Es ist im Kammerorchester Wädenswil seit einem Jahr zur herrlichen Tradition geworden, etwa vierzehn Tage vor einem Konzert neben den regulären wöchentlichen Proben zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen: An einem Wochenende soll die musikalische Arbeit in drei besonders intensiven Proben vertieft werden. Ich erachte es als wunderbar, dass sich in unserer rastlosen, schnelllebigen Zeit Leute finden, die jene grenzenlose Begeisterung und Hingabe der Orchestergründer in unsere Tage herüberretten konnten. Es sind Mitstreiter, die mit bewunderungswürdigem Ernst neben dem wöchentlichen Probeabend ganze Wochenenden opfern, um dort während rund zehn Stunden gemeinsam im Dienst am Werk um die Verwirklichung einer Klang- und Darstellungsidee zu ringen. Wie manche technische Unebenheit tritt so völlig in den Hintergrund, da der Laienspieler in seiner Aufgabe völlig aufgeht, jeder an seinem Platz im Orchester, denn es wird über allem ein sehr tief gehendes Bemühen um das Ziel spürbar. Diese Fähigkeit hat der Laienmusiker, dem sein Tun Passion bedeutet, den Berufsmusikern in vielen Fällen voraus. Konzerte mit Liebhabermusikern können sehr viel mehr als gespielter Notentext darstellen, ja der Laienmusiker ist fähig, viel tiefer in den Geist eines Werkes einzudringen, als man vielleicht annimmt; auch er kann zum echten Interpreten werden. Allerdings braucht er einerseits sorgfältige Anleitung und methodische Erklärungen durch den Fachmann, was beim Berufsmusiker nicht nötig sein sollte, anderseits muss er sich mit geeigneter Spielliteratur auseinandersetzen können. Es gehört mit zu den Hauptaufgaben eines Amateurorchester-Dirigenten, technisch realisierbare Werke zu wählen, da sich die Verhältnisse im Konzertbetrieb grundlegend sehr verändert haben.
Wenn der «Orchesterverein Wädensweil» mit allen Registergruppen des klassisch-romantischen Sinfonieorchesters (Streicher, Holz- und Blechbläser, Schlagzeug) regelmässig Werke der grossen Literatur spielte, erfüllte er in einer Zeit ohne Radio und Stereoanlage eine sehr wichtige kulturelle Aufgabe auf dem Land: Er vermittelte der Bevölkerung praktisch den einzigen Zugang zur grossen sinfonischen Orchesterliteratur. Dass dies heutzutage niemals mehr Aufgabe des Kammerorchesters Wädenswil sein kann, liegt auf der Hand in einer Zeit, wo die Distanz zwischen der Stadt Zürich und unserer Gegend dank den Errungenschaften der Technik immer rascher und müheloser zurückgelegt werden kann und der Besuch von erstklassigen Konzerten in der Stadt ohne nennenswerten Aufwand möglich ist. Wem auch diese Anstrengungen zuviel sind, dem hilft ebenfalls die Technik weiter: Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man sich heute im Lehnstuhl perfekte Wiedergaben fast aller Werke, neuerdings in Quadrophonie, servieren lassen. Doch die gewisse eisige Kälte, etwas dem Menschen nicht mehr Angemessenes, das der Technik innewohnt, hat damit notwendigerweise auf die Kunst selbst übergegriffen und das Publikum im Laufe der Jahrzehnte sehr spürbar umgeformt; sicher nicht im erstrebenswertesten Sinne, wie ich meine. Die Zuhörer von heute sind sehr heikel geworden, da sie mit Spitzenleistungen verwöhnt werden, gleichzeitig besitzen sie aber immer weniger die Fähigkeit, ganzheitlich, werkbezogen und in die Tiefe zu hören. Der gesunde Maßstab ist leider weitgehend verlorengegangen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass manches Amateurorchester mit Sinfonieorchesterbesetzung diese Entwicklung klar realisierte und ratlos um seine Existenz zu bangen begann. Zum Glück erkannten die Musikverlage in den letzten Jahrzehnten die besondere Situation der Laien- und Schulorchester und trugen auf sehr willkommene Art zu deren neuerlichen Entwicklung bei: Es wurde eine unerhörte Fülle von früher absolut unzugänglichen kleineren Werken aus vielen Epochen herausgegeben, die nun besetzungsmässig mit weit einfacheren Mitteln realisierbar sind. Die neue Literatur wurde das Betätigungsfeld für Ensembles in der Art unseres Kammerorchesters.
Parallel dazu veränderte sich die Instrumenten-Zusammensetzung: Heute ist unser Verein ein reines Streichorchester, und wir ziehen nach Bedarf Contrabassist, Bläser und Cembalo- oder Orgelspieler bei. Die gegenwärtig klanglich sehr ausgewogene Besetzung mit sechs bis sieben ersten Violinen, sieben zweiten Violinen, vier Bratschen und drei Celli erlaubt die Einstudierung von recht dicht komponierten kammermusikalischen Werken.