Geschichte des Hauses «Zur Vorderen Fuhr»

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1988 von Christian Renfer

VORBEMERKUNG

Die gelungene Erneuerung des Hauses «Zur Vorderen Fuhr» im Jahre 1987 gab den Anlass, die Reihe kleiner Monographien bedeutender Bauernhäuser in der Gemeinde Wädenswil mit diesem bemerkenswerten Bauzeugen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiterzuführen.
Die Entstehung des ehemaligen Weinbauernhauses «Zur Vorderen Fuhr» ist uns durch die Initialen am Hauseingang und die Allianzkacheln des Bauherren-Ehepaares Hans Rudolf Hauser und Susanna Wüest an einem Stubenofen auf das Jahr genau bekannt: 1784/1785. Dies erlaubt uns, die ausserordentlich wertvollen Interieurs mit ihren Täfern, Nussbaumtüren, Parkettböden, Stuckdecken, den bemalten Kachelöfen und dem schmiedeisernen Gitterwerk stilistisch klarer einzuordnen. Wie das auf klassische Symmetrie bedachte Äussere des verputzten Steinhauses verkörpert die wertvolle Ausstattung die gehobene Wohnkultur der politisch aufstrebenden ländlichen Oberschicht am Ende des altzürcherischen Stadtstaates kurz vor 1798. Noch lebt hier die Festlichkeit des ausgehenden Rokoko. Bereits eine Generation später hat dann am Zürichsee der weitaus sprödere Klassizismus frühbiedermeierlicher Prägung Einzug gehalten. So ist das Haus «Zur Vorderen Fuhr» ein kulturelles Zeugnis des Übergangs zu einer neuen Zeit. Kaum ein Jahrzehnt zuvor (1771) waren die beiden von bäuerlichem Selbstbewusstsein geprägten Portraits des Ehepaares Hauser-Wüest entstanden, und zehn Jahre danach erhob die Generation ihrer Kinder mit dem «Stäfner Memorial» endgültig den Anspruch politischer Mündigkeit.
Es war bei allen bisherigen Hausmonographien stets ein kunsthistorisches Anliegen, das Baudenkmal in weite Abläufe einzuordnen. Die Einzelhoflandschaft am Wädenswiler Berg mit ihren Siedlungsterrassen gab dazu jeweils einen willkommenen abgerundeten Rahmen. Das Haus «Zur Vorderen Fuhr» ist ein Neubau des 18. Jahrhunderts. Seine wirtschaftliche Wiege aber hatte auch dieser Aussiedlungshof in einem älteren grösseren Hofkomplex, demjenigen des Hofes «Bühl», von welchem die «Vordere Fuhr» erst im 18. Jahrhundert abgetrennt worden ist. Wir verdanken Peter Ziegler nicht bloss die wesentlichen Grundlagenforschungen zur älteren Siedlungsgeschichte dieses Hofes, sondern im Wesentlichen auch das nachfolgende einführende Kapitel zur Entwicklung der alten Kernhöfe «Fuhr» und «Bühl».

FUHR UND BÜHL, DIE ALTEN KERNHÖFE

Die genaue Lage der ersten spätmittelalterlichen Grosshöfe über dem Dorf und ihr ursprünglicher Umfang ist wegen des Fehlens aussagekräftiger Schriftquellen weitgehend unerschliessbar. Die Flurbezeichnungen sind zu weit gefasst, alte Grenzbeschreibungen zu summarisch, und eigentliche Grundbücher oder verbindliche (und zugleich uns noch verständliche) Güterbeschriebe gibt es bis ins 16. Jahrhundert nicht. Gesicherte Aussagen werden erst möglich mit der Einführung der notariellen Grundbücher, die auf der Landschreiberei zu Wädenswil seit der Mitte des 17. Jahrhunderts geführt wurden. Als willkommene Ergänzung für die Erhellung des frühen Siedlungsbildes dienen die von Zeit zu Zeit aus wirtschaftsstatistischen Gründen (Landesversorgung) aufgenommenen Bevölkerungsverzeichnisse, die sogenannten Haushaltrodel, die im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts einsetzen.

Kinderheim Bühl am Rotweg, eröffnet 1870, abgebrannt 1932.

Die Geschichte des Hauses «Zur Vorderen Fuhr» ist eng verflochten mit der wechselvollen Geschichte von zwei Althöfen im heutigen Fuhr- und Weidstrassequartier: mit dem Bauernhof Fuhr – nachmals Hintere Fuhr – und dem Weiler Bühl beidseits des Rotweges. Die geschlossene spätmittelalterliche Siedlung Wädenswil erstreckte sich vom Zürichsee her bergseits bis zur Türgass. Die Bezeichnung Oberdorfstrasse erinnert noch heute daran, dass die an die Türgass angrenzenden Güter bereits oben im Dorf gelegen waren. Weiter bergwärts gelangte man ins Gebiet der Hof- und Streusiedlung.
Auf der ersten, deutlich abgesetzten Geländeterrasse oberhalb des Dorfes entstanden schon früh grosse Bauernhöfe. Zu den ältesten zählte der seit 1357 erwähnte Leihof1. Westlich davon entstanden etwas später die Güter auf Bühl und auf Fuhr, oder wie es in den ältesten Dokumenten heisst: «uf büel» bzw. «uf der fur»2.
Auf Bühl – in jenem Gebiet also, wo heute die Untere Weidstrasse in den Rotweg einmündet – lagen im späten Mittelalter drei Bauerngüter, die 1505 in einem Gültbrief erwähnt werden: Ruedi Horgers Gut «uf bueol», Heini Kellers Gut «uf bueol» und ein Gut «gelegen obern dorf Wädischwil, ein wisen und ein weid an einanderen, genampt uf bueol». Als Grenzen werden unter anderem Welti Blattmanns «röttyboden» erwähnt, ferner der «kilchweg, der uf hergisberg gat», also ein Abschnitt des auf dem Trasse des heutigen Furthofwegs, der Rötibodenstrasse und des Rotwegs verlaufenden alten Kirchwegs vom Herrlisberg ins Dorf3. Im Kirchenurbar von 1555 finden sich zwei Jucharten Reben an der Büelhalde verzeichnet, Peter von Helblings Büelwiesen, Hans Horgers Büel und der an das Gut «uff der furn grenzende Hof «uff buel» des Jakob Fuchs, genannt zum grossen Stein4.
Ein Acker «uf der furn wird erstmals in einem Gültbrief aus dem Jahre 1457 erwähnt5. Noch 1659 wurde der einstige Flur- und spätere Hofname als «Fur» geschrieben, also ohne «h». Dies scheint darauf hinzuweisen, dass die ursprüngliche Benennung auf Furche zurückzuführen ist und nicht auf die Bedeutung Furt oder Fuhre.
Im Grundprotokoll von 1659 ist die Rede von Hans Bürgi «uf der Fur hinderhalb dem Dorf» Wädenswil6. Die Umschreibung «hinderhalb dem Dorf», was nach ortsüblichem Sprachgebrauch westlich bedeutete, belegt klar, dass als Siedlungskern der Fuhr das nachmals «Hintere Fuhr» benannte Gebiet beim heutigen Altersheim anzunehmen ist. Diese Aussage findet ihre Bestätigung schon im Wädenswiler Kirchen urbar aus dem Jahre 1555, wo es heisst, die «fur» grenze an die Güter «auwen»7. Damit ist der in der heutigen Auerenstrasse weiterlebende Flurname Aueren gemeint. Er bezeichnete den nunmehr weitgehend überbauten Geländestreifen bergseits der Oberdorf- und Zugerstrasse, vom Westende des jetzigen Migrosgebäudes bis hinauf gegen den Wishut.
Suchen wir nach den ersten Siedlungen in diesem Gebiet, so hilft uns erst der älteste Haushaltrodel von 1634. Die Erwähnung von Häusern im vorausgehenden 16. Jahrhundert war noch recht zufällig und wenig aufschlussreich, meistens wurde bloss von Gütern oder Parzellen gesprochen. Im Kirchenurbar von 1555, welches eine Art Hofbeschreibung enthält, sind für die Fuhr wie für den Bühl Wendungen enthalten, welche bewirtschaftete Bauerngüter umschreiben dürften. Für die Fuhr sind sie zwar etwas unbestimmt. Sie wird bloss als anstossendes Nachbargut mit dem Satz ... (stosst) «an die furn ... erwähnt8. Von einem ganzen belehnten bäuerlichen Besitztum oder gar von einem Hof mit Haus ist noch keine Rede. Beim Bühl ist das ähnlich, doch erscheint hier nun ein erster Beschrieb, der eindeutig die Existenz eines selbständigen bewohnten Gutes auf Bühl meint: «Jakob Fuchs soll (schuldet) jerlich 2 Viertel Kernen ab synem huss und haff uff buel, genannt zum grossen Stein.»9
Im beginnenden 17. Jahrhundert war nun die Siedlungsentwicklung so weit fortgeschritten, dass alle namentlich bezeichneten Güter auf der untersten Terrasse gleichzeitig auch ständig bewohnte Höfe und damit feststehende ältere Siedlungskerne darstellen, von denen in der folgenden Zeit weitere Höfe durch Teilung oder Verkauf abgespalten wurden. Auf der Fuhr, der nachmaligen Hinteren Fuhr an der Untermosenstrasse, wirtschafteten die Familien Bürgi und Blattmann, auf dem Bühlhof sassen in der Nachfolge der Horger und Fuchs vor der Mitte des 17. Jahrhunderts die Leuthold, kurze Zeit danach erscheint hier ebenfalls ein Zweig der weitverzweigten Familie Blattmann. Es würde den Umfang dieser eigentlich der «Vorderen Fuhr» gewidmeten Untersuchung sprengen, wenn wir hier die nun konkreter einsetzende Geschichte beider Höfe parallel darstellen wollten. Das bemerkenswerte Haus «Bühl» am Rotweg, welches als Teil dieses Althofes 1717/1725 entstanden ist, wird deshalb einer kommenden hauskundlichen Darstellung vorbehalten bleiben. Wir beschränken uns hier auf den westlichen Hof «Fuhr» (nachmals Hintere Fuhr), um dann mit der Entstehung des Einzelbesitztums der Häuser auf der Vorderen Fuhr zum alten «Bühl» zurückzukehren, da diese östliche Fuhrliegenschaft erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts vom angrenzenden Bühlhof abgespalten worden ist.

Riegelhaus «Bühl» von 1717/1725.

DIE HINTERE FUHR

Der Weiler Fuhr (Hintere Fuhr) bestand seit dem 17. Jahrhundert aus mindestens drei Wohnhäusern und aus mehreren Ökonomiegebäuden. Die letzten Altbauten wurden 1957 abgebrochen; an ihrer Stelle stehen heute die Mehrfamilienhäuser Fuhrstrasse 49 und 51. Als frühester Inhaber eines Bauerngutes auf der Fuhr lässt sich – indirekt – ein Hans Kloter nachweisen. Auf seinen Hof wurde 1430 ein Schuldbrief ausgestellt, der trotz mehreren Handwechseln der Liegenschaft bestehen blieb und den erst Heinrich Blattmann auf der Fuhr mit Datum vom 16. November 1827 löschen liess10. Ein anderer, auf der gleichen Liegenschaft lastender Gültbrief, 1546 auf den Debitor Heinrich Kloter ausgestellt, wurde an Martini 1804 von Caspar Blattmann auf der Fuhr annulliert11. Die Familie Blattmann hauste während mehreren Generationen auf der Fuhr. Als erster Vertreter dieses alten Wädenswiler Geschlechtes lässt sich Hans Blattmann-Huber (1563– zirka 1610) nachweisen, der hieher gezogene Sohn des Bauers auf Unter Eichen. Dessen Sohn, Caspar Blattmann-Zürrer (1597–1672), lebte ebenfalls auf der Fuhr.

Bauernhaus «Hintere Fuhr», abgebrochen 1957.
 

Die einzelnen Linien dieser weitverzweigten Familie lassen sich indessen nicht immer zweifelsfrei verfolgen. Dank den genealogischen Forschungen von Diethelm Fretz, des Verfassers einer in den 1930er Jahren erschienenen zweibändigen Geschichte der Familie Blattmann, kennen wir jedoch einzelne Vertreter dieses bedeutenden Geschlechts aus der dörflichen Oberschicht von Wädenswil näher12. So begegnen wir in der Generation nach Caspar Blattmann-Zürrer auf der Fuhr beispielsweise dem von Caspar Blattmann-Huber (geb. 1608) abstammenden Zimmermann Hans Jakob Blattmann-Trümpler (1630–1686), dessen Sohn Rudolf Blattmann-Leuthold (1656–1739) und dessen Enkel Hans Jakob Blattmann-Isler (1688–1738). Der Weber Uli Blattmann-Baumann (1632–1658), der Bruder von Hans Jakob Blattmann-Trümpler, hatte ebenfalls einen Sohn: Hans Blattmann-Pfister (1652–1728).
Laut Grundprotokoll vom 20. Januar 1662 veräusserte der Maurer Oswald Baumann einem Wälti Egli zu Wädenswil seinen auf der Fuhr gelegenen Besitz, umfassend ein Haus, einen Holzschopf mit Schweinestall und eine Scheune, ferner Krautgarten, Hanfland, Reblauben, Matten, Weide und 1,5 Jucharten Reben. Als Grenzen werden angegeben oben (bergseits) Caspar Blattmanns Weidli, hinten (westlich) die als Vorläufer der heutigen Untermosenstrasse verlaufende Landstrasse, die in den Dokumenten bisweilen auch als Sandgass aufgeführt ist, unten (Richtung Aueren und Spengler) Caspar Baumanns Matte, vorn (östlich, Richtung heutige Vordere Fuhr) Hans Bürgis Matte. In der Handänderung eingeschlossen war eine Jucharte Holz und Boden beim Gulmentobel13. Wälti Eglis Söhne, «Caspar und Jacob die Eglen, gebrüderen uff der Fuhr», kauften per Martini 1668 ihren Bruder Hans Jakob Egli im Strasshaus aus. Bei dieser Gelegenheit wird erwähnt, dass zur Fuhr-Liegenschaft der Brüder Egli ein Anteil an der Trotte in Hans Bürgis Haus gehöre14. Es ist anzunehmen, dass schon Caspar und Jakob Egli das väterliche Wohnhaus unterteilten. Sicher bezeugt ist dieser Tatbestand aber erst für die nachfolgende Generation: 1703 verfügten die Brüder Jakob und Sigmund Egli über je ein halbes Haus und eine halbe Scheune samt Umschwung «uff der Fuhr»15. Über Barbara Egli, die den Kirchenpfleger Caspar Blattmann geheiratet hatte, kam dieser bei der Erbausrichtung vom 29. März 1782 in den Besitz der alten Egli-Liegenschaft auf der Fuhr. Diese umfasste damals ein Haus samt Trotte und Schweinestall daran, ferner ein Waschhaus und eine Scheune, sodann 2,5 Jucharten Garten, Ausgelände und Matten sowie 12,5 Jucharten Reben. Als Grenze gegen Osten wird nun Hauptmann Jakob Hausers Matte (auf der Vorderen Fuhr) aufgeführt16. Gegen Ende 1807 fühlte sich der Bauer Caspar Blattmann auf der Fuhr alt und schwach. In «Ungewissheit seiner Todesstunde», um sich ruhigere Alterstage zu verschaffen und um nach seinem Ableben Erbstreitigkeiten zu vermeiden, übergab er seinen Hof noch zu Lebzeiten, am 11. Januar 1808, seinen beiden Söhnen, Leutnant Hans Jakob und Heinrich Blattmann17. 1820 kaufte dann Hans Jakob seinen Bruder Heinrich aus und führte fortan den väterlichen Gewerb mit den im Jahre 1957 abgebrochenen Hofgebäuden auf der Hinteren Fuhr in alleiniger Verantwortung18. Seine Kinder Heinrich, Anna und Johannes Blattmann erbten die Liegenschaft im Dezember 1868, verkauften sie jedoch am 12. März 1870 dem Landwirt Johannes Hauser auf Külpen in der Gemeinde Schönenberg, der bald auf seinen neuen Hof umsiedelte. Zum Kauf gehörten 4,5 Jucharten Land auf der Fuhr mit folgenden Bauten19:

1 Wohnhaus Assek.-Nr. 262a (neu Nr. 860)
1 Waschhaus Assek.-Nr. 262b (neu Nr. 859)
1 Trottgebäude mit Trottwerk Assek.-Nr. 719
1 Scheune Assek.-Nr. 262c (neu Nr. 856)

Ebenfalls im Besitztum der Erben Blattmann auf der «Hinteren Fuhr» befand sich die obere Hälfte Vers.-Nr. 160 (neu Nr. 861) des benachbarten Doppelbauernhauses zur (mittleren) Fuhr (vgl. unten), dessen untere Hälfte damals Heinrich Heusser gehörte20. Eine Scheune unterhalb Untermosen, das Gebäude Vers.-Nr. 262d (neu Nr. 853), rundete den umfangreichen, zum Verkauf stehenden Güterkomplex der Blattmann auf der «Hinteren Fuhr» ab. Am 20. März 1890 veräusserten die Erben des im Jahre 1886 verstorbenen Johannes Hauser das Bauerngut auf der «Hinteren Fuhr» ihrem Miterben Heinrich Hauser21. Nach der Jahrhundertwende war das Ende des landwirtschaftlichen Gehöftes endgültig besiegelt, und das Gebiet fiel der privaten Bebauung anheim.

Die Hofsituation auf dem Bühl und der Fuhr nach dem Grundkataster von 1909 (die restliche Bebauung wurde weggelassen).

DIE (MITTLERE) FUHR (SPÄTER FUHRHOF)

Östlich des heutigen Altersheims Fuhr, am Standort des 1920 erbauten Fuhrhofs (Fuhrstrasse 36) lag wohl seit dem Spätmittelalter ein weiterer Bauernhof. Er gehörte 1659 einem Hans Bürgi-Eschmann, stiess vorn an den Bach und an Caspar Blattmanns Güter, hinten an Oswald Baumanns Gut und unten an jenes der Erben von Jagli Baumann. Unter diesem Haus befand sich eine Trotte, an welcher den Nachbarn Baumann und Egli ein Mitbenutzungsrecht eingeräumt war22. 1674 kam die bergseits durch Hans Jagli Blattmanns Güter begrenzte Fuhr-Liegenschaft durch Erbgang an Hans Bürgis Sohn, den Kappenmacher Caspar Bürgi-Rusterholz. Dieser liess das Wohnhaus dem First nach unterteilen23. Fortan hatten die beiden Haushälften ihre eigene Geschichte: Käsgrempler Sigmund Bürgi, der Sohn des Kappenmachers, verkaufte 1726 den oberen Hausteil samt Schweinestall und etwas Umgelände – Garten, Hanfpünt und Reben – an Jakob Rusterholz24. 1739 kam dieser Besitz an Jakob Leuthold und 1775 an Jakob Trinkler aus dem Gwad25.
Der andere Hausteil wechselte ebenfalls die Hand. Von Sigmund Bürgi ging er 1733 an Rudi Blattmann26 und von diesem noch vor 1775 an Rudolf Trinkler27. 1826 gehörten die unter den Nummern 260 (neu 861, oberer Teil) und 261 (neu 862, unterer Teil) brandversicherten Haushälften einem Jakob Trinkler und einem Rudolf Pfister28.
1850 riss man das offenbar baufällig gewordene Gebäude nieder und errichtete an dessen Stelle das später unter den Nummern 861 und 862 assekurierte Doppelwohnhaus, das auf einer Fotographie von der Einweihung des Glärnischschulhauses aus dem Jahre 1909 sichtbar ist. 1920 beseitigte man auch diesen erst siebzig Jahre alten Bau und erhielt an aussichtsreicher Lage Platz für die heutige Villa Fuhrhof. Damit hat das Gebiet auf der Fuhr sein ländliches Gesicht ganz eingebüsst und quartierhaften Charakter angenommen. Geblieben ist lediglich das stattliche ehemalige Weinbauernhaus «Zur Vorderen Fuhr», welches, obschon die dazugehörenden Wirtschaftsgebäude ebenfalls seit langem verschwunden sind, noch an das jüngste auf der Fuhr entstandene Bauerngut, den Hauserschen Hof aus dem 18. Jahrhundert, erinnert.

DIE VORDERE FUHR

Übschon die «Vordere Fuhr» mit der westlich angrenzenden «Hinteren Fuhr» den alten Flurnamen gemeinsam hat, bestehen zwischen den beiden ehemaligen Bauernhöfen keine parallel laufenden geschichtlichen Entwicklungslinien. Während die «Hintere Fuhr» seit dem Spätmittelalter als selbständiger Hof existierte, wurde das Gut zur «Vorderen Fuhr» durch Veräusserungen eines Erbteils vom unmittelbar östlich benachbarten alten «Bühl» – Hof abgespalten.
Dieser Gutsabtrennung ist es zu verdanken, dass sich hier ein neues Bauerngeschlecht niederlassen konnte. Nachdem sich über hundert Jahre früher die Blattmann auf dem «Bühl» hatten einkaufen können, waren es nun die Hauser aus dem Dorfe. Beide Geschlechter haben in der Gemeinde Wädenswil während Jahrhunderten unzählige Verästelungen hervorgebracht, und unter ihren Angehörigen haben nicht wenige das politische und kulturelle Leben ihres Dorfes als Bauern und Gewerbetreibende, als Einwohner im Dorf und auf den angesehenen Einzelhöfen über Generationen mitgeprägt. Einzelne sind zu höchstem persönlichen Ansehen und zu bemerkenswerter Wohlhabenheit gelangt. Zu ihnen darf in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch der Käufer, erste Besitzer und Erbauer der «Vorderen Fuhr», Hauptmann und Landrichter Rudolf Hauser (1727–1791) gerechnet werden.
Aber auch dessen Söhne trugen in wichtigen politischen Ämtern – und die meisten in guten wirtschaftlichen Verhältnissen – zum stets wachsenden Ansehen der Familie bei. Wie kamen die Hauser im 18. Jahrhundert auf die «Vordere Fuhr»? Was Rudolf Hauser bewogen hat, das feilwerdende Gut in der Nähe des «Bühl» zu erwerben und vom See hinauf auf die Flur über dem Dorf zu ziehen, wissen wir nicht. Die Gelegenheit bot sich jedenfalls, als die Besitzerin − Anna Barbara Wunderli zu Richterswil − das von ihrem Vater Jakob Höhn ererbte Gut verkaufen wollte. Am 18. Mai 1773 wurde die Eigentümerin mit Hauser handelseinig. Was dieser sich nun erwarb, wird im Kauf als «Heimet», also als selbständiges Bauerngut mit Haus, Scheune und Schweinestall, Garten, Hanfland, Matten und Weid auf dem «Bühl» bezeichnet, ein geschlossener Wirtschaftskomplex also, der die Viehhaltung ermöglichte (der Umfang wird mit 2 Kühen Sömmerig und Winterig beschrieben; 1830 betrug die Hoffläche etwas über 9 Jucharten). Zum Gut gehörten zudem zirka 1½ Jucharten ausgeschiedene Rebfläche und der halbe Anteil an einer Hofsennhütte, an der auch zwei Parteien vom benachbarten «Bühl» beteiligt waren29.
«Vordere Fuhr». Nordwestseite im ursprünglichen Zustand.

Geht man der Frage nach, wo das Gehöft, welches nun in die Hand von Rudolf Hauser überging, herstammt, so bleiben wegen der fehlenden Quellen durchaus Unsicherheiten. Klar ist einmal, dass der Vater der Verkäuferin durch Kauf im Jahre 1738 in dessen Besitz gelangt ist. Damals kam diese Liegenschaft als Besitz des Ulrich Blattmann auf eine öffentliche Gant und wurde Jakob Höhn (dem Jüngeren) ab dem Hof Mugeren zugeschlagen. Der Verkäufer behielt sich aber für sich und seinen Bruder Rudolf lebenslängliches Wohnrecht im verkauften Haus vor30. Da das Gebäude als Doppelhaus beschrieben wird, welches Jakob Höhn 1743 seinem Gläubiger Landvogt Heinrich Hirzel für 800 Gulden zum Pfand einsetzte31, ist anzunehmen, dass Käufer und Verkäufer noch einige Zeit zusammen lebten. Aber wo stand dieses Haus, und warum wird beim Handwechsel eine Generation später bloss noch von einem einfachen Wohnhaus gesprochen, obschon sich die übrige Gutsbeschreibung von 1773 mit jener von 1738 bzw. 1743 deckt? Stand bei der Abtrennung der Wirtschaftsflur auf der «Vorderen Fuhr», die damals noch «auf Bühl» hiess, vom Hofbesitz der Blattmann das zugehörige Hofgebäude östlich oder westlich des Bächleins, welches die Areale trennte, also auf dem Boden des Altgehöftes, oder auf dem neu entstandenen? Und was war das Schicksal dieses Wohnhauses zwischen 1738 und 1785, dem Bau des heutigen Wohnhauses auf der «Vorderen Fuhr»?

«Vordere Fuhr». Allianzkacheln von Rudolf Hauser und Susanna Wüest, 1785, am Kachelofen in der Nebenstube.

Es fehlen uns die alten Flurpläne, um letzte Klarheit in diese Frage zu bringen. Im Jahre 1830, als der erste Gemeindeplan im Zusammenhang mit dem Zehntloskauf entstand, zeigten sich die Hofgebäude auf Bühl und auf der Vorderen Fuhr bereits im Bestand, wie er sich bis zur Grundbuchvermessung von 1909 erhalten hat. Die Frage nach Bestand und Lage ist für uns insofern wichtig, als letztlich erst die Klarheit über den Hausbestand das Bild über das Verhältnis von Althof und Filiationsgehöft im ländlichen Gebiet abrunden hilft. Was waren die wirtschaftlichen und familiären Ursachen für die Abspaltung von bäuerlichem Besitz, und was hat sich als Folge daraus formiert? So muss unsere Fragestellung lauten. Beim Neugut 32, als familiäre Teilung innerhalb des Eichmühlehofes, haben sich die Umstände der Gutstrennung klar eruieren lassen, auf der «Vorderen Fuhr», wo alles am heutigen Wohnhaus auf einen völligen Neubau von 1785 schliessen lässt, wird die geschichtliche Situation dadurch verdunkelt, dass der Erbauer des neuen Hauses zwölf Jahre zuvor mit dem noch jüngeren Hof bereits ein bestehendes Wohnhaus miterworben hat. Stand es bereits an der Stelle des heutigen, oder gehörte es vielmehr zum engeren Baubestand des benachbarten «Bühl», wo es dann abging? Oder anders gefragt: War ein Vorgängerbau auf dem abgetrennten neuen Hofareal bereits vorhanden, ein aus dem alten Güterkomplex mit übernommenes Haus, das zunächst als Doppel-, später noch als Einfamilienhaus weiterbenutzt wurde?
«Vordere Fuhr» von Norden, um 1920.

Eines ist sicher: das von Blattmann an die Höhn und schliesslich an Rudolf Hauser gelangte, zunächst als «Bühl» (wie der Althof) bezeichnete, später «Zur Vorderen Fuhr» genannte Gehöft erscheint jedenfalls von Anfang an als geschlossenes, kaum zufällig aus Einzelparzellen zusammengewürfeltes Hofareal. Man könnte demnach auch bei der «Vorderen Fuhr» von einem Filiationshof sprechen, allerdings nicht einem, der, wie das Neugut, nach seiner Entstehung noch während Generationen im selben Geschlecht verblieb, sondern einem, der erst unter einer neuen Besitzerfamilie zu seiner vollen Selbständigkeit kam.
Als Rudolf Hauser im Jahre 1773 seinen neuen Besitz antrat, war er bereits 46-jährig und seit 30 Jahren mit Susanna Wüest aus Küsnacht verheiratet. Schon waren, bis auf den jüngsten, welcher erst 1784 als Nachzügler auf die Welt kam, alle 13 Kinder geboren.
Zwei davon waren allerdings im Kindesalter gestorben. Beim Kauf des Hofes war das jüngstgeborene Kind bereits 14 Jahre alt, das viertjüngste, Jakob, stand mit 17 Jahren an der Schwelle zum Mannesalter33.
Uns fehlen wiederum die Quellen, um den Weg der Familie Hauser vom Stammsitz Rötiboden, wo der Vater aufgewachsen war, in ein Haus am See und von da in den Neubau «Vordere Fuhr» näher verfolgen zu können. 1784 verheiratete sich Jakob mit Anna Rebmann von Stäfa. Und im selben Jahr baute der Vater, dessen Allianzkacheln Hauser-Wüest damals am Stubenofen angebracht wurden, das heutige Wohnhaus auf der «Vorderen Fuhr». Rudolf stand in seinem 56., sein Sohn im 28. Lebensjahre. Wenn man die auffallende Übereinstimmung der beiden Daten – Sohneshochzeit und Hausbau durch den Vater – bedenkt, so kommt man unwillkürlich zum Schluss, dass dem jungen Ehepaar damit Platz für eine eigene Haushaltung geschaffen werden sollte. Allerdings blieb der Hof im Besitze des Vaters bis zu dessen Tod im Jahre 1791.
«Vordere Fuhr». Eingänge zu den beiden Kellern der Sennerei.

Nach dem Tod der Eltern – die Mutter Susanna Wüest war 1787 gestorben – gingen die Kinder an die Erbausscheidung. Zunächst kauften die Söhne ihre Schwestern und ihre Neffen, die Kinder des verstorbenen Bruders Johannes, aus. Danach gingen sie, wir wissen nicht genau in welchem Jahre, an die Verteilung ihres ererbten liegenden Gutes. Es zeigt sich nun, dass der Hof auf der «Vorderen Fuhr» durchaus nicht der einzige Grundbesitz des wohlhabenden Hauptmanns und Alt-Landrichters Rudolf Hauser-Wüest gewesen war. Da wurden neben dem elterlichen Fuhr-Hof, den Hauptmann Jakob Hauser übernahm, noch weitere Liegenschaften angewiesen: dem Rudolf Hauser ein Haus mit Rebgelände an der Leigasse, dem Batzenvogt Ulrich Hauser ein Doppelhaus am See und die alte Schmiede im Hosli, und auch die beiden andern Brüder, Hauptmann Heinrich Hauser auf dem Büelen und Untervogt Jakob Hauser auf dem Rötiboden, erhielten Land zugeteilt, ersterer 3 Jucharten Matten im Krähbach, letzterer 1¼ Jucharten Reben in Uetikon.

«Vordere Fuhr» um 1920. Links die Trotte, welche 1932 abgebrochen wurde.


Die Wohlhabenheit der Familie manifestiert sich hier nicht nur im Grundbesitz, sondern auch in den 200 Pfund, die dem Schulfonds von Wädenswil beim Tod von Rudolf Hauser legiert wurden34.
Der Hof auf der «Vorderen Fuhr», den jetzt Jakob Hauser-Rebmann antrat, bestand aus dem Haus mit Schweinestall, halbem Anteil an der Sennhütte, Garten, Hanfland und Matten sowie 1½ Jucharten Reben, alles beieinander in ausgemarchten Grenzen; dazu ausserdem 2 Jucharten Holz und Boden (Gehölz) im Bachtobel. Jakob Hauser brachte es, wie sein Vater, in der Gemeinde zu Amt und Würden. Er war, wie dieser, Hauptmann und Landrichter gewesen, als er im Jahre 1828 starb. Im selben Jahr heiratete sein jüngster Sohn David. Der Hof blieb nun während Jahrzehnten in der Erbengemeinschaft der Kinder. Er umfasste, wie wir aus dem Gemeindeplan von 1830 ersehen, Haus, Hausmatten, Garten, Reben und Scheurmatten; alles in allem eine Grundfläche von über 9 Jucharten (zirka 3 ha).
1869, zwei Jahre nach David Hausers Tod, wurde die Erbengemeinschaft auf der «Vorderen Fuhr» aufgelöst. Der Hof ging nun zu Eigentum an die Kinder von David Hauser, Gottfried und Sophie Hauser, über. Die Miterben, eine Tante und die Kinder eines Onkels und weitere fünf Tanten, wurden ausgekauft. Die aufgelöste Erbengemeinschaft hatte folglich aus zwei Söhnen (Caspar und David) sowie sechs Töchtern bestanden.
Kreuzgewölbter Kühlkeller der ehemaligen Sennerei.
 
Die Güterbeschreibung von 1869 lautete wie folgt: Ein Wohnhaus (Vers.-Nr. 259a, neu 866), ein Trotthaus mit Trottwerk (Vers.-Nr. 259b), eine Scheune mit Anbau (Vers.-Nr. 259d), ein Waschhaus (Vers.-Nr. 259c), dazu Garten, Wiesen und darinliegende Reben (1 Jucharte und 2 Vierlig), alles im Umfang von zirka 67 Aren beieinander auf der «Vorderen Fuhr», sowie 2 Jucharten Holz und Boden im Bachtobel ob dem Rötiboden. Durch das Gut verliefen die öffentlichen Fusswege Bühl-Fuhr und Leihof-Fuhr (die nachmalige Fuhrstrasse). Der Anteil des Hofes an einer Sennhütte taucht nicht mehr auf. Offenbar war er mit dem Abbruch des Sennereigebäudes im Jahre 1864 erloschen35.
Drei Jahre später, am 6. Juni 1872, trat Sophie Hauser ihre ideelle Hälfte am Hof «Zur Vorderen Fuhr» ihrem Bruder zu vollem Eigentum ab36. Die letzten hundert Jahre in der Geschichte des Hofes sind rasch geschildert. Schon in der Zeit von Gottfried Hauser wurden im Zuge der Entstehung eines Wohnquartiers auf der Fuhr erste Parzellen vom bäuerlichen Grundstück an Private verkauft und mit Einfamilienhäusern überbaut. Das restliche Hofgelände ging dann durch Erbgang innerhalb der Familie an die Erben Gottfried Hausers, dann an den Sohn Ernst Hauser allein (1936), von diesem an seine Erben (1964) und schliesslich durch Erbauskauf 1985, an Margaretha Frey-Hauser, welche jetzt zusammen mit ihrem Gatten Besitzerin des Hauses «Zur Vorderen Fuhr» ist37. Der Besitz hat sich unterdessen auf das Hausareal seeseits der Fuhrstrasse reduziert. Das Haus ist damit weitgehend ins Quartier eingebettet. Die dazugehörigen Ökonomiebauten sind mit Ausnahme des 1883 im Oberbau neu errichteten Waschhauses neben dem Haus verschwunden (Abbruch der Trotte 1932).

KUNSTGESCHICHTLICHE WÜRDIGUNG

DAS ÄUSSERE
 
Seit zweihundert Jahren steht das stattliche Haus auf der «Vorderen Fuhr» weithin sichtbar an der Vorderkante der Hauptterrasse über dem alten Dorfkern. Bis ins vorige Jahrhundert muss es sich präsentiert haben wie all die alten Bauernhöfe am Wädenswiler Berg:
Als Baugruppen lagen sie frei in der Landschaft, umgeben von den Obstbäumen ihrer Hofstatt, den grünen Mähwiesen und den kleinen Rebparzellen, die darin eingestreut waren, aber heute alle verschwunden sind. Villenhaft von der Aussichtslage her, vertraut in seiner bäuerlichen Architektur, so zeigt sich das ansehnliche Weinbauernhaus inmitten einer überbauten Umgebung auch heute noch, und seit der Renovation von 1987 hat das Haus wieder sichtbar an Bedeutung gewonnen. Sein ursprüngliches rokokohaftes Aussehen hat es jedenfalls durch den hellen Anstrich und die vornehme graue Fassung einzelner Teile wieder weitgehend zurückgewonnen. Einen weiteren Farbakzent setzen dabei die türkisblauen Sprossenfenster und die dazu farblich eingestimmten Fensterläden. Das Haus «Zur Vorderen Fuhr» darf mit seiner Ausstattung am Äusseren wie im Inneren als eines der besten Bauzeugnisse ländlicher Architektur und Wohnkultur am Zürichsee am Ende des Ancien Regime gelten. Es verbindet die Dekorationsfreude, wie sie dem ländlichen Bauen stets eigen war, mit der bewussten Übernahme feinen bürgerlichen Wohngeschmacks durch das wohlhabende Bauerntum. Die wirtschaftliche und politische Emanzipation der ländlichen Oberschicht wird hier in einer selbstbewussten, aber zurückhaltenden Art der baulichen Repräsentation sichtbar gemacht.
Es gibt wenige Beispiele von Bauernhäusern, welche sich – im Gegensatz zum weitverbreiteten barokken Riegelhaus mit seinem aufwendigen konstruktiven Fachwerk – der bürgerlichen Architektur des Dixhuitieme so sehr annähern wie dieses Haus. Schlichter, klarer Baukubus unter leichtgebrochenem, nur knapp vorspringendem Giebeldach, verputzte Massivbauweise, welche blass mit einem weissen Fassadenanstrich und ausgefassten Einzelteilen in vornehmem Grau rechnet, streng beachtete Regularität und Symmetrie an Trauf- und Giebelfassade, betont durch die elegante Walmlukarne auf der Wohnseite und den zierlichen Gitterwerkbalkon über der gemauerten Freitreppe an der Eingangsfassade. Die dekorativen Elemente sind spärlich, aber wirkungsvoll eingesetzt, nicht unbescheiden in der handwerklichen Fertigung. Am schönsten ist wohl der Hauseingang gestaltet: ein wahrer Blickfang im Zusammenwirken von verschiedenen Handwerkserzeugnissen, angefangen beim zierlich profilierten, verkröpften Sandsteinrahmen mit dem akanthusblattbesetzten Schlußstein und den Initialen des Bauherren-Ehepaares sowie dem Baujahr.

«Vordere Fuhr». Hauseingang.

«Vordere Fuhr». Waschhaus.

 

Südwestfassade
Nordostfassade

Nordwestfassade
Südostfassade

Dachgeschoss
1. Obergeschoss

Erdgeschoss/Keller
Querschnitt
 

(17. HRH. SW. 84-Hans Rudolf Hauser und Susanna Wüest, 1784), dem wertvoll eingelegten Türblatt in Eiche mit rokokohaft geschwungenem Spiegel, überhöht durch ein Oberlichtgitter mit einfallsreich gestaltetem Schmiedeisenwerk (eine bekrönte ovale Kartusche, beidseits flankiert von Rocaillemotiven). Das Ganze wird eingebunden in einen für bäuerliche Verhältnisse ganz ungewohnt aufwendigen repräsentativen Treppenaufgang mit symmetrischen Läufen, welche von beiden Seiten gegen einen auf Säulen ruhenden, geschweiften Korbbalken aufsteigen, dessen Schmiedeisengeländer jedem Vergleich mit bürgerlichen Kunsthandwerkserzeugnissen standhält. Das ursprüngliche Bauwerk von 1784 hat ganz wenige und in ihrer Art kaum wesentlich störende Veränderungen erfahren, welche in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sind, als das Haus den Wohnbedürfnissen jener Zeit angepasst wurde. Eine vor den Kellern auf der talseitigen Giebelfront errichtete Veranda über Holzstützen entspricht stilistisch dem Zinnenaufbau über der rückwärtigen Trauffront, und das dekorativ ausgesägte Stirnbrett an der hinteren Giebellukarne wiederum gehört demselben Formenschatz an wie die hölzerne Zierdekoration an der Kellerveranda. Die beiden Bauteile am Wohnhaus sprechen zudem dieselbe Sprache wie der Stil des Waschhauses, welches 1883 aufgestockt worden ist. Das zierlich kleine Bauwerk – mit altem Sodbrunnen im Innern – weist über einem gemauerten Sockelgeschoss ein einfaches Fachwerk auf. Die wie Zierschablonen ausgesägten Stirnbretter auf den Pfettenköpfen der Vorderseite sind ebenso dem gängigen Repertoire des sog. «Laubsägestils» entnommen wie die traufseitige Laube mit ihren ornamentalen Ausschnitten.


DAS INNERE
 
Durchschreiten wir das Haus, so tritt uns im Innern derselbe gestalterische Formwille verfeinerter Wohnkultur entgegen wie er das Äussere bestimmt: bäuerliches Rokoko in reinster Ausprägung. Die beiden weiträumigen, stützenlos überspannten Keller dienten ehemals der Weinkelterung aus dem Ertrag der hauseigenen Reben (1½ Jucharten). Man kann das Haus aufgrund seines Geschossaufbaus durchaus als Zürichsee-Weinbauernhaus bezeichnen, auch wenn der Hof auf einer für die Zürichseeufer charakteristischen gemischten Bewirtschaftung basierte (Weinbau in Verbindung mit Viehwirtschaft). Über dem nur teilweise in den Hang eingetieften Kellersockel erhebt sich ein Wohn- und ein Schlafgeschoss, dessen innere Treppenerschliessung im 19. Jahrhundert neu gestaltet worden ist (die marmorierten Wände des Hausflurs sind allerdings nach dem Umbau von 1987 wieder verschwunden). Im 19. Jahrhundert wurde die Wohnung zudem durch den rückwärtigen Zinnenaufbau erweitert. Die Innenausstattung stammt jedoch fast vollumfänglich aus der Bauzeit. Sowohl das Stubengeschoss wie auch das Obergeschoss (und dies ist im Bauernhaus selten) weisen einen für diese Zeit auffallend hohen Wohnkomfort auf. Vor allem die beiden Stuben bestechen durch ihre kunstvolle ursprüngliche Ausstattung. Rokokotäfer mit geschweiften Füllungen, Felderdecken mit eingelegtem Mittelmedaillon, Nussbaumtüren mit Wulstrahmen und ebensolche Wandkästchen, Parkettböden und schliesslich zwei bemalte Kachelöfen vermitteln ein einheitliches Bild gehobener ländlicher Wohnkultur, welche auch die Stuckdekken und den eingebauten Vorratsschrank am Hausflur miteinschliesst. Es wäre allzu aufwendig, jede Einzelheit hier aufzuzählen.

«Vordere Fuhr». Herd in der Küche, mit Kachel des Hafners Kaspar Nehracher von Stäfa, 1785.


OFENMALEREIEN
 
Zum Schluss unserer Betrachtungen möchten wir uns noch kurz den Ofenmalereien im Hause zuwenden. Der Zürichseeraum hat im 18. und 19. Jahrhundert eine bemerkenswerte Ofenkeramikproduktion hervorgebracht38. Gleichzeitig stellten die drei Hauptmanufakturen39 Kölliker in Horgen, Nehracher in Stäfa und Bleuler in Zollikon neben den gängigen grün schablonierten Ofenkacheln figürlich bemalte Öfen mit blauer Zeichnung auf hellem Grund her, welche den städtischen Erzeugnissen (beispielsweise der Manufakturen Locher oder Bachofen) in nichts nachstehen. Wie wir aufgrund verschiedener Signaturen aus dem 18. Jahrhundert wissen, arbeiteten routinierte Keramikmaler40 wie Jakob Hofmann oder Jakob Kuhn für die drei genannten Zürichseemanufakturen ebenso wie für die städtischen. Neben einem frei erfundenen Motivschatz wurde auch nach Vorlage gemalt. Man kennt beispielsweise die Folge der bekanntesten Zürichseelandsitze nach Vorlagen von Johann Melchior Füssli, gestochen durch David Herrliberger (Öfen in den beiden Landsitzen Schipf in Herrliberg und Sparrenberg in Engstringen, beide aus städtischen Manufakturen).

Ofenkachel mit Haus «Vordere Fuhr» und Sennhütte.


Einen anderen Motivkreis stellen die unzähligen im Geschmacke der Zeit gehaltenen Ideallandschaften dar, welche bestückt sind mit Ruinen, Schlössern, Seen, Felsen und anderen Requisiten und belebt mit Figuren aller Art, mit höfischgalanten und bäurischburlesken, mit Jagdstücken und ländlichen Idyllen. Beliebt waren zudem Allegorien, wie die vier Jahreszeiten. Hin und wieder gibt es auch Anspielungen auf die örtlichen Gegebenheiten, zum Beispiel in der Übernahme einer Vedute. Die beiden bemalten Kachelöfen im Haus «Zur Vorderen Fuhr» unterscheiden sich sowohl im Profil der Kranzgesimse wie im Stil und Duktus ihrer Malerei. Auch zeigen ihre Darstellungen eine unterschiedliche Thematik. Der Ofen in der südöstlichen (bergseitigen) Stube trägt erstaunlicherweise auf einer Kachel die Jahreszahl 1759(!). Auch der Stil der Malerei deutet auf die Entstehung in der Mitte des 18. Jahrhunderts hin. Es kann sich deshalb nicht um ein Erzeugnis handeln, welches für dieses Haus geschaffen worden ist. Vielmehr wurde es aus unbekanntem Anlass und zu einem Zeitpunkt, den wir nicht kennen, hieher gebracht. Nicht verwendete Teile, die sich ebenfalls noch im Hause befinden, weisen auf die ursprüngliche Form eines Turmofens hin, der nachträglich zum heutigen Ofen umgebaut worden ist. Seine Malerei ist virtuos ausgeführt, der Motivschatz reichhaltig und die Malerei technisch äusserst sorgfältig aufgetragen. Neben zahlreichen Idyllen (Jagd- und Schäferszenen), pittoresken und vedutenhaften Architekturstücken, aber auch Ruinenlandschaften finden sich an diesem Ofen die Allegorien der Vier Jahreszeiten. Die Malweise erinnert stark an signierte Ofenmalereien von Jakob Hofmann und erreicht zweifellos die Qualitätsstufe der städtischen Konkurrenz.
Der zweite Ofen, in der nordöstlichen (seeseitigen) Stube, ist in wesentlich naiverem Stil gemalt. Solche Ofenmalereien finden sich im ländlichen Raum weitherum. Da gibt es viel vegetabiles Rankenwerk und einfache Phantasiestücke. Doch dieser Ofen interessiert uns vor allem für die Hausgeschichte: Er trägt nämlich an seiner Front die früher schon erwähnten Allianzkacheln von Johann Rudolf Hauser (mit der Jahrzahl 1785) und seiner Ehefrau Susanna Wüest. Eine Lisenenkachel ist ebenfalls 1785 datiert, und ausserdem befindet sich an der Herdwand in der Küche ein Friesbändchen mit der Signatur des Hafners Kaspar Nehracher von Stäfa und ebenfalls der Jahrzahl 1785. Es scheint, dass die hier wiederverwendeten Kacheln alle von der Ofenwand («Chouschtwand») des genannten Stubenofens stammen. Der Ofen zeigt aber noch weitere auf den Hausbau bzw. den Auftraggeber bezogene Motive. So findet sich eine Darstellung des Hauses «Zur Vorderen Fuhr» selbst mit der danebenliegenden Sennhütte und eine Ansicht der Kirche von Wädenswil aus Nordosten. Bemerkenswert ist auch die Folge von Veduten zürcherischer Amtssitze nach graphischen Vorlagen, nämlich Regensberg, Kyburg, Kappel, Laufen und Wädenswil (nach David Herrliberger). Sucht man nach Vergleichsbeispielen zu dieser motivreichen Ofenmalerei, so wird man in Wädenswil selbst fündig: Im Gottfriedhaus (Leigass 21) steht ein ganz gleicher Ofen mit der Besitzerkachel von Hans Jakob Blattmann und der Jahrzahl 1781, allerdings unsigniert. An seinem Fries findet man die in gleicher Art und nach derselben Vorlage gemalten Amtssitze, in ihrer Abfolge jedoch leicht variiert: Regensberg, Knonau, Kappel, Grüningen, Kyburg, Hegi und Andelfingen. Und erstaunlicherweise hat auch hier wieder die Kirche von Wädenswil Platz gefunden, allerdings in einer frontalen Ansicht von Norden (Seeseite). Man sieht: Ofenmalerei hat am Zürichsee künstlerische Tradition, und die beiden Fuhr-Kachelöfen sind hervorragende Beispiele dafür, welche sich ohne weiteres in einen weiteren Zusammenhang stellen lassen. Neben der Motivwanderung verdiente auch das Verhältnis vom Auftraggeber zum Hersteller und von der Manufaktur zum Künstler endlich eine aufschlussreiche kulturhistorische Darstellung.

«Vordere Fuhrn vor der Restaurierung. Kellertüre, Abort, Türschlösser, Deckenmalereien, Hausflur.

«Vordere Fuhr» nach der Restaurierung. Hausflur, Ofentreppe, Stuben im 1. Obergeschoss, Treppenhaus, Dachstuhl.

Dafür ist aber innerhalb der vorliegenden Hausgeschichte zuwenig Raum. Wir lassen es daher bei Andeutungen bewenden. Trotzdem: auch die wertvollen Kachelöfen mit der Besitzerinschrift bekräftigen uns das Bild vom wohlhabenden, angesehenen und selbstbewussten Bauherrn Hans Rudolf-Hauser-Wüest auf der «Vorderen Fuhr», welcher sein Haus im ausgehenden 18. Jahrhundert mit erheblichem finanziellem Aufwand und sichtlichem Besitzerstolz, vor allem aber in bestem Geschmacke der Zeit hat ausstatten lassen. Dieselbe Freude am ererbten Gut zeigt aber auch die heutige sechste Generation seiner Familie, welche es auf sich genommen hat, das wertvolle Baudenkmal mit nicht minder grossem Einsatz in Stand zu stellen und damit für die Zukunft zu erhalten.




Dr. Christian Renfer


Anmerkungen

StAZ = Staatsarchiv Zürich
 
1 Zur Frühgeschichte der Wädenswiler Einzelhöfe vgl. Peter Ziegler, Wädenswil, Bd. 1, Wädenswil 1982, S. 63 ff.: Siedlungen und Höfe vor 1550.
2 StAZ, C V 3,6d vom 11.3.1505 und C II 14,75 von 1457.
3 StAZ, C V 3,6d vom 11.3.1505.
4 StAZ, C II 14,137 vom 6.7.1550 und F Ilc 86 bzw. 88, beide von 1555.
5 Vgl. Anm. 2 (1457).
6 StAT, B XI Wädenswil 1, Grundprotokoll Bd. 1, S. 150a vom 11.11.1659.
7 Vgl. Anm. 4 (1555).
8 Vgl. Anm. 4 (1555).
9 Vgl. Anm. 4 (1555).
10 StAZ, B XI Wädenswil 17, Grundprotokoll Bd. 17, S. 335 vom 11.1.1808.
11 StAZ, B XI Wädenswil 1, Grundprotokoll Bd. l, S. 138 f. vom 20.1.1662.
12 Zur Geschichte der Familie Blattmann vgl. Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 1, Zürich 1934 und Bd. 2, Zürich 1938.
13 Vgl. Anm. II.
14 StAZ, B XI Wädenswil 2, Grundprotokoll Bd. 2, S. 66 vom 11.11.1668.
15 StAZ, B XI Wädenswil 4, Grundprotokoll Bd. 4, S. 301 vom 1.5.1703.
16 StAZ, B XI Wädenswil 17, Grundprotokoll Bd. 17, S. 96 vom 19.3.1782.
17 StAZ, B XI Wädenswil 17, Grundprotokoll Bd. 17, S. 335 vom 11.1.1808.
18 StAZ, B XI Wädenswil 19, Grundprotokoll Bd. 19, S. 232, vom 9.6.1820.
19 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll ab 1869, S. 575 vom 12.3.1870.
20 Ebenda.
21 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Bd. 23, S. 475 ff. vom 20.3.1890.
22 Vgl. Anm. 6.
23 StAZ, B XI Wädenswil 2, Grundprotokoll Bd. 2, S. 214a von 1674.
24 StAZ, B XI Wädenswil 5, Grundprotokoll Bd. 5, S. 196a von 1726.
25 StAZ, B XI Wädenswil 5, Grundprotokoll Bd. 5, S. 449a von 1739.
26 StAZ, B XI Wädenswil 5, Grundprotokoll Bd. 5, S. 287 bzw. 294 von 1733.
27 StAZ, B XI Wädenswil 9, Grundprotokoll Bd. 9, S. 232 vom 12.9.1775.
28 Stadtarchiv Wädenswil, Brandassekuranzregister von 1826.
29 StAZ, B XI Wädenswil 9, Grundprotokoll Bd. 9, S. 97 vom 18.5.1773.
30 StAZ, B XI Wädenswil 5, Grundprotokoll Bd. 5, S. 419a vom 13.11.1738.
31 StAZ, B XI Wädenswil 6, Grundprotokoll Bd. 6, S. 39a vom 1.5.1743.
32 Vgl. Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1986, S. 65-83.
33 Die genealogischen Daten der Familie hat Peter Ziegler aus den Kirchenbüchern und Bevölkerungsverzeichnissen erschlossen.
34 StAZ, B XI Wädenswil 21, Grundprotokoll Bd. 21, S. 260 f.
35 Stadtarchiv Wädenswil, Brandassekuranzregister von 1826, S. 436.
36 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll ab 1871, S. 356 f. vom 6.6.1872.
37 Notariat Wädenswil, Grundbuchblatt 848.
38 Vgl. dazu: Christian Renfer, Die Bauernhäuser des Kantons Zürich, Bd. 1, Zürichsee und Knonaueramt, Basel 1982, S. 520-538 mit Abb.
39 Ebenda Abb. 1070 (Verbreitungskarte).
40 Ebenda S. 523 und Abb. 1101-1105.