Ausschnitt aus der Wädenswiler Quartierkarte von Johann Felix Vogler, 1748 (Staatsarchiv Zürich, Ausschnitt aus Plan O73).
Sichtbarstes Zeichen einer gewissen Wohlhabenheit, aber auch von Gemeindewusstsein, Schönheitssinn und handwerklichem Können ist der in den Jahren 1764 bis 1767 entstandene Neubau der reformierten Kirche: ein Werk des Brücken- und Kirchenarchitekten Johann Ulrich Grubenmann (1709–1783) aus dem appenzellischen Teufen.14
Die am Standort des mittelalterlichen Gotteshauses erbaute barocke Querkirche mit Rokokostuckaturen des Vorarlberger Meisters Peter Anton Moosbrugger (1732–1806) bildet im Grundriss ein Querrechteck (36 x 20 m) mit bergseits vorspringendem Risalit (20 x 3 m). Vor der Mitte des Risalits steht der 64 Meter hohe Glockenturm mit fünfstimmigem Geläute. Ein weitmaschiges System horizontaler und vertikaler Teilungen im Stil der österreichischen Barockarchitektur gliedert die Kirchenfassaden. Auf leicht vorspringendem Sockel ruht ein Hauptgeschoss mit schmalen Rundbogenfenstern. Über deren Scheitel zieht sich ein schmales Gurtgesims hin. Darauf folgt ein niedrigeres, bis zum Walmdach reichendes Obergeschoss, dessen Fenster oben und unten mit Einzug gerundet sind. Die Lisenen aus Sandstein und die linearen Fassadenmalereien wurden 1983/84 nach Vorlagen aus der Bauzeit rekonstruiert. Der ebenerdige Turmeingang weist ein Schmiedeeisengitter von 1766 auf, mit der alten Form des Wädenswiler Gemeindewappens. Die übrigen Eingänge sind mit polygonal geschweiften Haubendächern überdeckt, die auf toskanischen Säulen ruhen.
Reformierte Kirche Wädenswil. Aquarell von Johannes Isler, 1768.
Im 1999 renovierten stützenlosen Innern, das von einer brückenähnlichen Dachkonstruktion überspannt wird, an welcher die Decke aufgehängt ist, sind besonders bemerkenswert die drei freitragend eingespannten Emporen, die mit Rocaillen, pflanzlichen Elementen und Puttenköpfen gezierten Deckenstuckaturen, die marmorierte hölzerne Kanzel in der Mitte der Längsfassade sowie die 48 Familienwappen an den Lehnen je der zweituntersten Stuhlreihe auf den beiden Seitenemporen. Die Kirche verfügt über rund 1300 Sitzplätze. Im Schnittpunkt von Längs- und Quergang, die strenge Bankgevierte abteilen, steht der Taufstein von 1767 aus Bündner Marmor. Am Fuss der Kanzelseite haben sich die Behördensitze aus der Landvogteizeit erhalten.
Der stattliche Kirchenbau, der mit Ausnahme der Stuckaturen von Handwerkern aus Wädenswil und Umgebung geschaffen worden ist, konnte durch die Versteigerung der Kirchenstühle und -bänke auf Erb und Eigen voll finanziert werden: Ein Beweis, dass in Wädenswil um die Mitte des 18. Jahrhunderts viele wohlhabende Familien lebten.
Türgitter am Turmportal der reformierten Kirche, ein Werk des einheimischen Schlossers Diezinger von 1766.
Diesen Wohlstand verdankte man zu einem grossen Teil dem Aufschwung der Verlagsindustrie. Die textile Heimarbeit, bis dahin für die ländliche Bevölkerung ein Nebenerwerb, hatte sich zwischen 1730 und 1760 zur selbständigen Verlagsindustrie gewandelt. Tüchler und Fergger, die früher mit Zürcher Verlagshäusern in Geschäftsverbindungen gestanden hatten, arbeiteten nun als eigenständige Textilunternehmer.15 So Angehörige der Familien Blattmann, Diezinger, Hottinger, Huber oder Theiler. Fabriziert wurde in erster Linie Mousseline, ein aus Wolle und Baumwolle gemischter Stoff. Dazu kamen in weniger grossem Umfang auch Baumwollgarne und Baumwolltücher, der halbseidene Flor und schliesslich der billige Baumwollstoff Indienne. Die Fertigfabrikate fanden Käufer auf den Märkten von Zürich, Rapperswil, Lachen, Einsiedeln, Zug und Glarus.
Johann Caspar Hirzel notierte, dass um 1770 mehr als die Hälfte aller Wädenswiler Einwohner vom «Fabrikverdienst», das heisst von der hausindustriellen Tätigkeit, lebte. Nach seinen Beobachtungen gab es damals im Dorf kaum ein Haus, in dem nicht gesponnen oder gewoben wurde. Tatsächlich belegt eine Statistik aus dem Jahre 1787, dass in der Gemeinde Wädenswil, die damals 3620 Einwohnerinnen und Einwohner zählte, 435 Baumwollspinner arbeiteten und dass hier 516 Webstühle standen.16 In 21 von 32 Fabrikantenfamilien arbeiteten zu dieser Zeit noch Frau und Kinder mit. Bei Fabrikant Bürgi sassen drei von sieben Familienmitgliedern am Spinnrad und am Webstuhl, bei Jakob Diezinger vier von zehn, bei Jakob Eschmann vier von elf. In elf Fabrikantenfamilien indessen war die Mechanisierung so weit fortgeschritten, dass es hier keine Heimarbeit mehr gab.17
Die neue Produktionsweise brachte den Unternehmern Bargeld ein, das sie ins Geschäft oder in die eigenen Liegenschaften investierten und das ihnen auch eine gehobenere Lebensweise gestattete. Freilich führten nicht alle ihren Reichtum zur Schau. Niemand wusste beispielsweise Näheres über das Vermögen von Johannes Reiner. Erst als 1776 sein Haus abbrannte und ein Inventar aufgenommen werden musste, stellte man mit Überraschung fest, dass neben einem Warenlager von 3850 Gulden Wert ein kostbarer Hausrat mit Silbergeschirr, Büchern mit goldenen und silbernen Schliessen, silbernen Tabatiären usw. vorhanden gewesen war.18
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts machte sich in der neuen Oberschicht der Fabrikanten ein Gesinnungswandel bemerkbar. Nun wollte man zeigen, wer man war und was man besass. Während Bauern und Handwerker bezüglich Kleidung, Essgewohnheiten und Lebensweise am Altüberlieferten festhielten, kleideten sich viele Fabrikantenfrauen, den Sittenmandaten zum Trotz, wie Städterinnen. Und die Fabrikanten selber setzten sich, wenn sie ausgingen, wie die Zürcher Handelsherren Rundhüte auf, spazierten mit Meerrohrstöcken und rauchten lange englische Pfeifen.19
Auch städtische Gesellschaftsstruktur fand nun in Wädenswil Eingang. So notierte Landschreiber Keller im Jahre 1782, es gebe hier schon viele Leute auch niederer Herkunft, die «ihren natürlichen Beobachtungssinn und Geist durchs Lesen guter Bücher, das besonders in unserer Gegend gar nicht selten ist, gerne üben und schärffen». Man organisierte jetzt auch Tanzpartien und Konzerte, spielte Theater (1790 zum Beispiel Lessings «Minna von Barnhelm») oder traf sich in grösseren Gesellschaften im Wirtshaus. Wohlhabende Fabrikanten liessen ihre Kinder durch Hauslehrer unterrichten oder schickten sie zur Ausbildung sogar ins Welschland. Die an den Zürichsee zurückgekehrten jungen Männer hatten andere Sitten und Lebensweisen kennen gelernt und sich aus eigener Initiative Kenntnisse und berufliche Fertigkeiten angeeignet. Sie empfanden nun die politische Zurücksetzung der Landbürger und gewisse wirtschaftliche Einschränkungen seitens der Stadt Zürich als Ärgernis. Manche beklagten auch, dass ihnen der Besuch höherer Schulen versagt geblieben war. Um so mehr fühlten sie sich von den Ideen der Aufklärung und 1794 von den Forderungen des Stäfner Memorials angesprochen. Um so mehr sympathisierten sie mit den Zielen jener Bevölkerungsschichten, die 1789 in Frankreich die Revolution ausgelöst hatten.20
Wädenswil um 1794. Kupferstich des Wädenswiler Künstlers Heinrich Brupbacher für ein Album mit Zürichsee-Ansichten.
Das heutige Stadthaus, 1811 erbaut als Fabrik- und Wohgebäude für die Baumwollspinnerei Blattmann. Diezinger & Co..
Plan der parkseitigen Fassade der Villa Rosenmatt, entworfen von August Müller für Emil Gessner-Heusser, 1897.
Gerberei Hauser, heute Gerbestrasse 6, erstellt 1813/14, mit damals modernem Walmdach.
Villa der Tuchfabrik Fleckenstein, heute Einsiedlerstrasse 24, erbaut 1883. Postkarte von 1902.
Bürgli des Seidenindustriellen August Gessner, erbaut 1863 bis 1873 und 1884/85 mit Steildächern versehen. Das untere Bürgli (links) wurde 1941 abgebrochen, das obere (rechts) 1966.
Im Jahre 1840 wurde in der Gegend des heutigen Güterschuppens eine neue Haabe angelegt. Gleichzeitig entstand das Hotel Seehof (Bildmitte) und das Lagerhaus Sust (links). Vor dem Hotel Seehof Wädenswils erster Schiessstand.
Gaswerk Wädenswil an der Eintrachtstrasse, eröffnet 1874, abgebrochen 1926.
Peter Ziegler
Katholische Kirche, erbaut 1896/97 nach Plänen von August Hardegger.
Häuser mit Zinnendächern an der Zugerstrasse beim Zentral, erbaut um 1900.
Monumentalbauten an der Seestrasse. Links das Postgebäude von 1895, rechts das Wohn- und Geschäftshaus Merkur von 1903/06.