Reformierte Kirche Wädenswil

Quelle: Zürcher Denkmalpflege, 3. Bericht 1962/63 von Walter Drack und Peter Ziegler

Archäologische Untersuchungen

Im Jahre 1962 wurden die Aussenmauern der nach Ideen von Johann Jakob Haltiner zwischen 1764 und 1767 von Hans Ulrich Grubenmann erbauten Kirche Wädenswil entfeuchtet und deren nächste Umgebung den modernen Verhältnissen angepasst. Diese Bauarbeiten wurden auf Veranlassung des damals noch in Wädenswil wohnhaften Peter Ziegler, heute Sekundarlehrer in Winterthur, dazu benützt, um an einigen Stellen archäologische Untersuchungen durchzuführen und damit zumindest einige neue Anhaltspunkte betreffend die einst an derselben Stelle errichtete ältere Kirche (oder Kirchen?) zu gewinnen.

1. Was man vor den Untersuchungen von 1962 wusste

In der handgeschriebenen Chronik des Kirchenneubaues von 1764/67, welche Rudolf Diezinger 1833 auf Grund zeitgenössischer Notizen zusammengestellt hat, wird berichtet, man sei 1764 beim Abbruch der alten Kirche und beim Aushub der Fundamente für den heutigen Bau auf altes Mauerwerk gestossen und man habe daraus den Schluss gezogen, dass die Kirche «zuerst nur eine Capelle gewesen, hernach aber zweymal erweitert worden seye». Nach Diezinger hatte man also schon 1764 drei ältere Bauetappen unterschieden, wovon die letzte in die Jahre 1637/38 fiel. Dabei blieb es bis 1962. Denn als 1888 im Nordwestteil der Kirche die Heizung eingebaut wurde, fand man bloss eine Menge feinkörnigen, mit Lehm, Mergel und Glimmer durchsetzten Sand, aber kein älteres Mauerwerk, und bei der Innenrenovation von 1950/51 unterliess man es, den Baugrund zu untersuchen. Einzig den Beobachtungen von Kirchenpfleger Eduard Kuhn verdanken wir die Kenntnis, dass die Mauern der heutigen Kirche aus «Bächer-, Buchberger- und Bollingersandstein sowie aus Bollensteinen» bestehen. Quadersteine seien nur selten verwendet worden, dagegen habe er, Kuhn, da und dort Masswerkstücke, Gewölberippen und Fenstergewändeteile bemerkt. Ausserdem seien die Arbeiter nach Entfernen des Bretterbodens auf «einige kümmerliche Mauerreste» und hin und wieder auf «Totengebeine», das heisst alte Gräber oder Grabreste, gestossen.

2. Die Untersuchungen von 1962

Mit Rücksicht auf die eigentlichen Bauarbeiten mussten zwei Ausgrabungskampagnen durchgeführt werden, die eine im August, die andere im Oktober 1962. Beide Male stellte sich freundlicherweise Peter Ziegler als örtlicher Leiter zur Verfügung. Die Arbeiten beschränkten sich auf die Untersuchungder nordöstlichen Langseite, der südöstlichen Breitseite, auf die südöstlich des Turmes gelegene nächste Umgebung der Kirche sowie auf die südöstlich des Pfarrhauses geöffneten Baugräben. Die Ergebnisse sind zwar nicht sehr erfolgreich, aber im Hinblick auf die greifbaren Möglichkeiten doch irgendwie befriedigend.

a) Funde aus römischer Zeit

Römerfunde sind bis heute am linken Zürichseeufer ziemlich selten. Wir kennen einstweilen bloss zwei Münzen aus Horgen und die Merkurstatuette aus Thalwil, die zudem neuerdings, da selbst allgemeinere Fundortsangaben fehlen, als neuzeitliches Importstück eines Sammlers angesehen wird. Um so mehr überraschte es, als Peter Ziegler eines Tages in nächster Nähe der Südostecke der Kirche drei römische Keramikscherben, zwei davon Fragmente von verzierten Terra sigillata-Schüsseln Dragendorff 37, entdeckte! Sie können in die Zeit um 100 n.Chr. datiert werden und beweisen, dass am Standort der heutigen Kirche oder in nicht allzu grosser Entfernung ein römisches Wohnhaus gestanden haben dürfte. Dass die beiden Terra sigillata-Scherben nicht zufällig in diese Gegend gelangten, bezeugen zwei römische Leistenziegelfragmente, die weiter westlich zum Vorschein kamen.

b) Funde aus dem Frühmittelalter

In diesem Zusammenhang wollen wir gleich auch noch einen winzigen, heute leider nicht mehr vorhandenen Fund erwähnen: drei Tonperlen von einem Collier. Man hatte diese Tonperlen im Dezember 1890 «in der Nähe des Kirchhügels » entdeckt und dem Schweizerischen Landesmuseum abgeliefert, wo sie die Inventarnummer 6085 erhielten. Zweifellos handelt es sich hierbei um winzige Teilchen aus einem frühmittelalterlichen Frauengrab, welches noch vor dem 9. Jahrhundert angelegt worden sein dürfte. Höchst wahrscheinlich hatten erste alamannische Siedler in der Gegend des heutigen Kirchhügels einen kleinen Friedhof angelegt.

c) Eine kapellenartige Kleinkirche karolingischer Zeit (?)

Die oben erwähnte Bemerkung Diezingers von 1833, man habe auf Grund der beim Bau der heutigen Kirche entdeckten alten Fundamentreste den Schluss gezogen, es sei vordem da, wo die heutige Kirche steht, eine «Capelle» vorhanden gewesen, hat viel für sich. Höchst wahrscheinlich hatte man innerhalb der Fundamentmauern der damals abgetragenen Kirche weitere Fundamentreste, eben die Mauerzüge einer der abzubrechenden ähnlichen, aber viel kleineren Kirche gefunden. Wir vermuten, man sei auf die Baureste eines spätestens in karolingische Zeit zurückzudatierenden Gotteshauses gestossen. Dies liegt umso näher, als die Grosspfarrei Wädenswil als Überbleibsel einer sogenannten Urpfarrei gelten darf.

d) Eine romanische Kirche

Als nördlich der Ostecke der Kirche die Mauerfundamente freigelegt wurden, stiess man dort auf einen alten Mauerzug. Die sofort eingeleiteten Untersuchungen zeigten, dass es sich um die gerade Ostabschlussmauer einer älteren Kirchenanlage handeln musste. Das Mauerwerk war recht sorgfältig aus Kieselbollen konstruiert und stark gemörtelt, während die Fundamentpartien der heutigen Kirche ziemlich unregelmässig angelegt sind und gegen die Treppe hin eine der oben erwähnten Spolien eines Türgewändes enthalten. Auf der Südwestseite der Kirche konnten wir analog hierzu Teile einer früheren Westmauer gleicher Konstruktionsart wie die eben charakterisierten Fundamentreste sowie ein etwa 2 Meter westlich davon liegendes Fundament einer späteren Westmauer konstatieren. Nach Vorliegen dieser Resultate machte uns Peter Ziegler auf den Zehntenplan des Wädenswiler Pfarrpfrundgutes von 1757 aufmerksam. Es bedurfte keiner grossen geometrischen Umrechnungsarbeit, um herauszufinden, dass sich die angeschnittenen Mauern sehr genau mit den Aussenmauern der alten Kirche decken. Wir hatten also tatsächlich die Fundamente des östlichen geraden Chorabschlusses und die Fundamente der (einer ?) früheren sowie der im Zuge einer Erweiterung aufgeführten späteren (beziehungsweise spätesten?) Westmauer der 1764 abgebrochenen alten Kirche von Wädenswil gefasst. Danach war diese einst 27 × 14 Meter gross. Sie dürfte in gotischer Zeit einen Turm erhalten haben, zudem wurde sie 1637/38 umgebaut, wobei möglicherweise die Westfassade durch Vorverlegung der alten Westmauer neu gestaltet wurde.

Blick der seeseitigen Kirchenwand entlang gegen die Kirchentreppe Nordost. Im Hintergrund Rest. «Sonne». Reinigen der Chormauer der 1766 abgebrochenen Wädenswiler Kirche. Foto Ruedi Ziegler, 8. August 1962.



e) Nebenbauten: Friedhofkapelle mit Beinhaus

Plan der Ausgrabung von 1962. Lage der alten Kirche, Grundriss des Beinhauses.

Südlich der heutigen Kirche konnten die Grundrisse von zwei aneinander und in die Friedhofmauer gebauten Gebäulichkeiten A und B gefasst werden. Der südwestliche Bau A hatte einen rechteckigen Grundriss von 6,5 × 4,5 Meter Grösse. Das Nordmauerfundament reicht unter die Südecke der heutigen Kirche, dasjenige der Westmauer steht mit einer unter der Friedhofmauer von 1637/38 (?), das heisst der heutigen Kirchhofmauer liegenden früheren Friedhofmauer in Verbindung und bildet dort mit dieser das östliche Gewände eines alten Portals (!). Ebenfalls mit dieser alten Friedhofmauer steht in der Südostecke unseres Rechteckraumes die östliche Schmalmauer im Verband. Mehr oder weniger intakt war bei der Freilegung auch der graue Mörtelboden unseres Raumes. Wir haben ihn entlang der Ostmauer aufgespitzt, um die dortigen Bauverhältnisse abklären zu können. Unweit der Südwand, das heisst unweit der hier über die Friedhofmauer hochragenden Südmauer zeichnete sich auf dem Mörtelboden nach dem ersten Putzen eine rechteckige, deutlich unregelmässige Fläche ab. Unseres Erachtens dürfte es sich – analog zu ähnlichen Gegebenheiten – um den Standort eines kleinen Altares handeln. Dies und der Standort unseres Rechteckbaues machen es wahrscheinlich, dass wir hier die Überreste einer nach der Reformation abgetragenen Friedhofkapelle freigelegt hatten. Diese Vermutung wurde fast zur Sicherheit erhärtet, und zwar durch den östlich anschliessenden Bau B mit trapezoidem Grundriss. Auch die Ostmauer dieses kleinen Gebäudes steht mit der alten Friedhofmauer im Verband, und glücklicherweise ist auch hier der Mörtelboden sozusagen noch vollständig erhalten. Er liegt 43 Zentimeter tiefer als der Boden der Friedhofkapelle, und dieser zweite Bau war – eine Sandsteinstufe ist noch erhalten – über eine Treppe erreichbar. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die beiden aneinandergefügten Kleinbauten zusammengehörten und dass sie nur zusammen ein Ganzes gebildet haben können. Die Antwort hierauf geben uns noch vorhandene analoge Kombinationen von kleinem Oberbau und Unterbau in Friedhofanlagen, so die über einem Beinhaus liegende Friedhofkapelle nördlich der Pfarrkirche von Schwyz und die andersgeartete, aber im Grundprinzip gleich aufgebaute Doppelanlage nördlich der Pfarrkirche von Sachseln. Den beiden Beispielen liessen sich ohne weiteres noch mehr anfügen. Dies ist indes nicht nötig, bezeugen allein sie doch schon zur Genüge, dass die Doppelruine südlich der heutigen Kirche von Wädenswil nichts anderes als eine Kombination von Friedhofkapelle und tiefer gelegenem, im Grundriss trapezoidem Beinhaus gewesen sein muss. – Ein Beinhaus wird ja nun auch tatsächlich für Wädenswil 1564 urkundlich erwähnt. Dabei wird bemerkt, dass die «Kilchmatte» an dieses Gebäude stosse. Die «Kilchmatte» aber bedeckte ehedem ungefähr das heutige, an den Kirchhof angrenzende Areal der Eidmatt, wo die beschriebenen Baureste liegen. Im Volksmund ist interessanterweise kaum je die Rede von der Friedhofkapelle, sondern fast ausschliesslich nur vom Beinhaus, gleichgültig ob es sich hierbei um eine Kapelle handle, in welcher für die Gebeine ein Seitenraum reserviert, oder ob das Beinhaus unter oder neben einer Friedhofkapelle erbaut worden war. Nun ist ein Beinhaus für Wädenswil urkundlich nachgewiesen. Es wurde 1564 abgebrochen. Nach dem diesbezüglichen Bericht hatte die «Kilchmatte» an dieses Gebäude gestossen. Diese aber bedeckte ehedem das Areal der heutigen «Eidmatte», die bis an die 1962 untersuchten Baureste heranreicht. So erlaubt also auch die Nachricht von 1564, die gefassten Gebäuderuinen als Überreste eines mit einer Friedhofkapelle kombinierten Beinhauses anzusprechen. Über den Oberbau dieses Doppelgebäudes geben die noch vorhandenen Baureste leider keine Auskunft. Aber wir dürfen annehmen, dass das Beinhaus als niedriger Anbau an die viel höher aufgeführte Friedhofkapelle angelehnt war.

f) Die alte Friedhofmauer

Die im Zusammenhang mit der Beschreibung der Baureste der Friedhofkapelle und des daran angelehnten Beinhauses nun schon mehrmals erwähnte alte, sicher aus vorreformatorischer Zeit stammende Friedhofmauer konnten wir nicht nur hier, sondern darüber hinaus auch südöstlich des Pfarrhauses und südwestlich der heutigen Kirche fassen. An beiden Orten zeigte sich dasselbe Bild, nämlich ein aus Kieselsteinen recht gleichmässig gefügtes Mauerwerk. Wir möchten daraus schliessen, es seien Friedhofmauer sowie Friedhofkapelle und Beinhaus zusammen mit dem Bau der romanischen Kirche, spätestens aber im 13. oder 14. Jahrhundert erbaut worden.

g) Die Funde

Für einen so frühen Zeitansatz von Friedhofkapelle, Beinhaus und Friedhofmauer können leider keine datierenden Kleinfunde, wie Münzen oder keramisches Material, beigebracht werden. Die gefundene Keramik wurde von Rudolf Schnyder vom Schweizerischen Landesmuseum vielmehr ins und 17. Jahrhundert datiert. Andere Keramik stammt aus dem 18. Jahrhundert. Wichtiger als diese Kleinfunde sind Stücke von Fresken, die ins 15./16. Jahrhundert gehören. Sie dürften entweder aus der Friedhofkapelle oder aus der alten Kirche stammen, und sie zeigen, dass eine dieser beiden Bauten um 1500 mittels Wandmalereien ausgeschmückt worden sein muss.
Die freigelegten Fundament- und Bodenreste einer Friedhofkapelle, aus Norden. Links liegen die Baureste eines angebauten Beinhauses.
 




Walter Drack





Peter Ziegler


Alte Pläne: R. Diezinger, «Wahrhafte Beschreibung der Erbauung der neuen Kirche zu Wädenschweil in den Jahren 1764–1767», Manuskriptum, Archiv der Kirchgemeinde Wädenswil.
Plan von 1757 im Staatsarchiv Zürich (R. 1137). Literatur: Kdm. Kt. Zürich, Bd. II, Basel 1943, S. 312ff.;

Peter Ziegler, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel Wädenswil, erstmals erschienen im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» vom 7., 12. und 14. Juni 1963 bzw. anschliessend als Separatabzug in Broschürenform.

Aufbewahrungsort der Funde: Römische Funde und wichtige Keramikfunde: Schweizerisches Landesmuseum, Zürich; übrige Funde: Ortsmuseum Wädenswil.