Zu Besuch beim Marroni-Toni

Quelle: Wädenswiler Anzeiger 10-2022, Text und Bilder von Stefan Baumgartner

Seit unglaublichen 140 Jahren besucht die Familie Togni in der Herbst- und Winterzeit Wädenswil und bietet ihre feinen Marronis an. Eine Institution, der vom Kinderliedmacher Andrew Bond sogar ein Lied gewidmet wurde. Marroni sind vielleicht auch das erste Essen, das über die Gasse verkauft und gegessen wurde. Seit dem 20. Oktober steht Franco Togni – der fünfte Marroni-Toni – nun wieder in seinem Häuschen am Plätzli und verkauft nebst Marroni auch Spezialitäten aus seiner Heimat, dem Bleniotal. Der Wädenswiler Anzeiger besuchte ihn Anfang Oktober dort.

Semione im Bleniotal: Heimat der Tognis.

Franco Togni, der fünfte Marroni-Toni, bewirtschaftet in Semione im Bleniotal zusammen mit seinem älteren Bruder Marco einen Landwirtschaftsbetrieb mit 25 Brown-Swiss-Milchkühen und 25 Jungtieren. Ausserdem gehören noch eine Herde Ziegen und einige Hausschweine zum Hof, vier Esel leisten ebenfalls Gesellschaft und «mähen» die Wiesen an unzugänglichen Stellen. Ebenso ein paar Reihen Reben mit Merlot- und Americano-Trauben– «die sind aber mehr für den Eigenbedarf», wie Franco Togni verschmitzt lachend zugibt. Der ausgebildete Landwirtschaftsmaschinen-Mechaniker verbringt – wie schon seine Vorfahren – den Sommer auf der Alp des Monte Ca Và auf 1600 m Höhe. «Von Ende Mai bis Anfang September sind wir jeweils dort» und zeigt zu der steil ansteigenden Bergflanke, die bewaldet ist mit Edelkastanienbäumen. Was für Francos Vater noch ein beschwerliches Abenteuer war – als er zu Alp ging, hatte die Alphütte weder Strom noch fliessend Wasser und alles wurde auf dem Rücken hinaufgetragen – ist heute etwas einfacher geworden: Die Hütte wurde modernisiert, Strom wird mittels Photovoltaik gemacht. Und doch: Die Alp ist nicht auf der Strasse erreichbar, der Aufstieg erfolgt immer noch zu Fuss, die schweren Geräte werden mit dem Helikopter hergeflogen, dass Heu damit wieder ins Tal gebracht. Aber man merkt: Franco Togni liebt sein Leben, die Einfachheit in diesem wunderschönen Tal im nördlichen Tessin, das sich vom Lukmanierpass bis nach Biasca erstreckt. Er engagierte sich auch insgesamt 18 Jahre für seine Heimatgemeinde; zuerst in Semione und nach dem Gemeindezusammenschluss mit Ludiano und Malvaglia in der Kommune Serravalle.
Zum Hof der Tognis gehören nebst Kühen, Schweinen und Esel auch eine Herde Ziegen.
Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) hielt sich vermutlich 1164 und 1176 in der Burg Serravalle bei Semione auf, wo heute unterhalb der Merlot gedeiht.

Und nun ist Franco Togni also wieder in den blaugrünen Kittel geschlüpft, der ihn zum Marroni-Toni macht und steht in der einfachen Hütte am Plätzli. Seit 1983 kommt er nach Wädenswil; zuerst als Unterstützung für seinen Vater Lino, seit 2016 als fünfter Marroni-Toni. In der ersten Zeit bis Mitte November ist er täglich da, danach noch von Donnerstag bis Sonntag.
Woher aber kommen die Marronis, die er verkauft? Man weiss: Seit 2009 werden die Edelkastanien im Tessin von der aus Asien eingeschleppten Gallwespe heimgesucht. Zwar haben sich die Baumbestände und die Ernten etwas erholt, doch Franco Togni kauft seine Kastanien mehrheitlich ein. Er erklärt: «Auch bei uns im Tessin gibt es mehrere Sorten Kastanien, mit unterschiedlichem Geschmack und unterschiedlicher Zubereitung. Indem ich die Marronis bei meinen Partnern einkaufe, kann ich gleichbleibende Qualität bieten – und ich kaufe nur die beste Qualität ein!» Früher galten Marroni als «Brot der armen Leute»: Wegen ihrer hohen Verfügbarkeit einerseits und des hohen Stärkegehalts wegen dienten sie als Getreideersatz. Marroni sind ausserdem reich an B-Vitaminen und Phosphor. Und kommen bei der Familie Togni selbst auch noch Marronis auf den Tisch? «Aber ja, klar!», ruft er freudig. «Ab der Erntezeit bis zum Frühling sicher 2, 3 Mal pro Woche. Immer nur heisse Marroni, dazu etwas Käse, Salami und ein Glas Merlot aus dem Eigenanbau!»

Die fünfte Generation wird die letzte sein

Franco Togni muss nicht mehr – so wie seine Vorfahren – aus wirtschaftlicher Not an den Zürichsee reisen, um ein Zubrot zu erwirtschaften. Er sagt klar: «Ich mache das aus Freude und um diese schöne Tradition weiterzuführen. Müsste ich in den Wintermonaten des Geldes wegen eine zusätzliche Arbeit suchen, würde ich in der Nähe eher fündig.» Und so stellt sich auch gleich die bange Folgefrage: Wie lange kommt er noch nach Wädenswil? Mit breitem Lachen sagt der 53-Jährige: «Solange ich gesund bin. Ich komme gerne nach Wädenswil, es gefällt mir hier!»
Mit ihm dürfte aber diese lange Tradition zu Ende gehen. Keiner seiner beiden Söhne wird wohl in seine Fussstapfen treten. Der ältere Sohn betreibt im Tal ein Maurergeschäft, und Sohn Alex, der dem Vater auch schon im Marronihäuschen geholfen hat, hat eben sein Medizinstudium beendet und kümmert sich als Internist künftig eher um Prävention, Diagnose und Behandlung innerer Erkrankungen, als um schön geschlitzte Marronis.
Franco Togni zeigt einheimische Marroni – frisch geerntet.
Seit einigen Tagen nun ist Franco, der fünfte Marroni-Toni, wieder da, und am 29. Oktober steigt das vom Verkehrsverein organisierte Marroni-Fäscht. Marini, Maruni, Maroni – Di chaufed mer immer bim Toni. Geöffnet bis 13.11. täglich 10 bis ca. 19 Uhr, danach bis 18. Dezember Do–So, 10-19 Uhr. Anschliessend Anschlag am Marroni-Hüsli beachten.