Ja, diese Abschlussprüfung lag mir schon Monate vorher wie ein Klumpen Blei im Magen ... Die Braui-Lehrlinge vor mir, August Züger und Martha Odermatt, hatten beide mit dem ausgezeichneten Durchschnitt von 1,2 abgeschnitten (Note 1 war die beste, Note 5 die schlechteste). Ich kannte mich selber nur zu gut, um zu wissen, dass das bei mir nicht drin lag. Die Resultate bis und mit Note 1,5 wurden jeweils im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» abgedruckt, und zwar nicht nur mit den Namen der Lehrlinge, sondern auch mit jenen der Lehrfirmen. Das war genau der Haken an der Geschichte, und ich wusste genau, meine Vorgesetzten − allen voran Prokurist Ernst Hosner − erwarteten, dass die Brauerei Wädenswil auch diesmal «in den Rängen» figurieren und in der Zeitung erscheinen werde.
Die schlimmen Tage der Abschlussprüfung kamen. Zuerst mit den Fächern Maschinenschreiben und Englisch mündlich und dies sage und schreibe an einem Samstagnachmittag! Dann am Montag ging es richtig los mit all den todernsten Dingen wie Rechnen, Buchhaltung und Stenografie. Vor allem mit der Steno stand ich auf Kriegsfuss, denn ich hatte mir im zarten Alter beim rechten Zeigfinger ein «Knödli» angewöhnt und bekam daher beim Schnellschreiben rasch den Krampf in der Hand. In der Branchenkunde und den Sprachen befürchtete ich nicht viel, doch einzig dem Fach Aufsatz sah ich gelassen entgegen. Dass die Aufsatznote doppelt zählte, jene der Stenografie hingegen mit dem Maschinenschreiben zur Einzelnote Stenodaktylografie zusammengezogen wurde, war mir ein kleiner Trost.
Trotzdem hatte ich nach den Prüfungen panische Angst, ich sei wegen der blöden Steno durchgerasselt. Der Abend der Abschlussfeier im alten Hotel Meierhof in Horgen aber kam so sicher wie das Amen in der Kirche (um es mit einer heutzutage modischen Umschreibung auszudrücken). Mit sehr gemischten Gefühlen und einer Appetitlosigkeit, die mich schon seit Tagen verfolgte, fuhr ich nach Horgen. Es wohlte mir erst ein wenig, als ich auf der Meierhof-Treppe meinem Nachbarn Walter Furrer begegnete, der als Drogist Experte bei den Verkäuferinnen-Prüfungen war. Er drückte mir strahlend die Hand und sagte: «Max, du bisch denn no cheibe guet!» Doch noch immer nagten in mir einige Zweifel; Herr Furrer hätte sich auch täuschen können...
Den genauen Ablauf der Feier weiss ich nicht mehr. Doch bald wurde zur Rangverkündigung geschritten, und die Spannung stieg ein letztes Mal. Aber siehe da: mein Notendurchschnitt hiess 1,5, und ich kam in der Folge mit meinem eigenen Namen und jenem der Brauerei in die Zeitung! Ich war überglücklich, das mir selber gesteckte Ziel erreicht zu haben und konnte fortan den Abend der Abschlussfeier im Kreis der Kolleginnen und Kollegen bei Speis und Trank und Tanzmusik in vollen Zügen geniessen. Das bange Warten hatte sich − wie ich im Lauf meines weiteren Lebens noch so oft erfahren durfte − in einen der glücklichsten Momente gewandelt, die man nie vergisst.
Im Geschäft begrüsste mich Prokurist Hosner mit schelmischem Schmunzeln und einem «'s het grad no glänggt» in seinem Berndeutsch. Der Braui blieb ich nach der Lehre noch weitere drei Jahre treu und verbrachte unter Buchhaltungschef Hans Bodmer eine sehr schöne, nur durch die Rekrutenschule unterbrochene Zeit. Als ehemaliger Stift konnte ich auch in anderen Abteilungen Ferienablösungen machen, denn schliesslich kannte ich ja alles und war während der Lehre überall «durchgeschleust» worden. Diese Ablösungen erfüllten mich jeweils mit einigem Stolz und grosser Befriedigung.
Aber ich wollte noch meine Sprachkenntnisse im Welschland vertiefen, und der damalige kaufmännische Juniorchef,
Paul Weber, verhalf mir zu einem befristeten Engagement im Filialbetrieb der Brasserie du Cardinal in Genf. Kaum war ich unten in der Rhonestadt richtig angesiedelt, erreichte mich die Kunde, dass Peter Walter, einer der beiden Brauerei-Juniorchefs, mit dem Auto tödlich verunglückt sei. Diese Nachricht traf mich sehr. Der stets zu Spässen aufgelegte Walter hätte als technischer Direktor die Nachfolge des bereits 85-jährigen
Fritz Weber-Lehnert antreten sollen, der diesen Schicksalsschlag nicht lange überlebte.