Das neue Stellwerk

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1979 von Paul Huggel

Reiterstellwerk, 1933-1978.

Warum ein neues Stellwerk?

Die Ende November 1978 abgebrochene alte Stellwerkanlage, die bekanntlich vom markanten Reiterbauwerk über den Geleisen aus bedient wurde, stammte aus dem Jahre 1933. Damals wurde in Wädenswil statt des ursprünglich vorgesehenen mechanischen Stellwerks ein modernes elektrisches der Bauart Orenstein & Koppel installiert. Es war zwar kostengünstig, aber als Folge der eben erst angelaufenen Entwicklung auch recht störanfällig. Deshalb musste der Stellwerkdienst Pfäffikon jährlich Hunderte von Unterhaltsstunden aufwenden, um den immer dichteren Zugverkehr zu bewältigen.
Elektrisches Gleisbildstellwerk, 1978.

Den heutigen Sicherheitsanforderungen genügte das Reiterstellwerk schon lange nicht mehr. Zum Ausbaustandard einer modern ausgebauten Doppelspurstrecke mit dichtem Zugsverkehr gehören der Geleisewechselbetrieb, kurze Blockabschnitte, Fernsteuerung oder Fernüberwachung und in den Bahnhofsbereichen und auf der Strecke isolierte Geleiseabschnitte zur Sicherung von Zugs- und Rangierfahrten. Beim Ausbau solcher Strecken sollten ferner alle Niveauübergänge ersetzt, die Weichen den erhöhten Durchfahrtsgeschwindigkeiten angepasst, die verbleibenden Barrieren automatisiert werden. Überall wird grösstmögliche Sicherheit angestrebt; ein modernes Stellwerk ist dafür Voraussetzung.
 

Das neue Stellwerk als wichtiger Mosaikstein im Ausbau der Strecke Zürich-Pfäffikon SZ

Die SBB beabsichtigen – auch im Hinblick auf einen künftigen S-Bahn-Betrieb – die ganze Strecke von Zürich HB bis Pfäffikon schrittweise auf den oben skizzierten Ausbaustandard zu bringen.
Von Zürich HB bis Thalwil ist die bestehende Doppelspur bereits für den Gleiswechselbetrieb eingerichtet. Das bedeutet, dass die Züge auf beiden Geleisen wahlweise in beiden Richtungen verkehren können. Mit dem neuen Stellwerk besteht nun diese Möglichkeit vorerst zwischen Wädenswil und Richterswil, ab Ende 1980 bis Pfäffikon. Bedeutungsvoll wird die Kapazitätssteigerung jedoch erst nach dem Vollausbau der Gesamtstrecke.
Die Fernsteuerung vom Zentralstellwerk Zürich HB aus reicht heute bis Oberrieden. Später soll noch Horgen einbezogen werden. Als zweites, natürlich kleineres Fernsteuerzentrum der Reststrecke Au bis Pfäffikon ist Wädenswil vorgesehen. Mit dem neuen Stellwerk sind dafür die Voraussetzungen geschaffen. In der Au sind als Vorarbeiten für den sicherungstechnischen Streckenausbau ein neues Bahnhofsgebäude mit einem technischen Nebengebäude im Bau; die Sicherungsanlagen sind in Planung. In Richterswil sind gegenwärtig die Montagearbeiten für den Wechselbetrieb bis nach Pfäffikon, mit gleichzeitiger Unterteilung der Strecke in  vier weitere Blockabschnitte, im Gange. Diese Anlagen werden in Wädenswil überwacht und von hier aus ferngesteuert. Der Ausbau der Stationsanlage selbst hängt in Richterswil eng mit jenem der Seestrasse (Umfahrung) zusammen. Deshalb ist der Zeitpunkt des gesamten Streckenausbaus noch nicht genau bestimmbar. Er wird etappenweise vor sich gehen. Den vollen Nutzen bringt das neue Stellwerk in Wädenswil also erst, wenn das Gesamtprojekt verwirklicht ist. Dannzumal wird diese SBB-Strecke wieder über eine erfreuliche Kapazitätsreserve verfügen. Mehr Sicherheit bietet das neue Stellwerk aber heute schon.
 

Neue Stellwerktechnik

Der Bahnhof Wädenswil ist mit einem modernen elektrischen Gleisbildstellwerk der Bauart Itegra AG ausgerüstet worden. Ein zweckmässig eingerichteter Raum im Bahnhofgebäude selbst, von dem aus dank der Glasfront ein Teil der Geleiseanlagen überblickbar ist, bietet Platz für den imposanten 3 ½ Meter langen Stelltisch des Spurplanstellwerks «Domino 67». Im Spurplan sind alle Steuerelemente zusammengefasst. Pro Signal, Zwergsignal, Weiche, Barriere, Streckenblock erfüllt stets ein separater Steuersatz mit der entsprechenden Anzahl von Relais die Überwachungs-, Steuerungs- und Automatisierungsfunktionen. Die Bedienung erfolgt durch einfachen Tastendruck mit Eingabe von Start und Ziel der gewünschten Fahrt. Bei Zugsdurchfahrten kann auch der fahrende Zug selbst die Steuerung übernehmen. Dabei werden Weichen und Signale nach vorangehender Fahrwegprüfung selbsttätig gesteuert. Die Haupt- und Vorsignale mit ihren verschiedenfarbigen Linsen signalisieren und sichern die Zugsfahrten, während Zwergsignale die Rangierfahrten regeln.
Beim Ausbau der Wädenswiler Anlagen sind auch beide angrenzenden Streckenabschnitte «Sonnenau» und «Seegut» zusätzlich durch je eine neue Blockstelle unterteilt worden. Kurz aufeinander folgende Blockstellen ermöglichen wesentliche raschere Zugsfolge. Auch für diese zwei Blockstellen sind modernste Streckenblockeinrichtungen angewendet worden, so zum Beispiel die automatische Gleisfreimeldung.

Bauten im Zusammenhang mit dem neuen Stellwerk

Niveauübergänge
Es ist für den Laien kaum einsehbar, welche umfangreichen Projektierungsarbeiten und Kosten entstehen, wenn auch nur eine einzelne Barriere automatisiert und in ein modernes Stellwerk einbezogen werden soll. Im Nahbereich des Bahnhofs Wädenswil, auf nur 3 km Streckenlänge, bestanden bis zum Bahnhofsausbau 1977/78 noch drei private und sieben öffentliche Niveauübergänge, ein Rekord am linken Zürichseeufer! Die Entfernung zwischen den einzelnen Übergängen waren weit unterdurchschnittlich, nämlich 50 bis 400 Meter. Seit den ersten Ausbaustudien waren deshalb die SBB bestrebt, möglichst viele Übergänge entweder aufzuheben oder auf geeignete und wenn möglich auch einigermassen kostengünstige Art durch Unter- und Überführungen zu ersetzen. Möglichst wenig Barrieren sollten ins neue Stellwerk integriert werden müssen. Vehement hatte sich die Bevölkerung gegen die ersatzlose Aufhebung von Übergängen zu wehren versucht. Auch Überführungsbauwerke sind aus vorwiegend ästhetischen Gründen kaum gern gesehen. Immerhin hat der Stadtrat – und anschliessend auch der Gemeinderat – dazu Hand geboten, dass die Übergänge «Grünenberg» und «Traubengasse» ersatzlos aufgehoben, die Übergänge «Rietliau» und «Rothaus» durch eine Passerelle und der Übergang «Hafenstrasse» durch die zweite Perronunterführung vollwertig ersetzt werden konnten. Zwei Barrieren, nämlich jene beim «Sagenrain» und im «Giessen», bleiben bestehen. Sie werden automatisiert und ins neue Stellwerk einbezogen.
 
Geleiseanlagen, Perron
Die Geleiseanlage blieb – mit Ausnahme einiger nicht mehr ersetzter Weichen – wie bisher bestehen. Der grösste Teil der Weichen musste ohnehin altershalber ausgewechselt werden. Dabei wurden durchwegs Weichen neuerer Bauart verwendet, die auch bei Fahrt auf Ablenkung eine höhere Fahrgeschwindigkeit zulassen. Wädenswil weist nun in den Durchfahrgeleisen keine sogenannten «Engländerweichen» mehr auf.
Der bestehende Zwischenperron ist auf der Seite gegen Richterswil um 100 Meter verlängert worden. Zusammen mit der östlichen, neuen Perronunterführung ist nun auch dieser Teil von Wädenswil wesentlich besser an die Perronanlagen angeschlossen worden.
 
Relaisraum
Östlich des Aufnahmegebäudes ist – unter dem Boden liegend – der Relais- oder Apparateraum erbaut worden. In diesem 10 x 10 Meter grossen, blitzsauberen Raum beeindrucken die Vielzahl von Relaissätzen und die vielen Verdrahtungen: Da sind 108 Spurplan-Relaissätze, 40 Sätze für die Streckenblockeinrichtungen und 16 Relaissätze für die Barrieren. Im ganzen gibt es in diesem Raum 6600 Relais. Um deren Schaltung herzustellen, bedurfte es 40 km Installationsdraht, teils gebündelt, teils in Kabel gezogen. Für die Anlage im Freien (Stelltisch, Telefon, Beleuchtung, Barrieren, Signale, Weichen usw.) waren weitere 60 km Kabel nötig. Alle Anlagen können wahlweise durch das Wädenswiler Ortsnetz oder durch das Fahrstromnetz der Bahn gespiesen werden. Damit sollte das System weitgehend ausfallsicher sein.
 

Einige Zahlen

Der Zugsicherung dienen
25 Hauptsignale und 19 Vorsignale auf 9 Signalbrücken
53 Zwergsignale
25 Zugsicherungsmagnete
Die Bahnhofanlage umfasst 76 isolierte Geleiseabschnitte
36 moderne Weichen, davon 16 elektrisch heizbar
4 Barrieren sind automatisiert; 2 davon gehören zum Netz der SOB.
1 Barrierenanlage (Boller) ist lediglich fernüberwacht.
5 Niveauübergänge sind aufgehoben oder ersetzt.
 

Zeitlicher Ablauf des Stellwerkneubaus

1972 Erste Kontakte der Bahnorgane mit den Wädenswiler Behörden.
1974 Beginn der Projektierung des neuen Stellwerks. Umbau der ersten Weichen (Seite Au).
1978 Abschluss der grossen Umbauten: Chilbi: die zweite Perronunterführung wird zur Benützung freigegeben. 22. Oktober: Inbetriebnahme des neuen Stellwerks.
Oktober: die Überführung «Rietliau» und «Rothaus» können benützt werden.
November: Abbruch des alten Reiterstellwerks.




Paul Huggel