Vom Tätschschiessen in der Landvogtei Wädenswil

Quelle: «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 2. Juni 1956 von Peter Ziegler

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts bürgerte sich unter den «Jungen Knaben» in der Stadt und auf der Landschaft Zürich ein Brauch ein: das Armbrustschiessen in den Tätsch. Damit wurde der noch nicht militärpflichtigen Jugend ebenfalls Gelegenheit geboten, sich im Waffenhandwerk zu üben. Das Tätschschiessen stand bei der Zürcher Regierung in hoher Gunst und wurde von ihr während Jahrhunderten tatkräftig unterstützt und gefördert. Seit zirka 1500 spendete die Obrigkeit den besten Schützen alljährlich wertvolle Ehrengaben. Meistens waren es hübsche Zinnteller, sogenannte «Schiessplättli», welche auf die Knaben so aufmunternd und anspornend wirkten, dass sich bald Hunderte dem Zielschiessen in den Tätsch hingaben. Im Weinland, im Knonauer Amt und im Zürcher Oberland wurde schon früh aufs Eifrigste in den Tätsch geschossen. Dadurch wuchs der Bedarf an Schützenblatten rasch an. 1601 stiftete der Rat 42 Dutzend Schiessblatten, welche von vier Kannengiessern zu elf Schilling das Stück geIiefert wurden; 1651 liess er 660 und im Jahre 1700 sogar 700 Teller austeilen. Anfang 1791 verfertigten die Zürcher Zinngiesser allein für die Knaben auf der Landschaft 987 Stück Schützenblatten. Für die Kosten der Ehrengaben kam das Säckelamt, die Zürcher Staatskasse, auf.
Über die Anfänge des Tätschschiessens in der Landvogtei Wädenswil liegen keine Berichte vor. In den Rechnungen des Vogtes stossen wir jedoch wiederholt auf Ausgaben, die bekunden, dass dieser Brauch auch hier gefördert worden ist. Den ersten Hinweis enthält die Landvogteirechnung von 1599/1600 mit einer Ausgabe von fünf Schilling Trinkgeld für den Boten, welcher in Zürich die Schützenblatten abholte und sie dem Landvogt ins Schloss brachte. Eine «Blatten-und Zillstattordnung», welche der Rat von Zürich im Frühling 1590 erlassen hat und die auch für die Wädenswiler Knaben verbindlich war, verrät, wie die Tätschschiessen durchgeführt worden sind.
An den Sonntagen nach Ostern, «doch erst nach den zwölfen, damit die knaben die kinderpredig darvor nit versument», fand sich die schiessfreudige Jugend mit der Armbrust auf der Zielstatt ein. Um die obrigkeitlichen Gaben konnten sich Knaben vom 10. bis 16. Altersjahr bewerben. Jeder Jüngling, der einen Degen trug oder Wein trank, musste den Übungen fernbleiben. Ein mit Lehm gefüllter Korb (der Tätsch) war Zielscheibe; er wurde an einem Baum oder an einer Mauer befestigt. Die gestrichene Lehmfläche enthielt mehrere Kreise und in der Mitte den «Zweck». Wer diesen traf, wurde Sieger. «15 schritt wyt, und nit näher er by dem tätsch» sassen die Armbrust-Schützen auf dem «Höckerli». Jeder durfte zwölf Bolzen abgeben. Der beste Schütze konnte sich am nächsten Sonntag nicht mehr um den Preis bewerben, sondern musste «desselbigen tags den andern beim Tätsch die schüss messen und die bölz usziehen». Ging ein Knabe dreimal als Sieger hervor, hatte er die Blatte gewonnen. Wer am wenigsten Punkte erreichte, musste zur Strafe den «Tätsch» putzen, das heisst die Bolzenlöcher in der Lehmfläche glattstreichen.
Auf dem Lande schoss man gewöhnlich über die Strasse. Wer während des Schiessens vorübergehen wollte, wurde vom «Anbautz» mit einer Schüssel in der Hand um einen kleinen Geldbeitrag angebettelt. Der Erlös wurde nach dem Schiessen gemeinsam verprasst.
Am Ostermontag gelangten die von der Obrigkeit gestifteten Zinnteller zur Verteilung. In der Stadt nahmen die glücklichen Gewinner ihre Blatte beim Grossweibel auf dem Rathaus in Empfang, in Wädenswil erhielt man sie beim Landvogt im Schloss. Wie einem Schützenrodel von 1716 zu entnehmen ist, liess Landvogt Fries am 13. April unter die 185 Tätschschützen von Wädenswil 27 Blatten austeilen. Von den 77 Knaben zu Richterswil gewannen im selben Jahr neun einen Zinnteller. Im Jahre 1717 bewarben sich 161 Wädenswiler «Jungschützen» um die Ehrengabe der Zürcher Regierung, aber nur 24 konnten vom Landvogt Escher mit Preisen gekrönt werden.
Mit der französischen Revolution von 1798 verschwanden die obrigkeitlichen Schützenblatten als Gaben für die besten Armbrustschützen. Die neue Zeit bereitete dem Tätschschiessen in der Landvogtei Wädenswil ein Ende.




Peter Ziegler