WÄDENSWILER ORIGINALE IV

PAUL BLATTMANN-GEHRIG (1869–1947), «DE ZÄÄNERLI-BLATTME»

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1995 von Hans Scheidegger

In meiner Jugendzeit konnte man täglich einen älteren Mann in Handwerkerkleidern auf einem Damenvelo die damals noch gepflästerte Zugerstrasse hinunterfahren sehen. Auf der rechten Seite der Lenkstange hatte er ein Metallstück mit Handgriff montiert, so dass er zwar nur einhändig, aber völlig aufrecht sitzend fahren konnte. Das Vorderrad hopste über die Pflästerung, und die Hand des Fahrers zitterte, als ob sie einen Presslufthammer hielte. Wir haben uns als Kinder oft gefragt, weshalb eigentlich Wachtmeister Schlatter, der gestrenge Chef der Gemeindepolizei, dem Fahrer nicht gebot, die Lenkstange mit beiden Händen zu fassen. Uns hätte er das jedenfalls nicht durchgelassen.
Der Mann, welcher das Dorf hinunterfuhr als sässe er auf einem Reitpferd, war Paul Blattmann, Spenglermeister und erfolgreicher Fabrikant. «Der alt Blääch-Pauli» nannten ihn die Erwachsenen, viele von ihnen mit Ehrerbietung, andere spöttisch, wieder andere verächtlich.
Er fuhr ins «Du Lac» zum Stamm. Wenn wir sein parkiertes Velo sahen und viel Zeit hatten, warteten wir geduldig, bis der «Zäänerli-Blattme» wieder aus dem «Du Lac» trat. Dann liefen wir auf ihn zu, grüssten freundlich, reichten ihm die Hand und bekamen dafür einen Zehner. In der Zwischenzeit hatte bereits ein Kind das Velo geholt und fragte: «Herr Blattme, töörf is stoosse?»
Paul Blattmann-Gehrig (1869−1947).
Jedes Kind durfte. − Als ich zum ersten Mal an der Reihe war, wollte ich meine Sache natürlich besonders gut machen, strammen Schrittes zog ich davon. Doch bereits nach kaum mehr als hundert Metern tönte es von hinten: «Hee deet, prässier ä nüd eso, die andere wännd ä na stosse!» Erschrocken hielt ich an, und ein anderes Kind nahm mir das Velo ab. Herr Blattmann griff in die prallvolle, ausgebeulte rechte Tasche seines Kittels, nahm einen Zehner heraus und gab ihn mir, und weiter zog die Schar. − Je grösser die Schar Kinder, die ihn umschwärmte und sich verständlicherweise so gut erzogen wie möglich gab, um so leutseliger und aufgeräumter war Paul Blaumann. Begleiteten ihn nur einzelne Kinder − etwa wenn es regnete oder ein eiskalter Wind blies − wurde er oft mürrisch und war dann sehr kurz angebunden. Darum war er mir immer ein wenig unheimlich, obschon ich kein unangenehmes Erlebnis mit ihm hatte.

KINDHEIT UND BERUFSWAHL

Paul Blattmanns Vater, Ernst Blattmann (1839–1905), betrieb beim «Ochsen» an der Zugerstrasse 13 eine Spenglerei. Im Winter, wenn auf den Baustellen kaum mehr Arbeit anfiel, verfertigte er Haushaltgegenstände: Laternen, Kannen, Wassergelten, Trichter, Kehrichtschaufeln, usw., welche seine Frau (Babette Frick aus Stäfa) in ihrem Spezereiladen an der Lindenstrasse 2, wo die Familie auch wohnte, feilbot.
Ernst Blattmann war ein tüchtiger Handwerker von recht sprunghaftem, knorrigem Charakter. In späteren Aufzeichnungen heisst es, er habe viel und kräftig geflucht, habe den (sauren) Most unverdünnt getrunken, aber er sei ein guter Geschäftsmann mit wachem Sinn gewesen. Eine Fotografie aus seiner Gesellenzeit in New Orleans zeigt ihn in einer Lederschürze an einem Amboss sitzend, die Beine übereinander geschlagen, die Hemdärmel aufgekrempelt. Mit einem Hammer arbeitet er an einem Rohr herum. Auf dem Kopfe trägt er einen flachen Hut, unter dessen breiter Krempe forsche, strenge Augen hervorblitzen: ein selbstbewusster, stolzer Handwerker.
Am 25. Januar 1869 kam als ältestes Kind Paul zur Welt. Später schenkte die Mutter noch drei Mädchen das Leben. Obwohl die Eltern beide hart arbeiten und die Kinder schon früh mithelfen mussten, verlebten sie eine recht unbeschwerte Jugendzeit. Schon als Knirps war die Werkstatt Pauls liebster Raum. Alle seine Spielzeuge kamen von dort her, und was die Gesellen sprachen − fein oder grob − sprach er getreulich nach. Da starb 1882 die sehr lebhafte, aber kränkliche Mutter. Noch im selben Jahre heiratete der Vater Lina Höhn aus Horgen, welche den Kindern zum Glück eine liebe Stiefmutter war. Dieser zweiten Ehe entspross ein weiterer Sohn, namens Ernst, der später in New Orleans lebte.
Eifer und gute Leistungen bewogen seinen Sekundarlehrer, den Eltern für Paul eine kaufmännische Lehre zu empfehlen. Er meinte, es wäre «Sünd und schaad», wenn der Bursche «nur Handwerker» würde, Kaufmann sei das mindeste. Da der Knabe schmächtig war, war der Vater mit dem Lehrer sehr einverstanden, und so hiess es denn eines Tages: «Päuli, ich habe schon für dich gesorgt, du gehst aufs Kontor der Firma Wiedemann und Co. und wirst ein Kaufmann.» Paul war anderer Meinung. Er stellte sich vor den Vater hin und rief: «In eine kaufmännische Lehre? Auf ein Büro? Wer? Ich, der Paul Blattmann? Nein, Vater, das tust Du mir nicht zuleide. Ich würde mich vor Deinen Gesellen schämen. Handwerker will ich werden. Ich gehe nicht auf ein Büro; ich laufe davon. Nimm mich in Deine Werkstatt oder schick mich in eine andere, aber niemals auf ein Büro!» «Du kannst nicht Spengler werden, das hältst Du nicht aus, dieser Beruf ist zu streng für Dich.» «Doch, ich kann Spengler werden, Vater; versuch's mit mir!» − Nach der Schule trat er bei seinem Vater als Spengler-Lehrling ein. Die Lehre war ausserordentlich streng. Morgens um sechs Uhr wurde mit der Arbeit begonnen, erst beim Einnachten durfte man Feierabend machen, und am früheren Sonntagmorgen musste die Handwerkerschule besucht werden. Ferien gab es keine. In der spärlichen Freizeit lernte Paul das Zitherspiel, und zudem war er als Klarinettist Mitglied der Harmoniemusik. Mit eisernem Willen kämpfte er sich durch die ersten Jahre der Lehre, dann aber begann er zu hüsteln und wurde blass und blasser, so dass der Vater zuletzt den Arzt rief. Dieser prophezeite den Eltern das Schlimmste, wenn der Bursche nicht sofort ausspannen könne und zur Kur in die Höhe geschickt werde. So kam Paul auf die Tschinglenalp ob Walenstadt. Die Kur brachte ihm nicht nur die Gesundheit zurück, denn auf der Alp lernte er die junge Bauerntochter Emma Brigitta Gehrig kennen, die Jahre später, nach beendeter Wanderzeit, seine Gattin wurde.
 

AUF DER WALZ

Im Herbst 1887 zog Paul Blattmann nach Aue im Erzgebirge an die damals noch einzige Spengler- und Installateuren-Fachschule. Aus dieser Zeit ist ein «Skizzenbuch» erhalten geblieben, dessen Titelseite vom jungen Spengler ganz im Stile der damaligen Zeit reich und farbig verziert worden ist. Das Buch enthält akkurat angefertigte technische Zeichnungen von Schalen, Vasen, Trichtern, Öllampen, Schlössern, Kannen und einem als Tierkopf ausgebildeten Wasserspeier. Ein anderes Heft befasst sich mit dem «Unterrichtsfach Physik». Der vermutlich diktierte Text kommt im damals − und oft auch später noch − üblichen Lehrbuchstil daher. Als Beispiel der Anfang: «Die Physik oder Naturlehre ist die Lehre von den Natur-Erscheinungen oder von den Veränderungen in der Körperwelt und deren Zuständen, soweit sie nicht die innere stoffliche Natur der Körper betreffen. Aufgabe der Physik ist es, die Naturerscheinungen zu erklären, das heisst, sie auf allgemeine Naturgesetze und Naturkräfte zurückzuführen ... » Der Text ist reichlich mit Illustrationen versehen; zu Anfang sind es kolorierte Federzeichnungen, gegen Ende des Heftes sind sie einfacher gehalten. Wir finden unter anderem: Tauchglocke und Tauchergeräte, Bohrer aller Art, Saug- und Druckpumpen, Feuerspritzen und den Edison‘schen Phonographen samt Detailskizze.
Titelblatt des Skizzenbuches aus Aue.

Aus dem Physikheft; Aue 1888 (Edison erfand einen Phonographen 1878).


Serie aus Paul Blattmanns «Wanderbuch und Reisepass».
Paul Blattmann war auch in Aue ein guter Schüler. Hingegen konnte er nicht aufs Maul hocken, sondern machte wiederholt abfällige Bemerkungen über die Monarchie, was ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Seine Schulkameraden fanden, dieser Schweizer habe ein Mundwerk, gegen das ein Berliner ein Stockfisch sei, und das will in Sachsen etwas heissen.
Nach anderthalb Jahren ging sein Traum in Erfüllung. Es konnte, versehen mit dem Diplom der Fachschule, als Geselle auf die Wanderschaft gehen. Zuerst zog er durchs sächsische und schlesische Land, schliesslich nach Berlin. Bald hatte er genügend Geld zusammengespart, um seine Schwester zu besuchen, welche in Glasgow eine Stelle als Erzieherin gefunden hatte. Von dort zog er nach Aberdeen; anderthalb Monate lang verlötete er Heringbüchsen, was ihm sieben Pfund einbrachte. Später war er in London während eines halben Jahres als Laternenspengler angestellt. Über die Zeit in England berichtet sein Sohn: «Den grössten Eindruck machte Vater ... die Abstinenzbewegung, etwas, das in der Schweiz damals noch einfach undenkbar war.»
Nun lockte ihn Spanien. Er fuhr nach Lissabon und wanderte von dort aus mit einem Kollegen über Segovia, Madrid, Saragossa Richtung Barcelona. Beruflich war leider in Spanien nicht viel zu holen, so dass die beiden bald einmal kein Geld mehr hatten. Da setzte sich Paul eben an den Strassenrand, nahm seine Zither, spielte darauf und sang dazu, während sein Kollege bei den Zuhörern Geld sammeln ging. Als er in den Pyrenäen über die Grenze nach Frankreich gehen wollte, sang er neben dem Zollhaus ein Lied zur Zither. Die Zöllner fragten ihn, woher er komme. Er sagte: «Aus dem Narrenhaus.» Wohin er jetzt gehe? Nach Paris, er hoffe dort Kollegen zu treffen. Die Spanier lachten und luden ihn zu einem Imbiss ein. Von einem Schweizerverein in Südwestfrankreich erhielt er Geld, um nach Marseille zu fahren, wo er völlig zerlumpt und voller Läuse eintraf. − In jener Zeit mag die folgende Geschichte, die mir sein Sohn einst erzählt hat, geschehen sein. Unterwegs erreichte ihn eine Postkarte von seiner späteren Frau Emma. Für ihre lange Reise war die Karte zu wenig frankiert worden, so dass er hätte Strafporto zahlen müssen. Er nahm die Karte, las Adresse und Text, schüttelte den Kopf und gab sie dem Pöstler zurück. Er sei nicht der Adressat. Der Pöstler nahm sie, und weil er den Schlaumeier durchschaut hatte, schickte er sie mit dem Vermerk «Annahme verweigert» an die Absenderin zurück. Das gab viele Tränen auf dem Walenstadtberg. (Dass er nicht aus Geiz, wohl aber aus Geldmangel so gehandelt hat, belegt eine Stelle aus einem Brief an Emma Gehrig aus Aue, in dem er sie bat, ihm mitzuteilen, falls sein letzter Brief zu wenig frankiert gewesen sei, « ... ich werde dann mit den hiesigen Postbeamten schon abrechnen.»)
Ein Wädenswiler, der in Marseille lebte, kleidete ihn neu ein, und bald einmal wanderte Paul über Lyon, Châlon sur Marne nach Paris, wo er anderthalb Jahre blieb. Den Aufenthalt in der französischen Hauptstadt bezeichnete er immer als die schönste Zeit seiner Wanderschaft. Dann zog er über Genf nach Montreux; im Frühling wollte er Italien kennenlernen. Da erreichte ihn ein Telegramm: «Sofort heimkommen, Vater am Sterben.» So kam es, dass er nach viereinhalb Jahren wieder in Wädenswil war. Der Vater hatte das Magengeschwür zum Glück überstanden; dennoch blieb Paul zu Hause und trat ins väterliche Geschäft ein.

VOM HANDWERKER ZUM FABRIKANTEN

Von der Wanderschaft zurückgekehrt, arbeitete er in der Spenglerei seines Vaters. Vieles, was er in den viereinhalb Jahren Fremde gesehen und gelernt hatte, wollte er nun in der väterlichen Werkstatt einführen, zum Beispiel den Zehnstundentag (am Samstag neun Stunden, und der Sonntag sollte ganz frei sein). Dafür sollten die vielen Znüüni- und Zvieri-Pausen «mit der verwerflichen Mostdrinkerei» wegfallen. Mit solchen Forderungen kam er bei seinem Vater, welcher sehr am Althergebrachten hing, an die falsche Adresse. − Die Wanderzeit hatte eben aus Paul einen anderen Menschen gemacht, hatte ihn den Ideen und Gewohnheiten seines Vaters weitgehend entfremdet. Nur schon sein Aussehen erregte den Widerspruch des Vaters: langer Schnauz, auf den Achseln geknöpftes Hemd mit Schlips, wie es Künstler trugen. Völlig unverständlich waren aber für den alten Herrn die Zeitungsartikel sozialistischer Herkunft, die der Sohn provokativ aus den Taschen seines Rockes gucken liess. Schon bald einmal galt Paul als Sozialist, was damals ungefähr der schlimmste Schimpfname war, den man einem anhängen konnte.
Im Jahre 1900 übernahm er von seinem Vater die Spenglerei. «Es ging leider vorher viel Streit voraus», berichtet sein Sohn in seinen Notizen zu einer Firmengeschichte. Zu jener Zeit wurde in der Gemeinde sehr viel gebaut, so dass Blattmann den Sommer über für mehrere Gesellen Arbeit hatte. Womit aber sollte er sie den Winter über beschäftigen, wenn die Bauarbeiten ruhten? Entlassen mochte er sie nicht, denn es war sehr schwer, im Frühling wieder tüchtige Arbeiter zu finden. Deshalb begann er mit der Serienfabrikation von Haushaltgegenständen und Ansichtskarten-Verkaufsständern. Diese drehbaren sechs- oder achteckigen Ständer waren ein Verkaufshit, wie man heute sagen würde, denn das Schreiben von Ansichtskarten war um die Jahrhundertwende grosse Mode geworden.
Seine Frau besorgte noch immer den Laden für Haushaltartikel an der Lindenstrasse und leistete damit einen wesentlichen Anteil ans Einkommen. Der Geschäftsgang war sehr schwankend, vor allem weil Paul Blattmann sich kräftig in die Gemeindepolitik einmischte, mit Ideen, die ihm zwar viele Freunde, aber gelegentlich noch mehr Feinde einbrachten. Sein Sohn erzählte, dass die Mutter jeweils an der Anzahl Kunden, die nicht mehr im Geschäft erschienen, genau ablesen konnte, «wie er sich an der letzten Gemeindeversammlung aufgeführt hatte». Manche Kunden kamen wieder in den Laden, sobald «die Töibi verraucht» war, andere aber waren für immer verloren. Mit der Spenglerei ging es natürlich nicht anders.
Als ihm 1908 die kleine «Blech- & Lackirwaarenfabrik Wädensweil» am Floraweg 7, in der etwa 15 Arbeiter beschäftigt waren, zum Kauf angeboten wurde griff er sofort zu und erwarb sie samt aller Lagerbeständen für 115‘000 Franken. Er war nun Fabrikant geworden, der nur noch zum Teil auf die Einkünfte aus Spenglerei und Laden angewiesen war. Diese Unabhängigkeit nützte er aus, indem er noch unerschrockener und unbeirrbarer seine Ideen zu verwirklichen trachtete.
1908 kaufte Paul Blattmann diese Fabrik.

1908 wurde die Aluminiumfabrik in Chippis eröffnet, und zur selben Zeit ermöglichte die aufkommende Verwendung des elektrischen Stroms ganz neue Fertigungstechniken (Punktschweissen). Blattmann begann sehr bald, neben Weissblech auch Aluminium zu verarbeiten. Da trug ihm ein Erfinder das Patent auf seinen «Heisswasserdeckel Caldor» an. Das war ein bauchiges Aluminiumgefäss mit Schnabel und bogenförmigem Handgriff, das anstelle eines Pfannendeckels aufgesetzt wurde. Während die Speisen kochten, wurde mit der Abwärme das Wasser im «Caldor» heiss. Blattmann hat die Erfindung stets als «Heisswasserdeckel Marke Caldor» angepriesen; der Markenname Caldor aber wurde bald einmal − ähnlich wie Ovomaltine − zur allgemein verwendeten Produktebezeichnung. Der viel verlangte Artikel leitete den Aufschwung des Geschäftes ein, so dass Blattmann den Laden an der Lindenstrasse aufheben und die Spenglerei in die neue Fabrik eingliedern konnte. Ab 1913 wohnte er mit der Familie auch am Floraweg. Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Materialknappheit überwunden war, konnte die Fabrik vergrössert und das Fabrikationsprogramm erweitert werden. In dem 66-seitigen Katalog für Haushaltartikel aus dem Jahre 1924 wurden unter anderen die folgenden Artikel aus Weissblech angeboten (Für Geräte aus Aluminium konnte ein separater Katalog angefordert werden.): Melkeimer, Milchtansen, Milchkessel, Milchmasse, WaschgeIten, Giesskannen, Giessfässer, Schirmständer, Ausstechformen, Backformen, Kuchenbleche, Mehlschaufeln, Siebe, Speiseglocken (Drahtgewebe), Kaffeemaschinen, Fruchtpressen, Raffeln, Kellenhenken, Geldkassetten, Briefkästen, Botanisierbüchsen, Bettflaschen, Badewannen, Waschhafen, Waschbretter, Buttermaschinen, Haushaltwaagen, Schmierkannen, Wandlampen und Sturmlaternen (Petrol), Kehrichtschaufeln, Kehrichteimer, Kohlenschaufeln usw.
Unterdessen hatten sich die beiden Söhne, zum Teil in Auslandaufenthalten, gründlich auf die Arbeit im väterlichen Betrieb vorbereitet. Ab 1923 arbeitete Paul als Praktiker im Betrieb, ab 1929 Willi als Kaufmann. Die Fabrik konnte am alten Standort nicht mehr vergrössert werden, zudem waren die alten Räumlichkeiten für einen modernen Betrieb je länger desto weniger brauchbar. Deshalb wurden an der oberen Zugerstrasse neue Fabrikgebäude erstellt, die im Januar 1935 bezugsbereit waren. Auf diesen Zeitpunkt übergab er die Firma seinen beiden Söhnen Paul und Willi, welche sie unter dem Namen «P. & W. Blattmann. MetalIwarenfabrik Wädenswil» weiterführten.
Der Nachruf im Zürcher Gewerbehandbuch auf das Jahr 1948 charakterisiert Blattmann folgendermassen: «Er war ein Handwerker von altem Schrot und Korn, ein Mann eigener Kraft ... , der stets eintrat für die Erhaltung der freien Wirtschaft und sich auflehnte gegen das Übermass behördlicher und staatlicher Massnahmen ... » Darum interessierte er sich «Zeit seines Lebens für die Probleme des selbständigen Handwerkers. Sein Wirken bestand nicht im Anstellen theoretischer Überlegungen ... , sondern mit klarem Blick für die wirklichen Zusammenhänge setzte er sich für die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten des beruflichen Nachwuchses ein. Er war Gründer der Spengler- und Installateurschule Wädenswil. ... , der sich später andere Fachschulen anschlossen, die heute die Gewerbeschule Wädenswil bilden ... Er setzte sich auch dafür ein, dass für diese Schule ein geeignetes Gebäude erworben wurde. Im Zusammenschluss des Gewerbes erkannte er eine Notwendigkeit nicht nur im Sinne gewerblicher Selbsthilfe, sondern auch in der Pflege der Geselligkeit. ... 1923 wurde er in den Vorstand des kantonalen Gewerbeverbandes gewählt, dem er bis 1944 angehörte.» Bei seinem Rücktritt wurde er zum Ehrenmitglied ernannt.
 

EHE UND FAMILIE

Als Paul Blattmann 1887 zur Kur auf den Walenstadtberg gekommen war, lernte er dort die um zwei Jahre ältere Bauerntochter Emma Gehrig kennen. In einem Brief schrieb er ihr: «Als ich Dich damals am ersten Abend kennen gelernt, da war ich ganz verliebt in Dich, auf einmal lernte ich, was Liebe ist.»
Die sieben Jahre bis zur Heirat waren für die beiden alles andere als leicht. « ... von dem Brief, den ich an Dich gesandt, brauchst Du nichts zu erwähnen, denn ich habe damals als ich vom Hause fortging, dem Vater noch das Versprechen geben müssen, keine Liebesgeschichten anzuzetteln, oder mit irgendeinem Mädchen von Wädensweil oder andernorts einen Briefwechsel zu halten. Letzteres würde natürlich nicht stimmen.» Gewiss nicht, denn aus Aue und während der ganzen Wanderzeit hat er in nicht allzu grossen Abständen immer wieder Briefe an Emma geschrieben. « ... weisst Du, warum meine Eltern so abgeneigt ... gegen unsere Liebschaft, ich kann Dir sagen, dass Du gewiss bei beiden in Ehren stehst, aber man hat mir vorgehalten, ich sei noch zu jung ... so dürfe ich noch nicht ans Heiraten denken, und dann der Umstand, dass Du einen anderen Glauben hast.» Paul war erst kurze Zeit in Aue, da erhielt Emma aus Wädenswil einen anonymen Brief, in welchem ihm «Weibergeschichten» nachgesagt wurden. Wer den Brief verfasst hat, ist nie herausgekommen, aber Paul konnte glaubwürdig darlegen, dass die Anschuldigungen völlig aus der Luft gegriffen seien. In seinem Nachruf auf Emma Blattmann steht: «Und auch sie blieb dem WandergeseIlen zugetan und zeichnete mit roter Tinte in den Atlas seine Wege durch die vielen Länder ein, immer mehr und mehr bewusst, dass sie nach seiner Wiederkehr, wie jetzt sein ferner Stern, Sonne seiner Heimat werde.»
1894 heirateten die beiden. Emma wurde Mutter dreier Kinder; Mina (1895−1936) liess sich − sehr zur Freude der musikbegeisterten Eltern − zur Altistin ausbilden. Die beiden Söhne Paul (1900−1985) und Willi (1906−1984) traten nach gehöriger Ausbildung in die väterliche Fabrik ein und übernahmen sie 1935, der ältere als technischer, der jüngere als kaufmännischer Leiter.
Besonders als die Kinder noch klein waren, hatte die Mutter ein übervolles Mass an Arbeit zu verrichten. Neben der Erziehung der Kinder (In des Sohnes Ansprache an die Trauerfamilie heisst es: «Wäge siner villsiitige Tätigkeit hämmir Chinde de Vatter allerdings nüd zvill diheime gsee. Aber er hät ja gwüsst, das d Erziehig bi öisere liebe Mueter scho i beste Hände liit.») führte sie den Laden an der Lindenstrasse und hatte, wie das damals üblich war, jahrein, jahraus ein gutes Halbdutzend Gesellen und Lehrbuben an der Kost.
Paul und Emma Blattmann-Gehrig mit ihren Kindern Paul, Willi und Mina, um 1916.
 
Emma und Paul waren beide starke Persönlichkeiten. Emma aber benötigte oft ihre ganze frauliche Klugheit und Ausgeglichenheit, um das Zusammenleben mit ihrem temperamentvollen, draufgängerischen und gelegentlich auch apodiktischen Ehemannn erträglich und gut zu gestalten. (Aber eben: das Zusammenleben mit einem Original ist und war schon immer schwierig; kein Wunder übrigens, dass so viele von ihnen ledig geblieben sind!)
 

POLITIK

Politik war sein halbes Leben. In einem Brief an seine spätere Frau entschuldigte er sich, dass er ihn nicht schon gestern Nacht fertiggeschrieben habe, aber er hätte unbedingt noch die neuesten Zeitungen lesen müssen. Im Politischen scheint bei ihm ein missionarischer Zug auf, der zwar meist mit der in einer Demokratie nötigen Toleranz versehen war. So hat er seiner Braut mehrfach Zeitungsabonnements geschenkt, um sie politisch aus dem Schlaf des Walenstadtberges (lies: konservativ bäurischen Denkens) zu erwecken und neuen Ideen aufgeschlossen zu machen. Diese neuen Ideen waren zunächst durchaus sozialistischen Inhalts; erst später, als Fabrikant, hat er sie modifiziert und ist dann der Demokratischen Partei beigetreten.
1893 schrieb er an Emma: « ... nämlich am ersten Abend haben wir ein politisches Gespräch gehabt und uns glaub ich beide ganz gut unterhalten. Ich war ganz erstaunt über Dich und dachte bei mir: Die hat sich doch ein wenig „gemausert“.
1. Hast Du keine so abstossenden Ausdrücke gegen Andersdenkende wie Greulich, Seidel, etc. gebraucht, im Gegenteil, Du hast Dich noch um diese Leute interessiert.
2. Hast Du mich nicht getadelt, dass ich an den Congressfeiern in Zürich war, sondern mir eher noch gesagt, Du hast recht gehabt, dass Du dort gewesen.»
Er war sich natürlich bewusst, dass sein oft sehr vehementes Eintreten für eine als richtig erkannte Sache ihm gelegentlich reihenweise Feinde eintrug. So schrieb er im nämlichen Brief an Emma: «Ich habe mir wieder fester vorgenommen, nicht mehr so zu politisieren unter Bekannten, sondern bloss etwa unter den Freunden und meiner Liebsten natürlich, oder an fremden Orten, wo mich niemand kennt.» (Letzteres hat er bis in sein hohes Alter bei jeder Gelegenheit getan. − Die Familie fuhr jedes Jahr gemeinsam auf den Walenstadtberg, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Auto. Er ist jeweils, wenn irgend möglich, mit dem Zug gereist; er fahre so bequemer als im Auto, zudem sei der Zug sicherer usw. Sein Sohn war überzeugt, dass er es nur getan hatte, um unterwegs ungestört mit Leuten reden zu können. Und er hatte die Gabe, mit wildfremden Menschen in kürzester Zeit ein Gespräch anknüpfen zu können. Meist drehte es sich um Tagespolitik.)
In einem der zahlreichen Nachrufe steht: «Es würde Bücher ausfüllen, um zu erzählen, wofür der Verstorbene sich interessiert und eingesetzt hat. Die kleinsten, neben all den grossen Geschehnissen beschäftigten ihn, sei es baulicher, fürsorgerischer, geschichtlicher, literarischer oder musikalischer Natur.» Hier eine kleine Auswahl politischer Themen: Standort der Trafostation Scharfeck (neben dem Eingang der heutigen Unterführung, konnte nicht verhindert werden), Standort der Badeanstalt, zusammen mit Pfarrei Probst aus Horgen gesetzliche Sonntagsruhe (Wädenswil war die erste Zürcher Gemeinde, in welcher am Sonntag alle Geschäfte geschlossen waren), Landkäufe durch die Gemeinde, Orgelumbau, Gaswerk Wädenswil und Fernversorgung mit Gas, Standort Bürgerheim, Verlegung der SBB ins Oberdorf (Der Bahnhof wäre etwa an der Stelle des «Schwanen» gebaut worden), Standort des Gaskessels in der Rietliau, Akkumulatoren-Betrieb bei den SBB für den Vorortsverkehr usw.
Die Gemeindeversammlungen besuchte er regelmässig, und es hat wohl kaum eine stattgefunden, ohne dass Blattmann das Wort ergriffen hätte. «Wenn er von etwas überzeugt war, ging er damit temperamentvoll ins Feuer, und, wenn man nicht gerade zu den Betroffenen gehörte, war es kurzweilig, ihm zuzuhören ... und sein armer Zwicker musste dabei viel herhalten. Wenn er ruhig und sachlich darlegend referierte, klemmte er ihn ein. Sobald aber die Polemik durch seine Stirnader hinaufschoss, nahm er ihn ab, gestikulierte mit ihm, und erst wenn sich Widerspruch meldete, setzte er ihn wieder auf und stach in die Ecke der Opposition hinein», meinte ein weiterer Nachruf. So konnte denn sein Sohn in der bereits erwähnten Ansprache an die Trauergäste zusammenfassend sagen: «Bekannt vom Chliinschte bis zum Grööschte im Dorf, vo den einte gliebt, vo andere gfürcht, wird er ... no lang i der Erinnerig vo allne wiiterläbe.»
1913 wurde Paul Blattmann in den Wädenswiler Gemeinderat gewählt; wie zu erwarten, nicht unangefochten. Die Wählerversammlung vom 29. April im Hotel Engel setzte ihn auf die Wahlliste. Am 2. Mai erschien in den «Nachrichten vom Zürichsee» ein Eingesandt. « ... können wir uns durchaus nicht mit allen Nominationen einverstanden erklären ... Hauptsächlich möchten wir Stellung nehmen gegen die Kandidatur des Herrn Paul Blattmann, Spenglermeister. ... Herr Paul Blattmann wurde jüngst vom Vorstand des Gemeindevereins als der Mann geschildert, der wenig parlamentarischen Takt und Anstand kenne, und einen solche Mann will man in Wädenswil in den Gemeinderat wählen ... » Ein Inserat sagt: «Wähler! Herr Paul Blattmann passt noch nicht in den Gemeinderat. Er soll vorerst in den nächsten Jahren zeigen, dass er sein Temperament bemeistern kann. Im Gemeinderat braucht es ruhig abwägende Leute.»
Und ein anderes Gespräch:
Jokeb: «Du Heiri, meinsch nüd, es gäb Händel im Gmeindrot, wenns de Paul Blattme wähled?
Heiri: «Säb cha scho sii, aber weischt si händ ja dänn en Advokat i der Nächi!» (Anspielung auf die ebenfalls umstrittene Kandidatur des Rechtsanwalts Dr Barich.)
Natürlich wehrte sich Paul Blattmann in der nächsten Ausgabe der Zeitung.
«An meine anonymen Gegner. „Verträum“ di Zeit, verliern‘ das Denken,
Und mache stets ein Schafsgesicht.
Lass dich von jedem Ochsen kränken,
Und wenn er stösst, so muckse nicht.“
So würde man wohl mit Recht von mir sagen, wenn ich auf die Inseratenjauche, welche in der letzten Nummer auf mich heruntergegossen wird, nicht antworten würde. ... Der Ausdruck unparlamentarisch wäre hier übrigens ganz unzutreffend − hart, intransigent, scharf wäre eher am Platze gewesen. ... Nun, ein jeder Mensch hat seine eigene Melodie; und wenn mein Wesen stark und darum oft etwas hart und scharf ist: Sie, meine anonymen Gegner, werden mir meine Melodie nicht rauben können, wenigstens mit Ihren Anfechtungen und Anrempelungen in der öffentlichen Zeitung nicht; damit können Sie mich vorläufig noch eines Besseren nicht belehren, denn:
„Auch wackelige und glatte Seelen − können fehlen“.»
Inserate zugunsten von Blattmann fehlten nicht; hier ein einziges Beispiel:

Wahlvorschlag
Wir stimmen Herrn Paul Blattmann, einem Mann, der das ganze Gemeindewesen kennt und im Interesse der ganzen Gemeinde seinen Mann stellt, alle nichtsnutzige Verunglimpfung weise man zurück. Er verdient voll und ganz, ein Mitglied des Gemeinderates zu sein. Wir stimmen der Gemeindeverein-Liste.

Am 5. Mai 1913 melden die «Nachrichten vom Zürichsee»:
Wädenswil. Mit dem gestrigen Tag haben die Gemeindewahlen ihren Abschluss gefunden. Dieselben sind ganz nach der Liste der öffentlichen Wählerversammlung ... ausgefallen. Die Opposition, welche gegen einzelne Vorgeschlagene unternommen worden, vermochte nicht durchzudringen ...

Paul Blattmann wurde mit der zweitschlechtesten Stimmenzahl gewählt. Er blieb während zwei Amtsdauern − damals noch drei Jahre − im Gemeinderat.
1920 entschloss man sich, im Dorf eine neue Badeanstalt zu bauen. Nach längerem Hin und Her sollte 1922 mit dem Bau der heute noch bestehenden Badi begonnen werden. Da trat Paul Blattmann mit einem neuen Projekt (Übernahme eines bestehenden Gebäudes und Umbau desselben, anstelle einer «schwimmenden» Badi) an die Öffentlichkeit. Er verlangte, das Geschäft an der nächsten Gemeindeversammlung in Wiedererwägung zu ziehen. Der Gemeinderat lehnte das Ansinnen ab, der Beschluss sei ordnungsgemäss zustande gekommen, andere Ideen hätte man eben damals vorbringen müssen. Darauf rekurrierte Blattmann an den Bezirksrat, welcher den Rekurs abwies. Das war für ihn unverständlich, und er machte dem Bezirksrat den Vorwurf, er habe sein Projekt gar nicht gewürdigt, sondern einfach die negative Beurteilung des Gemeinderats übernommen. Deswegen rekurrierte er an den Regierungsrat, blitzte aber auch dort ab. Sein Anwalt meinte, ein Weiterzug an das Bundesgericht wäre «nicht ganz chancenlos»; Blattmann hat die Lage mit seinem wachen Sinn für die Realitäten anders eingeschätzt, die Sache zu den Akten gelegt und sich neuen Aktivitäten zugewandt.
Gewiss ist Paul Blattmann mit seinen Vorschlägen oft nicht durchgedrungen. Er nahm die Niederlagen − manchmal vernehmlich grollend − hin, doch sie vermochten nicht, ihn zum Verstummen zu bringen. Als wacher, ideenreicher und kämpferischer Mensch nahm er das nächste Projekt in Angriff; vielleicht hatte er damit mehr Glück, wie zum Beispiel mit der Regelung der Sonntagsruhe, der Gasversorgung durch das Gaswerk der Stadt Zürich, den Landkäufen durch die Gemeinde ...
Auch die «grosse Politik» interessierte ihn brennend. Er war von allem Anfang an ein strikter Gegner des Dritten Reichs und freute sich während des Krieges an jedem Sieg der Alliierten.
Wie die meisten Abonnenten holte auch er täglich den «Anzeiger vom Zürichsee» am Schalter der Expedition ab und begann noch auf dem Trottoir darin zu lesen. Eines Tages habe er einen Freudensprung gemacht und gerufen: «Jetz händs Bengasi, jetz händs Bengasi!» «Was für e Gasi?», fragte ein Dabeistehender. «Tume Cheib, d Ängländer händ Bengasi eroberet!»
Ein Wädenswiler Händler hatte in seinem Laden gut sichtbar ein Bild Hitlers aufgehängt. Eine Gruppe Wädenswiler Herren verhandelte diese Zumutung auf der Strasse. Alle waren empört. Da hat Paul Blattmann mit der Faust auf die offene Handfläche der andern Hand geschlagen und laut gesagt: «Zu dem gani und sägem: Sie sind aufgefordert, das Land zu verlassen!»
 

KULTUR, SOZIALES

Auch auf kulturellem und sozialem Gebiet hat Paul Blattmann gewirkt. Er war vehementer Vorkämpfer für eine obligatorische Krankenversicherung, einer der Gründer des Orchestervereins Wädenswil (heute Kammerorchester Wädenswil), des Naturheilvereins, der Sterbekasse.
Erster Präsident dieser Sterbekasse, mit vollem Namen «Lebensversicherungsverein Wädenswil und Umgebung, vormals Fraternitas», war Paul Blattmann. In den Lokalzeitungen erschien am 10. September 1910 ein Eingesandt: «Unter dem Namen Fraternitas hat sich die ... Sterbekasse letzten Montag in ihrer ersten Versammlung im „Hirschen“ endgültig konstituiert. Dieselbe bezweckt, weniger bemittelte Leute in den Fall zu setzen, durch Bezahlung minimer Mitgliederbeiträge ihren Hinterlassenen einen Beitrag von Fr. 200.-, 300.- oder 500.- zu sichern, welche Summe sofort nach Todesfall ausbezahlt wird ... » Die Statuten bestimmen: «Mitglieder des Vereins können werden: Personen beiderlei Geschlechts im Alter von 18 bis 50 Jahren, ohne Rücksicht auf Beruf und Nationalität, nur müssen die Kandidaten im Besitze guter Gesundheit und eines guten Leumunds sein.» Wer mit 18 Jahren Mitglied wurde, hatte für eine Versicherungssumme von 500 Franken eine Jahresprämie von 9 Franken zu entrichten, wer mit 33 Jahren eintrat, bezahlte jährlich 12.50 Franken usw. − Per 31. Dezember 1934 zählte der Verein 507 Mitglieder; er hatte in diesen 25 Jahren 11‘600 Franken ausbezahlt. Wenn man die damalige Mitgliederliste durchgeht, findet man Namen aus allen Schichten der Bevölkerung, Frauen und Männer, Junge und Ältere.
 

GESELLIGKEIT

Blattmann war ein sehr geselliger Mensch, richtig wohl war ihm unter vielen Leuten. Sein Sohn Paul berichtet: «Er hät e grosses Talänt ghaa als Fäschtredner bi viI frölichen Aaläss. Jeden Aalass, won er mitgmacht hät, isch en frööliche worde dank siim Humoor. Bi sonige Glägeheite hät er immer wider Vers zum beschte ggää. WieviII so Vers hät er gmacht als Uuftakt zu schwiizerische Spänglerversammlige oder für anderi Zämekünft!»
Als Beispiel Anfang und Schluss aus der Einladung zu einem der jährlichen Verbandsfeste, entstanden in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. (Blattmann war damals bereits über 70-jährig.)
 
Ist auch die Welt voll Hass und Streit,
Wir ziehn in alter Einigkeit
Auch dieses Jahr mit frohem Sinn
An unsere Tagung ins Tessin.
 
Drum in das Land voll Sonnenlicht
Und zum Verbandsfest unsere Pflicht,
Wo trotz dem Kampf in dieser Welt,
So manches gute Wort abfällt,
Für unser Schaffen Glück und Gunst
Und Wohl von unsrer Handwerkskunst.
Das macht uns froh und gibt uns Freud
Zu alter Treu und Einigkeit.
 
Zum Spenglertag in Einsiedeln im Jahre 1938 verfasste er einen Schwank mit dem Titel «Die verliebte Spenglermeister-Witwe». − Clara Sprüngli ist sehr früh Witfrau geworden. Da sie ein gutgehendes Geschäft besitzt und zudem jung und hübsch ist, braucht sie nicht lange auf Freier zu warten. Klar, dass sie am Ende den soeben von der Walz zurückgekehrten Spengler heiratet.
Den Anfang macht ein Lied dreier Handwerksgesellen:

 

Wird in ein fremdes Kaff marschiert,
Wo uns der Krauteri angaschiert,
Wir fragen nicht nach Geld und Lohn
Und machen uns gar bald davon.
 
Hat er ein schönes Töchterlein,
Dann stellen wir uns hurtig ein
Und schaffen her und schaffen hin
Und machen sie zur Meisterin.
 
Spengler: ...
Doch der Dritte, der blieb fest
und baute sich ein wohlig Nest
und schuftet her und schuftet hin
bei einer schönen Meisterin.
Und war ein Schüttsteinrohr verstopft,
so wurd es wieder ausgeklopft.
War eine Pfanne nicht mehr ganz,
so verlötet er den Schranz.
 
Und regnet's ohne Unterlass
und werded alli Tächer nass,
so hängt er Rohr und Kennel dran,
dass nüme abesträtze chan.
usw.
 
Immer wieder, bis ins hohe Alter, verfasste er Gedichte − auch solche politischen Inhalts − die er in die Lokalzeitung einrücken liess.
 
Fertig mit der Seegfröörni
So, jetz hämmer Dwerwindwetter,
Wider wärmer, wider netter,
De Güggel luegt zwar geg de See,
Wott's ächt öppe Räge geh?
Chunnd de überwind na drii,
So gäb's de öppe Sunneschii.
Und de Föön vo Beergeshöh,
Putzt das Iis und ruumt de Schnee.
Drum gömer jetzt us chalte Tage,
Mit Freud und Lust und frohem Wage,
In Feld und Flur, uf alle Wege,
Dem Frühlig und dem Mai entgege!
Wenn dusse wider alles drüht,
Im Feld und Garte alles blüht:
A schööneri Zit chas nüme geh,
Als Frühligsziit am Zürisee.
 

IM ALTER

Als der Neubau an der Zugerstrasse 1935 vollendet war, übergab Paul Blattmann das Geschäft seinen beiden Söhnen. Er war zwar bereits 66 Jahre alt, dennoch bedeutete die Übergabe für ihn «e grossi Beschniidig vo siim Schalte und Walte». Umso mehr Zeit hatte er nun, sich um seine vielen Liegenschaften und um die kleine und die grosse Politik zu kümmern. Im Dezember 1944, kurz nach der Goldenen Hochzeit, verstarb seine Frau. Von da an war er oft verschlossen, und nicht immer wollte es ihm gelingen, heiter und fröhlich zu sein. Pläne aber hatte er noch immer. Kurz vor seinem Tode sagte er, wenn er diesmal fertig sei mit der Bauerei, dann sei endgültig Schluss. Sein Sohn Paul meinte dazu: «Aber wie mängsmaal hät er das scho gseit, und e paar Tag druuf isch er scho wider mit öppis Nöiem cho.» Die letzten Tage vor seinem Tod verbrachte er im Hause. Er verrichtete ein paar kleinere Schreibarbeiten, doch weil er nichts mehr essen konnte, wurde er schwächer und schwächer. Da traf ihn am 9. November 1947 ein leichter Schlag, und gegen den Abend ist er still gestorben. Noch einmal sein Sohn Paul: «Ihr sötted em Vatter siis Pult gsee, vollgschtopft mit Ziitigsartikle und Manuskript us de letschte füfzg Jaar.»
Mir bleibt er in Erinnerung als Zäänerli-Blattme, als alter Handwerker auf einem Damenvelo.

De «Zäänerli-Blattme» auf seinem Damenvelo auf der Zugerstrasse.




Hans Scheidegger