Unser Wohnort ist unser Lebensraum

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1977 von Hans Zollinger-Tschudi

Freizeit richtig nützen

Bernhard Shaw sagte: «Wir haben es ausgezeichnet verstanden, den einen Teil unseres Lebens, die Arbeit, zu organisieren. Wir haben aber vergessen, den anderen Teil, die Musse, in Ordnung zu bringen.» Sicher geht es nicht darum, unsere Freizeit mit Terminplan und organisatorischer Genauigkeit vorauszuplanen. Denn damit würde ich ja Sklave meiner Freizeit werden. Mit dem Satz von Bernhard Shaw ist aber wohl gemeint, dass wir unsere Freizeit mit kreativer Tätigkeit ausfüllen und somit auch wissen sollten, was für einen Gehalt wir unserem Leben geben wollen. Dazu brauchen wir Musse, welche wir in «Ordnung» bringen müssen.
Oft meinen wir, nur wenn wir zuerst viele Kilometer zurücklegen, würden wir einen Ort der Erholung und der Musse finden. Gewiss, es gibt schöne, herrliche Landschaften, etwa in den Bergen. Aber auch unsere nähere Heimat in Wädenswil vermag uns immer wieder zu begeistern. Wir sind uns zu wenig bewusst, dass wir in einer Gegend wohnen, welche Ausländer als Ferienlandschaft bezeichnen. Mit dem Waldlehrpfad im Gulmentobel etwa wird uns ein Stück Natur in der nächsten Heimat vertraut gemacht. In Wädenswil finden wir viele Möglichkeiten für kreatives Tun.
Wie finde ich den Waldlehrpfad im Gulmenholz? Der Situationsplan, gezeichnet von Richard Pfister, erleichtert das Suchen.

Verbesserung der Lebensqualität

Es ist zur Mode geworden, über die Qualität des Lebens zu sprechen, über das qualitative Wachstum, statt des quantitativen Wachstums. Doch was meinen wir wirklich damit? Sicher ist nicht allein die Humanisierung am Arbeitsplatz gemeint. Gemeint ist vielmehr, dass aus den Fernsehkonsumenten, Massentouristen, Gleichgültigen, Passivsportlern wieder vermehrt Menschen werden, welche nach den Werten im Leben suchen. Heute haben viele wieder erkannt, dass aktives, schöpferisches Tun Befriedigung bringt. Die Menschen sind in den letzten Jahrzehnten aus Gewinnsucht in der Zerstörung unserer Umwelt bis an den Rand der Katastrophe gegangen. Auch die Zerstörung der Wälder blieb nicht ausgeklammert. Heute beginnt die Einsicht zu reifen. Spät, fast zu spät ist man dazugekommen, unsere Landschaft zu schützen, unsere Seen, Wälder und alten Bauten zu lieben.

Bergahorn.

Der Wald als Erholungsort

Immer schon haben etwa die Pfadfinder den Wald als Tummelplatz benutzt. Sie treiben Botanik und machen vielerlei Spiele. Dann kamen die Waldläufer, welche die Gesundheit der Waldluft erkannt hatten. Mit dem Aufkommen der Finnenbahnen, Fitness- und Vitaparcours wurden unsere Wälder neu belebt. Immer mehr Spaziergänger und Erholungssuchende gehen heute in die Wälder. Was lag näher, als über den Wald, der eine lebenswichtige Schutz- und Wohlfahrtswirkung hat, etwas mehr wissen zu wollen? Der Wald steht da, mit grossen und mächtigen, aber auch kleinen und zierlichen Bäumen und Sträuchern. Die Bäume rücken nicht von ihren Plätzen, sie geben keine Geräusche von sich. Die Laubbäume tragen im Sommer Blätter, die Nadelbäume verlieren ihr grünes Kleid nie. Das alles wissen wir. Wir wissen auch, dass die Bäume leben, wachsen, alt werden und schliesslich zerfallen, wenn der Mensch sie nicht vorher braucht. Vieles über das Leben im Wald aber wissen wir nicht. Deshalb wurde die Idee «Waldlehrpfad» geschaffen, damit wir etwas mehr über diese Lebensgemeinschaft erfahren. Der Wald ist für den Menschen lebenswichtig, seien es die lebenden Bäume oder das Holz als Rohstoff.

Goldnessel.

Wie der Waldlehrpfad entstand

Waldlehrpfade gibt es in der Schweiz schon eine ganze Anzahl. Der Stadtforstmeister von Zürich, Carlo Oldani, war es, der dem Waldbesucher auch Gelegenheit geben wollte, den Wald und seine Gehölze näher kennenzulernen. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass die in Deutschland bereits verbreiteten Lehrpfade auch bei uns bekannt wurden und 1968 in Zürich der erste Waldlehrpfad der Schweiz entstanden ist.
Nach dem Besuch mehrerer Waldlehrpfade, vor allem auch des wohl herrlichsten in unserer Gegend in Kaltbrunn, war der Entschluss zur Schaffung eines Waldlehrpfades in Wädenswil bald einmal gefasst. Dabei war Carlo Oldani ein kundiger Berater. Nach der Prüfung aller Wädenswiler Waldungen zeigte sich das Gulmenholz als das geeignetste mit einer überraschenden Vielfalt an Arten. Auf den Aufruf im Veranstaltungskalender des Verkehrsvereins zur Mithilfe reagierten spontan eine Anzahl bereitwillige Helfer. Herr Ernst Bachmann mit Jugendlichen aus dem Kinderheim Bühl, die Rover der Pfadfinderabteilung Wädenswil-Richterswil sowie von der Eidgenössischen Forschungsanstalt Dr. K. Stoll und Dr. H. Schüepp halfen in verdankenswerter Art, die Idee zu verwirklichen.
Schachtelhalm.
In Fronarbeit wurden über 40 bestehende Bäume und Sträucher freigelegt und mit Pfählen und Nummern bezeichnet. Seither wurden dank den Bemühungen von Dr. K. Stoll die nach dem Nummernsystem von Carlo Oldani fehlenden Arten hinzugepflanzt, so dass heute ein Inventar von 55 Arten vorliegt. Nicht unerwähnt bleiben darf auch die tatkräftige Unterstützung durch das Bauamt Wädenswil.

Der Lehrsaal im Grünen

Als «Lehrsaal im Grünen» wurde der Waldlehrpfad im Anzeiger-Bericht über die Eröffnung am 22. Mai 1976 bezeichnet. Sein Boden bestehe aus einem Teppich grüner und teilweise blühender Waldpflanzen. Äste mit Blättern aller möglichen Formen bilden das Dach und mehr oder weniger dicht stehende Baumstämme die Wände. Die «Fenster» gewähren herrliche Durchblicke auf die anschliessenden Wälder und Häusergruppen, auf den See und in die Berge, aber auch in das Innere des Tobels mit seinen Wasserfällen und dem tiefen Bett, das sich der Gulmenbach gegraben hat. Auf diese herrliche Weise wurde der Wädenswiler Waldlehrpfad beschrieben.
Tatsächlich lehrt uns der Wald vielerlei. Wir beobachten die Gemeinschaft oder auch Feindschaft von Tier und Pflanze, beispielsweise Insekten, welche Blätter als Brutstätte ihrer Eier benutzen, oder wir sehen, wie gefährlich der Jungbaum lebt und vom Eingriff des Rehs bedroht wird. Wir beobachten auch junge Bäume, welche vergeblich nach Licht und Sonne streben und im Schatten der alten Bäume verkümmern. Wir lernen Bäume und Sträucher kennen, welche den feuchten Moosboden bevorzugen, und wir merken uns die Pflanzen, welche die sonnigen Waldränder lieben. Wir lernen aber auch, wie der Baum, ob er nun Blätter oder Nadeln hat, seine Grünteile zum Leben braucht. Damit fängt er Licht auf und verwandelt es zusammen mit Wasser und Kohlendioxid, das Tiere und Menschen ausatmen, in Zucker, den er solange ab- und umbaut, bis daraus neue Äste, Nadeln, Samen oder Wurzeln entstehen. Der Baum ist also ein chemischer «Hexenmeister». Als «Abfall» entsteht im Blatt noch Sauerstoff, ohne den weder Tier noch Mensch überleben. Nur die Pflanzen können ihn uns liefern. Lohnt es sich nicht, über diese Bäume und Sträucher noch etwas mehr zu erfahren?
Die Liste der 55 Bäume und Sträucher ist nach dem Grundsatz der Häufigkeit in unseren Wäldern zusammengestellt. Es sind 11 Nadelhölzer, 24 Laubbäume und 20 Sträucher, geordnet nach ihrer waldbaulichen Bedeutung und von 1 bis 55 fortlaufend nummeriert.
Wer über die 55 Gehölze noch etwas mehr erfahren will, kann beim Verkehrsverein Wädenswil das Büchlein von Carlo Oldani beziehen.
Und nun viel Spass auf dem Wädenswiler Kleinod, dem Waldlehrpfad im Gulmentobel.

1 Fichte (Rottanne)
2 Tanne (Weisstanne)
3 Föhre
4 Lärche
5 Eibe
6 Douglasie
7 Bergföhre
8 Schwarzföhre
9 Weymouthsföhre
10 Arve
11 Gemeiner Wacholder (Reckholder)
12 Buche (Rotbuche)
13 Hagebuche (Weissbuche)
14a Stieleiche (Sommereiche)
14b Traubeneiche (Wintereiche)
15 Roteiche
16 Esche
17 Bergahorn (Waldahorn)
18 Spitzahorn
19 Feldahorn
20 Bergulme
21a Winterlinde (Steinlinde)
21b Sommerlinde (Breitlinde)
22 Kirschbaum (Waldkirsche)
23 Birke (Weissbirke)
24 Aspe (Espe, Zitterpappel)
25 Kanadische Pappel
26 Edelkastanie
27 Rosskastanie
28 Nussbaum
29 Schwarzerle
30 WeisserIe
31 Vogelbeerbaum (Eberesche)
32 Mehlbeerbaum
33 Elsbeerbaum
34 Robinie (Falsche Akazie)
35 Salweide
36 Hasel (Haselnuss)
37 Sauerdorn
38 Gemeiner Weissdorn
39 Schwarzdorn (Schlehdorn)
40 Traubenkirsche
41 Stechpalme
42 Pfaffenhütchen (Spindelstrauch)
43 Faulbaum (Pulverholz)
44 Kreuzdorn
45 Seidelbast (Zilander)
46 Lorbeer-Seidelbast
47 Roter Hornstrauch (Hartriegel)
48 Liguster
49 Rote Heckenkirsche (Gemeines Geissblatt)
50 Schwarze Heckenkirsche
51 Alpen-Heckenkirsche
52 Schwarzer Holunder
53 Roter Holunder (Trauenholunder)
54 Gemeiner Schneeball
55 Wolliger Schneeball
Aehrige Rapunzel.

Kälberkopf.

Waldmeister.

Kirschbaum.

Vogelbeerbaum.




Hans Zollinger-Tschudi