EINE RARITÄT DER WÄDENSWILER POSTGESCHICHTE

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1993 von Karl Thoma
 
Im Jahre 1993 wird das Jubiläum «150 Jahre Schweizer Briefmarken» gefeiert. Das Geburtsland der Briefmarke ist England. Auf Anregung von Sir Rowland Hili erschienen im Rahmen einer umfassenden Postreform Anfang Mai 1840 zwei Wertzeichen − die berühmtere schwarze «Penny Black» zu einem Penny und die blaue Zwei-Pence −, beide geschmückt mit dem Porträt der regierenden Königin Victoria. Damit konnten Postsendungen auf einfache Art und Weise frankiert werden, nachdem vorher stets der Empfänger dem Postboten das Porto in bar zu entrichten hatte.
Diesen Überlegungen folgte die Direktion der Zürcher Kantonalpost, als sie am 1. März 1843 ebenfalls Marken herausgab. Die «Zürich-Vier» und «Zürich-Sechs» − die erste Markenausgabe auf dem Kontinent – waren reine Ziffermarken.
Die «Zürich 4» war für die Lokalpost und die «Zürich 6» für die Briefe innerhalb des Kantons Zürich bestimmt. Für Korrespondenz nach den übrigen Gebieten der Schweiz und nach dem Ausland waren diese Wertzeichen ungültig.
Entworfen wurden die beiden Marken vom Lithographen Esslinger; die Herstellung im Steindruck erfolgte bei Orell Füssli und Co. Die beiden ersten Marken des Kontinents gelten heute noch als grafische Meisterwerke.
«Zürich 4» und «Zürich 6» - die stark vergrösserten, 1843 herausgegebenen ersten kantonalen Briefmarken.
 
Der erste bekannte frankierte Brief der Schweiz ist am 2. März 1843 in Wädenschweil aufgegeben worden. Der historische Brief war mit einer «Zürich 6» frankiert und an Bezirksarzt Schmid in Richtenschweil adressiert. Der legendäre Brief ist mit Sicherheit vom damaligen Posthalter Jakob Höhn gestempelt und für den Transport bereitgestellt worden. Im Tagesdurchschnitt waren im Jahre 1843 in Wädenschweil zirka 250 Briefe zu verarbeiten.
Der älteste erhaltene, mit einer «Zürich 6» frankierte Brief wurde am 2. März 1843 in Wädenswil aufgegeben, für Bezirksarzt Dr. Johannes Schmid in Richterswil.

In jener Zeit verkehrte täglich − nebst Fussboten und Postwagenkursen − die sogenannte Glarner-Diligence (Kutsche eines Postwagenkurses), mit Abfahrt 08.00 Uhr in Wädenschweil, die den Brief nach Richtenschweil beförderte.
Der erwähnte «Wädenschweiler Brief» befindet sich im PTT-Museum in Bern, wo die grösste Briefmarkensammlung der Welt zu sehen ist. Hier können einzigartige Dokumente aus der Zeit der ersten Briefmarken in der Schweiz bewundert werden. Der «Wädenschweiler-Brief» vom 2. März 1843 steht an der Spitze dieser eindrücklichen Dokumentation.
In den Jahren nach 1843 gaben auch weitere Kantone eigene Briefmarken heraus. Die Kantonalmarken waren nur im betreffenden Kanton gültig. Sie waren noch ungezähnt und mussten mit der Schere aus dem Bogen herausgeschnitten werden. Der Erfolg blieb vorerst bescheiden. Nur zögernd gewöhnte sich eine Minderheit an diese «Postheftpflaster». Viele Leute begegneten der «neuen Mode» mit Misstrauen und Ablehnung. In gewissen Kreisen galt es sogar als unschicklich und für den Adressaten gar beleidigend, Briefe zu frankieren. Denn der Empfänger könnte dies ja als Geringschätzung seiner finanziellen Möglichkeiten auffassen!
Die Kantonalmarken gelten heute als philatelistische Kostbarkeiten, die von Sammlern hochgeschätzt und zu stolzen Preisen gehandelt werden.



Karl Thoma