BREITINGER, JOHANN JAKOB (1814−1880)

Quelle: Architektenlexikon der Schweiz 19./20. Jahrhundert (Isabelle Rucki und Dorothee Huber (Hrsg.), im Birkhäuser Verlag Basel, 1998

* 30. Januar 1814 in Dinhard; † 15. März 1880 in Weesen, Architekt, Unternehmer, Stadtplaner.
Breitinger machte nach den Schulen in Zürich und Horgen 1830 eine damals übliche Baufachlehre in Zürich bei Baumeister und späteren Stadtrat Johann Jakob Locher-Oeri (1806-1861), der damals das Baugeschäft Locher gegründet hatte. 1832-37 unternahm Breitinger Studienreisen nach Neuenburg, Paris und Berlin, wo er von der klassizistischen kubischen Bauweise Karl Friedrich Schinkels und seiner Schüler August Stüler, Johann Heinrich Strack und Eduard Knoblauch nachhaltig beeinflusst wurde. 1837 liess er sich in Zürich als selbständiger Architekt nieder und gründete ein eigenes Baugeschäft. Sein erstes bekanntes Werk ist das um 1839 erbaute, heute abgebrochene Gasthaus auf Üetliberg-Kulm. 1845-53 baute und leitete Breitinger bei Innsbruck ein Bergwerk und eine Asphaltfabrik. 1853-55 war er Sektionsarchitekt der Schweiz. Nordostbahn, für die er 1853-55 den Bahnhof Romanshorn baute. 1857-61 war er Architekt der Vereinigten Schweizer Bahnen und hier verantwortlich für sämtliche Hochbauten der Linie Wetzikon-Rapperswil-Weesen-Glarus, Weesen-Sargans und Rheineck-Chur (u.a. 1860 Bau der Stationsgebäude in Chur und Glarus). 1857-67 nahm Breitinger zudem am öffentlichen Leben der Stadt Zürich teil als Gemeinderat und Mitglied der städt. Baukommission sowie seit 1859 des Baukollegiums. Er betätigte sich hier auch als Stadtplaner mit seinem Projekt für das Bahnhofquartier (1855), für ein neues Stadtquartier Kratz (1859) sowie seinem Generalplan für Zürich mit neuen Strassen, Quartieren und Quaianlagen (1867). Eine intensive Bautätigkeit entwickelte Breitinger beim Wiederaufbau von Glarus nach dem Brand von 10. Mai 1861. Bis 1863 plante und erstellte er dort teils zusammen mit seinem Schüler Heinrich Reutlinger (1841-1913) fünfzehn Wohnbauten meist in einfacher spätklassizistischer Manier. Die Ostschweiz und die Stadt Zürich, wo leider viele seiner Bauten ersetzt sind, blieben sein Hauptbetätigungsfeld, bis er sich 1876 nach Weesen zurückzog, wo er sich noch mit zwei Bauten beschäftigte, der ref. Kirche von Siebnen, 1878 vollendet, und der Erweiterung des Bades Stachelberg, Linthal, dessen Vollendung 1881 er aber nicht mehr erlebte.

Grossmünsterkapelle, 1857-60.
 
Breitinger gehörte zusammen mit Ferdinand Stadler, Wilhelm Waser, Gustav Albert Wegmann, Johann Caspar Wolff und Leonhard Zeugheer zu jenem fruchbaren Kreis von Architkten, die vor dem Auftreten Gottfried Sempers (1855) und seiner Schule des Architekturgeschehen Zürichs bestimmten. Breitingers Werk zeigt Reichtum und Vielfalt sowohl der Bauaufgaben als auch der stilistischen Mittel. Schinkel als Vorbild (Klassizismus, Neugotik, technische Bauten) ist immer wieder spürbar. Breitingers 1839 erbautes Gasthaus auf dem Üetliberg, wohl eines der ersten in der Schweiz ausgeführten Holzhäuser dieser Art, erinnert an Schinkels auf der Pfaueninsel bei Potsdam kurz zuvor erbautes «Schweizerhäuschen». Breitinger wandte den romantischen Holzstil auch bei seinen Bahnbauten an, so bei seinen Fachwerkbahnhöfen in Chur und Glarus (1860) und auch bei den Landstationen zwischen Wil und Ebnat (1870), während sein Wettbewerbsprojekt für den Hauptbahnhof Zürich (1861), analog zur Pariser Gare de l’Est gestaltet, und die Bahnhofshalle in Romanshorn sein technisches Talent beweisen. Das Bahnhofsgebäude Romanshorn weist auf die in Breitingers Schaffen wichtige klassizistisch-kubische Komponente hin, ebenso wie z.B. sein herrschaftliches Orangerieprojekt für Zürich (1854), seine Wohnbautätigkeit beim Wiederaufbau von Glarus (ab 1861) und die ref. Kirche von Siebnen (1878). Die 1860 in Zürich erbaute Grossmünsterkapelle im Tudorstil ist sein reinstes neugotisches Werk; ganz der Romantik verschrieben ist der Pavillon Zum Bürgli ob Wädenswil (1863).

Werkauswahl

Zürich, Gasthaus Üetliberg-Kulm (1838/39, abgebrochen); Wettbewerbsprojekt Ausstellungsgebäude der Künstlergesellschaft (1843); Winterthur, Landhaus Bühl, Langgasse 97 (1849/50); Romanshorn, Bahnhof (1853-55); Zürich, Orangerie-Projekt am Sihlkanal (1854); Grossmünsterkapelle (1857-60); Wettbewerbsprojekt neues Stadtquartier im Kratz (1859/60, mit Ing. Ludwig Pestalozzi); Mols, Landhaus Bommerstein für L. Pestalozzi (1860/61); Zürich, Wettbewerbsprojekt neuer Hauptbahnhof (1861); Glarus, Villa Flora, Burgstrasse 4 (1861/62); Hotel Raben (1862); Wohnhaus Marktgasse 2 (1862); Zürich, Villa Stockerstrasse 21 (1863); Sammlungsgebäude ehem. Botanischer Garten (1863/64); Samedan, Hotel Bernina (1864/65); Wil-Ebnat, Stationsgebäude der Toggenburgbahn (1868-70); Weesen, Quaianlage und Spritzenhaus mit Gemeindesaal (um 1870); Lichtensteig, Toggenburger Bank (1872, umgebaut 1910); Siebnen, Ref. Kirche (1875-78), umgebaut 1963).

Lit. [Auswahl]

SKL 1; Allg. Künstlerlexikon 14; Die Eisenbahn 12 (1880), 120 [Nekrolog]; Rebsamen, Hanspeter: Der Erbauer der Grossmünsterkapelle und sein Œuvre, in: NNZ, 21.9.1964; ders.: Johann Jakob Breitinger, in: Baurisse des 19. Jahrhunderts in Rapperswil und Uznach, Ausstellungskatalog, Bernhard Anderes (Hg.), 1968, 8-10; Meyer 1973, 166.

[werner stutz]