Der Baumeister aus Appenzell
Pressedienst Lignum, Zürich von Charles von Büren, Jan. 1983
Vor 200 Jahren - am 24. Januar 1783 - wurde in Teufen Baumeister
Hans Ulrich Grubenmann zu Grabe getragen. Schon zu Lebzeiten ist er durch seine Werke berühmt geworden und auch heute noch wird Grubenmann als schöpferischer Geist bewundert. Zahlreiche Bauwerke zeugen von seinem überragenden Können. Die seinerzeit erarbeiteten konstruktiven Neuerungen entsprechen in ihrer Klarheit durchaus auch neuzeitlicher Denkweise.
Hans Ulrich Grubenmann wurde 1709 als jüngster Spross einer Baumeisterfamilie im ausserrhodischen Teufen geboren. Sein Vater war ein wackerer Zimmermann – ein Metier, das zu jener Zeit so ziemlich demjenigen eines heutigen Generalunternehmers nahegekommen ist. Von der Planung über das Beschaffen von Baumaterial bis hin zur Koordination der verschiedenen Arbeiten an Ort und Stelle war nämlich ein Zimmermann mehr oder weniger für alles zuständig, was mit Bauen zusammenhängt.
Porträt von Hans Ulrich Grubenmann im Alter von 73 Jahren, gemalt von Hans Jakob Brunschwiler. Original in der Grubenmann-Sammlung Teufen.
Praktisches Wissen und grosse Leistungen
Bei seinem Vater und auch bei einem um 15 Jahre älteren Bruder lernte Hans Ulrich gemeinsam mit seinem nur wenig älteren Bruder Johannes das Zimmermann-Handwerk von Grund auf. Die Gebrüder Grubenmann haben zwar die Volksschule besucht, also lesen, schreiben und rechnen gelernt – damals noch keine Selbstverständlichkeit.
Indes war zu jener Zeit an eine geregelte Lehre oder an ein Studium kaum zu denken. Immerhin hat diese direkt gewonnene berufliche Erfahrung, verbunden mit einer im Laufe der Jahre erworbenen gründlichen Kenntnis des Werkstoffs Holz, Grubenmann befähigt, kühn konzipierte Holzbauwerke zu erstellen.
Technische Hilfsmittel für Transport und Bearbeitung von Holz waren im 18. Jahrhundert zwar vorhanden, aber doch recht einfach. Theoretisch untermauerte Kenntnis der Baustatik war unbekannt. Mit einer praxisbezogenen Ausbildung und erst noch ohne einer Zunft anzugehören, planten und bauten Hans Ulrich Grubenmann und seine Brüder in den Ständen Appenzell, St. Gallen, Thurgau, Zürich, Schaffhausen, Glarus und Aargau zahlreiche bedeutende Werke. Besonders auch die in den Kantonen Appenzell und St. Gallen im 18. Jahrhundert blühende Textilindustrie begünstigte durch den allgemeinen Wohlstand auch die Baumeister.
Eine Brücke wie keine andere
Als Meisterwerk und wohl berühmtester Bau Grubenmanns gilt die Rheinbrücke bei Schaffhausen. Nach dem Einsturz der steinernen Brücke im Mai 1754 fasste der hohe Rat Schaffhausen den Entschluss, eine neue Holzbrücke bauen zu lassen. Bei den ersten Verhandlungen erklärte die Baudeputation Grubenmann genau, wie sie die Brücke haben wolle. Der Meister reiste wieder ab und als man ihn zu weiteren Verhandlungen suchte meinte er: «Die Narren haben immer nur gesagt, wie sie es haben möchten, aber nie gefragt, wie ich es machen wolle».
Grubenmann hat ohne unsere heutigen technischen Mittel zu kennen auf neuzeitliche Weise konstruiert. Sein aus übereinandergelegten Balken verkeilter Bogen der Wettinger-Brücke entspricht in verblüffender weise den in Schichten verleimten Brettschichtholzbögen unserer Zeit.
Später jedoch zeigte Grubenmann anhand eines genau gearbeiteten Modells, dass er zerlegt in einen Sack verpackt transportiert hatte, wie er die Brücke haben wolle: 119 Meter weit gespannt und ohne jede Zwischenstütze! Um den ungläubigen Lachern im Rat zu beweisen, dass eine derartige Brücke auch halte, stellte sich Grubenmann mit seinem ganzen Gewicht auf das Modell und meinte dazu, die richtige Brücke werde demnach die paar Wagen ebenfalls tragen können.
Grubenmann erhielt im Oktober 1755 den Auftrag für den Bau, jedoch mit der Bedingung, der stehengebliebene Mittelpfeiler der alten Steinbrücke sei mitzubenutzen. Bereits im gleichen Jahr begann er mit der Arbeit und erstellte das Werk – für das unter anderem 400 grosse Tannen aus dem Bregenzerwald geholt wurden – zusammen mit seinen Meistern. Die Brücke mit ihrer Tragkraft von 980 Zentnern konnte 1758 dem Verkehr übergeben werden. Doch wird erzählt, Grubenmann habe kurz vorher noch die Keile beim Mittelpfeiler weggeschlagen, mit der Bemerkung: «Da habt ihr euren Pfeiler und ich habe meine Brücke!»
Brücken, Häuser und Paläste
Die kühne Brücke bei Schaffhausen hat Grubenmann berühmt gemacht. Doch haben er und seine Brüder vorher und nachher auch manche andere Werke geschaffen, darunter einige bemerkenswerte, weitgespannte Konstruktionen. Von den zwölf heute bekannten Grubenmann-Brücken sind jene über den Rhein bei Reichenau von rund 70 m Spannweite und die Wettingerbrücke über die Limmat mit 61 m, besonders erwähnenswert. Nicht eine dieser Bauten ist bei Unwettern weggeschwemmt worden. Doch wurden sie während der Kriegswirren um 1799 bis auf drei kleinere Brücken zerstört.
Diese stehen heute noch im Rachentobel bei Hundwil AR, im Kubel SG und bei Oberglatt ZH.
Als ausgeführte Kirchenbauten werden 30 Objekte gezählt, zehn davon sind Hans Ulrich Grubenmann allein zugeschrieben. Sie sind eigentlich durchwegs von schlichtem Äusseren, innen jedoch mit reichen Stukkaturen versehen. Eines der bedeutensten Werke dürfte dabei die
Kirche Wädenswil darstellen. Ihr Dachstuhl überspannt stützenfrei einen Raum von 38 mal 20 Metern.
Privat- und Staatsbauten aus Grubenmanns Werkstatt lassen sich nicht immer genau nachweisen, doch sind bis heute über dreissig Objekte bekannt geworden. So beispielsweise die Paläste Kawatzen und Baumgarten in Lindau, das Churer Regierungsgebäude und Pfarrhäuser in Würenlos, Grub und Gais. Auch verschiedenen Häuser am Trogener Dorfplatz stammen von Grubenmann und nach dem Brand des Städtchens Bischofzell (1743) wurden die Gebrüder mit der Planung des Wiederaufbaus betraut.
Die reichverzierte Stuckdecke der Kirche Wädenswil verbirgt ein kühnes Holzdach. Grubenmann überspannte den 38 mal 20 m messenden Raum stützenfrei – ähnlich einer Brückenkonstruktion.
Grubenmanns Lehre
Direkte Nachkommen in männlicher Linie hat keiner der drei Gebrüder Grubenmann hinterlassen. Ihr Erbe und ihre Lehre wurde in anderer Form weitergegeben. Zwar musste nach dem Ableben dieser Baumeister nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa ein Rückschritt in Konzeption und technischer Qualität beim Bau von Holzbrücken festgestellt werden. Doch haben die damals so neuartigen Bauprinzipien Jahrzehnte später in ganz anderer Form Bestätigung erfahren. Der aus mehreren übereinandergelegten und verzahnten Balken bestehende Bogenträger der damaligen Wettinger-Brücke findet beispielsweise seine Entsprechung heute in den neuzeitlichen brettschichtverleimten Konstruktionen.
Die durch Hans Ulrich und Johannes Grubenmann 1777/78 konstruierte Brücke über die Limmat bei Wettingen überbrückte 61 m ohne Zwischenstütze. Im Originalmodell ist der ähnlich wie neuzeitliche Brettschichtkonstruktionen gebaute, verzahnte Bogen aus übereinandergelegten und gebogenen Balken, naturgetreu dargestellt. Originalmodell in der Grubenmann-Sammlung Teufen.
Eine der drei heute noch stehenden Grubenmann-Brücken: Im Rachentobel bei Hundwil. Bescheiden in ihren Massen, ist sie doch sorgfältig geplant und ausgeführt. Die zahlreichen Sinnsprüche auf den Balken haben ihr den Namen «Sprechend Brugg» eingebracht.
Auch die Stabkonstruktionen kleiner Grubenmann-Brücken tauche in etwas veränderter Form Mitte des 19. Jahrhunderts wieder auf und wurden in ähnlicher Weise für die grossen Eisenbahnbrücken im Pionieramerika angewendet. Der Engländer William Coxe schrieb 1792 über Hans Ulrich Grubenmann: « … von sich selbst brachte er es in seiner Kunst so ausserordentlich weit, dass er mit Recht unter die erfinderischsten Baumeister des Jahrhunderts gezählt wird».
Die Formen von Holzbauten unserer Zeit entsprechen neuen Anforderungen und technischen Gegebenheiten. Die Brettschichtholz-Konstruktion der Eissporthalle Davos (1979) bildet eindrückliches Beispiel dafür, was sich heute mit Holz schaffen lässt.