markanten Kellertoren.




Mariska Beirne



Anhang

1 In den Quellen erscheint er mit nur einem T: Hotinger. Ich verwende hier die heutige Schreibweise mit Doppel-T: Hottinger.
2 Ein Mütt entspricht 54 kg.
3 Die Geschichte des Brunnenhofes lehnt sich eng (stellenweise fast wörtlich zitiert) an zwei Beiträge Peter Zieglers an. Vgl. Ziegler, Peter: Geschichte der Au, Wädenswil 1966, S. 12–14 und Zieger, Peter: Wädenswil, Bd. 1, Wädenswil 1970, S. 67.
4 Ebd.
5 Der Hanf wurde für die Gewebeproduktion angepflanzt, vgl. Schweizerisches Idiotikon, Bd. II, Spalte 1437f und Bd. III, Spalte 1301f.
6 Wiesen, die im Gegensatz zur Weide für die Heuproduktion gemäht werden, vgl. Schweizerisches Idiotikon, Bd. IV, Spalte 71.
7 Ehemals wichtigstes Flächenmass für Äcker in der Schweiz. Es handelt sich um ein Schätzmass, das einem Tagewerk des Pflügers entspricht und je nach Gelände variiert. 1838 wurde die Juchart in der Deutschschweiz auf 36 a vereinheitlicht, 1877 im metrischen System durch die Are ersetzt, vgl. HLS online, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D14192.php.
8 StAZH, B XI, Wädenswil 4, Grundprotokoll Bd. 4, 1694, S. 344a.
9 StAZH, RR I 260, Nrn. 542 A-D, 1662, 1663.