HARDEGGER, AUGUST (1858–1927)

Quelle: Architektenlexikon der Schweiz 19./20. Jahrhundert (Isabelle Rucki und Dorothee Huber (Hrsg.), im Birkhäuser Verlag Basel, 1998

* 1. Oktober 1858 in St. Gallen, ✝ 12. Januar 1927 in Luzern, Architekt, Kunstschriftsteller, Wegbereiter der Denkmalpflege.
Hardegger war der Sohn des Altphilologen und nachmaligen Staatsarchivars von St. Gallen, Josef Hardegger. Nach der Mittelschule in St. Gallen studierte Hardegger zwei Jahre am Polytechnikum in Stuttgart bei Adolf Gnauth und Christian Friedrich Leins. Reisen nach Frankreich, Deutschland und Italien und Weiterbildung bei verschiedenen Architekten, u.a. beim Semper-Schüler Robert Weber in Zürich. Kurze Architekturgemeinschaft mit dem Aargauer Wilhelm Hanauer. 1884 Niederlassung und 1888 eigenständiges Büro in St. Gallen. Vatikanische Auszeichnungen 1887 und 1888. Gemeinderat der Stadt St. Gallen 1897-1904, langjähriges Mitglied der Baukommission. Zahlreiche Publikationen und Vorträge im Rahmen des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen. 1916 Promotion in Kunstgeschichte an der Universität Freiburg i. Ü. mit der Dissertation über die Stiftskirche St. Gallen. 1919 Übersiedlung nach Disentis.
Hardegger nahm an fast allen Wettbewerben für neue kath. Kirchen in der deutschsprachigen Schweiz teil und war hier 1880-1910 der meistbeschäftigte Kirchenbauer; besonders häufig arbeitete er im Auftrag von Diasporagemeinden. Sein Œuvre umfasst rund sechzig Kirchen- und Klosterbauten sowie zahlreiche Villen und einige Schulbauten. Er war ein glänzender Kenner der Kunstgeschichte und begabter Kunstschriftsteller. Heideggers Interesse für die Bauten vergangener Epochen, seine exakten Bauaufnahmen und Baudokumentationen zeichnen ihn als Wegbereiter der Denkmalpflege in der Schweiz aus. Als Architekt blieb er stehts der Stilvielfalt des Historismus verbunden und baute – je nach Wunsch des Bauherrn – z.B. neugotisch in St. Gallen (Kirche St. Othmar, 1905/06), neuromanisch in Olten (St.-Markus-Kirche, 1908-10), neubarock in Schindellegi (kath. Kirche, 1907-09). Im Alter war er zu sehr in seinem rezeptiven Historismus befangen, als dass er einen schöpferischen Schritt zum Jugendstil hätte machen können, wie ihn etwa Karl Moser und Adolf Gaudy mit Erfolg vollzogen hatten. Hardeggers Bauten blieben Architekturgebilde nach einem vorgefassten Stilkonzept. Er zog alle Register seines akademischen Stilrepertoires, wählte aber für seine Bauten geschickt auch heimisches oder zumindest im deutschen Sprachraum vertrautes Formengut und Baumaterial (Naturstein).
Bei zahlreichen Renovationen, die im Werkverzeichnis nicht aufscheinen und meist auch wieder rückgängig gemacht wurden, entfernte er Stilfremdes und ersetzte es durch «stilreine» Elemente nach seinem Geschmack. In seinen handschriftlichen Gutachten spricht er viel vom «reinen» Stil und «hehren» Gesamteindruck, wo Importiertes und gar Fragmentarisches keinen Platz habe. Obwohl auch Historiker oder Kunsthistoriker, opferte er zuweilen wertvolle künstlerische Substanz, etwa die spätgotischen Fresken in der Fridolinskapelle von Tufertschwil bei Lütisburg, die mittelalterlichen Langhäuser samt Ausstattung in der Kirche St. Peter in Wil SG und in Merenschwand sowie das barocke Schiff der kath. Kirche in Scherikon mit Fresken von Franz Ludwig Herrmann. Die herrschaftlichen Profanbauten, vornehmlich in St. Gallen (Villa Bürgli, Villa Rosa um 1890), Gossau, Degersheim und Wil, sind meist schlossartige Villen mit Türmchen, Erkern, Zinnen und Fachwerk im Geschmack deutscher Renaissance. 
Abwil, Kat. Pfarrkirche, 1904/05.

Nur wenige haben ihr Aussehen bewahrt, zu nennen etwa die Burg Waldegg in St. Gallen-Vonwil, das Schlössli in Gossau SG und die Löwenapotheke in Wil SG (jüngst abgebrochen). Hardegger war ein akademischer Architekt, der seine Bauten bis ins Detail plante, aber selten die Bauführung persönlich übernahm. Der Architektennachlass ist verloren oder verschollen; hingegen sind viele Pläne, zuweilen auch Planveduten, in den Kirchgemeindearchiven greifbar. Nachträglich von Heidegger angefertigte Grundrissskizzen und Perspektivzeichnungen seiner Kirchen und Projekte befinden sich im Klosterarchiv Disentis.

Werkauswahl

Rebstein, Kath. Kirche (1884/85, abgebrochen); Wil SG, Langhaus der Kirche St. Peter (1885-87); Dussnang, Kath. Kirche (1889/90), Gossau SG, Schutzengelkirche (1890-92, abgebrochen); St. Gallen, Villa Rosa, Villa Bürgli (um 1890); Wuppenau, Kath. Kirche (1890/91); Amriswil, Ref. Kirche (1891/92); Zürich-Oerlikon, Kath. Kirche (1892/93); Männedorf, Kath. Kirche (1892/93); Zürich, Kath. Liebfrauenkirche (1893/94); Escholzmatt, Pfarrkirche (1893/94); Schwanden GL, Kath. Kirche (1894/95); Binningen, Kath. Kirche (1895/96); Egolzwil, Pfarrkirche (1895/96); Menzingen, Kloster und Töchterschule (1895-97); Wädenswil, Kath. Kirche (1896), Disentis, Marienkapelle des Benediktinerklosters (1896/97); Haslen AI, Wallfahrtskirche Maria-Hilf (1897); Merenschwand, Pfarrkirche (1897); Rorschach, Kath. Jungkirche (1899); Basel, Kath. Kirche St. Joseph (1900/01); Appenzell, Bürgerheim Sonnehalde (1901-03); Hildisrieden, Pfarrkirche (1901-03); Niedergösgen, Pfarrkirche (1902/03); Adliswil, Kath. Kirche (1904); Abtwil, Kath. Kirche (1904/05); Meglisalp, Kapelle St. Maria im Schnee (1904/05); Tübach, Franziskanerinnenkloster (1905/06); St. Gallen, Kath. Kirche St. Othmar (1905-09); Linthal, Kath. Kirche (1906/07); Oberägeri, Pfarrkirche (1906-08); Goldau, Herz-Jesu-Kirche (1906-09); Appenzell, Mädchenschulhaus (1909-11); Flums, Kath. Kirche, Innenumbau (1910); Wangen SO, Pfarrkirche (1907); Olten, Pfarrkirche St. Martin (1908-10); Eschenbach LU, Klosterkirche (1910-12); Schlatt AI, Kath. Kirche (1911); Urnerboden, Kath. Kirche (1911/12); Balsthal, Pfarrkirche (1912-14).

Eigene Schriften

Die Frauen zu St. Katharina in St. Gallen (1885); Mariaberg bei Rorschach (1891); Die Cisterzienserinnen zu Maggenau (1893); St. Johann im Thurtal (1896); Mariazell zu Wurmsbach (1908), alle erschienen in den Neujahrsblättern des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen; Altes und Neues aus der Stadt St. Gallen, in: Festschrift SIA Sektion St. Gallen, St. Gallen 1889; Die alte Stiftskirche und die ehem. Klostergebäude in St. Gallen, ein Rekonstruktionsversuch (Diss.), Zürich 1917; Die Baudenkmäler der Stadt St. Gallen, bearb. von August Hardegger, Salomon Schlatter und Traugott Schiess, St. Gallen 1922.

Lit. [Auswahl]

HBLS 4; SKL 2, 4; Thieme-Becker 16; SBZ 89 (1927), 53 [Nekrolog]; Vaterland, 12.1.1927 [Nekrolog]; Meyer, André: August Hardegger – Architekt und Kunstschriftsteller 1858-1927, in: Neujahrsblatt des Hist. Vereins des Kantons St. Gallen 110 (1970), 1-30 [Werkverz.] Meyer 1973, 73-82, 171-172; Anderes Bernhard: Die Architektur des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts, in: Der Kanton St. Gallen, Landschaft, Gemeinschaft, Heimat, St. Gallen ³1994.

[bernhard anderes]