Was essen unsere Schüler?

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1984 von Peter Friedli
Eine Umfrage in zwei Sekundarschulklassen während einer Woche
 
«Am Morgen gab es Milchkaffee mit "Möcke", am Abend zur Abwechslung "Möcke" mit Milchkaffee» oder «Uus und Aame, d Pfanne hät es Loch, de Schmutz isch useggloffe, jez hämer d Röschti troch!»
Zu meiner Bubenzeit war ein kleines Kind gesund, wenn es dicke, rote «Bäggli» hatte. Während den Jahren des Zweiten Weltkrieges tischte meine Mutter einfache, aber währschafte Kost auf. Im Garten wurden Kartoffeln, Gemüse und Beeren angebaut; letztere für möglichst dicke, süsse Konfitüren. Pünktlich um 7 Uhr gab es Brot, Butter (100 Gramm pro Woche für vier Personen), Confi und Milchkaffee. Mittag- und Abendessen wurden mit einer nahrhaften Suppe eingeleitet. Fleisch gab es zweimal pro Woche, Bratwürste wurden genau geteilt. Kutteln, Kalbskopf, Grick, Leber, Lungemues waren die (verhassten) Fleischgerichte, aber eben «zwee Löffel voll, hindere und abe mit!» Meine Mutter brachte es aber − in einem bürgerlichen Haushalt − doch fertig, uns gesund und abwechslungsreich zu ernähren. Sie stand sicher sechs Stunden pro Tag in der Küche (1946).
Diese Erinnerungen bewogen mich, in zwei Sekundarklassen in Wädenswil nach der heutigen Ernährung − nach Speisezettel und Essgewohnheiten − zu fragen. Hans Zbinden, Hauptlehrer der Klassen, führte die Umfragen mittels Tabellen während einer Woche exakt durch. Dazu schrieb jeder Schüler einen Vers über seine Lieblingsspeise und illustrierte ihn mit Skizzen.
Aus einer Diskussion wurde klar, dass viele, nämlich 40 Prozent, sehr kalorien- und vitaminbewusst essen (müssen?). Der Geographie- und der Geschichtsunterricht spiegeln sich in den Antworten: «Die Armen in der Dritten Welt haben zu wenig, wir brauchen zu viel.» 17 Prozent der Schüler sind figurbewusst, wollen sportlich und fit sein. Andere mögen gepflegtes Essen und Trinken; eine Minderheit hat stets einen Bärenhunger und kümmert sich nicht um die «schlanke Linie».
Und nun zur Auswertung der jetzt in der Bibliothek des Ortsmuseums aufbewahrten Fragebogen von rund 45 Schülern. Alle sozialen Schichten sind vertreten. Die Ausländer sind hier aufgewachsen und angeblich «integriert». Wir haben Folgendes aufgezeichnet:

Morgenessen (werktags)

90 Prozent essen täglich Brot. Vereinzelte geniessen Kuchen und Wähen, wenige Cerealien (Cornflakes). Zwei Kinder vertilgen Rösti, eines nimmt Vitaminpillen. Hafermus ist unbekannt. Zwei Drittel der Schüler brauchen Butter oder Margarine. Ein Drittel der Brotesser zieht Käse, Aufschnitt oder Eier vor. Ein Drittel der Befragten bedient sich mit Confi oder Honig. Bei den Frühstücksgetränken sind Milch, Joghurt oder Quark am beliebtesten (zirka drei Viertel); die restlichen Kinder trinken Kaffee oder Tee. Ovo oder Kakao sind in den Milchgetränken eingeschlossen.
 

Der Frühstückstisch

Zwei Drittel der Schüler essen alleine z Morge, ein Drittel mit der Familie oder den Geschwistern zusammen. Drei Kinder essen regelmässig auswärts (Migros), Die Mengen sind recht einheitlich: ein bis zwei Stück Brot, eine Tasse Getränk; ein Kind isst nichts. «Lieber spööter uufstaa und defüür weniger ässe!» Die Milch wird hauptsächlich aus dem Kühlschrank genossen; die durchschnittliche Essenszeit wird mit sechs bis acht Minuten angegeben.
 

Der Mittagstisch

Der Mittagstisch ist bedeutend unregelmässiger gedeckt und saisonbedingt. Man sieht aus der Befragung, dass viele Väter teilweise in Kantinen essen, während die Kinder sich ihr Menü oft selber gestalten müssen, sei es zusammen mit der Mutter und/oder mit Geschwistern. Bemerkenswert ist die Salatschüssel, welche kaum auf einem Tisch fehlt: Salat ist schnell zubereitet und kann täglich variiert werden. Die meisten bevorzugen im Sommer eine rassige Marinade, bestehend aus Essig, Öl, Bölle, Chnobli und − vor allem − mit vielen «Chuchichrüütli» gemischt. Für Salate werden gebraucht: Kopfsalat, Endivien, Lattich, Tomaten, Rettich und Radiesli, Peperoni, Gurken (ungeschält), Nüssli (kostbar), Maiskörner (aus der Büchse), Thon, Kartoffeln, Rüebli, Sellerie (am liebsten gemischt). Wurstsalat mit Käse und Ei ist nicht sonderlich gefragt. Suppe essen wenige, schon gar nicht «Hausmachersüpplein» (Zeitaufwand). Einzelne Südländer essen allerdings Minestrone, zusammen mit einem Stück Brot. Teigwaren oder Kartoffeln stehen gleichmässig auf dem Menüplan; Reis gibt es selten.
Die Fleischplatten sind auffallend klein. In der Reihenfolge: vom Schwein 60 Prozent, vom Rind 30 Prozent, vom Kalb 5 Prozent in ganzen Stücken. Hackfleisch, Innereien, Würste und Wurstwaren sind preisgünstiger und machen die Hälfte des Konsums aus. Geflügel (Poulet) wird meist fertig gebraten im Laden gekauft. Pommes frites und vor allem kalte Chips mit Tomaten-Ketchup sind bevorzugte Beilagen.
Aus den ausgefüllten Fragebogen geht hervor, dass Lieblingsgerichte und von den Eltern bestimmte Menüs teilweise recht weit auseinanderliegen. «Spagnap» (Spaghetti napolitaine), Euromenü genannt «Schnipo» (Schnitzel und Pommes frites), «Toter Vogel», «Gummiadler» (Poulet), «Bimü» (Birchermüesli) und Salate («Chüngelifueter») sind die Favoriten unserer Schüler (siehe Menüplan in Klassenlagern). Als Getränke sind vor allem bunte oder weisse Mineralwasser gefragt («Sones Coci isch chaibe guet!»). Tee ist mässig beliebt, im Sommer zieht vor allem «en chalte Lindebluescht mit Zitronesaft».
Zum Nachtisch gibt es Tam Tam (weicher Pudding fertig gekauft), frische Saisonfrüchte, Guezli und Glace (meist in Stengelform); wenige trinken Café creme.
Das beliebteste Essen: Schnitzel, Pommes frites und Erbsli.

Althergebrachte (arbeitsaufwendige) Gerichte, wie Kohlwickel, «gfüllte Chabis», Grigg, Lungenmues, Dampfnudeln mit Vanillecreme und altbekannte Aufläufe sind den meisten dieser Schüler unbekannt, «ausser in Ferienzeiten bei den Grosseltern».
Im grossen und ganzen wird wohlproportioniert aufgetischt, so dass keine Resten aufzubewahren sind (zu kleine Kühlschränke, keine Vorratskammern). Tafelfertige Tiefkühlkost ist sehr verbreitet, Fische sind recht selten. Geschöpft wird praktisch nur einmal (siehe oben: kalorienbewusst). Auswärtsessen ist Einzelfall, gar nichts essen ebenfalls.

Das Abendessen

Laut Statistik wurde Folgendes gegessen (ohne Gewichtsangabe): Brot 93, Wurst 59, Käse 36, Früchte inkl. Birchermüesli 33, Salate 28, Fleisch 19, Teigwaren 14, Kartoffeln 13, Gemüse 12, Wähen 12, Joghurt 11, Suppe 9, Eierspeisen 4, Geflügel 1, Fisch 1 (Thonsalat), Dessert 11, nichts 3. Dominant ist der Verbrauch von Brot und Wurst (diverse Würste und Wurstwaren).
Suppe wird vor allem in bäuerlichen Kreisen gegessen, zusammen mit einem gekochten, aufgetischten Menü (meistens nach der Stallarbeit). Die auffällige Zahl des Brotverzehrs lässt sich aus einer individuellen «Kühlschrankernährung» mit Brot, Wurst, Käse und Getränk erklären, was auch die sehr unterschiedlichen Essenszeiten (17 Uhr 10, 18 Uhr, 19 Uhr, 21 Uhr) aufzeigen.
An der Spitze der Getränke steht Tee (46), gefolgt von Mineralwasser (37), Milchgetränken (34) und Most (5).
Bei Oberstufenschülern ist die Essenszeit natürlich abhängig von der Freizeit nach der Schule, den sportlichen und kulturellen Verpflichtungen (Klavierstunden, Training, Reise zum Tennisplatz usw.). Selbstverständlich gilt dies nicht nur für unsere Schüler, sondern auch für Geschwister und Eltern, welche an Werktagen abends ebenfalls unterwegs sind.

Zwischenmahlzeit

Hier interessieren zwei Angaben. Erstens die Verpflegung auf dem Pausenplatz während den Schulzeiten. Weitgehend wird der Kaugummi (Chöiitsch) gebraucht, ungefähr zwei bis drei Stück pro Tag; einige geniessen allerdings mehr. Die Schüler haben keine Zeit zum Znüüni, weil sie lieber den in Schulstunden verbotenen Kaugummi kauen. Vereinzelt sind Früchte oder ein Brötli aufgeführt worden. Laut den bäuerlichen Angaben wird nach der Schule Brot und Käse verzehrt, zusammen mit einem Glas Milch oder Most, weil vor der Mithilfe in Stall oder Feld der Magen knurrt.
Mit der Angabe der Höhe des Sackgeldes möchte ich vorsichtig sein. Erstaunlich ist, dass in diesen befragten Sekundarklassen ein sehr bescheidenes «Schülereinkommen» herrscht (zirka 5 bis 30 Franken pro Monat, allerdings müssen Kleider usw. nicht mitfinanziert werden).

Allgemeines

Auffallend ist die Sonntagsverpflegung. Die meisten essen ihren assortierten Brunch (Breakfast-Lunch) zirka um 11 Uhr 30. Das Abendessen ist dann eher ausgeprägt delikat (oft kocht der Vater). Wie schon oben erwähnt, stimmt die kulinarische Auffassung der Schüler nicht unbedingt mit derjenigen der Eltern überein. Ja, ja, es «pubertätlet» überall in diesem Alter! Eine Frage noch: «Wer betet bei Tisch ?» − Nach langem Zögern bekannten sich drei Schüler dazu: «Ja, bi dr Grosmueter!» Meine Grossmutter betete vor jeder Speise: «Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was Du uns bescheret hast.»
Ich danke den beiden Klassen für die saubere Arbeit und ebenso Hans Zbinden für die seriöse Etat-Führung.




Peter Friedli