Freihof (Stadthaus)

Quelle: Gutachten für die Denkmalpflege des Kantons Zürich, Dezember 1990, Januar 1991 und Januar 2007 von Peter Ziegler

1798
Nach dem Zusammenbruch des Stadtstaates Zürich und der Landvogtei Wädenswil werden die früheren Handels- und Produktionsbeschränkungen durch die Zünfte aufgehoben. Das gibt Impulse für Gewerbe und Industrie auf der Landschaft.
 
1799
Die neu gegründete Textilfirma Blattmann, Diezinger & Co. fabriziert in Heimarbeit Baumwollgarn und Mousseline (Baumwollstoff) und handelt damit. Die Firma beschäftigt ausschliesslich Handspinner und Hausweber in Wädenswil und Umgebung.
 
1810
Am 7. September verkauft Senn Rudolf Hauser an Heinrich Blattmann & Diezinger, Sozietät für Baumwollgarn und Mousseline ein Grundstück oberhalb der «Weinrebe» am Westrand des damaligen Dorfes samt Trotte und halber Scheune.(1) Die Firma entschliesst sich zur fabrikmässigen Produktion. Bauherren und Fabrikanten sind: Hauptmann Hans Heinrich Blattmann-Streuli (1782–1865) und Mechaniker Johannes Diezinger (gest. 1835).
 
1811
Am 1. April wird der Grundstein für das Fabrikgebäude gelegt, Mitte Juli ist Aufrichte, im Dezember nimmt die Fabrik den Betrieb auf und produziert mit Tiergöpelantrieb im Mittelteil des Erdgeschosses Maschinengarn.(2) Die Spinnerei verfügt über 20 Spinnstühle mit 4727 Spindeln und 20 Handwebstühle.(3)
Die Unternehmer besitzen einen frühen Fabrikbau auf der Zürcher Landschaft, mit 45 x 18 m einen der grössten. Der dreigeschossige Bau zeigt einen U-förmigen Grundriss mit zwei kurzen Seitenflügeln, die als Wohnungen dienen. Ein Giebel durchstösst die Mittelachse, erschlossen wird der Bau durch ein Hauptportal und vier Seitentüren.
 
1814
Die Firma Blattmann, Diezinger & Co. kauft einen Teil der Giessenmühle: In den folgenden Jahren wird das Unternehmen sukzessive an den Giessenbach verlegt. Statt des Göpels verfügt man nun zum Antrieb der Maschinen über Wasserkraft.
 
1815
Für die Firma Blattmann, Diezinger & Co. zeichnet sich eine Krise ab.
 
1829
Das Unternehmen ist im Handelsregister nicht mehr aufgeführt.
 
1830
Blattmann, Diezinger & Co. verkaufen am 14. September für 17‘000 Gulden das Spinnereigebäude mit Hofraum, halber Scheune und Trotten-Anteil sowie dem 16. Teilrecht an der Haabe bei der «Weinrebe» an Kantonsrat Heinrich Hauser zur Treu und Caspar Theilers seI. Söhnen. (4)
 
1831
Die neuen Eigentümer teilen die ehemalige Spinnerei vom Keller bis zum First in der Gebäudemitte. Heinrich Hauser übernimmt den östlichen Teil, Kaspar Theilers sel. Söhne besitzen den westlichen Teil. (5) Hauser baut auf Theilers Land westlich des Gebäudes ein Waschhaus mit Schopf. Dieser Bau wird 1915 ersetzt, die neue Scheune brennt im Sommer 2001 ab. Heute dehnt sich hier der Parkplatz aus.
 
1833
Die Haushälfte von Kantonsrat Heinrich Hauser zur Treu enthält 5 Wohnungen. Die Liegenschaft wird erstmals als «Freihof» bezeichnet. (6)
 
1840
Im Westteil wohnt Oberstleutnant Heinrich Theiler-Wirz (1795–1841). Er kauft 1840 von Hans Heinrich Eschmann in der Alten Kanzlei die Matte gegenüber dem Freihof und lässt hier 1840/41 die klassizistische Villa Neuhof bauen.
 
1842
Caspar Theilers seI. Söhne verkaufen ihren hinteren Hausteil, genannt zum Freihof, an Walter Theiler-Ulrich in WädenswiI. (7) Der neue Besitzer vermietet von 1842 bis 1853 Räume an die private Lehranstalt von Pfarrer Jakob Heer (1784–1864) von Matt GL, einen Schüler Pestalozzis. Zahlreiche junge Leute erhalten im Schulinstitut im Freihof eine Ausbildung für technische und kaufmännische Laufbahn.
 
1852
Am 1. Mai verkauft Walter Theiler-Ulrich die hintere Hälfte des Freihofs an alt Kantonsrat Heinrich Hauser zur Treu. Hauser (1778–1853) ist damit Alleineigentümer der Liegenschaft. (8) Er arbeitet als Lederhändler und ist Teilhaber der Firma Rensch & Hauser, Wolltuchfabrik im Giessen, nachmals Tuchfabrik Pfenninger.
 
1854
Laut Testament von Heinrich Hauser erhält der ältere Sohn, Kantonsrat Gottfried Hauser-Landis, den Freihof für 50'000 Franken. Das grosse Wohnhaus enthält mehrere Wohnungen. (9)
 
1854–1865
Die 1836 gegründete Sekundarschule Wädenswil-Schönenberg, bisher in der Alten Gerbe bei der Brauerei untergebracht, braucht grössere Räume. Im Mai 1854 mietet sie das Erdgeschoss im Westflügel des Freihofs. (10) 1862 wird die Töchterschule abgetrennt; 1868 kann das erste Sekundarschulhauses bei der «Sonne» bezogen werden.
 
1894
Gottfried Hauser-Landis, immer noch Eigentümer des Freihofs, lässt auf der Seeseite Abtritt-Anbauten erstellen. (11)
 
1898
Maria Müller-Hauser, Gattin von Architekt Julius Müller in Stuttgart, erbt den Freihof.
 
1899
Maria Müller verkauft die Liegenschaft für 112‘500 Franken an Heinrich Schwarzenbach, Weinhändler zur Flora, den Nachbarn. Dies geschieht mit Zustimmung der Witwe Albertine Hauser-Landis. Diese hat lebenslängliches Wohnrecht in der gemieteten Wohnung im Freihof. (12)
 
1905
In der Presse kommt es zu Auseinandersetzungen, ob der Freihof für die Bedürfnisse der Gemeindeverwaltung gemietet oder gekauft werden soll. Die Gemeinde mietet im Parterre der Liegenschaft Amtsräume für die Dauer von zehn Jahren. Sie hat bis 1. Mai 1916 das Recht, den Freihof zu kaufen.
Heinrich Schwarzenbach zur Flora stirbt am 25. April. Die Erben übertragen die Liegenschaft  an das Konsortium Freihof, bestehend aus Emil Rellstab (Leihof), Jakob Treichler (Neuhof) und August Meyer-Brändli (Beau Sejour/Seestrasse bei OWG). Im Grundbuch werden Servituten zugunsten des Nachbarhauses Flora eingetragen: (13) Der Freihof darf niemals als Armenhaus benutzt werden. Es dürfen darin keine lärmenden oder üble Gerüche verbreitenden Geschäftsbetriebe wie Schmiede, Schlosserei, Küferwerkstätte, Sägereien, Fräsereien, ÖI- oder Fettsiedereien erstellt werden.
 
1906
Der Mitteltrakt im Erdgeschoss wird in Amtsräume für die Gemeindeverwaltung umgebaut.
 
1909
Das Konsortium vermietet im Freihof 5 Wohnungen, nämlich 1 x 2, 1 x 3, 1 x 5, 1 x 10, 1 x 12 Zimmer; 3 Mansarden und Büros.
 
1914
Die Herren Rellstab, Treichler und Meyer verkaufen der Politischen Gemeinde gemäss Beschluss der Gemeindeversammlung vom 18. Januar 1914: ein Doppelwohnhaus mit Flügelbauten und Abtrittanbauten, zum Freihof genannt, zum Preis von 120'000 Franken. (14) Die vermieteten Wohnungen werden jährliche Einnahmen von 5600 Franken bringen.
 
1919
Die Gemeinde hat im Freihof sechs Wohnungen vermietet: u.a. an Pfarrer Karl Otto Hürlimann. Im Parterre des Ostflügels liegt die Abwartswohnung, im ersten Stock des Westflügels die Wohnung des Gemeindepolizisten.
 
1923
Im Keller wird ein Raum für das Gemeindearchiv eingebaut. Hier befinden sich auch ein Gefängnis und eine Ausnüchterungszelle. (15)
 
1924
An der Stelle des früheren Archivs entsteht das Sitzungszimmer des Gemeinderates mit eichenem Täfer und Kassetten-Stuckdecke, der jetzige Stadtratssaal. Im Mittelteil ziehen das Steuerbüro und das Zivilstandamt ein.
 
1929
Die Abwartwohnung im Parterre des Ostflügels wird aufgegeben zugunsten von Kanzlei und Büro des Gemeindeschreibers. Der Abwart bezieht die frei gewordene Mietwohnung im 1. Stock des Mittelbaus. Die Kohlenzentralheizung wird erneuert
 
1934
Die Zentralheizung mit Kohle wird auf die Mietwohnungen erweitert, Kachel- und Eisenöfen werden entfernt. Gemeindeingenieur und Friedensrichter erhalten Büros in der aufgehobenen Wohnung des Gemeindepolizisten im Westflügel.
 
1939
Im Untergeschoss werden ein Kommandoposten und ein Luftschutzkeller eingebaut. Fassaden und Dach werden renoviert.
 
1941
Das Bauamt bezieht den 1. Stock des Westflügels anstelle der früheren Wohnung
 
1942
Im Dachstock wird eine Vierzimmerwohnung eingebaut
 
1950
Es sind 5 Wohnungen vermietet: 2 x 3, 1 x 5, 1 x 6, 1 x 12 Zimmer; 5 Mansarden und Büros.
Unter anderem befindet sich hier die Arztpraxis und Wohnung von Dr. Guido Handschin, die Wohnungen von Dr. Richard Menzel und Familie Erich Weber.
 
1955
Umbau einer Wohnung in Büros.
 
1957
Einbau einer Ölfeuerung, 1975 erneuert.
 
1964
Aufstellen von drei Eternit-Garagen.
 
1965
Die Verwaltung belegt den 1. Stock.
 
1967
Ausbau des Parkplatzes.
 
1969
Anschluss an die Schwemmkanalisation.
 
1970er Jahre
Architekten und Ingenieure raten zum Abbruch und Neubau der Gemeinderatskanzlei. Ein Gutachten der Kantonalen Denkmalpflege von 1977 spricht sich klar dagegen aus: Der Bau soll als Dokument der Industriegeschichte und der Industriearchitektur erhalten bleiben.
 
1971
Das Bauamt bezieht den umgebauten 2. Stock.
 
1972
Für Büros der Gemeindepolizei wird die Wohnung im 1. Stock aufgehoben.
 
1974
Mit der Einführung des Parlaments wird die bisherige Gemeinderatskanzlei zum Stadthaus.
 
1975
Betreibungsamt und Stadtpolizei übersiedeln vom Freihof ins alte Gewerbeschulhaus
 
1976
Umbau der Büros für das Steueramt.
 
1980
Statt des Abbruchs wird die Gesamtrenovation des Gebäudes beschlossen.
 
1981
Erneuerung aller Fenster.
 
1982
Im Dachgeschoss werden drei Büros eingebaut. Es wird ein Wettbewerb ausgeschrieben für eine Erweiterung des Stadthauses.
 
1987
Umbau Einwohnerkontrolle; Einbau von zwei weiteren Büros im Dachgeschoss.
 
1988
Renovation und Umbau des Büros im Bauamt.
 
1990
Verlegung der Telefonzentrale, Umbau der Büros für Weibel und Adressiermaschine «Adrema».
 
1994
Das Bauamt bezieht die Liegenschaft Neuhof, erworben 1988.
 
1995
Ein Gutachten Denkmalpflegekommission des Kantons Zürich spricht sich gegen die Auskernung des Mitteltraktes aus. (16)
 
2004
In der Urnenabstimmung vom 26. September bewilligen die Stimmberechtigten einen Kredit von 8,7 Millionen Franken für das Projekt «Stadthaus light». Die Variante mit Annexbau für 14,25 Millionen lehnen sie ab.
 
2005/2006
Im Zusammenhang mit einer Aussen- und Innenrenovation des Stadthauses wird auf der Seeseite ein Sanitär- und Lifttrakt angebaut. Die Schalterhalle im Erdgeschoss des Mitteltraktes wird neu gestaltet, im Untergeschoss entsteht ein Archivraum, das Trauzimmer wird in den Ostflügel verlegt, im Dachgeschoss wird eine Cafeteria eingebaut, die Heizung wird von Öl auf Gas umgestellt und es werden seeseits des Gebäudes zusätzliche Parkplätze angelegt.

Anmerkungen

GV = Gemeindeversammlung
LGW = Lesegesellschaft Wädenswil
StAW = Stadtarchiv Wädenswil
StAZH = Staatsarchiv Zürich
 
1 StAZH, B XI Wädenswil 17, Grundprotokoll 1806, S. 532. – Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 1, Zürich 1934, S. 85f, Nr. 203; Bd. 2 (1938), S. 127f, 131.
2 StAW, IV B 79b, Chronik LGW, S. 174. – Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, Zürich 1938, S. 131.
3 Hans Peter Bärtschi, Industriekultur im Kanton Zürich, Zürich 1994, S. 66.
4 StAZH, B XI Wädenswil 20, Grundprotokoll 1816-1830, S. 79.
5 StAZH, B XI Wädenswil 20, Grundprotokoll 1826-1830, S. 80.
6 StAZH, B XI Wädenswil 20, Grundprotokoll 1826–18 30, S. 212.
7 StAZH, B XI Wädenswil 301, Grundprotokoll 1840–1842, S. 557.
8 StAZH, B XI Wädenswil 304, Grundprotokoll 1851–1855, S. 235.
9 StAZH, B XI Wädenswil 304,. Grundprotokoll 1851–1855, S. 521.
10 Jakob Eugster, 100 Jahre Sekundarschule Wädenswil-Schönenberg, Wädenswil 1936, S. 55.
11 StAZH, RR I 260g, Brandassekuranz, S. 669.
12 StAZH, B XI Wädenswil 327, Grundprotokoll 1897–1899, S. 461.
13 StAZH, B XI Wädenswil 330, Grundprotokoll 1905–1907,S. 196, 327.
14 StAZH, B XI Wädenswil 336, Grundprotokoll 1912–1917, S. 173.
15 StAW, IV B 6.4, Protokoll GV vom 2.12.1923, S. 359.
16 Gutachten Nr. 7-1995 der Denkmalkommission des Kantons Zürich vom 2. November 1995.




Peter Ziegler