In seiner Unterstützungspraxis ging der Pestalozziverein von Anfang an vom Grundsatz aus, zu jedem Kinde gehörten verantwortliche Besorger. Wer für sein Kind eine Gabe erwirken wollte, musste sich persönlich beim Präsidenten anmelden, ihm sein Anliegen vorbringen und die fehlenden Kleidungsstücke klipp und klar bezeichnen. Der Präsident trug die Namen der Bittsteller und die gewünschten Kleidungsstücke in eine Liste ein und leitete diese zur Vorberatung an den Gesamtvorstand weiter. Ende Oktober/Anfang November hatten die angemeldeten Kinder und deren Besorger dann vor der in ihrer ganzen Grösse von zwölf bis dreizehn Personen im Armenhaus versammelten Kommission zu erscheinen und die Wünsche nötigenfalls noch näher zu begründen. Hielt man das Begehren für berechtigt, bekamen die Gesuchsteller die Kleidungsstücke aus dem Lager des Pestalozzivereins sofort zugeteilt. Fanden sich die passenden Grössen nicht vorrätig, nahm man den Kleinen das Mass und beschaffte das Fehlende innert zehn bis vierzehn Tagen.
Der Gang vor die Kommission war für viele Wädenswilerinnen und Wädenswiler hart. Sie mussten über ihre wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse Auskunft geben, die oft lästigen Fragen der Kommissionsmitglieder über sich ergehen lassen; sie wurden von Kopf bis Fuss gemustert und mit praktischen Ratschlägen für die Gestaltung der häuslichen Ordnung auf den Heimweg geschickt!
Die Kleiderspenden des Pestalozzivereins waren als Winterhilfe gedacht. Darum sah der Vorstand scharf darauf, dass alle gespendeten Stücke nur im Winter angezogen wurden. Wahl der Stoffe, Schnitt und Verarbeitung waren auf Schutz gegen winterliche Kälte angelegt. Ein geschenktes Gewand sollte während des ersten Jahres nur an Sonntagen getragen werden und erst im zweiten Winter als Alltagskleid. Oder: Erst der sonntägliche Gang zur Kirche, dann der werktägliche Gang zur Schule.
Anfänglich wurden die Kleidungsstücke im Armenhaus hergestellt. Die Strümpfe lieferte der Frauenverein. Die Zusammenarbeit mit dem Armenhaus scheint aber nicht befriedigt zu haben. Darum gab man die Kleider bei Wädenswiler Schneiderinnen und Schneidern in Auftrag. Man stellte den Stoff zur Verfügung und bezahlte aus der Vereinskasse den Macherlohn. Gemäss lokalem Wortschatz gab es nun in Wädenswil den «Pestalozzi-Schuster» den «Pestalozzi-Schneider» die «Pestalozzi-Näherin» Sie alle blieben recht lange in ihrer Funktion. Wohl ein Beweis dafür, dass sie rechte Arbeit lieferten und anständig bezahlt wurden.
Ab 1846 geführte Listen verzeichneten alle Gaben an Schülerinnen und Schüler. Sie wurden zudem in den Jahresberichten, die vollumfänglich im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» abgedruckt wurden, öffentlich bekanntgemacht Da figurieren Holzschuhe, Lederschuhe, Strümpfe, Hemdchen, Röckli, Überhemden, Büffel (eine Art Leibchen oder Pullover), Hosen, Westen, Unterröcke, Schürzen, Schlüttchen, Halstücher, Kappen, Nastücher, «Gstältli» Garn und Wolle für die Arbeitsschule, Zeug zum Flicken und Garn «zum Anlismen».
Es gab in Wädenswil aber nach wie vor Arme, die sich weigerten, beim Pestalozziverein um eine Spende anzuhalten. Sie wollten unbedingt vermeiden, dass ein Mitglied des Frauenvorstandes inspizieren kam, wie es dem Schützling des Pestalozzivereins gehe und wie es um dessen Kleider stehe. Seit der Mitte der 1850er Jahre war es nämlich Norm geworden, dass die Damen des Frauenvorstandes hin und wieder einmal in der Wohnung eines Unterstützten einen Besuch machten und dabei ihr Augenmerk weisungsgemäss auch auf den Reinlichkeitsgrad richteten.
Eine besondere Bedeutung erhielten die Kleiderabgaben des Pestalozzivereins während den von der Wirtschaftskrise gezeichneten dreissiger Jahren und zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Grosse Probleme brachte die Rationierung, waren doch auch Kleider und Schuhe nur noch gegen entsprechende Coupons erhältlich.
In den ersten Nachkriegsjahren hielt die Nachfrage nach Kleidern an. Im September 1960 lagen dem Vorstand immer noch 27 Gesuche vor. Um sicher zu gehen, dass es sich um wirkliche Notfälle handelte, wurden die Begehren vom Sozialfürsorgeamt Wädenswil überprüft. Das Angebot an Kleidungsstücken war gegenüber früher allerdings grosszügiger. Anstelle von Nachthemden gab es jetzt auch Pyjamas, und selbst Skihosen und Skischuhe stufte der Vorstand nicht mehr als Luxus ein.
Mitte der Sechziger Jahre trafen nur noch vereinzelte Gesuche ein. Dadurch hatte der Frauenvorstand weniger Arbeit zu leisten, und man ersetzte verschiedene austretende Damen nicht mehr. 1968 beschloss der Vorstand nochmals eine Neuerung: Da Stimmen laut geworden waren, bei der Kleiderverteilung sei die Anwesenheit von Vorstandsdamen unerwünscht und die Abgabe komme Almosen gleich, gab man fortan Gutscheine ab, mit denen in einzelnen Geschäften die gewünschten Sachen nach Wahl eingekauft werden konnten. Auf ein Inserat, das im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» auf die Kleiderabgabe 1972 aufmerksam machte, ging keine Meldung mehr ein. Darum verzichtete der Verein 1973 auf einen entsprechenden Hinweis in der Lokalzeitung. Er gewährte da und dort noch eine Unterstützung; seit den 1980er Jahren war die früher so wichtige und zeitaufwendige Kleiderabgabe im Vorstand des Pestalozzivereins kein Traktandum mehr.