125 Jahre Sonntagschule Wädenswil, 1865-1990

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1990 von Peter Ziegler

Die Sonntagsschule von Verena Eschmann

Lehrer Hans Altwegg erzählt in seiner 1914 erschienenen Biographie des Weinbauern Julius Hauser von den Anfängen der Sonntagsschule in Wädenswil: «In den Reben Hausers, etwa da, wo sich heute die katholische Kirche erhebt, stand ein offenes Häuschen, in dem sich die Rebleute zum Znüniessen zusammenfanden. Ein Weglein führte daran vorbei. An schönen Sonntagnachmittagen suchte eine fromme Jungfrau, Verena Eschmann, dieses Rebhäuschen auf, um hier in der Stille ungestört zu lesen. Auch Kinder entdeckten das lauschige Plätzchen. Ungewollt trafen sie hie und da mit Vreneli zusammen. Dann begann sie, von inniger Liebe zu Jesus getrieben, den Mädchen vom Heiland zu erzählen. Das gefiel den Kindern; Kinder hören gern Geschichten. Sie fingen an, Vreneli aufzusuchen, zuerst im Rebhäuschen, wenn es nicht dort war, in ihrer Wohnung gegenüber dem «Holderbaum». So kam es, dass die Jungfer jeden Sonntagnachmittag biblische Geschichten erzählte, bei schönem Wetter im Rebberg, bei Regen und Kälte in ihrer Kammer. Die Mädchen brachten Freundinnen mit. Bald war nicht mehr genug Platz, weder im Rebhäuschen, noch in Vrenelis Zimmer.
Da hörte Julius Hauser von dieser Sonntagsschule. Er lud Jungfer Eschmann ein, dieselbe in seinem Saale zu halten, welches Anerbieten sie mit Freuden annahm. So entstand in Wädenswil die Sonntagsschule gleichsam wie von selbst1
Wer war diese fromme Verena Eschmann, von der sich eine Porträtfotografie erhalten hat? Die Zählbogen der Volkszählung 1870 helfen weiter2. Hier wird im Haus Eintracht als Tochter des Caspar Eschmann die am 6. Dezember 1845 geborene Tochter Verena registriert. Und das im Staatsarchiv Zürich aufbewahrte Bürgerregister vermerkt, dass Verena Eschmann 1862 konfirmiert wurde und sich am 12. Juni 1873 mit Joseph Leonhard Rüegg von Schwyz verheiratete3. Die von Hans Altwegg überlieferte Gründungsgeschichte der Wädenswiler Sonntagsschule ist in die Zeit kurz vor 1865 zu datieren; zeitgenössische Quellen konnten bis jetzt nicht aufgespürt werden. Die Sonntagsschullehrerin Verena Eschmann dürfte also um die zwanzig Jahre alt gewesen sein. Sie gehörte offensichtlich zum gleichen pietistischen Kreis wie der Weinbauer Julius Hauser, der 1865 drei Sonntagsschulen für Knaben gründete.
 
Sonntagsschullehrerin Verena Eschmann.

Julius Hauser gründet Sonntagsschulen

1885 machte die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich in den Schulgemeinden eine Umfrage über die Sonntagsschulen. Der Präsident der Dorfschulpflege Wädenswil, Pfarrer Jakob Pfister, verfasste mit Datum vom 15. Dezember 1885 folgende Antwort4:
«Es bestehen drei solcher Schulen, welche im Jahr 1865 von Herrn Julius Hauser und einigen gleichgesinnten Freunden gegründet und seither unterhalten wurden.
1. Im Dorf mit zirka 200 Schülern. Knaben und Mädchen werden gesondert unterrichtet, erstere in zwei Abteilungen, geleitet durch Herrn Julius Hauser, letztere in drei Abteilungen unter Leitung von Frau Schall, Frau Hauser-Huber und Fräulein Elise Hauser.
2. Im Bachgaden-Stocken mit vierzig Schülern, unterrichtet durch Frau Albertine Höhn.
3. Im Neuhof-Langrüti, wo 35 Schüler durch Herrn Gottfried Zollinger Unterricht erhalten.
Der Unterricht in allen drei Schulen ist auf den Sonntag verlegt, dauert je eine Stunde und besteht im Erzählen und Erklären von Bibelabschnitten.
Die Leiter dieser Anstalten haben keine pädagogische Anstalt besucht. Der allgemeine Schulunterricht wird nicht gestört, und eine Aufsicht von Gemeindeorganen wird nicht ausgeübt.»
Julius Hauser (1834-1897), Besitzer des Weinbauernhauses bei der Kirche, war religiös stark geprägt von den Predigten des Pfarrers Georg Rudolf Zimmermann am Fraumünster in Zürich, von Vorträgen des Dr. Held in Zürich und vom Württemberger Pietisten Peter Herion. Letzterer war um 1860 in der Tuchfabrik Rentsch & Hauser in Wädenswil als Aufseher angestellt und hielt in seiner Familie täglich Hausandacht. Nach und nach fanden sich Freundinnen der Frau, dann andere Bekannte, auch Männer, zu diesem «Stündli» ein5.
Als Herion wieder in seine Heimat zog, übernahm es Samuel Zeller in Männedorf, der stets wachsenden Schar das Wort Gottes auszulegen. Man kam nun in einer Wohnstube im Meierhof zusammen, später im Lindenhof und zuletzt im Freihof. Als im Jahre 1865 der Saal im Freihof geräumt werden musste, richtete Julius Hauser auf dem oberen Boden seiner Scheune − dem späteren Freischulhaus am Standort der 1950 erstellten heutigen Turnhalle Eidmatt I − ein Lokal für die Gottesdienste ein. Hier hielt er auch Sonntagsschule6.
Sonntagsschullehrer Julius Hauser.

«Unten die Kühe, oben die Kälber!» spotteten lose Mäuler. Manche Einwohner des Dorfes standen der Christlichen Gemeinschaft und damit auch dem «Kinderkirchlein», wie die Sonntagsschule genannt wurde, skeptisch bis ablehnend gegenüber. Wurde hier nicht kindliche Unschuld zur Frömmelei und Heuchelei angeleitet?
Der Chronist der Lesegesellschaft Wädenswil schrieb 1866 über das Kinderkirchlein: «Gelockt von dem einschmeichelnd süsslichen Tone der Frömmler und Frömmlerinnen, finden sich die unschuldigen Kinder in den ihnen bezeichneten Räumlichkeiten ein, und die schönsten Stunden des Sonntagnachmittags werden da drinnen zugebracht unter Anhörung salbungsreicher Erweckungspredigten, unter Bibellesen und flachen Erklärungen, unter Gesängen und Gebeten und beim Hersagen auswendig gelernter Bibelsprüche und Liederverse7
Unbefangener urteilte 1867 der Wädenswiler Sekundarlehrer Johann Heinrich Kägi: «Bis jetzt tummeln sich die Kinder, die ins Stündli gehen, in gleicher Jugendlust mit denen herum, die nicht gehen. Ihr Friede und die Unbefangenheit ihres Gemütes scheint nicht gestört, woraus ich folgere, dass der besondere Religionsunterricht, den sie erhalten, nicht schädlich sei8
«Eine Anzahl nicht kinderlehrpflichtiger Kinder besucht am Sonntagnachmittag die von Anhängern der evangelischen Richtung geleiteten Sonntagsschulen Stocken, Langrüti, Ort und Dorf», schrieb die Kirchenpflege Wädenswil am 21. April 1888 in ihrem Rechenschaftsbericht 1884 bis 1887 an die Bezirkskirchenpflege Horgen9. Und 1892 und 1897 heisst es gleichlautend: «Für die noch nicht kinderlehrpflichtigen Kinder bestehen einige Privatsonntagsschulen, die aber auch von der älteren Jugend besucht werden10
Auch Hans Altwegg erwähnt die Eröffnung weiterer Sonntagsschulen in Wädenswil und in Nachbargemeinden: «Der unermüdliche Jugendfreund (Julius Hauser) warf das Netz immer weiter aus. Schnell nacheinander fing er neue Sonntagsschulen an im Oberort, Bachgaden, in der Feldweid, im Neuhof, Meierhof, in Richterswil, im Falken Schönenberg, später an der Egg im Richterswiler Berg, in Hütten und im Arn im Horgner Berg11
Interessant ist, wie Hauser Gehilfen und Gehilfinnen warb. Hatte er irgendwo ein Lokal gefunden, so sagte er am Sonntagmorgen zu einem Freund aus dem Männerturnverein, dem er das Zeug zum Sonntagsschullehrer zutraute: «Du kannst heute in Richterswil Sonntagsschule halten, es ist alles bereit. Und dann, es geht im gleichen Strich, gerade noch an der Egg.» Wenn der also Gepackte etwas einwenden wollte, hiess es einfach: «Du musst gehen, es ist notwendig12

Sonntagschule bei Julius Hauser

Viele ehemalige Sonntagsschüler bezeugen, dass der anschauliche Bibelunterricht von Julius Hauser bleibenden tiefen Eindruck hinterlassen hat. «Stand Julius Hauser am Sonntag mitten im Kreise der Jugend, wie leuchtete dann sein edles Antlitz, wie strahlten seine freundlichen Augen, wie hob sich seine Stimme in heiliger Begeisterung! Hauser hatte eine eigene Art, in den Buben den Grund zu legen zur Freude am Wort Gottes. Es war nichts Pedantisches, kein Drill, keine Schablone. Er konnte bei seiner lebhaften Fantasie den Kindern die biblischen Gestalten in so lebensvollen Bildern vorführen, dass sie ganz Aug und Ohr waren. Letzteres verlangte er aber auch unbedingt. Störenfriede wurden ungesäumt vor die Türe gestellt oder gar mit einem handgreiflichen Wink zur Ordnung gewiesen13
So berichtet Hans Altwegg über seinen Sonntagsschullehrer und fährt dann weiter: «Hauser hielt beim Unterricht fast immer die Kreide in der Hand, um das, was er besonders eindrücklich machen wollte, an die Wandtafel zu schreiben, aber auch, um Unaufmerksamen damit übers Gesicht zu streichen. In dem Bestreben, den Kindern die biblischen Geschichten so anschaulich wie möglich darzubieten, hielt er sich nicht streng an den Buchstaben der Bibel. Er verstand es ausgezeichnet, orientalische Verhältnisse in die Heimat, ferne Zeiten in die Gegenwart zu übertragen. So versteckten sich, nach seiner Darstellung, Adam und Eva nach dem Sündenfall hinter Heuschöchlein! Julius Hauser liebte es, in seine Erzählung eigene Erfahrungen einzuflechten, besonders auch solche, die er an Krankenbetten machte. Ein sehr beliebtes, immer wiederkehrendes Thema war die Wiederkunft Christi. Wie oft mahnte er: ,Kinder, sorget doch dafür, dass ihr im Festzuge seid, wenn Jesus kommt, und wenn ihr auch die hintersten wäret14.’»
«Wenn Julius Hauser recht im Zuge war» − so berichtet Hans Altwegg weiter − «und das war er immer, so dauerte die Sonntagsschulstunde mehr als 60 Minuten. Oft klopfte seine Frau an die Türe und mahnte: ,Schliesse jetzt doch. Die Kinder kommen zu spät heim. Dann sind die Eltern unzufrieden15!'»
Um seine Sonntagsschüler vom Chilbitreiben abzulenken, machte Julius Hauser mit ihnen am Kirchweihmontag einen Ausflug nach Einsiedeln, auf den Zimmerberg oder nach Bocken; bald zu Fuss, bald auf festlich geschmücktem Leiterwagen. Immer wurde dann Proviant mitgeführt: Zwetschgenwähen, Eierröhrli, Würste, Kalbfleisch, Wein16!
Ein besonderer Höhepunkt: Weihnachten in Julius Hausers Sonntagsschule. Da sass der eifrige Sonntagsschullehrer am Harmonium, übte Lieder ein, hörte Weihnachtsgedichte ab, schon Wochen vor dem Fest. Dann kaufte er für mehrere hundert Franken Geschenke. Jedes Sonntagsschulkind sollte zum Andenken an die grösste Weihnachtsgabe, die der Welt in Jesus Christus zuteil wurde, sein Päcklein erhalten. Einmal kaufte Hauser einen ganzen Wollenladen aus und liess für die Mädchen Kappen anfertigen, wie sie damals Mode waren. Armen Kindern schenkte er warme Unterkleider. In keinem Geschenkpäcklein fehlten Geschichtenbüchlein und Missionstraktate. Älteren Sonntagsschülern packte Hauser auch etwa Predigtbücher ein. Damit Kinder und Erwachsene etwas für die Seele erhielten, hiess der Sonntagsschullehrer an der Weihnachtsfeier meist seinen Freund Samuel Zeller auf originelle Art die Bibel auslegen: Einmal hielt Zeller den Kindern seine silberne Taschenuhr hin und sagte: «Wer diese Uhr hier holt, darf sie behalten!» Längere Zeit regte sich niemand, trotz wiederholter Aufforderung. Endlich trat ein Bürschlein vor, streckte sein Händchen hin und − war Besitzer der schönen Uhr. Zeller wollte damit gleichnishaft zeigen, wie die Menschen den schönsten Verheissungen Gottes ungläubig gegenüberstehen, statt den Herrn beim Wort zu nehmen und zuzugreifen17.

Im 1950 abgebrochenen Freischulhaus (vorne links) wurde seit 1865 Sonntagsschule gehalten.

Die Sonntagsschule in der Au

Von Horgen aus hielten die Methodisten seit 1860 Gottesdienste im Unterort. 1879 fanden sie, man sollte in der Au die biblische Botschaft auch an die Kinder weitergeben. Fortan versammelte sich im Gang des Hauses Zollinger jeden Sonntag nachmittag eine stattliche Kinderschar, um eine biblische Geschichte zu hören. Als Herr Zollinger das Haus verkaufte, stellte er dem Käufer Gattiker die Bedingung, er müsse jeden Sonntag um ein Uhr nachmittags die Haustüre für die Sonntagsschule öffnen.
1909 wurde das jetzige alte Schulhaus Ort eingeweiht. Lehrer Johannes Hirt überliess der Sonntagsschule die Schulräume, und man konnte die grosse Klasse teilen. Theo Lerch, der jeden Sonntag von Horgen in die Au kam, unterrichtete im Jahre 1924 in fünf Abteilungen 97 Sonntagsschüler.
1949 fehlte es den Horgner Methodisten an Sonntagsschulhelfern. Sie baten darum die Landeskirche, die Abteilung für die grösseren Kinder zu übernehmen. Die Abteilung für die Kleinen wurde noch bis 1970 von Horgen aus betreut18.

1900: Die Landeskirche gründet auch eine Sonntagsschule

Über die Anfänge der von der Evangelischen Landeskirche betreuten Sonntagsschule in Wädenswil gibt der Tätigkeitsbericht 1898-1905 Auskunft, den die Kirchenpflege am 31. Januar 1906 zuhanden der Bezirkskirchenpflege abfasste: «Im Jahre 1900 wurde eine kirchliche Sonntagsschule gegründet, besonders auch, um der Propaganda der Methodisten, die es auf die Kinder abgesehen hat, um sie für ihre Sonntagsschule zu gewinnen, entgegenzuwirken. Sie ist im Wachsen begriffen und zählte im letzten Jahr (1905) zirka 160 Kinder der 1. bis 6. Klasse der Primarschule. Wir freuen uns, dass die Institution immer mehr Anklang findet, besonders seitdem die Weihnachtsfeier in der Kirche stattfinden kann19
Erster Leiter der Sonntagsschule der Landeskirche war Pfarrer Albert Schreiber (1869-1957), von 1893 bis 1895 Vikar und von 1895 bis 1937 Pfarrer in Wädenswil. In Inseraten und Berichten im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» ist anfänglich immer die Rede von der «Sonntagsschule des Herrn Pfarrer Schreiber»20.

Inserat aus dem «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee», 16. Dezember 1904.

Eindrücklich die Weihnachtsfeiern der Sonntagsschule in der reformierten Kirche − einst wie heute. Seinen Anfang nahm dieser Brauch 1904. Im «Anzeiger» vom 12. Dezember jenes Jahres liest man: «Da nun in unserem Gotteshause das elektrische Licht erstellt ist, konnte gestern Sonntagabend zum ersten Mal die Sonntagsschule des Herrn Pfarrer Schreiber ihre Christbaumfeier in der Kirche abhalten. Eine grosse Zahl Erwachsener und Kinder wohnte der Feier bei. Dieselbe wurde eröffnet mit einem Vortrag der Orgel und einem allgemeinen, dem Anlass würdigen Gesang. Nach einigen Liedern und Deklamationen der lieben Kleinen sowie einem allerliebst vorgetragenen Solo mit Orgelbegleitung von einer Schülerin, wandte sich Herr Pfarrer Schreiber in freundlichen, warmen Worten an seine zahlreichen Sonntagsschüler. Nach Gebet und einem nochmaligen Gesang aller Anwesenden fand mit der Gabenverteilung an die Kinder die schöne Feier ihren Abschluss21
Im Jahre 1914 war das Programm für die Weihnachtsfeier der Sonntagsschule des Herrn Pfarrer Schreiber bereits reichhaltiger. Lassen wir wieder den Berichterstatter des «Anzeigers» zu Wort kommen: «Die Kirche war überfüllt. Ein strahlender Lichterbaum erfreute die Kinderherzen. Nachdem die Gemeinde ein Lied zum Beginn der Feier gesungen hatte, sangen die Sonntagsschüler ihr Weihnachtslied mit Orgelbegleitung. Als die letzten Töne verklungen waren, stellten sich einige Knaben und Mädchen vor den Weihnachtsbaum und trugen ein längeres Weihnachtsgedicht vor, des Inhalts, dass ein paar Christkindlein, die nicht mehr auf der bösen und verdorbenen Erde bleiben wollen, dem Waldalten ihr Leid klagen, aber durch die Klagen des Seidenjörgli, eines armen, verstossenen Menschen, der jahraus, jahrein in einer Seidenfabrik arbeitet, wieder anderen Sinnes werden. Darauf traten acht Mädchen vor und sangen zwei hübsche Weihnachtsliedchen, zweistimmig und mit Orgelbegleitung. Nachdem die Christkindlein mit dem Waldalten und dem Seidenjörgli sowie die kleinen Sängerinnen wieder abgetreten waren, trat der Herr Pfarrer vor die Kinder und erzählte ihnen zwei Weihnachtsgeschichten: Von einer kleinen Arbeiterfamilie, deren Kinder mit ihren Geschenken nicht zufrieden sind, die zuletzt ihre Gaben noch zerreissen und zerschlagen und als dann die Engelein im Himmel weinen und klagen, und dann von einer Näherin, deren Mann gestorben ist und die mit ihren drei Kindern eine stille und glückliche Weihnacht feiert, die auch noch einen armen, kranken Nachbarsbuben erfreuen und beglücken, und ob denen die Engel im Himmel singen und sich freuen. Zum Schluss sangen die Kinder noch ihr zweites Lied, die Gemeinde sang wieder, und hierauf wurden die Gaben verteilt, die das Christkind gebracht hatte. So schloss die schöne Feier. Nur ein wenig ruhiger hätten die Leute sein dürfen22
Mit Inserat vom 1. Mai 1915 kündigte Pfarrer Albert Schreiber im «Anzeigern an, die Sonntagsschule Wädenswil beginne wieder am 2. Mai, vormittags halb elf Uhr in der Kirche. Freundlich eingeladen seien Kinder der ersten bis sechsten Klasse23. Das Inserat belegt es: Der Sonntagsschulunterricht wurde in der reformierten Kirche durchgeführt. Erst 1940 erhielt Wädenswil nach dem Umbau der Villa Rosenmatt ein eigenes Kirchgemeindehaus und damit auch Zimmer für die Sonntagsschule.
 
Bericht im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee», 18. Dezember 1916.

Die Sonntagsschule zwischen 1906 und 1932

Für den Zeitraum zwischen 1906 und 1923 geben die im Staatsarchiv aufbewahrten Berichte der Kirchenpflege Wädenswil zuhanden der Bezirkskirchenpflege Horgen auch Auskunft über die Entwicklung der Sonntagsschule in der Gemeinde. 1911 schreibt Präsident Otto Höhn: «Wir haben eine kirchliche Sonntagsschule, die zirka 220 Kinder vom 6. bis 12. Altersjahr zählt. Daneben bestehen Sonntagsschulen des Hoffnungsbundes, des Vereinshauses (die ehemalige Sonntagsschule des Julius Hauser), der Methodisten und in den Schulsektionen (Langrüti, Stocken, Ort24
Und 1924 vermerkt Präsident C. Sträuli: «Unsere beiden Pfarrer (Albert Schreiber und Karl Otto Hürlimann) leiten abwechselnd die Sonntagsschule in der Kirche, welche 190 Kinder der 1. bis 6. Schulklasse zählt. Ausserdem unterhält die Evangelische Gesellschaft eine solche im Vereinshaus und zwei im Wädenswiler Berg. Zu erwähnen sind ferner diejenigen der Methodisten, der Heilsarmee, der Pfingstgemeinde und der Mormonen. Es sind in Wädenswil jedenfalls wenige Kinder, welche keine Sonntagsschule Besuchen25

Pfarrer Walter Angst mit einem Teil des Sonntagsschulteams, um 1960. Von links nach rechts: Lotte Germann, Martha Staub, Elsbeth Stocker, Christine Beer, Elisabeth Keiser, Peter Ziegler, Leni Plattner, Pfarrer Walter Angst, Rosmarie Stocker, Gret Bader, Hannelore Fernes, Ruth Haab, Marianne Braun.

Die Sonntagsschule unter Pfarrer Walter Angst

Im Jahre 1944 übernahm der neu nach Wädenswil gewählte Pfarrer Walter Angst die Leitung der Sonntagsschule. Bis 1964 wirkend, prägte er sie in entscheidendem Masse. Die Vorbereitungen in der Wohnstube des Pfarrhauses bei der Kirche waren für alle Sonntagschulhelferinnen und -helfer eindrückliche Stunden. Hier erhielt man nicht nur Richtlinien und Ideen für die Gestaltung des Unterrichts; man zog auch persönlichen Gewinn und schätzte die frohe Gemeinschaft. Sogar spätere Heiraten bahnten sich in diesem Kreise an. Besonders fröhlich ging es im Pfarrhaus − oft bis nach Mitternacht − an der «Päcklete» zu und her, beim Einpacken der Geschenke für die Sonntagsschulweihnacht.
Nachdem Pfarrer Angst die Sonntagsschule übernommen hatte, fragten die Lehrkräfte des Vereinshauses − der einstigen Sonntagsschule von Julius Hauser − an, ob sie auch zu den Vorbereitungsstunden kommen dürften. Nach Jahren der Konkurrenz ergab sich so eine gefreute Zusammenarbeit: Die Sonntagsschule Fuhr wurde − bei aller Selbständigkeit − ein Teil der Wädenswiler Gesamtsonntagsschule.
Pfarrer Angst verstand es, seine «Belegschaft» für die Arbeit in der Sonntagsschule zu motivieren. Neben den Zusammenkünften zur Vorbereitung der Lektionen bot während manchen Jahren ein gemeinsam verbrachtes Wochenende vertiefte Auseinandersetzung mit biblischen Texten, mit Fragen des Glaubens oder des Sonntagsschulunterrichts. Unvergesslich für alle, die dabei gewesen sind, die Aufenthalte in der Heimstätte Rüdlingen am Rhein, auf Boldern ob Männedorf, im Lin ob Filzbach, im Heimetli im Toggenburg, in Fällanden am Greifensee. Während des Jahres sorgten auch gemeinsame Wanderungen, ein Abendbummel an die Sihl etwa oder fröhliches Schlitteln, für gute Kontakte innerhalb des Sonntagsschulteams26.
Auch die Sonntagsschüler kamen nicht zu kurz. Sie begaben sich dann und wann ebenfalls auf eine gemeinsame Reise, zum Beispiel in den Tierpark Goldau oder zu einem Spieltag nach Hurden.
Als absoluter Höhepunkt in jedem Sonntagsschuljahr galt indessen − wie heute noch − die Sonntagsschulweihnacht in der reformierten Kirche. Mit Spannung erwarteter Augenblick für die grosse Kinderschar, für die Lehrerinnen und Lehrer, für die Eltern und die vielen Besucher aus der ganzen Gemeinde: Der geordnete Einzug der Sonntagsschulklassen in die zum Bersten volle Kirche, das Aufflackern der Kerzen am grossen Christbaum, eine von Pfarrer Walter Angst in bester Zürcher Mundart erzählte Weihnachtsgeschichte. Freudig, bald mit anschwellender, bald mit zurückhaltender Stimme, immer mit theatralischen Gesten und Gebärden die Worte unterstützend, zog der gewandte Erzähler jung und alt, gross und klein in seinen Bann, etwa mit «Dickkopf und das Peterlein», mit den Geschichten vom Feldhasen, vom Gloschli, von der Handorgel...

Die Sonntagsschule unter Pfarrer Samuel Schmied

Im Jahre 1964 übergab Walter Angst die Leitung der Sonntagsschule seinem Nachfolger, Pfarrer Samuel Schmid. Dieser veröffentlichte 1967 in der Festschrift «So leben wir», welche die Kirchenpflege zum Jubiläum «200 Jahre Kirche Wädenswil» herausgab, eine Standortbestimmung der Sonntagsschularbeit27:
«Heute unterrichten ungefähr 35 Sonntagsschulhelferinnen und -helfer in freiwilligem Dienst unsere Kinder. Sonntagsschule wird gehalten im Kirchgemeindehaus, im Evangelischen Vereinshaus auf der Fuhr, in den Schulhäusern Au und Stocken und im Jugendheim Herrlisberg, ferner in den Kindergärten Boller und Eichweid und in der Kantine der Metallwarenfabrik Blattmann. Geschieht die Sonntagsschularbeit das Jahr hindurch meist im stillen: einmal tritt sie sicher vor die Öffentlichkeit der Gemeinde, und das geschieht an der Sonntagsschulweihnacht, die in der Kirche unseres Dorfes zu einem der grössten Gemeindeanlässe geworden ist. Es ist schon gesagt worden, die Sonntagschule sei sogar wichtiger als der Konfirmandenunterricht; denn in diesen Jahren werde im Kind der Grund gelegt für seine spätere religiöse Auffassung. So sind wir sicher gut beraten, wenn wir der Sonntagsschularbeit alle Aufmerksamkeit schenken.»

Höhepunkt im Sonntagsschuljahr: Die Weihnachtsfeier in der reformierten Kirche. Aufnahme aus den 1970er Jahren.

Die Sonntagsschule unter Pfarrer Fritz Hofmann

Nach dem Wegzug von Pfarrer Samuel Schmid im Jahre 1974 stellte sich der in Wädenswil wohnende pensionierte Pfarrer Emanuel Jung als Leiter der Sonntagsschule Wädenswil zur Verfügung. Auch er konnte aus reicher Erfahrung schöpfen, galt er doch in der ganzen Schweiz als anerkannter Fachmann in Fragen der Sonntagsschularbeit. Pfarrer Jung betreute die Sonntagsschulhelferinnen und -helfer bis 1977, dann übernahm der nach Wädenswil berufene Pfarrer Fritz Hofmann das Szepter.
Der neue Leiter führte einst lieb gewordene Traditionen weiter − so die Wochenenden, dann die jährliche Ausfahrt des gesamten Teams; er fand sich aber auch bereit, neuen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. So lösten etwa von Mitarbeitern geschriebene und eingeübte Weihnachtsspiele die vom Pfarrer erzählten Weihnachtsgeschichten ab, und es wurde das Kinderabendmahl eingeführt.
Schon in den sechziger Jahren ging die Zahl der Sonntagsschüler ständig und zum Teil beträchtlich zurück. Ein Grund für den Schwund, wenn auch nicht der einzige, waren die veränderten Sonntagsgewohnheiten vieler Familien: der Ausflug mit dem Auto, der Wochenend-Aufenthalt im Ferienhaus, der Brunch am Sonntagmorgen.
Bereits 1973 hatten Ruth Ungerer und Hedi Gerber die Sonntagsschüler des Sandhofquartiers an einem Werktag in ihre Stube eingeladen. Die Idee der «Sonntagsschule am Werktag» breitete sich weiter aus. 1978 eröffnete Marianne Suter mit dem Montag-Club die erste Werktagsklasse in der Au. Trotz Verlagerung auf die Wochentage blieb der Name Sonntagsschule erhalten. Die Form des Unterrichts wandelte sich stark. Zum Singen, Beten und Erzählen biblischer Geschichten traten das Gespräch und kreative Formen, wie Zeichnen, Basteln, Theaterspielen28.

Die Sonntagsschule unter Pfarrer Konrad Müller

Im Sommer 1986 übergab Pfarrer Fritz Hofmann die Leitung der Sonntagsschule Wädenswil seinem neuen Kollegen Konrad Müller. Dieser ist heute noch für die Belange der Sonntagsschule zuständig. 1988 führte Wädenswil den von der reformierten Kirchensynode beschlossenen kirchlichen Unterricht in der dritten Primarklasse ein. Die Kinder dieser Altersstufe erhalten während einer in den Stundenplan eingebauten Wochenstunde Einblicke in Grundfragen des Glaubens. Mit der Zielsetzung «Beheimatung in der Kirche» wird informiert über Taufe, Gebet, Abendmahl und kirchliche Feste und Bräuche. Sonntagsschulunterricht und Drittklassunterricht sind aufeinander abgestimmt. Sie konkurrenzieren sich nicht, sondern ergänzen sich29.
Am 20. Mai 1990 feierte die Sonntagsschule den hundertsten Geburtstag. Dies geschah anlässlich eines Familiengottesdienstes in der reformierten Kirche, in dessen Zentrum ein von Adrian Kostezer verfasstes Theaterstück stand. Es veranschaulichte auf einprägsame Weise die Anfänge der Wädenswiler Sonntagsschule. Nach dem Gottesdienst trafen sich die Besucher auf dem Platz zwischen Kirche und Pfarrhaus zum Umtrunk. Ein Spielnachmittag für die Sonntagsschüler schloss den Festtag ab.
 
Pfarrer Konrad Müller mit einem Teil des Sonntagsschulteams vor der reformierten Kirche, 1989. Von links nach rechts in der vordersten Reihe: Silvia Habegger, Magdalena Kellerhals, Barbara Zwygart, Adrian Kostezer, Ruth Ungerer; in der mittleren Reihe: Pfarrer Konrad Müller, Evi Schreiber, Lydia Bond, Marianne Suter, Ruth Perschak, Sämi Streuli; in der hintersten Reihe: Sibylle Ludwig, Priska Isler, Margrit Streuli, Heidi Amon, Sabine Bachmann.




Peter Ziegler



Anmerkungen

1 Hans Altwegg, Die Geschichte des Weinbauern Julius Hauser in Wädenswil, Emmishofen 1914, S. 34/35.
2 Stadtarchiv Wädenswil, IV B 86.1, Volkszählung 1870.
3 Staatsarchiv Zürich, E III 132.5, S. 135 und E III 132.10, S. 222.
4 Staatsarchiv Zürich, U 55.
5 Altwegg, S. 29/30.
6 Altwegg, S. 32, 35.
7 Stadtarchiv Wädenswil, IV B 69.3, Chronik der Lesegesellschaft Wädenswil, Bd. 2, Seite 123.
8 Johann Heinrich Kägi, Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1867, S. 261.
9 Staatsarchiv Zürich, T 11.5.
10 Staatsarchiv Zürich, T 11.6. und T 11.7.
11 Altwegg, S. 42.
12 Altwegg, S. 42/43.
13 Altwegg, S. 36/37.
14 Altwegg, S. 37/38.
15 Altwegg, S. 39.
16 Altwegg, S. 39.
17 Altwegg, S. 39−41.
18 Emanuel Jung, Einiges fiel auf gutes Land und trug Frucht. Werden und Sein der Sonntagsschule Wädenswil 1865−1990, Wädenswil 1990, S. 10/11.
19 Staatsarchiv Zürich, T 11.8.
20 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 1904, Nr. 148; 1914, Nr. 198; 1916, Nr. 197.
21 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 1904, Nr. 148.
22 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 1914, Nr. 198.
23 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 1915, Nr. 67.
24 Staatsarchiv Zürich, T 11.10.
25 Staatsarchiv Zürich, T 11.12.
26 «So leben wir», Jubiläumsschrift der Kirchgemeinde Wädenswil, Wädenswil 1967, Seite 140.
27 «So leben wir», S. 127.
28 Jung, S. 11−13.
29 Jung, S. 13/14.