Wädenswiler Originale III. Die Fremde: Frau Dr. Gisela Lucci-Purtscher (1871-1959)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1994 von Marlies Bayer-Ciprian

Ein Geisterhaus am Alpenweg?

Während eines Spaziergangs, den ich im November 1968 in Begleitung einer Schulfreundin unternahm, erklärte sie mir auf dem Alpenweg, welche Bewandtnis es mit einem bestimmten Haus habe: mit dem Lutschi-Putschi-Haus; dieses Haus sei verwunschen. Wenn man recht hinschaute, merkte man auch wirklich, dass es verwunschen war. Wie beim Dornröschen umgab eine Hecke wilder Rosen zumindest den obersten Teil des Gartens. Wir konnten nicht recht bis zum Haus sehen. Ein Kamerad habe schon einmal einen «Platten» im Velopneu genau an dieser Stelle vor dem Lutschi-Putschi-Haus gehabt. Einer Freundin sei genau hier eine schwarze Katze über den Weg gelaufen. Was bedurfte es noch weiterer Beweise? Es war klar, hier handelte es sich um ein schlimmes Märchenhaus. Ob noch jemand hier wohnte? Ein Auto stand in der Nähe, zwei Fahrräder beim Eingang. Hoffentlich kamen die Besitzer wieder frei! Wenn die gewusst hätten! Im Herrlisberg war alles vergessen, denn wir mussten uns für die Schule um Maulwürfe kümmern und hatten doch bis dahin beide noch nie einen lebendigen gesehen. Maulwurfhügel oder Schermaushügel! Wir konnten sie nicht nur nicht unterscheiden, sondern hatten keine Ahnung, dass es überhaupt einen Unterschied bedeutet. Was wir damals auch nicht ahnten, ist, dass Maulwürfe – welch ein Zufall! – in alter Zeit eine Verbindung zu bösen Mächten zugeschrieben wurde. Nun, unsere Arbeit haben wir erledigt, sind stracks nach Hause gegangen und haben alles sauber aufgeschrieben und reingezeichnet. Beim Gutenachtsagen fiel mir das Lutschi-Putschi wieder ein, so dass ich mit der nötigen Ausschmückung über das «Zauberhaus» berichtete. Mutter hätte ja vielleicht Anweisungen gehabt, wie man weiterhin gefahrlos den Alpenweg entlang spazieren könnte. Stattdessen hiess der Kommentar der Mutter: «Schlaf jetz, und verzell nöd so Sache!» Wie kommt man 1968 dazu, irgendein Haus verwunschen zu nennen, es als Zauber-, Hexen- und Märchenhaus zu betrachten? – nachdem die Autobahn an dieser Stelle eröffnet war, begann der Weg am Haus vorbei sein Geheimnis zu verlieren. Im Laufe der Zeit wurde er im Gegenteil bei den Familien immer beliebter als Sonntagsspaziergang mit Ziel Autobahnraststätte Herrlisberg. Hier erwartet Glace oder Hamburger und weiteres Fast food der Moderne den Spaziergänger und übertönt das Geheimnisvolle, ja blendet es ganz aus. Das Haus am Alpenweg? Ja, das Lutschi-Putschi. Fertig. Keine Fragen. Keine Erklärungen. Nur wenige erinnern sich noch daran, dass in diesem Haus auf dem Wädenswiler Berg einmal Menschen, genauer Damen, ihre Krankheit auskurieren konnten, nach einer Methode, welche noch neu war, scheel angesehen wurde: Sonnenbaden, Luftbäder, Psychotherapie, Schwitzbäder, Autosuggestion.

Die seltsame Dame und ihr Frauenkurbad

Wohl hatte Wädenswil schon früher Besuch von Psychotherapeuten wie Forel und Freud, oder der ersten Schweizer Ärztin, Dr. Heim. Aber Besuch! Und hier in Wädenswil praktiziert nun eine solche! Ärztin – Katholikin – Geschiedene. – Ein bisschen viel aufs Mal. Da stimmt doch etwas nicht. Gerüchte kursieren. Man weiss ja eigentlich nichts über diese Dame. Sie ist allein hier, hat aber zwei Namen. Ist sie wirklich geschieden? Vielleicht ist sie verwitwet, vielleicht war sie gar nie verheiratet, diese beiden Namen sind eine Art Künstlername? Nein, nein, sie hat einen Italiener geheiratet! Im Gegenteil, sie stammt aus dem Bündnerland, das weiss man ganz genau. Niemals gab sie, Frau Doktor, Anlass zu wirklichen Vorhaltungen. Um so mehr rätselte man über sie und ihre Kurgäste. Die Patientinnen kamen ausnahmslos von auswärts. Sind es Fürstinnen, Industriellengattinnen oder sonst bessere Damen? Wer könnte das wissen! Die Damen zeigten sich ja nie oder jedenfalls höchst selten im Dorf. Schliesslich waren sie zur Kur bei der Frau Doktor im «Frauenkurbad auf dem Wädenswiler Berg», wie der volle Name des Kurhauses lautete. (Wer schon einmal – es sei niemandem gewünscht – ernsthaft kuren musste, kennt das. Da liegt einem das Wiedererlangen der eigenen Gesundheit wirklich näher als das Kennenlernen touristischer Werte!). Von der Schönenbergstrasse, vom Hänsital aus, konnte man die Sonnenterrasse und die hölzernen Schwitzkabinen sehen, dahinter und dazwischen das herrliche Haus an aussichtsreicher Lage. Wenn man dort oben steht und über den Zürichsee blickt, kann man schon verstehen, dass die eigene Gesundheit sich hier wieder einstellt, dass Damen damals frisch und erholt wieder an ihre Wohnorte und zu ihren Pflichten zurückkehren. In ihrer Freizeit sah man die Frau Doktor oft ausreiten. Auf ihrem eigenen Pferd in Begleitung ihrer Hunde. In Hosen sei die Frau Doktor ausgeritten, ohne andere Begleitung als die ihrer Hunde. Für die damalige Zeit zu allem anderen recht unerhört. Diejenigen wenige, welche sich noch persönlich an Frau Doktor Lucci-Purtscher erinnern, beschreiben sie ganz unterschiedlich. Die einen erinnern sie als jemanden, der eine Dame war, immer freundlich, jederzeit einen netten Gruss auf den Lippen, eine Erkundigung über das Befinden der Angetroffenen. Eine schöne Frau mit einem braunen, feinen, durchgeistigten Gesicht. Eine Dame, die sich jeweils auf den Sonntag hin eine Blumenstrauss von einem benachbarten Hof bringen liess. Eine Frau, die mit ihren Hunden ganz übermütig spielen konnte. – Den anderen kam sie sehr distanziert vor, unfreundlich, höchstens höflich, vielleicht sogar arrogant; auf alle Fälle zu modern. Die einen mochten sie sehr gut und schätzten sie und ihre Art. Die anderen konnten dieser Persönlichkeit überhaupt nichts abgewinnen. Wahrscheinlich stimmt beides, denn die meisten unter uns reagieren nicht jeden Tag und auf alle Menschen genau gleich. Gemeinsam ist allen Erinnerungen die Anteilnahme: Man nahm die Lutschi-Putschi wahr, man beachtete sie, ob sie und ihre neumodischen Ideen und Therapien einem nun geheuer waren oder nicht. Es gibt auch Menschen, die es heutzutage sehr bedauern, damals die Gelegenheit nicht wahrgenommen zu haben, Frau Lucci kennenzulernen. Es wird nämlich berichtet, dass Frau Doktor Lucci noch von ihrem Alterssitz aus, lange nach der Aufgabe ihrer Praxis, in Genf weiterhin Vorträge gehalten habe. Und einen dieser Vorträge hätte man natürlich auch von hier aus besuchen können. Um so mehr als die Einladung von einer Bekannten Frau Dr. Luccis herkam. Doch war damals auch an die Familie zu denken. Man konnte als Mutter nicht einfach Geld für Reise nach und Unterkunft in Genf ausgeben, ohne in wirklichen gesundheitlichen Schwierigkeiten zu sein, welche nur und ausschliesslich durch Frau Dr. Lucci zu lösen gewesen wären. Sicher ist auch, dass der Leiterin des Kurbades nicht allzuviel Freiheit blieb, um am Dorfleben teilzunehmen. Es hätte ja in jener Zeit die eine oder andere Möglichkeit gegeben, in einem der um die Jahrhundertwende gegründeten Vereine zur Unterstützung der sozial Benachteiligten unseres Dorfes mitzuwirken. Es ist mir aber nicht bekannt, dass grössere Beträge gespendet oder gar persönlicher Einsatz geleistestet wurde. Warum und ob Frau Doktor Lucci das nicht in Erwägung gezogen hat, ist auch nicht bekannt. Wollte sie hier gar nicht heimisch werden? Hat man es ihr erschwert oder gar verunmöglicht? Sie war und blieb eine Fremde. Warum aber kam diese Ärztin ausgerechnet nach Wädenswil? Wädenswil ohne jede Kurtradition? – Wenden wir uns nun den Punkten zu, die sicher sind, sei das nun durch aktenkundige Anmeldung in einer Gemeinde, durch Kauf- und Verkaufverträge, durch Bücher, von ihr geschrieben und heute noch gelesen. Persönlich umwittern sie Geheimnisse, aber ihr Wirken war und ist öffentlich und vielen Menschen hilfreich, heute noch. Ihr Mädchenname war Gisela Purtscher, ein Name, der im Bündnerland vorkommt. 1914 kam die 43jährige Ärztin Dr. Gisela-Lucci-Purtscher von Zürich her nach Wädenswil. Ihr Heimatort ist aber weder das Bündnerland noch Zürich, sondern Rom. Nach damaligem Recht erhielt die Frau bei Verheiratung das Heimatrecht ihres Gatten. Sie wohnte nicht von Anfang an an der Stelle, wo das Frauenkurbad sich befand, sondern zunächst als Mieterin im Grundhof: und das bis 1916. Während dieser Zeit, 1915/16, liess sie «an der Halden» am heutigen Alpenweg, im Osten des Weilers Herrlisberg, eine Villa mit Terrasse bauen. Offenbar hat sie, obwohl Auswärtige, keine grösseren Schwierigkeiten zur Erlangung der Baubewilligung und zum Kauf des Grundstückes gewärtigen müssen. Am Ende der Bauzeit bewilligte Ihr der Gemeinderat sogar die Ausführung des Bauprojektes für ein Sonnenbadhäuschen. Von 1916 bis 1929 ist das «Frauenkurbad auf dem Wädenswiler Berg» in Betrieb, um zahllosen Damen aus aller Welt mit Hilfe der Methoden von Frau Dr. Lucci-Purtscher ihre Krankheiten zu heilen. Die Ärztin genoss einen guten Ruf und galt als beste Coué-Lehrerin deutscher Sprache.

Die Heilmethoden nach Coué

Nun ist es an der Zeit, auf die Ausbildung von Frau Dr. Lucci zu sprechen zu kommen. Vorab ein paar Worte zu Coué. Emil Coué (1857-1926) hat sich nach langjähriger Tätigkeit als Apotheker um die Jahrhundertwende mit Hypnose und Autosuggestion befasst. Seit 1910 übte er in Nancy (F) eine psychotherapeutische Praxis aus auf Basis der sogenannten Nancyer Schule im Sinne des von ihm entwickelten Couéismus. Er selbst hat nur zwei kleine Bücher geschrieben, eines davon «Die Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion», das deutsch aber erst 1936 erschien. Als die Zahl der Hilfesuchenden zu gross wurde, begann Coué Sitzungen abzuhalten, an denen viele Personen gleichzeitig teilnehmen konnten. Frau Dr. Lucci hat nicht nur an solchen Sitzungen teilgenommen, sondern war eine persönliche Schülerin von Emil Coué. Dieses Wissen, das sie in Nancy erlangte, gab sie in Form von Therapie direkt an ihre Patientinnen weiter. Als Dr. med. kannte sie natürlich auch die Grenzen von Hypnose und Autosuggestion. Vertreter der Schulmedizin haben Coué oft den Vorwurf gemacht, seine Klienten nicht rechtzeitig zum Arzt geschickt zu haben. Frau Dr. Lucci meint allerdings, dieser Vorwurf sei ungerechtfertigt, denn die meisten Hilfesuchenden seien erst zu Coué um Rat gekommen, wenn sie Arzt um Arzt aufgesucht hätten, ohne dort Heilung gefunden zu haben. Coué, zitiert nach Dr. Lucci: «Wenn die Leute glauben, dass ich ein Wunderdoktor bin, so täuschen sie sich. Ich habe nie jemanden geheilt, ich zeige den Leuten nur, wie sie sich heilen können.»

Sie selbst weist immer wieder darauf hin, dass gewisse Schmerzen durchaus durch die traditionelle Medizin geheilt werden könnten, wenn nur das Vertrauen des Patienten oder der Patientin in den Arzt genügend gross wäre, und das Vertrauen in die Möglichkeit einer Heilung. Schauen wir uns nun im Kapitel «Die Grenzen der Heilbarkeit» aus «Die Praxis der bewussten Autosuggestion» um:
«Bei jedem Kranksein irgendwelcher Art kann es sich nur um folgendes handeln: 1. Entweder arbeitet ein Organ oder arbeiten mehrere Organe nicht richtig. Ihre Funktion ist gestört. Oder: 2. Ein Organ ist teilweise oder ganz zu Grunde gegangen. … Ich zähle hier einige solcher Krankheiten auf, die ich aus eigener Erfahrung in kürzerer oder längerer Zeit durch die Coué-Methode heilen sah. Wenn man die älteren Anschauungen über die Heilungsdauer der gleichen Krankheiten betrachtet, ist man erstaunt, diese Krankheiten verhältnismässig schnell, ja in gewissen Fällen in überraschend kurzer Zeit heilen zu sehen.» (Man bedenke, dass Penizillin noch nicht entdeckt war!) «Solche Krankheiten sind: Bronchialkatarrhe, Nasenkatarrhe, Eiterungen aus Knochen, aus der Stirnhöhle, aus Zahnwurzeln, aus der Kieferhöhle, aus der Tränendrüse, aus dem Mittelohr usw., Wunden verschiedenster Art, die seit längerem jeder Behandlung trotzen, wie Krampfadergeschwüre, tuberkulöse Wunden. Hautkrankheiten: Schuppenflechte ... , Ausschläge der schlimmsten und hartnäckigsten Art. – In diese Abteilung gehören die meisten Magenleiden, Darmleiden, wie Stuhlverstopfung usw. – Hierher gehören alle jene Leiden, die nur Zeitweise oder immer wieder bei bestimmten Gelegenheiten auftreten: Asthma, Heuschnupfen, Herzangst und Herzklopfen, Migräne und jede Art von Kopfschmerzen, bei der keine ursächliche Veränderung nachzuweisen ist; hierher gehören alle Schmerzen und Beschwerden, die sich an normale, natürliche Vorgänge knüpfen, so die Schmerzen während der Entwicklung und des Wachstums und während der Wechseljahre. Eine grosse Anzahl von Beschwerden und Leiden, die man der Schwangerschaft zuschreibt oder als Folgen einer Geburt ansieht. Anfälle der verschiedensten Art, auch gewisse epileptische. Durch die Ausübung der bewussten günstigen Autosuggestion sind diese Leiden zu heilen oder zu vermeiden. Den Rückfällen ist durch die bewusste Autosuggestion vorzubeugen ... Platzangst, Lampenfieber, Verfolgungsangst, Erröten, Schüchternheit, Depressionen usw. – Heilbar sind auch viele Krankheiten, die mit Organveränderungen einhergehen, so: Geschwülste, Auswüchse, Anschwellungen von Organen, Erschlaffungen. So zum Beispiel sind zu heilen Schwellungen der Schilddrüse, der Gebärmutter, Erschlaffung und Erweiterungen von Adern (Krampfadern), Erschlaffung der Bänder, also Senkungen verschiedener Organe, Erweiterung des Magens usw. – Nur eines ist in solchen Fällen nicht zu vergessen: dass die Heilung ein allmählicher Vorgang ist, der Zeit braucht ... Einen hohen Wert hat die Coué-Methode für die Kriegsinvaliden ... Die ärztliche Kunst ist nicht zu entbehren, solange es kranken Menschen gibt. Die Ausübung dieser Kunst verlangt ein so gründliches Fachwissen, dass sie nur dem Berufsmann vorbehalten bleiben kann, der sein ganzes Leben in ihren Dienst stellt. Wo immer der Arzt seine Aufgabe ganz erfasst, verliert das Kurpfuschertum an Boden.»

Publikationen von Frau Dr. Lucci

Nachdem also Frau Dr. Lucci als Schülerin von Coué eine Erweiterung ihrer medizinischen Ausbildung gefunden hatte, wollte sie auch ausserhalb ihres Kurhauses diese in ihren Augen kinderleichte Methode zur Heilung und Linderung so vieler Schmerzen und Beschwerden verbreiten. Nebst Veröffentlichung ihrer Bücher erschienen in verschiedenen Zeitungen Artikel von ihr. Diese Frau hat also Energie gefunden, sich nach ihrem Studium fortzubilden, für Zeitungen zu schreiben, ein eigenes Kurhaus zu planen, aufzubauen und zu leiten und daneben sich noch in Büchern und Vorträgen für eine Verbreitung des Couéismus einzusetzen. Kein Wunder, findet man sie in dorfeigenen Vereinen und sozialen Institutionen nicht! Von ihren Büchern seien an dieser Stelle drei genannt: «Die Psychologie im Alltag», «Die Verwirklichung der Wünsche», «Die Praxis der bewussten Autosuggestion». Das letztere wollen wir etwas genauer anschauen. Als erstes wundert es mich, dass man dieses Buch überhaupt noch erhält, und zwar nicht antiquarisch, sondern neu aufgelegt. Sucht man nämlich in diversen Lexika und allgemein zugänglichen Medizinhandbüchern den Namen Lucci, so sucht man vergebens. Die in unserem Sprachraum dank ihrer Bücher und Vorträge verbreitete Coué-Methode findet sich nur unter seinem Namen. Wenn man dann diese Bücher durchblättert, wird auch sofort klar, warum. Frau Dr. Lucci weist immer wieder darauf hin, dass sie ohne Coué nichts bewirken könnte. Übrigens ganz in Coués Sinn, der von sich selber immer wieder betont, er vermöge nicht und niemanden und niemals zu heilen, seine Aufgabe und seine Möglichkeiten sei es lediglich, seine Klienten anzuregen, sich selbst zu heilen. Das ist eine Bescheidenheit, die offenbar dieser Methode innewohnt, denn auch die heutigen Sitzungsleiter betonen immer wieder, dass eine Heilung nicht ihr Werk sei. Natürlich hat jeder Freude, wenn wieder etwas unmöglich Scheinendes verwirklicht wird und erzählt es auch allen, die zuhören oder ebenfalls Hilfe suchen. Gehen wir zurück zum erwähnten Buch «Die Praxis der bewussten Autosuggestion». Im Inhaltsverzeichnis sind Grundgesetze erwähnt, eine Sitzung bei Emil Coué, Vergleiche mit der ärztlichen Kunst, Grenzen der Heilbarkeit (siehe oben). Vieles in der damaligen Zeit Unerhörtes, Neues haben wir heute schon so oft in den Medien gehört oder gelesen, dass man im ersten Moment glaubt, hier nichts Neues mehr finden zu können. Und doch liegen noch so viele Dinge im Verborgenen. Oft merken wir es heute mit der unterschiedlichen Wirkung gewisser Medikamente auf verschiedene Patienten. Manches kann naturwissenschaftlich erklärt werden, manches müssen wir mit seinen Eigenschaften und Wirkungen einfach hinnehmen. Genau da hakt Frau Dr. Lucci ein und gibt auf Deutsch die Heilungs- und Besserungsanweisungen, die wir selbst nachahmen können. Natürlich erklärt sie in ihren Büchern alles ganz genau und bringt jedesmal zur Erläuterung auch Beispiele, denn sie meint, man müsse nicht gebildet sein, um diese Methode anzuwenden, ja, man müsse nicht einmal daran glauben, damit sie funktioniere, man müsse sie nur anwenden:
1. Es geht mir jeden Tag immer besser und besser! – Das in Ruhe mehrmals täglich je zwanzigmal während mehrerer Wochen halblaut vorgesagt, bringe in kurzer Zeit wesentliche Verbesserungen nicht nur im Befinden, sondern in den Tatsachen.
2. Es geht weg, weg, weg! In rasendem Tempo halblaut vorgesagt, zum Beispiel bei Kopfschmerzen, eine halbe bis eine Minute lang; sobald der Schmerz wieder auftaucht, von neuem anwenden.
3. Ich kann! Bei schwierigen Situationen, die man gerne meistern möchte, vorgesagt, bewirkt es mehr, als man ahnt.
Bei alledem sei nicht zu vergessen, dass die Wünsche im Bereich des möglichen liegen müssen. Fünfzehn Meter hoch wird man nicht springen können. Und der Arzt oder die Ärztin müssen die Ursache chronischer oder akuter Schmerzen abklären. Irgendwie sind die autosuggestiven Methoden aus dem Kurhaus ins Dorf gesickert, und noch lange nach dem Wegzug von Frau Dr. Lucci aus Wädenswil hat man sich mit einer Verkürzung und Verballhornung ihrer Methode über sie lustig gemacht: «Ich bin nicht krank, ich werd’ nicht krank . . .» Wenn jemand nicht fassbar ist, versucht man die verschiedensten Wege zu gehen, ihn oder sie zu «be»greifen.
Lebensabend
Im Jahre 1930 verkauft Frau Dr. Lucci ihre Villa und zieht auf Ende Juni nach Feldmeilen. Schon viele Jahre vor ihrem Tod gab Frau Dr. med. Lucci-Purtscher ihre ärztliche Praxis auf. Zurückgezogen verbrachte sie ihre letzte Lebenszeit zusammen mit einer befreundeten Dame in einem gemeinsamen Chalet auf dem Möschberg im Kanton Bern. Dort starb sie am 10 Juli 1959 im 88. Alterjahr. Das Haus am Alpenweg ist aber immer noch das «Lutschi-Putschi».
Dank gebührt an dieser Stelle Prof. Dr. h.c. Peter Ziegler, welcher mir alle wichtigen Daten zugestellt hat; Hans Scheidegger, der mit verschiedensten Menschen, welche sich noch an Frau Dr. Lucci erinnern, Gespräche geführt und mir seine Notizen zur Verfügung gestellt hat, besonders aber auch Herrn und Frau Karl Nöthiger aus Thalwil, welche mir sehr viele Unterlagen zu Frau Dr. Luccis Heilmethoden zugeschickt haben. Nöthigers sind es auch, die in heutiger Zeit noch immer in den Fussstapfen von Frau Dr. Lucci und Emil Coué wandeln und unter anderem deren Bücher neu aufgelegt haben.




Marlies Bayer-Ciprian