Unser Wädenswiler Plätzli

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1982 von Jakob Baumann

Unser Plätzli ist nicht der Paradeplatz von Zürich. Doch vor achtzig Jahren war es auch ein Mittelpunkt: Mittelpunkt des alten Dorfes Wädenswil. Vieles hat sich seither verändert; ich will dies hier schildern.
Das Plätzli ist auch heute noch Piccadilly von Wädenswil. Sechs Strassen münden hier zusammen: Seestrasse, Seehofstrasse, Luftstrasse, Eintrachtstrasse, Friedbergstrasse. An Freitagen zwischen fünf und sechs Uhr herrscht hier jeweils ein gewaltiges Verkehrschaos.
In der Platzmitte stand einst ein gewaltiger Brunnen, der 18 Anstössern gehörte. Aus Verkehrsgründen wurde dieser «modeverkleinert» an die Friedbergstrasse versetzt. Die ebenfalls verstossene Wetterstation war später beim Glärnischschulhaus an der Zugerstrasse zu sehen. Dieses Wetterhäuschen war für mich als Bub wichtig, wollte ich doch tägliche Notizen in den Schülerkalender eintragen. Das Wetterhüsli am Plätzli war immer auch ein Treffpunkt mit den Kameraden.
Richtung See befand sich der Bahnhof und daneben der Güterschuppen; an der Seehofstrasse stand das Hotel «Seehof», heute Sport-Bar. Zwischen dem «Seehof» und dem Sustplatz erstreckte sich der Schiffshafen (heute Sustplatz). Er war der Mittelpunkt für den Fracht- und Seeverkehr mit der Stadt Zürich und den Ufergemeinden. Dieser Hafen reichte bis an das Haus Seestrasse 93, ein einstöckiges Gebäude für Waren- und Kohlenlager sowie Kaffeerösterei. Im ersten Stock gab es eine Matrosenwirtschaft. Der Verkehr nach Richterswil und in die Innerschweiz ging durch die Luftstrasse. Aus diesem Grunde zählte man im Umkreis über ein Dutzend Wirtschaften.
Am Plätzli um 1900. Bei der Einmündung der Luftstrasse der Plätzlibrunnen, im Vordergrund der Zaun des Armenhauses.

Gegenüber dem «Seehof» lag die Dependance des Hotels «Du Lac» mit der grossen, schönen Gartenwirtschaft. Gemütliche Stunden im «Du Lac» und dessen Garten zu schildern, gäbe Stoff für einen eigenen Artikel; den Umfang dieses Berichts jedenfalls würde dies sprengen.
Oberhalb der Seestrasse stand in einem grossen Gemüsegarten das alte Armenhaus. Riesige Holzstapel zeigen neben den Gemüsebeeten an, was für Arbeiten die Insassen zu erledigen hatten. «Güselmannen» des Armenhauses besorgten auch die Wädenswiler Kehrichtabfuhr, und zwar mit einem von zwei Ochsen gezogenen offenen Brückenwagen. Man kann sich vorstellen, wie diese armen Leute oft aussahen, besonders wenn der Wind in den aufgeladenen Kehricht und in die Asche aus Holz- und Kohleöfen geblasen hatte.
Das Armenhaus am Plätzli um 1910. Im Vordergrund die Wetterstation.

Hinter dem Armenhaus stand die neue Post, eines der grössten Gebäude der Gemeinde. Früher war die Post ob dem «Engel» und dann im Vorderbau des Hauses Brupbacher AG untergebracht.
Oberhalb der Friedbergstrasse damals eher ein Fussweg, hatte im heutigen Gemeindepark die Baufirma Gebrüder Ferrari Lager, Stallungen und Wohnhaus. Wegen Ausbaus des Parks mit der schönen Villa von Herrn Gessner (heute Kirchgemeindehaus) musste die Baufirma an die Zugerstrasse verlegt werden.
Bergseits der Eidmattstrasse standen zwei aneinandergebaute Häuser mit einem breiten Treppenaufgang dazwischen. Die Liegenschaft zur «Eidmatt» ist zirka vor 25 Jahren einem Band zum Opfer gefallen und durch einen Neubau ersetzt worden.
Hotel «Seehof und Susthafen um 1870.

Das breite Haus zwischen der Eintracht- und Eidmattstrase war das bekannte Gasthaus zur «Eintracht»: Speiserestaurant mit grossem Saal, Vereinssitz von Turnverein, Harmoniemusik und Fussballclub. Es war eine bodenständige, mittelständische Wirtschaft, wo sich alles traf. Ob der «Eintracht» befand sich das kleine Beizli «zum Frieden». Schloss der Pfarrer seine Predigt jeweils mit den Worten «Nun gehet hin in Frieden», sollen manche Kirchgänger die Aufforderung wörtlich genommen haben und hier eingekehrt sein!
An der Eintrachtstrasse, im Hause Bettio, arbeitete ein Schreiner, weiter aufwärts kamen zwei Gemüseläden. Gegen die Luftstrasse war im Eckhaus die Papeterie untergebracht, in der Mercerie-Bonneterie daneben hielt das Original Bändeli-Bachme seine diversen Waren feil.
Das grosse Haus in der Ecke Seestrasse-Luftstrasse enthielt zwei gutbesuchte Quartierwirtschaften mit echtem Wädenswiler Charakter, nämlich die «Rosenegg» und der «Pilgerhof» samt Metzgerei.
Am Plätzli um 1905. Links das Armenhaus, in der Mitte der seeseitige Teil des Wohn- und Geschäftshauses «Merkur», daneben das Hotel «Du Lac».

Durch Todesfälle in der Familie Gessner verwaisten Villa und Park Ende der 1930er Jahre. Laut Testament durfte die Liegenschaft nicht verschenkt werden. Die Erben boten sie darum der Gemeinde Wädenswil für 28 000 Franken zum Kauf an, so wurde der Bedingung nachgelebt. Mit Freude nahmen die Wädenswiler dieses Angebot an. Zur gleichen Zeit wurde auf dem zum Postplatz umbenannten früheren Armenhausareal das Sparkasse-Gebäude projektiert. Beide Geschäfte kamen zur Gemeindeabstimmung in der Kirche. Die Kirche war an dieser Gemeindeversammlung zum Bersten voll. Natürlich wurden beide Vorlagen ohne Gegenstimme angenommen. Grosse Freude herrschte im Dorf, die Freinacht war selbstverständlich. In der «Rosenegg» und überall wurde bis zum Morgengrauen gefestet. Einige Sangeskundige stimmten den Slogan an: «Und jetzt hämmer kein Postplatz meh, dafür aber en schöne Park.» Ich glaube, dies war der fröhlichste Ausklang einer Gemeindeversammlung!




Jakob Baumann