Vom Haus «zum Anker» im Luftquartier

Zur Renovation des Hauses Luftstrasse 6

Quelle: AAZ 23. Juli 1996 von Peter Ziegler

Kürzlich ist die Renovation des Hauses Luftstrasse 6 (Ass.-Nr. 197) abgeschlossen worden. Der neue Türsturz in der strassenseitigen Fassade erinnert mit der Jahreszahl 1831 an das Baujahr des vom Klassizismus geprägten Gebäudes, der Name «Anker» an die Wirtschaft, die darin von 1873 bis 1893 betrieben wurde.
Das Grundstück, auf dem das Haus Luftstrasse 6 steht, war einst das östliche Ausgelände und Gartenareal der Liegenschaft Luftstrasse 2 (Ass-Nr. 278), ehemals Öltrotte und später Buchbinderei Bodmer am Plätzli.

Die Öltrotte im Luft

Ein Vorgängerbau des Hauses Luftstrasse 2 wird erstmals 1687 in den Grundprotokollen aufgeführt. Das Gebäude war damals in zwei Haushälften geteilt. Der seeseitige Teil stand im Eigentum von Vater Daniel und Sohn Andreas Brändli, die sich als Zimmerleute betätigten. Zu ihrem Besitz gehörte auch ein Schweinestall, ferner Krautgarten und Hanfland (Areal des jetzigen Hauses Luftstrasse 6). Um das Haus zog sich die Landstrasse, bis zum Bau der Seestrasse in den 1830er Jahren die Hauptstrasse Zürich – Chur auf dem Trassee von heutiger Luftstrasse – Eidmattstrasse – Florhofstrasse – Bürglistrasse.
Für 1691 ist im Zusammenhang mit dem Verkauf von Rebland erwähnt, dass im Haus Luftstrasse 2 eine Öltrotte betrieben werde. 1694 machten Vater und Sohn Brändli Konkurs, und die Liegenschaft kam zufolge Zugrechts an Barbara Ryner, die Gattin von Leutnant Rudolf Diezinger. Dieser veräusserte die Haushälfte samt Ausgelände im Herbst 1696 dem Wachtmeister Jakob Helbling-Wild. Der andere Teil gehörte damals Hans Gugolz. 1702 verkaufte Hans Jakob Helbling die Behausung samt Öltrotte, Garten und Hanfland an Heinrich Eschmann, den Sohn des Zeigers der Schützengesellschaft. Jakob Eschmann, wohl der Sohn des oben Genannten, liess den Altbau am heutigen Plätzli abbrechen und vor Martini 1731 durch einen Neubau am selben Standort – das heutige Haus Ass.-Nr. 278 – ersetzen. Bis 1772 kam es wohl zufolge von Erbausscheidungen wieder zur Aufteilung des Hauses, diesmal in Drittelnutzungen. Schützenmeister Konrad Eschmann besass im August 1772 den seeseitigen unteren dritten Teil. Dazu gehörte ein Garten mit Waschhaus darin: das Areal der heutigen Liegenschaft Luftstrasse 6.
Im September 1777 kam der fast zum Wert mit Hypotheken belastete untere Hausteil des Schützenmeisters Eschmann «im Luft im Dorf Wädensweil» auf die Gant und wurde vom Metzger Heinrich Hottinger erworben. Im Juli 1778 machte jedoch der neue Eigentümer Konkurs und verliess Wädenswil. Züger wurden Hans Heinrich Sträuli und dessen Stiefsohn, Johannes Hottinger. Diese verkauften die Liegenschaft im August 1778 dem Metzger Jakob Hauser «im Dorf». 1789 wurde der Metzger Heinrich Huber neuer Eigentümer des unteren Hausteils samt Ausgelände mit Waschhaus, das mittlerweile um einen neuen Keller erweitert worden war.
Durch weitere Handänderungen kam die Liegenschaft Luftstrasse 2 im August 1793 an den Geschworenen Heinrich Blattmann an der Luftgass (heute Luftstrasse), 1797 an dessen Tochtermann Hans Jakob Reiner-Blattmann, 1836 an Jakob Frick.

Vielseitig genutztes Areal

Bis um 1790 gehörte das Areal der heutigen Liegenschaft Luftstrasse 6 als Ausgelände – mit dem als Metzg genutzten Waschhaus, 1789 erwähntem neuem Keller und Stall – zur Liegenschaft Luftstrasse 2. Dann wurde es davon abgetrennt und nahm eine eigene Entwicklung. Bürger Agent Jakob Reiner – die zur Zeit der Französischen Revolution und der Helvetik übliche Anrede – veräusserte das Grundstück samt darauf stehenden Bauten im Februar 1790 an Johann Heinrich Blattmann aus dem Giessen, Bei dieser Handänderung wird auch ein eingefasstes, das heisst ummauertes Höfli erwähnt. Es lag «vorn», also am Ostrand des Areals. Verkäufer Reiner sicherte damals auf der Parzelle ein Baurecht zu, sofern ihm dadurch kein Schaden erwachse. Blattmann verkaufte das Grundstück am 21. April 1802 an Rudolf Leuthi und dieser am 24. Juni 1808 an den Schneider Caspar Wild. Dessen Söhne – Hauptmann Jakob Wild und Felix Wild in der Eidmatt – teilten im September 1824 den väterlichen Besitz auf. Felix Wild erhielt die Häuser Eidmattstrasse 11 und 15, die 1963 abgebrochen wurden, ferner Waschhaus bzw. Metzg mit Keller. Stall und eingefasstem Höfli vornedran an der Luftgass.
Gemeinderat Felix Wild hatte offensichtlich kein Interesse am isolierten Grundstück an der Luftgasse und verkaufte es am 14. Oktober 1830 dem Kammmacher Kaspar Haab hinterhalb (zürichwärts) dem «Engel». Noch im selben Jahr, am 21. Dezember 1830, veräusserte Haab das Areal an Sattlermeister Caspar Scherer.

Bau des Hauses Luftstrasse 6

Der neue Eigentümer liess die Altbauten sofort abtragen und im Jahre 1831 das heutige Haus Luftstrasse 6 erstellen. Dieses war spätestens am 10. November 1831 vollendet, wurde es doch als Sicherheit gestellt für die 1400 Gulden Kapital, welche Kunstmaler Johannes Werner in Oberrieden dem Bauherrn zum Bauen geliehen hatte. Die erste Umschreibung im Grundprotokoll lautet: «Eine neuerbauene Behausung mit Anhänke daran, samt dazu gehörendem Grund und Boden, an der Luftgass liegend.» Auf dem Wädenswiler Zehntenplan des Geometers Rudolf Diezinger aus dieser Zeit ist ersichtlich, dass die «Anhänke», der Anbau, an der Südostecke stand.
1832 wurde das neue Wohnhaus des Sattlers Caspar Scherer gegen Brand versichert. Dabei vermerkte man, das Gebäude sei je zur Hälfte gemauert und in Riegelwerk konstruiert und mit einem Ziegeldach gedeckt.

Die Weinschenke im Luft

Metzger Heinrich Theiler, neuer Eigentümer der Liegenschaft geworden, eröffnete hier am 19. Juni 1834 eine Weinschenke ohne Speisepatent. Sie wird in den Verzeichnissen der Wirtschaftsabgaben bis 1873 lediglich als «Weinschenke im Luft» bezeichnet, trug also anfänglich keinen Wirtschaftsnamen.
Nachfolger als Besitzer des Hauses und der Weinschenke wurde 1836 Conrad Brupbacher an der Luftgass. Er war noch 1848 Patentinhaber. 1842 konnte er seinen Grundbesitz etwas vergrössern: Der Nachbar am Plätzli, Drechsler Hartmann Sauter, verkaufte ihm ein Stücklein Ausgelände bergseits des Hauses Luftstrasse 6.
Mit Martini 1843 nahm Weinschenk Conrad Brupbacher im Luft bei Kantonsrat Heinrich Blattmann auf dem Bühl (im heutigen Riegelhaus Rotweg 12/12a) ein grösseres Darlehen auf. Als Sicherheit setzte Brupbacher seine Liegenschaft ein. Diese wird damals umschrieben als ein neu erbautes Haus mit zwei Wohnungen und einem Anbäuli. Das Grundstück grenzte unter anderem an den Garten der Gebrüder Heinrich und Hans Heinrich Rusterholz. Diese besassen in der Westecke des Hauses Luftstrasse 6 einen kleinen Keller, der bis 1917 immer dem Besitzer der benachbarten Liegenschaft am Plätzli gehörte, zuletzt dem Buchbinder Bodmer. Erst dann konnten die Eigentumsverhältnisse neu geregelt werden.
Nach dem Tod des Vaters Conrad Brupbacher kaufte der Sohn Johannes Brupbacher beim «Engel» am 29. September 1848 die Schwester Verena, die Ehefrau des Conrad Strickler von Hirzel, um Vatergut aus, und am 20. Oktober 1848 erhielt auch die Mutter, Catharina Brupbacher-Hauser, ihren Anteil zugesichert. Damit wurde Johannes Brupbacher, der Schiffmann im Luft, alleiniger Eigentümer des Hauses. Bei der Regelung des Erbes wird unter anderem erwähnt, das neuerbaute Haus habe einen Anbau vorn daran, wobei mit «vorn» in Wädenswil immer die Seite gegen Sonnenaufgang gemeint ist.
Im Verzeichnis der Wirtschaftsabgaben werden 1849 die Erben des Conrad Brupbacher sel. als Patentinhaber der Weinschenke im Luft angeführt. Ab 1850 erscheint dann Schiffmann Johannes (auch Jean) Brupbacher.

Weinschenke «zum Anker», 1873 bis 1893

Im Verzeichnis der Wirtschaftsabgaben des Jahres 1873 wird die Weinschenke des Jean Brupbacher im Luft erstmals mit dem Wirtschaftsnamen «zum Anker» aufgeführt. 1877 wurde die Versicherungssumme, die 1864 15‘000 Franken ausgemacht hatte, auf 22‘000 Franken erhöht, weil ein zweiter Anbau erstellt worden war. Schiffmann Jean Brupbacher, der sich auch als Weinschenk und Camionneur betätigt hatte, starb am 21. April 1885. Er hinterliess die Witwe Elisabeth Brupbacher-Isler, und die Töchter Elisabetha, Susanna und Anna. Patentinhaberin der Weinschenke war von 1885 bis 1890 die Witwe Brupbacher.

Fuhrhalterei Schiess

Bei der Erbausscheidung ging die Liegenschaft «zum Anker» am 1. Mai 1890 an den Ehemann der ältesten Tochter über, an den Camionneur Arwed Schiess-Brupbacher von Herisau, wohnhaft «zum Anker» in Wädenswil. Er zahlte 1892 die Schwiegermutter, die Schwägerinnen Susanna Meier-Brupbacher in Uetikon und Fräulein Anna Brupbacher sowie die Ehefrau Elisabeth Schiess-Brupbacher aus und war nun alleiniger Besitzer. Camionneur Arwed Schiess liess noch 1890 die beiden Anbauten am Haus abbrechen und bergseits das freistehende Pferdestall- und Remisegebäude Ass.-Nr. 198 erstellen. Es bestand zu 1/8 aus Mauerwerk, zu 3/8 aus Riegelkonstruktion, zu 4/8 aus Holz und trug ein Ziegeldach.
1891 erscheint Arwed Schiess auch als Inhaber des Patents auf die Weinschenke «zum Anker». Am 5. August 1893 wurde die Wirtschaft aufgegeben. Der ehemalige Wirtschaftsname blieb indessen im Hausnamen «zum Anker» bis heute erhalten.
Bei der Erbausscheidung vom 1. Mai 1890, die erst am 28. April 1892 ins Grundprotokoll eingetragen wurde, wird als Begrenzung der Liegenschaft der auf der Südostseite gelegene Brunnenplatz erwähnt. 1924 vermerkt das Grundbuch, der Brunnen mit 12 m2 Brunnenplatz auf Kataster 256 an der Luftstrasse heisse Ankerbrunnen und gehöre zu einem unausgeschiedenen Drittel zur Liegenschaft Ass.-Nr. 197, Luftstrasse 6.
1937 liess Arwed Schiess jun., der 1928 als Bankprokurist bezeichnete Sohn des Fuhrhalters, das Pferdestall- und Remisegebäude Ass.-Nr. 198 umbauen. Es bestand nun zu 2/3 aus Mauerwerk und 1/3 aus Holz. Auch im Wohnhaus wurden Umbauten vorgenommen. Der Rauminhalt blieb unverändert; der Versicherungswert stieg indessen.

Besitzerwechsel

Arwed Schiess Sohn, seit 1928 Eigentümer der Liegenschaft, verkaufte diese 1943 dem Malermeister Alfred Mörgeli. 1949 kam sie an die Erben Mörgeli und durch Kauf 1961 an Samuel Blumer, 1985 an die Bettio Söhne AG. Seit 1994 ist das Haus im Besitz von Donato und Isabel Pisanelli-Marini, die es in den letzten Monaten restaurieren liessen, so dass es dem Luftquartier – wie einst – wieder zur Zierde gereicht.




Peter Ziegler