Vom Rotweg zum Spital

Quelle: Rundgang II durch Wädenswil, Publikation 1990 von Peter Ziegler

Oberstufenschulanlage Fuhr

Das 1867/68 erstellte und 1910/11 im Dachgeschoss erweiterte Sekundarschulhaus bei der «Sonne» im Dorfzentrum war zu Beginn der 1950er Jahre mit 220 Schülern in acht Klassen voll ausgelastet. In der Urnenabstimmung vom 17. Februar 1952 bewilligten die Stimmberechtigten darum einen Kredit von 1 954 000 Franken für den Bau des Sekundarschulhauses Fuhr – am Standort des alten Schützenhauses – nach dem Projekt des Züricher Architekten Karl Flatz. Die Bauarbeiten wurden im Herbst 1952 in Angriff genommen; auf Beginn des Schuljahres 1954/55 war das neue Sekundarschulhaus mit seinen 13 Klassenzimmern und den verschiedenen Nebenräumen bezugsbereit. Die Einweihung mit Dorffest fand am 13. Mai 1954 statt.
22 Sekundarschulhaus Fuhr von Süden, eingeweiht 1954.

Zwischen Sekundarschulhaus und Rotweg steht die Bronzeplastik «Jüngling» des Zürcher Bildhauers Charles Otto Bänninger (1897-1973). Das Werk wurde 1954 in öffentlichen Auftrag geschaffen und von der Bevölkerung bald liebevoll «Wullewinder» benannt. Schöpfer der Brunnenplastik «Katze» vor dem Sekundarschulhaus ist der Wädenswiler Bildhauser Jörg Fausch.
23 Realschulhaus Fuhr von Süden, eingeweiht 1966.
 
24 Bronzeplastik «Jüngling» von Ch. O. Bänninger.
25 Brunnenplastik «Katze» von Jörg Fausch.

Im Frühling 1963 wurden in Wädenswil – als Folge der 1959 im Kanton Zürich beschlossenen Reorganisation der Oberstufe – erstmals Realklassen gebildet. Sie waren anfänglich in Zimmern des Glärnischschulhauses, dann in zwei Pavillons auf dem Areal Stampf untergebracht. Am 22. Oktober 1966 konnte dann das vom Wädenswiler Architekten Josef Riklin geplante Realschulhaus Fuhr eingeweiht werden. Die Anlage umfasst den fünfgeschossigen Haupttrakt mit 12 Klassenzimmern, ferner die Turnhalle und den Hauswirtschaftstrakt, die, durch einen gedeckten Gang miteinander verbunden, vom Hauptbau durch Spielwiese und Turnplatz getrennt sind. An künstlerischem Schmuck finden sich im Realschulhaus Fuhr am Haupteingang ein 1972 entstandenes Relief von Hans Gruber, im Lehrerzimmer eine Wandkeramik von Elisabeth Aerni (1965) und im Treppenhaus das 1974 von Karl Iten (Hütten) geschaffene Wandbild «Sonnengarten».

Vereinshaus Fuhr

Bergseits des Sekundarschulhauses, in der Ecke Rotweg/Fuhrstrasse, steht das Vereinshaus des Evangelischen Vereins. Es ersetzt das 1865 von Julius Hauser in seinem Ökonomiegebäude ob der Kirche eingerichtete und später erweiterte gottesdienstliche Lokal im Vereinshaus, das von 1874 bis 1910 auch als Schulhaus für die von diesem Verein geführte Freischule diente und 1950 dem Bau der Turnhalle Eidmatt I weichen musste.

Skirennen und Sonnenbäder

Das Gebiet zwischen Rotweg und Leihof war bergseits der Fuhrstrasse bis hinauf zum Furthof noch in den 1940er und beginnenden 1950er Jahren erst locker überbaut. An diesem Hang konnten darum in schneereichen Wintern die Wändenswiler Kinderskirennen stattfinden, mit Start auf dem Furthof und Ziel im Gebiet des heutigen Realschulhauses.
Am sonnigen Hang südöstlich des Schützenhauses, oberhalb der Gebäude der 1907 eröffneten Molkereigenossenschaft Wädenswil, betrieb der Naturheilverein Wädenswil in den 1910er Jahre ein von Palisaden umschlossenes Luft- und Sonnenbad mit Holzpritschen, das in Wädenswil einiges zu munkeln gab. Bei der Wiedereröffnung des Bades am 1. Mai 1915 schrieb der Vorstand des Naturheilvereins Wädenswil im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee», es sei allgemein bekannt, dass Luft- und Sonnenbäder ganz besonders nerven- und gesundheitsstärkend wirken würden. Die täglich von morgens 8 Uhr bis abends 9 Uhr geöffnete Anstalt werde daher zu recht fleissiger Benützung empfohlen. Jeden Dienstag und Freitag von 11 bis 12 Uhr gebe es Freibäder für Schüler.

Unterer Leihof

Die gangze Gegend südöstlich des heutigen Rotwegs und oberhalb der Oberdorfstrasse und der Leigass hiess im Spätmittelalter «uff lein» oder «am leime», bis in die Gegend von Rutenen, Mülibach, Geren und unterhalb des Furthofs. «Lein, Leime, Lei» bedeutet Lehm. Der Hof, zu dem ausgedehnte Rebberge gehörten, war im Jahr 1357 Eigentum des Zisterzienserklosters Kappel und ging noch vor 1400 an den Johanniterorden über. Im weiten Gebiet «uff ley» entstanden im Verlauf des 15. bis 17. Jahrhunderts weitere Höfe. Nach der Familie Rellstab, die im 17. Jahrhundert hier ansässig wurde, nannte man den Leihof auch «Rellstaben-Häuser». Die Benennung «Unterer Leihof» wurde zur Unterscheidung vom «Oberen Leihof» seeseits der heutigen Speerstrasse gewählt. Jenes Gebiet hiess 1849 «ob dem Leimhof».
Der als Schutzobjekt von regionaler Bedeutung eingestufte Weiler Unterer Leihof besteht aus zwei Wohnhäusern, einem Waschhaus, einer Trotte und einem Speicher. Das Bauernhaus ob der Strasse (Fuhrstrasse 11), Besitz der Familie Rellstab, ist ein stattliches zweigeschossiges Riegelhaus mit mächtigem Satteldach. Die Schaufassade gegen Südosten ist über den Reihenfenstern der Stuben noch mit den alten Falläden versehen und weist im Fristbereich eine grosse Aufzugsöffnung auf. Die gegenüberliegende Giebelseite ist verputzt und präsentiert sich im Stil des 19. Jahrhunderts. Ebenfalls im 19. Jahrhundert entstand der dreigeschossige, im Verhältnis zum ursprünglichen Baukörper zu gross dimensionierte Quergiebel. Am Hang oberhalb des Bauernhauses hat sich das aus dem 18. Jahrhundert stammende ehemalige Waschhaus erhalten, ein langgestreckter, gemauerter Bau mit Fachwerkkonstruktion im Giebelbereich und mit Biberschwanzziegeln eingedecktem Satteldach.
26 Unterer Leihof. Bauernhaus Fuhrstrasse 11 von Südosten.

30 Unterer Leihof. Waschhaus aus dem 18. Jahrhundert.

Das unterhalb der Strasse gelegene einstige Bauernwohnhaus in Fachwerkkonstruktion (Fuhrstrasse 12) von 1679, über Generationen Besitz der Familie Blattmann, ist zweigeschossig und trägt ein leicht geknicktes, steiles Satteldach. Mit Ausnahme der südöstlichen Giebelseite sind heute alle Fassaden verputzt. Am stichbodigen Türsturz des nordwestlichen Hauseingangs steht die Jahrzahl 1693.
Zum Blattmann-Heimwesen gehört auch die Trotte bergseits der Fuhrstrasse, ein eingeschossiger Fachwerkbau mit ebenerdig gemauertem Kellergeschoss. Die Inschrift «H 1753 B» am Türsturz erinnert an Heinrich Blattmann (1697−1759) und das Baujahr 1753. An der Kreuzung von Fuhrstrasse und Töbeliweg steht im Hang der speicherartige ehemalige Käsekeller aus dem späten 18. Jahrhundert.
27 Unterer Leihof, Bauernhaus Fuhrstrasse 12 von Südosten, vor 1939.

28 Unterer Leihof. Trotte von 1753. Im Hintergrund Bauernhaus Fuhrstrasse 11.

29 Trotte im Unteren Leihof. Türsturz von 1753 mit Initialen von Heinrich Blattmann.

31 Unterer Leihof. Käsekeller aus dem späten 18. Jahrhundert.

Töbelibach

Rechts wird der Blick frei ins Tobel des Töbelibachs. Er hat sein Einzugsgebiet im Bereich unterhalb des Grundhofs und floss einst offen durch das Dorf zum See. Das Bachtobel vor der reformierten Kirche wurden im Zusammenhang mit dem Kirchenbau von 1764/67 eingedohlt. Unterhalb der Kirche biegt der Bach Richtung Gerbestrasse ab. Er hiess in diesem Teilstück Gerbebach und wurde hier durch Gemeindeversammlungsbeschluss vom 3. August 1902 in eine Röhre verlegt. Als Kronenbach mündete der Töbelibach – wie heute noch – am Seeplatz in den Zürichsee.

Gottfriedhaus

Bei der ehemaligen Scheune des Bauernhofes zur Langen Stege – wie wurde 1983/84 von Architekt Christian Hurter in ein Wohnhaus (Fuhrstrasse 7) umgebaut – wird ostwärts die Sicht frei auf das Gottfriedhaus an der Leigass. Dieses Riegelhaus wurde laut Jahrzahl im Nordwestgiebel 1726 erbaut. Die westliche, der Leigass zugewendete Traufseite ist in Massivem Mauerwerk hochgeführt und nur mit wenigen kleinen Fenstern durchbrochen. Die breit ausladende, gegen das Dorf gerichtete nördliche Giebelfront ist Haupt- und Eingangsseite. Die südliche, bergseitige Giebelfassade trägt den Hausspruch «Dieses Haus, erbaut auf gutem Grund, behüte Gott zu jeder Stund». 1886 ging die Liegenschaft an Gottfried Hauser (1852−1924) über. Nach diesem Eigentümer trägt das Haus heute den Namen «Gottfriedhuus».


32 Gottfriedhaus von Westen.

«Zur Langen Stege»

33 Bauernhaus «Zur Langen Stege» von Süden, um 1910.
 
Das ehemalige Bauerngehöft «Zur Langen Stege» - zuletzt von der Familie Vetterli bewirtschaftet – besteht heute aus dem als Doppelhaus konzipierten Hauptbau mit zwei Wohngeschossen über einem Kellergeschoss, der zum Stöckli umfunktionierten einstigen Trotte von 1817 und dem Waschhaus von 1705. Gemäss Jahrzahlen an der Treppe, am Sturz der Kellertüre und im seeseitigen Giebelfeld wurde das Wohnhaus zwischen 1724 und 1728 gebaut. Der gemauerte Zinnenanbau an der Nordwestseite ersetzte 1897 einen älteren hölzernen Pultdachanbau.
Die Schauseite diese traufbetonten Zürichsee-Weinbauernhauses mit barocken Stilelementen ist die Südostfassade mit zweiläufiger Freitreppe und unverputzter Brüstungsmauer. Die in Fachwerk gebaute Trauffassade ist symmetrisch angelegt, mit Eingang und Giebellukarne auf der Mittelachse. Das Fachwerk ist zwischen zwei Ecklisenen aus Hausteinen eingespannt, die oben mit einem Kämpfer abschliessen. Andreaskreuze verzieren die Brüstungsfelder beidseits der fünfteiligen Reihenfenster mit profilierter Bank. Gesägte Zierleisten schmücken die Ladenkästen; die massiven Läden tragen aufgemalte Blumen- und Traubenmotive. An der Eingangstüre mit rautenförmigem Türblatt hat sich der geschmiedete Türklopfer erhalten. Das Spionfensterchen neben der Türe trägt ein altes Fenstergitter.
34 Detail der Südostfassade.
 
Die seeseitige Giebelfassade ist bis auf das in Fachwerk ausgeführte Giebelfeld, mit aufgemalter Jahrzahl 1728, massiv gemauert. Sernifitsprenkel durchsetzen den Fugenmörtel der unverputzten Natursteinmauer. Die ganze bergseitige Giebelfassade ist ebenfalls in Massivmauerwerk ausgeführt. Wetterschutzplatten überdachen hier die mit gefasten Steingewänden versehenen, achteilig gesprossten Fenster.
Kurz vor der Einmündung der Fuhrstrasse in die Schönenbergstrasse erhebt sich bergseits das zum Gehöft Lange Stege gehörende Waschhaus von 1705. Der Wandbrunnen beim strassenseitigen Eingang trägt die Jahrzahl 1894 und den Schriftzug des Baumeisters: «Ferrari, Wädensweil».

Regionalspital für Innere Medizin und Radiologie

35 Krankenasyl von Norden im Jahre 1902. Rechts der Bauernhof Mülibach.
 
Wir überqueren die Schönenbergstrasse und befinden uns im Areal des Spitals Wädenswil. Der Altbau links (Schönenbergstrasse 49) wurde von der privaten Asylkommission Wädenswil nach Plänen des Wädenswiler Architekten Karl Schweizer (1843−1912) als Krankenasyl erstellt und am 14. November 1886 eingeweiht. In acht Krankenzimmern auf zwei Stockwerken verfügte das Asyl anfänglich über insgesamt 23 Betten. Das langgestreckte Gebäude mit gleichfluchtender Südostfassade und zwei flankierenden Risaliten auf der Nordwestseite trägt klassizistische Züge. Der bergseitige Hausteil des verputzten Massivbaus unter Walmdach vermittelt mit Bossenquaderung im Sockelgeschoss und hohen, in Achsen angeordneten Fenstern noch einen Eindruck der originalen Architektur. Der seeseitige Hausteil dagegen ist seit 1936 anstelle der ursprünglichen zwei Stockwerk mit drei Geschossen und niedrigeren Normfenstern ausgestattet.
36 Regionalspital Wädenswil von Süden. Flugaufnahme von 1985.
 
Parallel zum gegen die Schlossbergstrasse abfallenden Gelände liess der Asylverein Wädenswil in den Jahren 1934/35 nach den Plänen des Architekten Heinrich Bräm (1886−1956) ein für die damalige Zeit grosszügiges neues Krankenhaus erstellen. Es konnte am 5. November 1935 unter dem neuen Chefarzt Dr. med. Ernst Kaiser (1903−1967) in Betrieb genommen werden. Der moderne, flach abgedeckte, dreigeschossige armierte Betonbau mit Rondellen in den Stirnfassaden enthielt ursprünglich im ersten Obergeschoss die Frauenabteilung mit angegliederter Geburtshilfe, im zweiten Stockwerk die Männerabteilung und im dritten Stockwerk die Privatabteilung mit acht Einzelzimmern sowie deinen Teil der Schwesternstation. Ein angebauter Nordtrakt enthielt die Spezialräume und im ersten Stock zwei Operationssäle. Das 1935 eingeweihte Krankenhaus verfügte über 72 Betten. Anfangs der 1960er Jahre wurden die finanziellen Lasten für den Asylverein untragbar. Er sah sich daher gezwungen, die Gemeinde Wädenswil um ihre Hilfe anzugehen. An die stelle des Asylvereins trat die privatrechtliche Stiftung «Krankenhaus Wädenswil», welcher der Asylverein entschädigungslos Areal, Gebäude und Einrichtungen abtrat. Dafür übernahm die Gemeinde fortan den nach Abzug der Staatsbeiträge verbleibenden jeweiligen Defizitanteil von zehn Prozent.
1976 trat eine neue Regelung in Kraft. Die drei Spitäler Horgen, Wädenswil und Richterswil wurden zu einem einzigen Spitalkreis zusammengefasst, dem Hirzel, Horgen, Hütten, Oberrieden, Richterswil, Schönenberg und Wädenswil angehören, und erhielten von der Gesundheitsdirektion medizinische Spezialgebiete zugeteilt: Horgen und Richterswil je Chirurgie und Geburtshilfe, Wädenswil Innere Medizin und Radiologie. Die Umwandlung des Krankenhauses Wädenswil in ein Regionalspital bedingte bauliche Veränderungen. In einer ersten Etappe erweiterte man 1979/80 das Gebäude von 1935 um einen Anbau auf der Westseite; in einer zweiten sanierte man die beiden Altbauten. Gegenwärtig verfügt das Regionalspital Wädenswil über 68 Betten. (vgl. Peter Ziegler, Spital Wädenswil 1886-1986, Wädenswil 1986.)
Durch den Park mit dem 1988 aufgestellten Kugelbrunnen des einheimischen Bildhauers Ueli Fausch erreichen wir den Platz beim Haupteingang. Wir überqueren die Schlossbergstrasse und gelangen auf dem Rutenenweg zur Rutenenstrasse.
37 Kugelbrunnen von Ueli Fausch im Park des Regionalspitals Wädenswil, 1988.
 

Rutenen

Der bereits 1555 als «rutinen» nachgewiesene Flurname Rutenen lässt sich möglicherweise aus dem Pflanzennamen «Ruten» (Raute) erklären. Das spätestens aus dem 18. Jahrhundert stammende, kürzlich renovierte markante ehemalige Doppelbauernhaus Rutenen (Rutenenstrasse 6, 8, 10) ist heute ein grosser Gebäudekomplex, bestehend aus der seeseitigen Hälfte des Altbaus und zwei überdimensionierten Mehrfamilienwohnhäusern aus der Jahrhundertwende. Durch Verdoppelung der südöstlichen Traufseite des Altbaus kann man sich die originale Fassade des ursprünglichen Zürichseehauses vorstellen. Dieses war ein Satteldachbau mit zwei Wohngeschossen über hohem Kellergeschoss und Eingang mit zweiläufiger Freitreppe auf der Mittelachse der Traufwand.
38 Bauernhaus Rutenen von Süden, um 1910.

Auf der Rutenenstrasse erreichen wir von Nordwesten her das Areal des ehemaligen Landvogteischlosses Wädenswil, der heutigen Eidgenössischen Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau, die 1990 ihr hundertjähriges Bestehen gefeiert hat.




Peter Ziegler