Wie Wädenswils Bahnhofplatz entstanden ist

Quelle: Manuskript Oktober 2007 von Peter Ziegler

Ein zum See hin orientiertes altes Quartier

Zwischen den heute noch stehenden Altbauten Hotel Engel von 1835 und Lagerhaus Sust (heute Jugendhaus) von 1840 erstreckte sich ein zum See hin orientiertes Quartier mit kleineren Wohnhäusern, Ökonomiebauten und Freiflächen. Der Nordwestteil hiess Kronengasse-Quartier − nach dem alten Gasthof Krone − und wurde durch eine Fortsetzung der heutigen Gerbestrasse erschlossen.
In den späten 1830er Jahren wurde die Seestrasse angelegt, und entlang dieser Strasse entstanden Neubauten, so das Hotel Seehof (Seestrasse 94) und das Haus Sust (Seestrasse 90), beide an den Rand eines neu angelegten Hafens gestellt. Mit der Seestrasse, welche die alte Landstrasse (Eidmattstrasse, Luftstrasse ) ersetzte, erhielt das am See gelegene Quartier eine deutliche bergseitige Begrenzung.
Zwischen heutiger Engelstrasse und Haus Merkur standen zehn Häuser. «Schiffli», «Akazie», «Bellevue», «Schönegg», Haus Brupbacher und «Engel» bildeten die zum See ausgerichtete Front. Der Gasthof Krone mit Saalbau, die Wirtschaft Johannisburg und das Haus der späteren Bäckerei Ammann grenzten oben an die neue Seestrasse. Die Gerbestrasse und deren Fortsetzung − später Fortuna-Strasse benannt − bildeten mit dem Eckhaus «Schiffli» und dem angebauten Haus Seeau die östliche Begrenzung. Mitten im heutigen Bahnhofplatz stand das kleine Haus Friedau. Anstelle des seeseitigen Teils des Hauses Merkur erhob sich das alte Grossmann-Haus. Das Areal bergseits bis zur Seestrasse war nicht überbaut. Am Standort des späteren Hauses Dosenbach gab es bis 1866 zwei Scheunen.

Veränderungen durch den Bahnbau

In den 1870er Jahren bewirkten der Bau der linksufrigen Seebahn Zürich – Ziegelbrücke und der Wädenswil−Einsiedeln-Bahn (seit 1891 Südostbahn) Veränderungen im Quartier. Der offene Zugang zum See wurde abgeschnitten. Für den Bau der 1875 eingeweihten Seebahnlinie liess die Nordostbahngesellschaft den Hafen bei der Sust auffüllen. Auf das Aufschüttland kam der Güterschuppen zu stehen und zürichwärts anschliessend das Bahnhofgebäude nach gleichem Bauplan wie der noch bestehende Bahnhof Richterswil. Vom «Engel» bis zur Sust erstreckte sich die neue Bahnhofstrasse, in paralleler Führung zur Seestrasse. Vom Plätzli her führte eine Stichstrasse (heute Seehofstrasse) direkt zum Bahnhof. Der Ostteil des ursprünglichen Quartiers wurde zum Bahnhof-Quartier.
Blick auf den Bahnhof und in die Bahnhofstrasse um 1880.

Bahnhofstrasse zwischen «Schiffli» und «Engel», 1930.

Alter Bahnhof Wädenswil, im Hintergrund die Passerelle zum Seeplatz.
 
Alter Bahnhof Wädenswil.
 

Neubauten zwischen 1880 und 1900

Die Lage in der Nähe des neuen Verkehrsmittels Eisenbahn war attraktiv. Es entstanden daher verschiedene Neubauten, so an der Seestrasse von 1867 bis 1871 das Wohn- und Geschäftshaus Fortuna, nachmals Haus Dosenbach (abgebrochen 2007) und bergseits 1896 das monumentale Wohn- und Geschäftshaus Seestrasse 105, in dem sich unter anderem die Post einmiete. Gegenüber dem bereits geschlossenen Hotel Seehof eröffnete 1880 das Hotel Du Lac (1957/58 durch einen Neubau ersetzt).

Haus Merkur

1902 wurde das alte Grossmann-Haus und ein weiteres kleines Wohnhaus abgebrochen. An deren Platz entstand ein grosses Doppelwohnhaus: der seeseitige Teil des Hauses Merkur. Zusammen mit dem Postgebäude setzte es in Wädenswil − einem Dorf, das damals Klein Paris genannt wurde − einen wichtigen städtebaulichen Akzent. 1905 erwarb der Kaufmann Johann Schubiger, der im Nachbarhaus Fortuna ein Warenhaus führte, die Parzelle zwischen dem Haus Merkur und der Seestrasse. Der Käufer ging folgende Bedingungen ein: Auf der Parzelle wird sofort ein Geschäftshaus erstellt, das auch eine Etage Wohnräume enthält. Das Gebäude «soll in der äusseren Architektur dem Gebäude zum Merkur zum mindesten nicht nachstehen». 1906 wurde Schubigers Wohn- und Geschäftshaus eröffnet. Es enthielt unter anderem einen mechanischen Personenaufzug, den ersten Lift in Wädenswil.
 

Stationserweiterungsprojekte

Kurz nachdem die Nordostbahn 1902 in den Schweizerischen Bundesbahnen aufgegangen war, wurde an der Wädenswiler Bahnhofanlage verschiedentlich Kritik geübt. 1906, 1912, 1916 und 1919 legten die SBB Erweiterungsprojekte vor, die jedoch nicht verwirklicht wurden. 1925 baute man die Strecke Wädenswil – Richterswil auf Doppelspur aus und ging zum elektrischen Betrieb über.
 

Neubau Bahnhof und Bahnhofplatz

1929 legten die SBB ein neues Projekt vor, das 1930 bis 1932 verwirklicht wurde. Damals wurden die Häuser im Viereck zwischen Engelstrasse, Bahnhofstrasse, Fortuna-Strasse und Seestrasse – insgesamt 16 Bauten – abgebrochen. Auf diesem Areal entstanden der modern Kronenblock, das schlichte modern Bahnhofgebäude und der Bahnhofplatz. Der Kronenblock, mit einem der ersten Flachdächer in Wädenswil, wurde in der Ausrichtung auf das ältere, ebenfalls monumentale Haus Merkur bezogen. Durch den Abbruch des Hauses Johannisburg (Seestrasse 110) verbesserte man die Zufahrt zum Bahnhofplatz von der Seestrasse her.
Restaurant Johannisburg und Bäckerei Ammann, 1930.
 
Bäckerei Ammann nach dem Abbruch der Johannisburg, 1931.
 
Der neue Bahnhofplatz war durch den Kronenblock, das Bahnhofgebäude, das Haus Merkur und die Häuserzeile an der Seestrasse klar umgrenzt. Der Platz wirkte als Freiraum. Es gab lediglich ein paar Standplätze für Taxis bei der Bäckerei Ammann.
Am 29. Oktober 1932 nahmen die SBB den neuen Bahnhof mit überdachten Perrons und Reiterstellwerk in Betrieb. Der Vorgängerbau gegenüber dem «Du Lac» wurde hierauf abgebrochen.
Zwischen Bahnhof und Seeplatz bestand seit 1932 eine Unterführung. Diese wurde 1960 bis zur Gerbestrasse verlängert, damit die stark befahrene Seestrasse nicht mehr oberirdisch überquert werden musste. Dem Bau der Unterführung hatten die Häuser Scharfeck (Seestrasse 109) und Bäckerei Ammann (Seestrasse 108) zu weichen.
Der neue Bahnhof Wädenswil, 1932.
 
Bahnhof Wädenswil.

Bahnhofplatz 1936.

Fazit

Der 1930 bis 1932 angelegte Bahnhofplatz – der grösste und einer der wenigen Plätze in Wädenswil – wurde bewusst konzipiert. Dabei spielte der Blick auf das neue Bahnhofgebäude, die Jugendstilbauten Post und Merkur sowie auf den vom Neuen Bauen geprägten Kronenblock eine wichtige Rolle. Diese Einheit nicht zu stören und die Freifläche zur Geltung zu bringen, sollte Verpflichtung gegenüber früheren grosszügigen gestalterischen Lösungen sein!




Peter Ziegler