Bööggen, Umzug, Schnitzelbank und Guggenfest

Die Wadin-Schränzer zogen 2000 als Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band durchs Fasnachtsgeschehen.

50 Jahre Neue Fasnachtsgesellschaft

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2022 von Stefan Baumgartner

1972 wurde die Neue Fasnachtsgesellschaft (NFG) gegründet, die seither dafür besorgt ist, dass in Wädenswil dieses alte Brauchtum wieder gelebt wird und Wädenswil wieder Fasnachtshochburg ist, so wie schon in früheren Zeiten. Um zu verstehen, wieso 1972 in Wädenswil eine «neue» Fasnachtsgesellschaft gegründet wurde, braucht es den Blick noch etwas weiter zurück. Fasnacht wurde vor der Reformation landauf, landab gefeiert, vom Dreikönigstag am 6. Januar bis Aschermittwoch, der sich nach dem Osterdatum richtet. Während dieser Tage durfte auch das gemeine Volk ausgelassen feiern, und die Fasnacht wurde gerne benutzt, um den Unwillen gegen die Obrigkeit auszudrücken.
Nach der Reformation wurden Volksfeste stark eingeschränkt, ausrotten liess sich die Fasnacht jedoch nie – schon gar nicht in Wädenswil, wo man sich gerne aufmüpfig gegenüber der Obrigkeit des Stadtstaats Zürich zeigte. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert erlebte die Wädenswiler Fasnacht eine neue Blütezeit; es wurden Umzüge, Maskenbälle und Schauspiele veranstaltet, die die Massen anzogen. Federführend war hier die X-Gesellschaft, eine der Vorgängerorganisationen der heutigen «Neuen Fasnachtsgesellschaft». Als sich diese X-Gesellschaft jedoch Mitte des letzten Jahrhunderts auflöste, versank die Fasnacht erneut in einen Dornröschenschlaf.
Ein Lichtblick war 1956 die Gründung der ersten «Landguggenmusig» im Kanton Zürich, der Märy Mäckers Gugge Bänd und der daraus hervorgegangenen Sakkophonie 1958. Trotzdem wurde in Wädenswil nur noch bescheiden Fasnacht gefeiert – mit einem Kinderumzug und einem Kinderball. Mit diesen Organisatoren überwarf sich schliesslich die Sakkophonie, und es kam zu einer Aussprache, die die Vertreter der Sakkophonie nach eigenen Aussagen «fuchsteufelswild » verliessen. Diese beiden Vertreter waren Ennio Maspero und Walter «Cheesy» Tessarolo, die noch gleichenabends die Gründung einer neuen Fasnachtsgesellschaft beschlossen und dieses Vorhaben auch zielstrebig vorantrieben. Schliesslich wurde die Gründung am 9. September 1972 auch formell vollzogen und 1973 fand dann der erste Wädenswiler Fasnachtsumzug der «Neuzeit» statt. Viele Sakkophoniker hatten damals noch Doppelmandate, sowohl als Guggenmusiker wie auch als NFG-Mitglied. Diese Doppelspurigkeiten wurden immer mehr aufgelöst. Sakkophoniker wie Guy Walder oder Kurt Schoch hängten ihre Instrumente an den Nagel und schenkten ihre fasnächtliche Energie künftig der Organisation der Wädenswiler Fasnacht.
Richtig Fahrt nahm das NFG-Schiff schliesslich unter der 25 Jahre dauernden Führung von Peter Schuppli auf. Nebst den Umzügen am Sonntag und Montag entstand vieles, das auch heute noch Bestand hat und noch immer gefeiert wird – wie etwa die Schnitzelbankfeste, oder das «Konfetti», die NFG-Fasnachtsbar. Auch die erste Ausgabe des «Gemeinen Anlügers vom Zürichsee» erschien 1976 zum ersten Mal und berichtet seither jährlich von «Geschehenem und lieber Ungeschehenem». Fasnachtspostillen waren – auch ganz im Sinne des Fasnachtsgedankens – beliebtes Mittel, um auf Missstände oder Ungereimtheiten bei Behörden aufmerksam zu machen.
Aber auch bekannte Personen und Persönlichkeiten wurden gerne in die Pfanne gehauen. Rund um Wädenswil sind viele dieser Fasnachtszeitungen verschwunden, nicht zuletzt weil – wie etwa in Thalwil – die Schreiberlinge wegen einer «lieber ungeschehenen» Geschichte vor den Kadi gezogen wurden. In Wädenswil jedoch werden immer noch rund 1000 Exemplare des «Anlügers», des «halbamtlichen Publikationsorgans der NFG links und rechts des Töbelibachs», verkauft.

Peter Schuppli mit dem Umzugs-Wanderpokal 1983: Er prägte die Fasnacht von 1975 bis 2000 als NFG-Präsident.


Märy Mäckers Gugge Bänd, um 1956.

Initialzünder zur Gründung der Neuen Fasnachtsgesellschaft Wädenswil: Ennio Maspero (links) und Walter «Cheesy» Tessarolo.

Die Plakette – Wädenswils Spiegel

Die Plakette in Bronze, Silber und Gold ist einerseits das Eintrittsticket an die Wädenswiler Fasnacht, andererseits ist darauf immer ein aktuelles Sujet mit Bezug zum «Dorf» abgebildet. Der allererste Eintritt zur Fasnacht 1973 war noch ein «Kartönli» mit einem darauf abgebildeten Gloon, ein Jahr später folgte eine Plastikhexe. Doch schon ab 1975 wurden metallene Plaketten fabriziert, wie wir sie auch heute noch kennen: Ein aktueller Spruch mit einer passenden Zeichnung, die (zumeist) einen Gloon zeigt. Die Sujets nahmen immer Bezug auf ein aktuelles Thema. So zeigt die erste «echte» Plakette 1975 das Sujet «Stadt häsch gemeint» und spielt auf den Wechsel von der Versammlungs- zur Parlamentsgemeinde und vom Dorf zur Stadt an. Schon ein Jahr später widmet sich die nächste Plakete dem Spagat, der damit einhergeht: «Schlafe, poschte, Märggli chläbe – Wädischwiler Dörfli-Läbe»: Die Wädenswiler Detaillisten gaben in der Adventszeit Sammelmarken aus. Wädenswil ist jetzt zwar Stadt, man geht aber bis heute noch «is Dorf» einkaufen.
Die erste Metallplakette von 1976 und die partiell «vergoldete» Jubiläumsplakette von 2022.

Einige der Sujets verlieren ihren aktuellen Bezug nie – oder der Bezug wird in regelmässigen Abständen wieder aktuell. So zierte 1979 der Spruch «Am liebschte hetti dahäre welle e dritti Passerelle schtelle» die Plakette, als in der Rietliau und im Rothus Fussgängerübergänge erstellt wurden. Gut möglich, dass in naher Zukunft wieder ein Passerellenbau eine Plakette zieren könnte. Schon 1983 las man auf dem Bronzestück «Nume ganz nervösi Jogge verwached ab de Chileglogge» – ein Thema, dass ein paar Jahre später erneut zur Diskussion stand. Immer wieder natürlich – ganz im Geist der ursprünglichen Fasnacht, den Obrigkeiten den Unbill zu zeigen – standen die Stadt und deren meist klamme Finanzen im Mittelpunkt.
So zierte 1995 der Spruch «Badi, Ängel, Ochseschüür – nur warm saniere wär nöd tüür» die Plakette, 2009 war dann die Frohmatt Thema, als sich die erste Umbau- und Renovationsplanung des Alterszentrums als unbrauchbar erwies: «Sanierungsplan Frohmatt – 550 000 Bach ab». Und auch 2017 wusste die Plakette: «D Stadtkasse isch e leeri Hülle, drum wänds die mit Konfetti fülle».
Die erste Jubiläumsplakette «5 Jahre NFG» aus dem Jahr 1977 zeigte den Gloon, der wiederum eine Plakette in den Händen hält. 1982 sprayte ein sichtlich benebelter Gloon «10 Jahre NFG» an eine Wand und feierte so nicht nur das erste runde Jubiläum, sondern zeigte auch ein damals aktuelles Ärgernis auf: viele Wände wurden immer wieder aus Spraydosen verschmiert – auch heute noch ein Ärgernis, auch wenn die Verunstalter weniger sprayen, dafür ihre Tags – auch Schmierereien – hinterlassen. Dann verschwand der Hinweis auf das Jubiläum bis ins Jahr 2002, als die NFG (30 Jahre) zusammen mit den Guggenmusigen Trubadix (25 Jahre) und Wadin-Schränzer (20 Jahre) jubilierte. Zehn Jahre später präsentierte der Gloon auf der Plakette eine Geburtstagstorte mit 40 Kerzen und meinte dazu «Juheee – 40 Jaar NFG». Zu diesem Jubiläum fand der erste Wädenswiler Nachtumzug statt, gleichzeitig wurde auch das erste Kirchenkonzert mit Wolfgang Sieber an der Orgel und den Luzerner Wäsmali-Chatze durchgeführt. 2022 schliesslich verkündete der Gloon stolz: «D NFG fiiret, jublet und glänzt a de Fasnacht Wättischwil 2022». Erstmals gönnte man sich eine zweifarbige Plakette mit partiell eingearbeiteter Goldfarbe.

Keine Fasnacht ohne Mitwirkende

Keine noch so gut funktionierende Organisation kommt ohne das «Fussvolk» aus. So stellte und stellt die Neue Fasnachtsgesellschaft zwar den perfekt organisierten Rahmen für ihre verschiedenen Veranstaltungen zur Verfügung, für das Lebendige sorgten die verschiedenen Gruppierungen. Da war einerseits die musikalische Umrahmung. Nebst der 1958 gegründeten Sakkophonie bereicherten und begleiteten die Tambouren, Stadtgrübler, die Calüpso Schtiil Bänd, die Trubadix und die Wadin-Schränzer die Fasnacht. Überlebt haben nur die Tambouren und die 1976 gegründete Trubadix.
An den Umzügen zeigten in den fünfzig Jahren unzählige Wagengruppen (unmöglich, alle teilnehmenden Gruppen zu benennen!) ihre Sujets mit teils aufwändigen Bauten und ebensolchen Kostümen. Gespannt wartete man Jahr für Jahr am Strassenrand, was zum Beispiel der Ski-Club, die Habres, die Glööns, der SC Wadin, die Panzerknacker-Klickä wohl nach teils monatelanger Bauzeit auf die Umzugsroute brachten. Heute sind es die Dorfpüggel, Kinter-Clique, Bierhimml-Angels, Friilänzer, Luusmeitli und viele mehr, die für den Fortbestand der Wädenswiler Fasnachtsumzüge sorgen.
Einige der Musik- oder Wagengruppen wagten sich auch auf die Schnitzelbankbühne, allen voran die Panzerknacker, die von 1990 bis 2017 Fasnächtlerinnen und Fasnächtler zuerst auf der Bühne des Engelsaals und ab 2003 in der Kulturhalle begeisterten. Die Luggenbüesser und natürlich die «Grande Dame» Annekäthi Huuser haben eine musikalische Geschichte bei den Trubadix. Die Wädibüezär streifen seit 2008 durch die Wädenswiler Fasnacht, unverkennbar in ihrer Arbeitskluft oder mit einem aktuellen Lokalthema unterwegs. 2018 debütierten sie auf der Schnitzelbankbühne mit ihrem eingängigen Refrain, angelehnt an das berühmte Seebubenlied. Ebenso erwähnt werden sollte die erste reine Frauenschnitzelbank, die Landhüehner, die Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre auf der Bühne standen und gleichzeitig bei den Wadin-Schränzern musizierten.
Die Landhüehner (hier 1991) waren die erste reine Frauen-Schnitzelbank.
Die Panzerknacker waren von 1990 bis 2017 am Schnitzelbankfest immer dabei (hier 2007).

Und kein Schnitzelbank-Rückblick ohne Kurt Schoch: Das NFG-Vorstandsmitglied stand viele Jahre auf der Bühne, und sein Programm «Schochs Tierleben» erlangte Kultstatus und wird unter den alteingesessenen Fasnächtlern auch heute noch gerne zitiert. Auch die beiden NFG-Gründer, Ennio Maspero und Cheesy Tessarolo, gaben regelmässig träfe Sprüche zum Besten, «zmitzt id Schnurre», so wie auch ihr Programm hiess. Nach Ennios Tod im Jahr 1988 trat Cheesy mit verschiedenen neuen Programmen auf die Bühne und lotete dabei immer die Grenzen zwischen über und unter der Gürtellinie aus.

 
 


 
Schnitzelbank mit Kultstatus: «Schochs Tierleben» von und mit Kurt Schoch.

Die Fasnacht (und die NFG) heute

Seit 2013 ist Christoph Lehmann als Präsident der NFG im Amt. In ihrer fünfzigjährigen Geschichte ist er erst der fünfte Präsident. Während Kurt Billeter und Fritz Zimmermann, den ersten Präsidenten, nur kurze Amtszeiten vergönnt waren, prägten insbesondere Peter Schuppli und später Ernst «Grübi» Brupbacher das Gesicht der NFG gegen aussen. Christoph Lehmann konnte so eine funktionierende und wieder gut verankerte Fasnacht übernehmen. Seine Herausforderung ist es, die traditionsreiche Jahreszeit in eine immer schnelllebigere Zeit zu transformieren. Waren es vor über 100 Jahren Fasnachtstheater, die die Massen begeisterten, waren und sind es in der heutigen Wädenswiler Fasnachtszeit die farbenfrohen Umzüge, die tausende Besucherinnen und Besucher aus nah und fern an den Strassenrand locken. Eine konstante Zahl an Umzugsteilnehmern, auch Einheimischen, zeigt, dass sich auch Junge nach wie vor für Fasnacht begeistern können. Seit 2014 eröffnet die Plakettenvernissage, immer am 6. Januar durchgeführt, die Wädenswiler Fasnacht mit der Präsentation der aktuellen Plakette und auch weiterer Sujets, die zwar in die engere Auswahl kamen, aber verworfen wurden. Das Plakettensujet wird im Herbst des Vorjahres vorgängig von einem kleinen Gremium bestimmt aufgrund der «Geschehnisse im Dorf».
Ernst «Grübi» Brupbacher, Präsident der NFG von 2000 bis 2013.
Plakettenvernissage: NFG-Präsident Christoph Lehmann enthüllt die Jubiläumsplakette 2022.
Und wie sieht die Zukunft der Maskenbälle aus? Die Maskenbälle im Hotel Engel waren auch gesellschaftliche Ereignisse, und in den 1970er- und 1980er-Jahren war die «Hallenbad-Fasnacht» in der dortigen Tiefgarage mit «Bierschwemme» einen Stock darüber einer der angesagtesten Orte weitherum. Lange Jahre fand im Etzelsaal mit der Etzel-Bööggete die «katholische Fasnacht» statt, eine Woche vor dem Wädenswiler Hauptfasnachtswochenende. Nachdem auch dieser Maskenball aus der Agenda verschwand, entstand daraus die Beizenfasnacht, die sich in den vergangenen Jahren zu einem veritablen Kleinguggen-Festival entwickelte. Kleinformationen aus der ganzen Schweiz ziehen so von Beiz zu Beiz und unterhalten deren Gäste. Aktuell konnte der Turnermaskenball dreimal von 2020 bis 2022 nicht stattfinden, doch 2022 installierte sich erstmals eine junge Gruppierung auf dem Eidmattplatz und bot dort einen Einblick, wie die Fasnacht vielleicht künftig gefeiert wird.
Die Beizenfasnacht war und ist der Kern des bunten Treibens am Fasnachtswochenende: Die Bölläfrässer als gestiefelte Kater.

Nicht zu unterschätzen ist auch der wirtschaftliche Faktor: Nebst der Chilbi im Sommer ist die Fasnacht das grösste wiederkehrende Volksfest in Wädenswil. Davon profitiert auch das Wädenswiler Gewerbe und nicht zuletzt auch die oft klamme Stadtkasse. Doch wie vielen anderen Vereinen fehlen der NFG Personen, die nicht nur mitmachen, sondern auch Mitgestaltung wollen; die sich auch unter dem Jahr für die schönsten Tage im Jahr engagieren wollen und bereit sind, dafür einen Teil ihrer Freizeit zu opfern. Während der Fasnacht 2022 – vom Dreikönigstag bis zum Fasnachtsmontag – wollte die Neue Fasnachtsgesellschaft ihr Jubiläum feiern. Das aus den Vorstandsmitgliedern und Ressortvorstehern gebildete OK verzichtete dabei bewusst auf einen einzigen grossen Festtag und plante verschiedene Anlässe, darunter neue Veranstaltungen und Bestehendes etwas grösser. Leider machte auch hier die Covid-Pandemie vieles zu Nichte, und nicht jeder Anlass wird 2023 nachgeholt werden können. Eines der Filetstücke wäre das «Wädi Pipes n’Drums» gewesen, ein tattooähnlicher Anlass in der Sporthalle Glärnisch mit Dudelsackspielern und Tambouren, aber auch Guggenmusigen und Tanz- und Gesangseinlagen. Erstmals durchgeführt und dabei gut aufgenommen wurde der Maskenball «Fasnacht on Ice» in Zusammenarbeit mit dem Verein Eisbahn Wädi. Und wer den mehrere hundert Meter langen Tatzelwurm, den «Bööggenspaziergang » am Fasnachtsmontag, gesehen hat, der anstelle des abgesagten Kinderumzugs stattfand, weiss: Um Bööggen-Nachwuchs muss sich Wädenswil nicht sorgen!
 
Die Fleischvögel im «Rössli»: In den vergangenen Jahren entwickelte sich die Beizenfasnacht zum Kleinguggen-Festival.




Stefan Baumgartner


Quellen

Homepage der Neuen Fasnachtsgesellschaft Wädenswil (www.nfgw.ch)
Tessarolo, Walter: Sakkophonie 1958 Wädenswil. Die wahre Geschichte einer Legende, Wädenswil 2013.
Tessarolo, Walter: Die Geschichte der Wädenswiler Fasnacht. 50 Jahre Neue Fasnachtsgesellschaft, Wädenswil 2022.
Ziegler, Peter: Wädenswiler Fasnacht. Wädenswil 1994
Ziegler, Peter: 40 Jahre Wädenswiler Schnitzelbank, in: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2015.