Auf den Spuren der Familie Gessner

Quelle: Rundgang I durch Wädenswil, Publikation 1989 von Peter Ziegler

Rosenmattpark

Vom Plätzli her erreichen wir durch den östlichen Eingang den Rosenmattpark. Er bildete einst das private Umgelände der 1899 erstellten Villa Rosenmatt des Seidenfabrikanten Emil Gessner-Heusser (1848−1917). Seine wesentliche, zum Teil heute noch erkennbare Prägung erhielt der Park in den 1906/07 durch den in Zürich tätigen Evariste Mertens (1848−1907). Dieser zu seiner Zeit bekannteste Gartenarchitekt verwirklichte den Auftrag, die nach und nach erworbenen und zum Teil durch Hausabbrüche freigestellten Grundstücke bei der Villa Rosenmatt in eine repräsentative Parkanlag im damals modernen Landschaftsgartenstil zusammenzufassen. Der Hauptweg von der Villa zum Ausgang beim Plätzli, der zentrale, grosszügig angelegte Rasen, Teile der Baumbepflanzung entlang der Eidmattstrasse, alle Zugänge zum Park und schliesslich die Gartenterrasse vor dem Gärtnerhaus, einen Baum aus dem Jahre 1825, stimmen auffallend mit den Gartengestaltungsplänen von Evariste Mertens überein, die im Archiv für die Schweizer Gartenarchitektur und Landschaftsplanung in Rapperswil aufbewahrt werden.
13 Blick vom Turm der reformierten Kirche auf den Rosenmattpark und die Gegend am «Plätzli», 1983.

22 Gestaltungsplan für den Rosenmattpark, um 1906 entworfen von Evariste Mertens.

1938 starb der Sohn von Emil Gessner-Heusser, Hans Ernst Emil Gessner, als letzter männlicher Vertreter des einst bedeutenden Geschlechts. Die Erbgemeinschaft erklärte sich bereit, die Villa Rosenmatt zum Preise von 50 000 Franken an die Gemeinde Wädenswil abzutreten unter der Bedingung, dass der Park nicht überbaut werde, sondern für alle Zeiten der Öffentlichkeit erhalten bleibe. Die Gemeinde nahm die Offerte an und kam damit zu einer Grünfläche mit wertvollem Baum- und Strauchbestand mitten im Zentrum.
Der am nordöstlichen Rand des Rosenmattparks gelegene Fachwerkbau Friedbergstrasse 1 wurde 1907 als Wirtschaftgebäude zur Villa Rosenmatt erstellt. Der Bau im Heimatstil enthielt im Erdgeschoss ursprünglich Stallungen. Eine Pergola verbindet ihm mit dem 1912 entstandenen neuklassizistischen Gartenpavillon mit Säulen unter gebrochenem Zeltdach mit Urnenaufsatz.
16 Fachwerkbau Friedbergstrasse 1, erstellt 1907.
 
Zwei Denkmäler erinnern an berühmte Wädenswiler. In der Nähe des Gartenzauns zur Eidmattstrasse steht auf einer Stele die aus Stein gehauene Büste von Bundesrat Walther Hauser-Wiedemann (1837−1902).
Sie wurde im Jahre 1904 von Bildhauer Adolf Meyer (1867−1940) in Zollikon für die oberhalb des Hauses zur Gerbe angelegte Gedenkstätte geschaffen und 1969 in den Rosenmattpark versetzt. Walther Hauser-Wiedemann, an den seit 1966 auch eine Strasse im Eichweid-Quartier erinnert, trat als Lehrling in die väterliche Gerberei (Haus Gerbestrasse 6) ein und wurde später Geschäftsführer und Inhaber des Betriebes, der zu den grössten in der Schweiz zählte. Hauser, der in seiner Heimatgemeinde schon früh politische Ämter übernommen hatte, schloss sich Ende der 1860er Jahre der gegen das liberale System Alfred Eschers gerichteten Demokratischen Bewegung des Zürcher Volkes an. 1869 wurde er Kantonsrat, und von 1881 bis 1888 stand er als Zürcher Regierungsrat dem Finanz-, dann dem Baudepartement vor. 1869 bis 1875 gehörte Hauser dem Nationalrat an; 1879 erfolgte die Wahl in den Ständerat, 1888 die Wahl zum Bundesrat. Als solcher leitete der Artillerie-Oberst Hauser bis 1890 das Militärdepartement und von 1891 bis zum Tod im Jahre 1902 als in Finanzfragen erfahrener Politiker das Finanz- und Zolldepartement.
14 Büste von Bundesrat Walther Hauser.
15 Büste von Bundesrat Robert Haab.

Rechts des Hauptweges zum Kirchgemeindehaus steht auf einer Stele die Bronzebüste von Bundesrat Robert Haab (1865−1939), ein 1940 geschaffenes Werk des Zürcher Bildhauers Charles Otto Bänninger (1897−1973). Dr. iur. Robert Haab-Landis führte von 1889 bis 1899 in Wädenswil ein eigenes Advokaturbüro, 1892 wurde der freisinnige Rechtsanwalt zum Mitglied und zwei Jahre später zum Präsidenten des Wädenswiler Gemeinderates gewählt. 1894 erfolgte die Wahl in den Kantonsrat, dem er bis 1902 und wieder von 1906 bis 1908 angehörte, 1899 die Wahl zum Oberrichter und 1908 jene zum Mitglied des Zürcher Regierungsrates. 1916/17 betraute der Bundesrat den 1912 auch zum Mitglied der Generaldirektion der SBB ernannten Robert Haab mit den Aufgaben eines schweizerischen Gesandten beim deutschen Reich. 1917 in den Bundesrat gewählt, übernahm Haab das Post- und Eisenbahndepartement, das er mit Ausnahme der beiden Präsidialjahre während seiner ganzen Amtszeit bis zum 1929 erfolgten Rücktritt mit Auszeichnung leitete. Sein Lebensabend verbrachte Bundesrat Haab in Zürich, wo er 1939 starb.

Kirchgemeindehaus

Vorbei an der die Rasenfläche zierenden Sonnenuhr erreichen wir das Kirchgemeindehaus, die ehemalige herrschaftliche Villa Rosenmatt des Seidenindustriellen Emil Gessner-Heusser. Sie wurde in den Jahre 1898/99 nach den Plänen des Direktors des Zürcher Gewerbemuseums und der Kunstgewerbeschule, des Semper-Schülers Professor Albert Müller (1846−1912, erbaut. Das reichgegliederte, dreigeschossige Gebäude mit einem steilen, mit roten Ziegeln gedecktem Walmdach enthielt ursprünglich dreissig Zimmer. Es ist im historischen Stil errichtet und mit Jugendstilelementen bereichert. Auf einem vorkragenden rustizierten Sockel aus Goldauer Nagelflug die mit Tuffstein verkleideten Fassaden, die unter dem mit Quergiebeln und Lukarnen besetzten Dach an einzelnen Stellen in Anthrazitton gestrichenes Riegelwerk in kalkweissen Putzflächen zeigen.
18 Park und Villa Rosenmatt von Südosten, 1989.

Tür- und Fenstereinfassungen bestehen im Unterbau aus Granit, in den darüberliegenden Geschossen aus Sandstein. Veranden und Balkon aus Holz sowie die Terrasse auf der Südostseite, ein repräsentatives Vorzeichen auf der Nordostseite, ein risalitartig vorspringender Balkon auf der Südwestseite sind Beispiele für den Formenreichtum des Gebäudes. Sein historischer Charakter tritt in der Gestaltung der Fenster besonders deutlich hervor, stehende und liegende Fenster mit waagrechtem oder gestaffeltem Sturz, oder mit Rund-, Stich-, Korb- oder Spitzbogenabschluss. Fensterkreuze, gekehlte Gewände mit volutenartigem Zierelement, Fenstergitter, Sprossenfenster, Glasmalereien mit Jungendstilmotiven sind weitere Variationen der Fenstergestaltung. Beachtung verdienen der aus Sandstein gehauene Alder an der Ostecke und die Plastik des den Drachen tötenden Georg auf Keramikhintergrund an der Nordostfassade.
19 Villa Rosenmatt. Balkon an der Südecke.
20 Villa Rosenmatt. Kunstvolle Dachaufbauten.

21 Georg tötet den Drachen. Plastik auf Keramikhintergrund an der Nordostfassade der Villa Rosenmatt.

1938 verkauften die Erben Gessner die Villa Rosenmatt für 50 000 Franken an die Gemeinde Wädenswil. Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde und Politische Gemeinde errichteten in der Folge die «Stiftung Kirchgemeindehaus Wädenswil», welche die Villa im Jahre 1940 nach den Plänen des Architekten Albert Kölla in ein Kirchgemeindehaus umbauen liess. Unter anderem fasste man im Parterre fünf Wohnzimmer zu einem unterteilbaren Saal zusammen.
1979 bezeichnete der Zürcher Regierungsrat die ehemalige Villa Gessner als kunst- und kulturhistorisches Schutzobjekte von regionaler Bedeutung. Die 1988 nach neusten Grundsätzen und Erkenntnissen der Denkmalpflege mit grossem handwerklichem Können ausgeführte Aussenrestaurierung gab der Villa Rosenmatt - der Hausname findet sich zusammen mit dem Baujahr 1899 im Sturz des Eingangsportals auf der Nordwestseite – ihren ursprünglichen Glanz zurück. Mit ihrer Vermischung von Elementen des Historismus und des Jugendstils ist sie ein schönes Beispiel für feines Architekturempfinden in der Zeit um 1900. Aber auch dem einstigen Besitzer Emil Gessner-Heusser begegnet der aufmerksame Betrachter des Bauwerks noch auf Schritt und Tritt. So im Familienwappen an der Südecke, im Monogramm GH (Gessner-Heusser) im geschmiedeten Gitter der Haustüre oder in den lateinischen Sinnessprüchen, welche der Erbauer über den Schwellenbalken seiner Pforte in Holz schneiden liess: «pax intrantibus» (Friede den Eintretenden) und «salus exeuntibus» (Heil den Hinausgehenden).
Auch die im Jahre 1900 geschaffene Brunnenanlage im Parkabschnitt südwestlich des Kirchgemeindehauses erinnert – wie der 1939 in Gessnerweg umbenannte Schulweg – an die einige Besitzerfamilie Gessner. Die Sandsteinskulptur rechts stellt den Zürcher Buchdrucker und Zunftmeister zur Saffran, Andreas Gessner, (1482−1568) dar, die Figur links den auch auf der heutigen Fünfzigernote abgebildeten Naturwissenschafter Conrad Gessner (1516−1565).
17 Villa Rosenmatt. Baudatum 1899 an der Südecke.
23 Brunnenanlage von 1900 im Rosenmattpark.

24/25 Rosenmattpark: Statuen von Andreas und Conrad Gessner.

«Rosenhof»

Wir verlassen den Rosenmattpark durch den Ausgang in der Westecke und stehen vor dem «Rosenhof» (Eidmattstrasse 25), einem stattlichen Haus mit einem flachen, leicht geknickten Walmdach und Zinne.
Bis 1819 erhob sich hier das um 1600 gebaute Wädenswiler Dorfschulhaus, das dann abgebrochen und durch den heutigen Bau ersetzt wurde. Nach der Einweihung des «alten» Eidmattschulhauses im Jahre 1835 ging das ehemalige Schulgebäude 1836 durch Kauf an die Seidenfirma Blattmann & Kunz über, welche es in ein Gewerbehaus umgestaltete. 1839 löste sich die Firma auf, und das Seidenunternehmen Theiler, Blattmann & Co. trat die Nachfolge an. Schon nach einem Jahr wurde auch dieser Betrieb aufgegeben und wieder ein Jahr darauf das Nachfolgeunternehmen Theiler & Steiner. 1841 vereinigte sich Johannes Steiner mit dem neuen Teilhaber August Gessner (1815−1896) von Zürich zur Seidenfirma Steiner, Gessner & Co., die Gessner dann ab 1849 auf alleinige Rechnung führte.
26 Bauten am Fuss des Kirchhügels, um 1770. Links das Dorfschulhaus am Standort des heutigen «Rosenhofs».
 
Weil eine mechanische Seidenweberei in den bisherigen Geschäftsräumen im «Rosenhof» nicht eingerichtet werden konnte, bewegte Emil Gessner-Heusser seinen Vater im Jahre 1880, im Neuwiesenquartier einen grosszügigen Fabrikneubau zu errichten. Die vom Wädenswiler Architekten Karl Schweizer (1843−1912) geplante Weberei mit Kesselhaus und Hochkamin war 1882 vollendet und wurde 1889, 1895 und 1898 erweitert.
Dem fortan als Wohn- und teils als Geschäftshaus dienenden «Rosenhof» mit seinen vier achsialsymmetrisch gestalteten Fassaden und auffallend hohen Fenstern im dritten Obergeschoss baute man 1894 auf der Nordwest- und auf der Südostseite zweigeschossige Zinnenbauten an. Der auf der Südwestseite weit aus der Fassadenflucht vorspringende Treppenturm scheint ebenfalls nachträglich errichtet worden zu sein. Sollten sich die Stimmberechtigten für die Erstellung des geplanten Gemeindesaales entscheiden, würde der «Rosenhof» abgebrochen.
27 Der «Rosenhof» in den 1890er Jahren. Links das Pfarrhaus, rechts das Haus zur Sonne und das Gewerbehaus Schönenbergstrasse 3.




Peter Ziegler