Zweite Serie Baukultur-Infotafeln montiert

Quelle: WA 11-2022 von Stefan Baumgartner

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde in Wädenswil eine Lücke geschlossen: Historische Häuser in Wädenswil erhielten eine Infotafel, die die jeweilige Geschichtedes Hauses näherbringt, versehen ausserdem mit einem QR-Code für weiterführende Informationen. In dieser ersten Serie erhielten 20 Häuser eine solche Tafel, gestartet wurde mit dem Stadthaus. Am 2. November nun wurde vor dem Haus Gerbestrasse 3, in dem Manuela Bettio Feinkost verkauft, auf die zweite Serie angestossen. In dieser zweiten Serie erhielten vor allem Häuser im Perimeter rund um den Bahnhof und entlang der Gerbe- und Friedbergstrasse eine solche Tafel. In seiner Ansprache an die zahlreichen Interessierten erzählte Andreas Hauser als einer der Initianten von Baukultur Wädenswil, wieso genau welches Haus ausgewählt wurde. Alter, Bedeutung, baukünstlerischer und/oder bauhandwerklicher Wert sind ebenso Kriterien wie Stil und Funktion. Hauser erklärte auch, dass die Gerbestrasse die eigentliche Bahnhofstrasse von Wädenswil sei. Denn andernorts würde die Bahnhofstrasse vom Zentrum zum Bahnhof führen. In Wädenswil sei das nicht der Fall; es gäbe zwar eine Bahnhofstrasse, die führe aber parallel dem Bahnhof entlang. Vorbereitet für diese zweite Serie wurden 13 Tafeln, einige hängen bereits, andere werden nächstens montiert, aber man steht auch mit vereinzelten Hausbesitzern in Verhandlungen für eine 3. Serie.

Haustafeln und eine digitale Infothek

Quelle: JSW 2021, Seite 63-69: Haustafeln und eine digitale Infothek - Das Projekt «Baukultur Wädenswil».

Das Projekt «Baukultur Wädenswil»

Auf Initiative von Christoph Lehmann formierte sich Ende 2016 eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel, wichtige Wädenswiler Bauten mit Informationstafeln zu versehen, wie sie schon in vielen Orten vorhanden sind. Nebst Lehmann besteht die Arbeitsgemeinschaft aus Prof. Dr. Peter Ziegler, der Juristin Doris Bircher und dem Kunsthistoriker Dr. Andreas Hauser. Ziegler brachte sein enzyklopädisches Wissen über Wädenswil ein, Lehmann sein Know-how als Kaufmann und Vereinsorganisator (Neue Fasnachtsgesellschaft Wädenswil), Bircher das ihre als langjährige Sekretärin der kantonalen Natur und Heimatschutzkommission und Hauser seine Kenntnisse und seine Erfahrung als Architekturhistoriker und Kunsttopograph.
Die Arbeitsgemeinschaft «Baukultur Wädenswil» am 24. Juli 2021: Doris Bircher, Peter Ziegler, Andreas Hauser und Christoph Lehmann (von links).

Einem Vorschlag Hausers folgend beschloss die Arbeitsgemeinschaft, das Haustafel-Vorhaben mit dem Projekt einer elektronischen Infothek über die Baukultur in Wädenswil zu verbinden (www.baukulturwaedenswil.ch). Weil dieses digitale Ortslexikon als «work in progress» konzipiert wurde und weil schon Hunderte Arbeitsstunden in seinen Aufbau investiert wurden, ist es bereits seit Längerem nutzbar. Inzwischen steht auch eine erste Serie von rund fünfzehn Haustafeln kurz vor der Montage. Damit ist der Moment gekommen, das Projekt «Baukultur Wädenswil» vorzustellen.

Informationstafeln an wichtigen Wädenswiler Bauten

Es wäre wünschenswert gewesen, im gesamten Gebiet der Stadt Wädenswil Tafeln zu platzieren. Das hätte aber die Kräfte und Mittel unseres kleinen Komitees bei Weitem überstiegen. Uns ging und geht es darum, einen Anfang zu machen, und so haben wir uns auf den Ortskern und auf rund dreissig bis vierzig Objekte beschränkt. Der Aufwand ist auch so noch gross genug; weitermachen können dann andere Personen.
Zwei Beispiele für Haustafeln: Das Stadthaus an der Florhofstrasse und die alte Post an der Seestrasse.

Die Tafeln messen 325 mal 260 mm und sind wie in Richterswil aus Plexiglas gefertigt, damit sie nicht als Fremdkörper wirken. Für die grafische Gestaltung sind Markus Birchler (multi-sign.ch) und Guido Widmer (guidowidmer.ch) verantwortlich; die Texte hat Andreas Hauser auf der Grundlage von Vorarbeiten Peter Zieglers und eigener Forschungen verfasst; die wissenschaftliche Redaktion hat Ziegler, das Lektorat Doris Bircher besorgt.
Die Tafeln sind so konzipiert, dass sie in wenigen Minuten gelesen werden können; wer es eilig hat, kann sich auch auf den Kopfteil beschränken. Links befindet sich eine Abbildung, rechts ein Kurztext. Bei diesem handelt es sich um eine schlagwortartige kunstgeschichtliche Würdigung in der Art eines Reiseführers. Die Abbildung zeigt den ursprünglichen oder einen älteren Zustand des Baus. So wird ersichtlich, ob und wie sich dieser verändert hat. In manchen Fällen gingen die Umgestaltungen weit. Die alte Post an der Seestrasse zum Beispiel präsentierte sich ursprünglich als französischer Palast mit roten Klinkermauern und reichem malerischem Schmuck. Die Stadtbibliothek an der Schönenbergstrasse besass im Obergeschoss ein malerisches Sichtfachwerk, wie es heute noch an der Villa Rosenmatt zu finden ist.
Auf den Kopfteil mit Tafel und Kurzbeschreibung folgt eine Zeittafel. Mit dieser tabellarischen Form kann auf wenig Raum etwas dargestellt werden, was uns besonders wichtig ist: die Geschichte der Nutzungsänderungen. Ein Beispiel für eine solche ist die eben erwähnte Stadtbibliothek – das Gebäude diente früher der Feuerwehr. In der Fusszeile ist nebst dem Logo und der Web-Adresse der QR-Code platziert, der zur digitalen Infothek «Baukultur Wädenswil» führt. Dort ist mehr über das Objekt zu erfahren, an dem die Tafel befestigt ist; wer will, kann sich zu anderen interessanten Bauten und Anlagen Wädenswils führen lassen.

Das Feuerwehrhaus an der Schönenbergstrasse, erbaut 1907 bis 1909, auf einem Foto aus dem Einweihungsjahr 1909. Seit 2011 Stadtbibliothek.

Ein Wissens-Baukasten über die Baukultur in Wädenswil

Das wissenschaftliche Konzept für die Infothek hat Andreas Hauser nach dem Modell des «Inventars für neuere Schweizer Architektur 1850–1920» entwickelt, das er seinerzeit selber mitgeprägt hat. Die Vorarbeiten zur Website hat Webdesigner Robert Lenherr (call-up.ch) besorgt. Die Infothek ist weit mehr als bloss eine Ergänzung zu den Haustafeln: Sie ist ein Wissens-Baukasten über Wädenswil, mit Schwerpunkt auf der gebauten Umwelt. Der Baukasten enthält verschiedene «Schubladen»: «Über Wädenswil»«Baugattungen»«Bauinventar»«Personen und Institutionen». Viele Schubladen sind noch leer, andere aber so voll, dass die Daten-Obergrenze der Website erweitert werden musste. Deshalb, und wegen eines Kästchens mit dem Namen «Suchen», ist die Infothek ein unverzichtbares Arbeitsinstrument für alle, die sich für Wädenswil interessieren.
Viele Informationen über Wädenswils wichtige Bauwerke sind schon im Inventar der schützenswerten und geschützten Bauten von Wädenswil zu finden (Online-Stadtplan von Wädenswil: zuerst Kästchen «Inventar », dann gesuchtes Objekt anklicken).
Der gemeindeeigene Gasthof zur Sonne an der Schönenbergstrasse wurde 1821 bis 1822 als Ersatz für einen hölzernen Vorgängerbau erbaut. Als Versammlungsort des Gemeinderats (Exekutive) und als Standort der Kanzlei hatte der Bau die Funktion eines Gemeindehauses. Von 1868 bis 1906 befand sich die Kanzlei im rechts hinten sichtbaren Gebäude, das 1867 bis 1868 als Sekundarschulhaus erstellt worden war.

Der Begriff «Baukultur» und die oben genannten Schubladen-Etiketten zeigen aber, dass wir uns für mehr interessieren als für einzelne «Baudenkmäler».
Zunächst einmal für den Siedlungszusammenhang, zu dem diese gehören. Solche Zusammenhänge sind in der Rubrik «Quartiere» beschrieben; es werden da nicht nur hochrangige, sondern auch bescheidene Gebäude, nicht nur Bauvolumen, sondern auch Zwischenräume gewürdigt. Für Wädenswil existieren bereits etliche Quartierdarstellungen von Peter Ziegler, Adrian Scherrer, Michael D. Schmid und anderen.
Wichtiger als die Formen von Bauten sind für die Einwohner und Einwohnerinnen oft deren Funktionen oder Nutzungen. Deshalb sind auf Stadtplänen die wichtigsten öffentlichen Einrichtungen aufgelistet: das Stadthaus, die Sitze der öffentlichen Verwaltung, die Schulhäuser, die Kultgebäude, die Bahnhöfe, die Sportanlagen und so fort. Dem Brauch der Architekturgeschichtsschreibung folgend, bezeichnen wir solche funktionellen Typen als «Baugattungen».
Das Stadthaus zum Freihof an der Florhofstrasse wurde 1811 als Fabrik (Baumwollweberei und Spinnerei) und Wohnhaus erbaut. Seit 1906 dient es als Gemeindehaus und seit 1974 als Stadthaus. Die Wohnungen wurden sukzessive in Büros umgenutzt. 2005 bis 2006 wurde es renoviert und umgebaut.

Eine besonders interessante Baugattung ist zum Beispiel das Rat-, Stadt- oder Gemeindehaus; sein Aussehen verrät viel über das Selbstverständnis eines Gemeinwesens. Die Wädenswiler fanden diesbezüglich eine schlaue Lösung: Statt einen Neubau zu erstellen, installierten sie die Kanzlei 1906 in einem schlossartigen Fabrik und Wohngebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert und bauten dort 1924 einen schönen Ratssaal ein.
Nicht nur die Exekutive, sondern auch die Legislative muss ja einen Versammlungsort haben. Der 1974 formierte Gemeinderat war zuerst im Etzelsaal zu Gast, bevor er 1975 seine definitive Bleibe im Schulhauskomplex Untermosen fand. Als Versammlungslokal der Gemeindeversammlung diente bis zu deren Aufhebung im Jahr 1974 die reformierte Kirche – diese war also nicht nur ein Kult-, sondern auch ein Legislativgebäude.
Eine weitere Schublade der Infothek trägt das Etikett «Personen und Institutionen». Wie es bei einem digitalen Architektur- und Städtebaulexikon zu erwarten ist, liegt die Priorität auf Baufachleuten: Architekten und Architektinnen, Ingenieuren und Ingenieurinnen, Handwerkern und Handwerkerinnen, Künstlern und Künstlerinnen. Aber eine Baukultur wird eben nicht nur von Fachleuten bestimmt und getragen, sondern auch von den Auftraggebern und Auftraggeberinnen sowie von den Personen, die Bauten und öffentliche Bereiche nutzen. Deshalb haben wir eine Unterrubrik mit dem Titel «Personen» eingerichtet.
Die letzte Gemeindeversammlung am 22. Januar 1974 in der reformierten Kirche. Aufnahme von Fotograf Georges Hoffmann.

Sodann spielen «Ämter und Behörden» für den Wandel des Dorfes respektive der Stadt eine wichtige Rolle, und ebenso «Vereine, Stiftungen und Genossenschaften». Genossenschaften gehören zu den wichtigsten baulichen Akteuren der neuzeitlichen Stadt, und Vereine bemühen sich um ihre «Verschönerung» (Verkehrsverein) oder um ihre Belebung (Fasnachtsgesellschaft und andere). Bei der Behandlung von Baufachleuten legen wir Wert darauf, dass nicht nur ihr Werk, sondern auch ihre gesellschaftliche Rolle, ihre Familie, ihre Ausbildung, ihr Selbstverständnis, ihre Wohnsitze und Arbeitsstätten in den Blick kommen. Als Muster für eine solche kulturgeschichtliche Darstellung ist die Monografie des Architekten und Politikers Hans Streuli (1892–1970) gedacht.

Ein personifiziertes Geschichts-Gedächtnis

Die Infothek enthält zahlreiche Beiträge, die eigens für sie geschrieben wurden. Was sie zu einem wichtigen Arbeitsinstrument macht, ist aber der Umstand, dass sie auch älteres Schrifttum in digitalisierter und neu organisierter Form enthält. Wädenswil gehöre, meinte einst der Bauernhausforscher Christian Renfer, zu den am besten erforschten Gemeinden des Kantons. Eine Quelle ersten Ranges ist die 1797 einsetzende Chronik der Lesegesellschaft. Ihr Erbe, das ab 1975 erscheinende Jahrbuch der Stadt Wädenswil, umfasst mittlerweile 47 Bände, die einen enormen Bestand an kulturgeschichtlichem Wissen enthalten.
Schon vor dem Erscheinen des Jahrbuchs haben Diethelm Fretz und Albert Hauser eine Anzahl gehaltvoller Studien zu Wädenswil mit Schwerpunkt auf der Wirtschaftsgeschichte geliefert. Was Gesamtdarstellungen betrifft, so hat im Jahre 1867 der Sekundarlehrer Johann Heinrich Kägi eine erste vorgelegt, aber den «Klassiker» hat Peter Ziegler mit einer Ortsgeschichte geschaffen, die 1970 und 1971 in zwei Bänden erschien. 1982 und 1988 unverändert neu aufgelegt, ist sie noch heute für jeden Forscher und jede Forscherin eine unentbehrliche Grundlage.
Peter Ziegler in seiner Gelehrtenstube (links). Es handelt sich um den Salon der Tuchfabrik-Villa an der Einsiedlerstrasse 24 (rechts). Sie wurde 1883 bis 1884 vom Architekten Karl Schweizer für den Textilfabrikanten Fritz Fleckenstein-Waser erbaut.

Als es noch keine schriftliche Überlieferung gab, waren Erzähler und Sänger für das kollektive Gedächtnis und für identitätsstiftende Erzählungen zuständig. In der Person Peter Zieglers besitzt Wädenswil einen wissenschaftlichen Nachfahren dieses Typus. Fragt man jemanden nach der Geschichte eines Hauses oder einer Familie, wird man unweigerlich an ihn verwiesen. Tatsächlich ist Ziegler, der den grösseren Teil seines Berufslebens als Didaktiklehrer für Geschichte an der Universität Zürich tätig war, ein Vollbluthistoriker, mit Schwerpunkt auf der Geschichte Wädenswils und der Region Zürichsee. Schon als Knabe war er stark an Realien interessiert, an römischen und mittelalterlichen Gemäuern zuerst, dann später an der gebauten Umwelt insgesamt bis hin zur Gegenwart. Geprägt unter anderem von Richard Weiss, einem Erneuerer der Volkskunde, hat er Geschichte und Baugeschichte stets auch als Kultur- respektive Brauchtumsgeschichte betrieben. Ausserdem war und ist er ein hartnäckiger und gut organisierter Sammler von Quellenmaterial, insbesondere von alten Fotografien. Wichtig für seine Tätigkeit als Historiker und Geschichtsvermittler war und ist auch seine enge Verbindung mit dem Journalismus und dem Verlagswesen.
Ausgestattet mit einer Kombination von Begeisterung, offenem Blick, Disziplin und einem herausragenden Gedächtnis, hat Ziegler im Lauf von nunmehr rund 65 Jahren eine unübersehbare Zahl von Büchern, Zeitungsartikeln, Fachzeitschriften-Aufsätzen, Kunstführern, Gutachten und Inventaren verfasst, darunter die beliebten Bände über das alte Wädenswil, in denen alte Fotografien mit lokalhistorischen Kommentaren versehen sind. Wer in Zieglers Schriften oder in dem von ihm begründeten und lange betreuten Jahrbuch der Stadt Wädenswil «herumschneuggt», entdeckt so manch Interessantes über unsere Gemeinde. Mühelos in den vielen Bänden herumflanieren kann aber nur, wer sie selber besitzt. Noch problematischer wird es, wenn die Leser und Leserinnen nach einer ganz bestimmten Information suchen. Beide Probleme haben wir angepackt und teilweise auch gelöst. In monatelanger Arbeit hat Christoph Lehmann einen grossen Teil der Jahrbuch-Artikel und des Zieglerschen Schrifttums digitalisiert und in die Schubladen unserer Infothek «abgefüllt». Mit dem unschätzbaren Gewinn, dass man nun bloss einen Suchbegriff einzugeben braucht, um fündig zu werden. Und wer die Jahrbücher der Stadt Wädenswil nicht in der Stadtbibliothek holen will, findet sie (mit Ausnahme der jüngsten) in unserer Infothek in der Abteilung «Literatur».

Die Ziele der Arbeitsgemeinschaft «Baukultur Wädenswil»

Altstädte und Industrieareale, die für Kultur und Gastronomie umgenutzt sind, sind oft derartige Magnete für Besucherinnen und Besucher, dass es den Anwohnern zu viel wird. Und die Wohnquartiere des 19. Jahrhunderts mit ihren Blockrandbauten zählen auf dem Wohnungsmarkt zu den beliebtesten Standorten. Das zeigt, dass ältere Bausubstanz für die Standort- und Lebensqualität eines Ortes von entscheidender Bedeutung ist. Dass das bauliche Patrimonium als Wert aufgefasst wird, ist das Verdienst der Kunstgeschichte. Als diese Disziplin im 19. Jahrhundert entstand, war sie noch stark dem Geniekult verhaftet; sie schwärmte für Meisterwerke von überzeitlichem Wert. Gegenden abseits der berühmten Kunstzentren hatten da schlechte Karten. So auch die Schweiz: Sie habe zwar schöne Landschaften, aber keine wertvollen Kunstschätze. Erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erkannten die Schweizer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, dass gerade das Bodenständige, Unhöfische, Eigenwillige und oft etwas Naive den unverwechselbaren Charme der hiesigen Baukultur ausmacht. Dafür wurde jetzt die Architektur des 19. Jahrhunderts verteufelt, auch die heute so geschätzten Mietpalazzi. Unter der Losung Autogerechtigkeit, Hygiene und Komfort wurden in der Baukonjunktur der 1960er-Jahre derartige städtebauliche Verwüstungen angerichtet, dass es zu einer Protestbewegung zugunsten der Stadt des 19. Jahrhunderts kam. Daraus erwuchs das Gesetz, dass die Gemeinden schützenswerte Bauten zu bestimmen und für deren Erhalt zu sorgen hätten. Ohne diese Massnahmen stünden viele Bauten, die das Ortsbild von Wädenswil prägen, nicht mehr. So zum Beispiel das Stadthaus oder die alte Sust. An ihnen kann man auch sehen, dass Renovieren keineswegs gleichbedeutend mit Konservieren oder Musealisieren ist – es geht vielmehr um ein Recyceln, um ein Zu-neuem-Leben-erwecken.
In den letzten dreissig Jahren wurde in der Schweiz gefühlt so viel gebaut wie zuvor in den vielen Jahrhunderten seit der Pfahlbauerzeit. Entsprechend stark kamen ältere Bauten unter Druck; Abbrüche gehörten und gehören zur Tagesordnung. Viele Altbaubesitzerinnen und -besitzer verspüren wenig Lust auf Erhalt, da die ihnen zugemuteten Wertverluste und Mehrausgaben nicht durch flankierende Massnahmen abgefedert werden. Ausserdem neigen viele ökologisch engagierten Leute dazu, Altbauten als Energie- und Raumverschwender zu denunzieren, obwohl deren ökologischer Fussabdruck unter dem Strich oft kleiner ist als der von Neubauten.
Das grösste Hindernis, um endlich auch im Bauwesen das Recycling-Prinzip verstärkt zur Anwendung zu bringen, ist aber die tief verwurzelte Überzeugung von der Wertlosigkeit örtlicher Altbauten. Genauere Kenntnis kann das ändern. Sie zu vermitteln, ist das Hauptziel unserer Infothek. Alte Fotos können zeigen, dass Bauten, die sich wie Schandflecke ausnehmen, das Potenzial zu Schmuckstücken haben. Und Quartierbeschreibungen können deutlich machen, dass Siedlungsstrukturen ebenso wichtig sind wie einzelne Bauten. Architektonische Rosengärten darf man dabei in einem industrialisierten Bauerndorf wie Wädenswil nicht erwarten. Aber oft fühlt man sich ja in einer Magerwiese mit ihrer Farbenvielfalt und ihrem Gewusel an Kleingetier wohler als in einem überdüngten Kunstgarten mit seinen hochgezüchteten und gestylten Blüten.

Der Güterschuppen der ersten, 1874–1875 erbauten Bahnhofanlage Wädenswil wird seit 2009 als BMX- und Skatehalle genutzt.

Die 1839 bis 1840 erbaute Sust (Hafen-Warenmagazin) fungierte nach ihrer Aufstockung (1890 bis 1891) als SOB-Verwaltungsgebäude und Schulhaus und dient seit 1987 als Jugendhaus.




Doris Bircher, Andreas Hauser, Christoph Lehmann

Presse

Baukultur Wädenswil: Erste Tafeln montiert

Quelle: Wädenswiler Anzeiger, 11 – November 2021, Text & Bilder Stefan Baumgartner
Das Team der Baukultur Wädenswil – Christoph Lehmann, Peter Ziegler, Doris Bircher und Andreas Hauser – freuen sich zusammen mit Stadtpräsident Philipp Kutter über den gelungenen Start der Tafelmontage.

Macht man einen Ausflug in die Nachbardörfer oder anderswo hin, flaniert durch Dorf- oder Altstadtgassen, fallen oftmals informative Tafeln an historischen Gebäuden ins Auge: Wer hat dieses Haus in welchem Baustil gebaut, wofür wurde es benutzt, was beherbergt es heute? Nicht so in Wädenswil. Bis anhin. Am 12. November wurden von «Baukultur Wädenswil» erste Infotafeln angebracht.

Wer in Wädenswil bis anhin Informationen zu einem Gebäude erhalten wollte, musste selbst recherchieren und fand allenfalls in einem gedruckten Werk – dann meist aus der Feder von Peter Ziegler – Näheres. Seit einiger Zeit nun existiert im Internet die Seite www.baukultur-waedenswil.ch, betreut von einem Projektteam, bestehend aus Kunsthistoriker Andreas Hauser, Doris Bircher, Christoph Lehmann – und natürlich Peter Ziegler. Dieses Team «Baukultur Wädenswil» plante – nebst der informativen Website – Tafeln zur Beschriftung historischer Bauten herzustellen, und, sofern die Eigentümerinnen und Eigentümer das erlauben, sie am Gebäude oder in dessen Nähe permanent sichtbar zu machen. Interessierte Einwohner, Schulen, Vereine, Besucher könnten sich so über die Geschichte eines Gebäudes orientieren und mittels QR-Code oder über die Website weitere Informationen abrufen. Die Tafeln aus Plexiglas enthalten kompakte Informationen sowie eine Abbildung des Objekts im ursprünglichen oder in einem älteren Zustand. Über den aufgedruckten QR-Code erhält man vertiefte Informationen.
Kürzlich wurden nun die ersten Tafeln an den Gebäuden befestigt, und eine Tafel – jene am «Freihof» – feierlich enthüllt. Der «Freihof» wurde nicht zufällig ausgewählt, ihn kennt man heute besser als Stadthaus, und so wusste Kunsthistoriker Andreas Hauser in seiner Ansprache zum Projekt allgemein und zum «Freihof» im Speziellen einiges zu erzählen. Stadtpräsident Philipp Kutter bemerkte, dass das Haus früher eine Spinnerei beherbergte – und meinte lakonisch, dass es Leute gäbe, die das Haus immer noch dafür hielten.
Stapi Philipp Kutter zeigt viel Freude an der am «Freihof» – dem Stadthaus – montierten Tafel.
Mit der Einweihung der ersten Tafel sowie der gleichzeitigen Montage weiterer Tafeln – Richterswils Gemeindepräsident Marcel Tanner half bei der Montage tatkräftig mit – ist ein erster Schritt vollbracht. Doch noch sind nicht alle historisch wertvollen Häuser in Wädenswil beschriftet, und auch nicht jedes Haus erhält nun eine solche Tafel. Alter, Bedeutung, baukünstlerischer und/oder bauhandwerklicher Wert sind ebenso Kriterien wie Stil und Funktion.



Die Geschichte von bedeutenden Gebäuden auf einen Blick

Quelle: Zürichsee-Zeitung, Bezirk Horgen, Samstag, 13. November 2021, Text Daniela Haag, Fotos Michael Trost
Die Gruppe Baukultur feiert die Enthüllung der ersten Informationstafel mit dem Stadtpräsidenten. Von links: Christoph Lehmann, Peter Ziegler, Doris Bircher, Philipp Kutter und Andreas Hauser.

Eine Arbeitsgemeinschaft will der Bevölkerung die Baukultur der Stadt näherbringen. Am Freitag hat sie am Stadthaus die erste Informationstafel enthüllt.
Wädenswil gilt als einer der am besten erforschten und dokumentierten Orte im Kanton Zürich, denn eine ganze Reihe von Historikern widmete sich der Ortsgeschichte und tut dies immer noch. Doch etwas fehlte Wädenswil bisher, was nach den Worten des Kunsthistorikers Andreas Hauser «gefühlt jede dritte Gemeinde hat», nämlich Informationstafeln an wichtigen Häusern.
Diese Lücke ist nun geschlossen. Am Freitag ist am Stadthaus die erste Infotafel montiert und feierlich enthüllt worden. Sie ist eine von zehn Haustafeln im Ortszentrum. Bis Ende Jahr folgen acht weitere. In einer zweiten Etappe sind weitere 18 Tafeln geplant. «Unser Ziel sind rund 50 Informationstafeln», sagt Christoph Lehmann, der das Projekt lanciert hatte.

Veränderungen aufzeigen
Die Tafeln aus Plexiglas sind so konzipiert, dass sie in wenigen Minuten gelesen werden können. Sie enthalten eine Abbildung des Objekts in seinem ursprünglichen oder einfach in einem älteren Zustand, um die Veränderung zu zeigen. Eine Zeittafel und eine kunsthistorische Würdigung informieren über die Entwicklung und Bedeutung des Bauwerks. Mittels QR-Code wird man auf eine Website mit weiteren Informationen geleitet.
Die ersten Haustafeln sind an Gebäuden im Ortszentrum montiert. Ein QR-Code führt zu einer Website mit weiteren Informationen.

So erfährt man beispielsweise, dass das Stadthaus 1811 als Baumwollweberei und Spinnerei erbaut wurde und in den Obergeschossen ursprünglich Wohnungen existierten. Nachdem die Wädenswiler den Bau eines neuen Gemeindehauses aus finanziellen Gründen abgelehnt hatten, diente es ab 1906 als Gemeindehaus und seit 1974 als Stadthaus.

Digitale Infothek erarbeitet
Das Projekt der Haustafeln ist von einer Arbeitsgruppe mit Initiant Christoph Lehmann, Kunsthistoriker Andreas Hauser, Historiker Peter Ziegler und der Juristin Doris Bircher erarbeitet worden. Sie verfügten über eine enorme Fülle an Informationen, die sie den Interessierten ebenfalls zur Verfügung stellen wollten.
Deshalb lancierten sie eine digitale Infothek, die sich als Ergänzung zu den Haustafeln versteht, aber noch viel weiter geht. Auf der Website von Baukultur Wädenswil erstellten sie ein Lexikon über verschiedenste Themen zu Wädenswil. Etwa, wie sich Wädenswil vom Dorf zur Stadt entwickelt hat. Oder es werden Quartiere, Brauchtum und Persönlichkeiten beschrieben.