4 Eigentümer und Eigentümerin, Nutzungen, Veränderungen

4.1 Frühzeit : Gerber Hauser und sein Reich

Im alten Wädenswil gab es verschiedene Gerberfamilien und -betriebe (Hauser 1956, S. 101–103). Am längsten lebte die Berufstradition bei jener Familie Hauser fort, die ihren Betrieb «ob der Krone» an der nachmaligen Gerbestrasse hatte. Einem Artikel von Peter Ziegler (Ziegler 1961) entnehmen wir nebenstehenden Stammbaum.

Biographisches zu Johannes Hauser (1776–1841).
Von diesen Männern spielt im vorliegenden Zusammenhang Johannes Hauser (1776–1841) die wichtigste Rolle, da er den Dorfkern mit seinen Bauten massgeblich geprägt hat. Um 1800 soll er nur vier Angestellte beschäftigt haben, aber später – wohl um 1810–1830 – war seine Gerberei, die unter dem Namen «Johann de Jacob Hauser» bzw. «Johann von Jakob Hauser» lief, eine der grössten der Schweiz: sie soll gegen 70 Gruben umfasst haben. Im Jahre 1820 versteuerte Hauser eines der grössten Vermögen der Gemeinde, nämlich 30‘000 Gulden (Vorangehende Angaben aus Ziegler 1961).
Seinen Erfolg dürfte Hauser nicht nur seinem Geschäftssinn und Fleiss, sondern auch der internationalen Wirtschaftssituation verdankt haben: Die Schweiz war von den napoleonischen Kriegen weniger betroffen als die Nachbarländer, und etliche Wirtschaftszweige profitierten von den napoleonischen Einfuhrsperren gegen England (Kontinentalsperre), da sie eine gefährliche Konkurrenz ausschalteten. Zudem führten die Kriege zu einem grossen Bedarf an Lederwaren. Bezeichnenderweise schrumpfte der Hausersche Betrieb nach dem Untergang Napoleons. Beim Tod von Johannes 1841 umfasste er noch 50 Gruben; 1842 mussten seine Söhne Karl und Arnold eine Anzahl Liegenschaften veräussern (vielleicht auch, um Geschwister auszahlen zu können), und in den 1870er und 80er Jahren liquidierte Johannes’ Enkel Walter Hauser (1837–1902) den Betrieb (Ziegler 1961).
 
Privatleben
Johannes Hauser muss sich Mitte der 1790er Jahre ein erstes Mal verheiratet haben; seine Frau gebar fünf Kinder. 1801 heiratete er in zweiter Ehe Elisabetha Steffan. Sie brachte weitere sieben Kinder zur Welt, als letztes am 4. März 1815 Rosalie, die schon am 11. Mai starb. Kurz darauf, am Pfingstmontag, starb auch Elisabetha, die schon 1814 gekränkelt hatte (Zum Vorangehenden: Ziegler 1961).
Ausser Rosalie müssen auch noch andere Kinder früh verstorben sein. Gemäss einem Dokument von 1836 , bei dem es um den Verkauf von Liegenschaften von Johannes an seinen Sohn Robert Hauser geht, wissen wir, dass sieben Kinder erwachsen geworden waren (wovon eine Tochter bereits verstorben war) und es noch einen minorennen Sohn – Julius – gab. Ausser Robert und Julius werden im Dokument folgende Kinder genannt: Carl Hauser; Arnold Hauser (1805–1875); Anna Hauser, verheiratet mit dem Abnehmer(?) Stapfer(?) in «Walkwyl»; Cleopha Hauser, Gattin von «H. President Johs. Theiler»; Elisa Hauser (bereits verstorben, einen Witwer und Kinder hinterlassend); Henriette Hauser (StAZ, B XI 37.52, Grundprotokolle Wädenswil Bd. 22, S. 519–520).
«Als guter Hausvater», heisst es in einem Nachruf, sei Johannes Hauser den «Seinigen, die er zärtlich liebte, mit musterhaftem Beispiel» vorangegangen (Chronik Lesegesellschaft, Bd. I, S. 480).
 
Öffentliches Leben
Politisch war er, wie derselbe Chronist berichtet, ein «eifriger Republikaner». Im turbulenten Jahr 1802, als sich progressive Unitarier und konservative Föderalisten in den Haaren lagen, war er, der den ersten angehörte, Präsident der 1798 gegründeten Munizipalität und wurde im Oktober wegen seiner «Freisinnigkeit» von den Stadtzürcher Föderalisten knapp zwei Wochen lang inhaftiert (ebd.). Wenn Hauser in den Brandversicherungsbüchern als «Alt President» bezeichnet wird, bezieht sich das auf seine kurze Zeit als Gemeindeoberhaupt. Vermutlich sass er später zeitweise im Gemeinderat. In der Regeneration wählte ihn der Wahlkreis, zu dem Wädenswil gehörte, zum Gross- respektive Kantonsrat; diese Funktion übte er vom 28. Januar 1833 bis zum 15. Februar 1838 aus (Datenbank Kantonsratsmitglieder ab 1803 in der Website Kanton Zürich www.zh.ch).
In der Affäre um den Theologen David Friedrich Strauss, die zum Züri-Putsch führte, handelte er sich «viel Verdruss und Ärger» ein, da er bedingslos für den Kritisierten eintrat. In der Gemeinde bekleidete er verschiedene Ämter; als «eifriger Freund des Schulwesens und namentlich der höheren Volksbildung» präsidierte er zeitweise die Sekundarschule. In der Lesegesellschaft gehörte er zu den ältesten Mitgliedern, und in den späten 1820er Jahren war er massgeblich am Zehntenloskauf beteiligt.
 
Schicksalsschläge
Privat wurde er von «vielen tiefgehenden und schmerzenden Prüfungen […] heimgesucht»; so verlor er in seinen letzten Lebensjahren fünf erwachsene, verheiratete Kinder. Damals litt er auch an «Stockungen des Pfortader-Systems» und an Herzerweiterung; am 27. Februar 1841 starb er (Zum Vorangehenden: Chronik Lesegesellschaft, Bd. I, S. 480–481).
 
Johann Hauser als Bauherr und Liegenschaftsbesitzer
Gemäss Zehntenregister von 1801 (StadtAW, IV.B.62.1, Seite 9, Nr. 81) besass «Johannes Gärwer» in der Gegend «ob der Kronen» ein Haus, ein Magazin, eine Stampfi, einen Garten und Wiesland. Mit dem Garten dürfte ein Grünareal an der heutigen Friedbergstrasse gemeint sein, das Johannes’ Vater erworben hatte (Peter Ziegler: Notizen zum Haus Friedberg, Archiv Peter Ziegler). Auf diesem liess Johannes um 1805 einen schmucken Miniaturpalast bauen, der später Friedberg genannt wurde (Friedbergstrasse 7).
Gemäss einem Jahrzahl-Schlusstein liess er «1807» den Talgarten umbauen; damals entstand wohl der stattliche Nordflügel, vielleicht bekam auch das Vorderhaus ein neues Aussehen. Im abgetieften Keller des Anbaus liess er zwei Gerbebecken von 2,5 bis 3 Metern Durchmesser und 80 Zentimeter Tiefe in den Fels meisseln; sie wurden in den 1930er Jahren anlässlich eines Umbaus entfernt (Ziegler 1961).
1811 oder 1812 erwarb er von den Gebrüdern Jakob und Heinrich Isler ein seewärts des Talgartens stehendes Riegelhaus, das in der Brandassekuranz die Adresse «Ob der Krone No 94» trägt (StadtAW IV.B.59.1, Brandkataster 1809–1824, hier 1812). Es handelt sich um den Vorläufer des 1971 abgebrochenen Hauses Seestrasse 111 (von Peter Ziegler nach einem langjährigen Hausbesitzer als Goldschmied-Hess-Haus bezeichnet). Hauser scheint das Wohnhaus auch für den Gerbebetrieb genutzt zu haben, denn 1832 spricht die Brandassekuranz von «1 Wohnhaus mit Gerbereieinricht[ung]» (StadtAW IV.B.59.10, S. 159, Nr. 94).
Etwa zur gleichen Zeit wie das Haus Ob der Krone 94 – genauer: am 27. Juli 1810 – erwarb Johannes Hauser von Jakob Hauser ein Mattenstück mit einer Scheune am Dorfbach, das oberhalb des Talgartens gelegen war (Ziegler 1961). Die Scheune liess er abbrechen und auf der Matte 1813–1814 das monumentale Gerbe- und Wohnhaus bauen, das unter dem Namen Gerbe bekannt ist (Ob der Krone 93d; Gerbestrasse 6). Bergwärts von diesem liess er 1822 ein Schopf- und Trottengebäude bauen, das später für den Gerbebetrieb genutzt und verschiedentlich um- und ausgebaut wurde (Gerbestrasse 8).
In den 1810er Jahren scheint Johannes Hauser ausserdem diverse Grünareale und Gebäude im Bereich der heutigen Gerbe- und Zugerstrasse erworben zu haben (Ziegler 1961).
Im Rahmen des Zehntenloskaufs, den Johannes Hauser mit gefördert hatte, fertigte Geometer Rudolf Diezinger 1829/1830 den ersten Plan der Gemeinde Wädenswil (Abbildung unten), so dass nun auch die Hauserschen Besitzungen präzise erfasst waren. Angesichts der Karte begreift man, weshalb der Talgarten damals – wie oben erwähnt – als am «Schulweg» liegend bezeichnet wurde. Beim Schulweg handelt es sich um den heutigen Gessnerweg; Schulweg wurde er wohl ab 1820 genannt, da damals unter der Kirche ein neues Dorfschulhaus gebaut wurde. Dieser Weg war bedeutender als die nachmalige Gerbestrasse, führte er doch von Kirche und Schulhaus hinunter zum Gasthof Krone. Man beachte auch, dass sich rechts vom Talgarten – also etwa anstelle der heutigen Häuser Zugerstrasse 1 und 3 – ein ummauerter Garten befindet: Das erklärt, weshalb die nördliche Giebelfassade mit Sorgfalt gestaltet ist; hier befand sich auch jener Balkon, der heute an der seeseitigen Fassade zu finden ist (vgl. Kap. 2.2: Bestandesaufnahme).
Plan der Gemeinde Wädenswil von Geometer Rudolf Diezinger, 1829/30, Blatt mit Dorfkern (nur in Form einer Fotografie erhalten). Ausschnitt mit dem Gebiet der heutigen See-, Friedberg- und Gerbestrasse. Die Liegenschaften von Gerber Johannes Hauser: ① Alte Gerbe, später Talgarten genannt (Gerbestrasse 2). ② Vorläufer des (abgegangenen) Hauses Goldschmied Hess (Seestrasse 111). ③ Haus Friedberg (Friedbergstrasse 7). ④ Gerbe mit rückwärtigem Anbau (Gerbestrasse 6). ⑤ Trotte und Scheune, nachmals Laden der Gerbe (Gerbestrasse 8). Links unterhalb der Nr. 2 der Komplex des Gasthofes Krone: Referenzort für die damaligen Hausadressen («ob der Krone», «hinter der Krone» etc.).
 
Um 1830 liess Hauser das Kleinpalais, das er um 1805 an der nachmaligen Friedbergstrasse hatte erbauen lassen, renovieren (Brandassekuranz, sub 1832). Damals war es wohl auch, dass er dem Haus den Namen Friedberg gab (dieser taucht im unten zitierten Dokument von 1834 erstmals auf).
Am 11. November 1834 verkaufte «Herr Cantonsrath Johannes Hauser zum Friedberg» einen Teil seines Liegenschaftsbesitzes an einen seiner Söhne, Leutnant Robert Hauser (gest. 1840), nämlich: «I. ein Haus mit Gerberey darunter Assecurirt sub No 93.a pr. 7500f samt dem hinten daran liegenden Lohplatz […]; II. ein altes Haus, mit Werkstatt daran nächst unten an obigem; III. Ein Grubenplatz mit Gruben darin, nebst der unteren Wasserschwelle im Bach, vorhalb dem Haus, und dem dortigen lauffenden Brunnen. Alles dies an- und beyeinander, ob der Krone im Dorf Wädensweil liegend, ausser dass die Landstrasse zwischen durch führt»; «IV. Zwei Anteile an dem Brunnen bey der Krone»; «V. Ein Garten bey des Verkäufers Garten liegend»; «VI. die Hälfte an sämtlichen im Krähbach liegenden Grundstüken, bestehend namentlich in einer Lohmühle, Stampfe, Lederhammer & Walche, u. einem Wassersammler» und anderes mehr. Der Kauf soll sogleich «in Besitz genommen werden können, u. dazu gehören das sämtliche in der Gerberey vorhandene Gerbergeschirr» (StAZ, B XI 37.52, Grundprotokolle Wädenswil Bd. 22, S. 519–520).
Beim erstangeführten Haus handelt es sich um den Talgarten. Welches Objekt ist aber mit dem unter Ziffer II erwähnten «alten Haus mit Werkstatt» gemeint? Ziemlich sicher das oben erwähnte, seewärts vom Talgarten stehende Haus Ob der Krone 94. Gemäss einer später eingetragenen Randnotiz wurde es später «abgeschlissen u. dafür ein neu Gerbegebäud erbauen». Tatsächlich wird in der Brandassekuranz unter dem Jahr 1836 nicht mehr – wie 1832 – ein Wohnhaus mit Gerbereieinrichtung vermerkt, sondern «1 Gerbegebäude & Werkstatt», und als «Bauart» nicht mehr ¼ gemauert/ ¼ Riegel, sondern nur noch gemauert (StadtAW IV.B.59.10, S. 159). Wir kommen darauf zurück.
Der verbleibende Haupt-Komplex der Gerberei Hauser ging 1841 nach dem Tod von Johannes an die Gerbereifirma respektive an die Firmenbesitzer Karl und Arnold Hauser (1805–1875) und deren Associé Friedrich Luchsinger (Teilhaber bis 1852). Im Grundprotokoll von 1841 werden folgende Bauten und Anlagen genannt (Numerierung vom Verfasser): (1) ein «grosses Gerbereigebäude», (2) ein «Nebengebäude mit Gerberei», (3) ein «Wasch- und Glättehaus», (4) ein Loh- und Grubenplatz mit 50 Gruben», (5) ein «ob der Gerbe» gelegenes «Gebäude mit Laden, Comptoir, Remise und Bestallung», (6) eine «Lohmühle mit Stampf und Hammer im Krähbach» samt Wassersammler (Zitiert nach Ziegler 1961; dort folgender Nachweis: StAZ, Grundprotokoll Wädenswil, Bd. 301, S. 447). Mit der Nummer (1) ist zweifellos das mächtige Haus Gerbestrasse 6 gemeint, mit der (5) die Nummer 8. Unklar ist, auf was sich die Nummern 2 und 3 beziehen. Auf der Rückseite der Gerbe stand zwar ein Nebengebäude, aber nur eines. Möglicherweise diente es teilweise als Waschhaus-, teilweise als Gerbereiwerkstatt.
Nicht genannt sind in der obigen Auflistung die Ländereien, die zur Firma gehörten. 1842 verkauften die Inhaber der Gerberei verschiedene davon, so Grundstücke jenseits der neuen «Sihlbruggstrasse» (heutige Zugerstrasse) und solche in der Nähe des Hirschenplatzes (Ziegler 1961).
Der Friedberg scheint im Besitz nicht der Firma, sondern der gesamten Erbengemeinschaft geblieben zu sein; anfang 1842 verkaufte diese das Haus an den Bruder und Schwager Julius Hauser (gest. 1853).
 
Wo wohnte Johannes Hauser?
Gerne hätte man nun gewusst, in welchem seiner Häuser Johannes Hauser (1776–1841) wohnte. Wie erwähnt, ging er 1801 eine zweite Ehe ein und wurde 1815 mit 39 Jahren zum zweiten Mal Witwer. Ob er, der inzwischen für eine grosse Kinderschar verantwortlich war, noch ein drittes Mal geheiratet hat, ist abzuklären.
Die Tatsache, dass Hauser um 1805 an der nachmaligen Friedbergstrasse einen Kleinpalast erstellen liess, hat zur Annahme geführt, er sei mit seiner Familie aus dem Talgarten in den Neubau gezogen. Bedenkt man aber, dass der Neubau in der Brandassekuranz zunächst als Nebengebäude bezeichnet wird und dass die Familie Hausers mit den männlichen und weiblichen Bediensteten eine grosse Gemeinschaft formierte, möchte man doch annehmen, dass Hauser und seine Familie zunächst im Talgarten blieben (der ja eben um diese Zeit um einen Nordflügel erweitert wurde) und den nachmaligen Friedberg bloss als gross dimensioniertes Garten- und Gästehaus nutzten.
Als Hauser nach 1810 die Planung eines Neubaus an die Hand nahm, dürfte er diesen nicht nur als neuen Haupt-Betriebsstandort, sondern auch als Wohnhaus für seine Familie konzipiert haben. Die Gerbe war 1814 im Wesentlichen fertiggestellt, aber Hausers Frau Elisabetha kränkelte damals – wahrscheinlich fand der Umzug erst nach ihrem 1815 erfolgten Tod statt. Als der Chronist der Lesegesellschaft 1828 Johannes Hauser als Kandidat für eine Zehntenloskaufskommission und für den Gemeinderat erwähnte, fügte er dem Namen die Bezeichnung «in der Gerbi» bei. Wenn damit nicht die Alte Gerbe (nachmals Talgarten) gemeint ist, ist das ein Hinweis darauf, dass Hauser im Grossbau Gerbestrasse 6 wohnte (Chronik Lesegesellschaft, S. 333).
1833 und 1842 redet der Chronist zwei weitere Male von Johannes Hauser «in der Gärwe» bez. «in der Gerwe», das erste Mal im Zusammenhang mit seiner Wahl zum Grossrat, das zweite Mal in einem Lebensrückblick aus Anlass des 1841 erfolgten Ablebens (Chronik Lesegesellschaft, S. 395 und 480).
Es gibt aber starke Indizien dafür, dass Hauser im letzten Jahrzehnt seines Lebens nicht mehr in der Gerbe, sondern im Haus Friedberg (Friedbergstrasse 7) wohnte. In einem Verkaufsdokument von 1834, auf das wir gleich zurückkommen, ist nämlich von «Cantonsrath Johannes Hauser zum Friedberg» die Rede. Und so nennt ihn 1842 auch der Chronist der Lesegesellschaft in einem Nachtrag zu einer Notiz von 1833, in der es um die Entfernung eines Steinbrockens aus dem nachmaligen Reblaubenweg geht: 1842 sei dieser sei dieser «zum Grabstein von Johannes Hauser zum Friedberg ausgearbeitet» worden und stehe jetzt «auf dessen Grab im hiesigen Friedhof» (Chronik, S. 395).
Schauen wir auf die Vita Hausers, stellen wir fest, dass die Zeit nach 1830 für ihn in verschiedener Hinsicht einen Umbruch bedeutete. Die 1831 geschaffene neue Kantonsverfassung, die der Restauration und der Vorherrschaft der Stadt ein Ende setzte, muss für ihn eine grosse Genugtuung bedeutet haben. 1833 liess er sich zum Grossrat wählen. Zuvor hatte er, der – angeblich wegen einer Schwägerin – St.Galler-Bürger geworden war, sich im Kanton Zürich wieder einbürgern lassen (Chronik Lesegesellschaft, S. 395). Um 1830 veränderten sich aber auch die Familienverhältnisse. Der – wie sein Bruder Carl – in der Gerbe wohnhafte Arnold (1805–1875) heiratete und bekam ab 1831 Kinder. Für Johannes Hauser war es an der Zeit, Verantwortung abzugeben. Dass er das tun wollte, zeigt sich darin, dass er im November 1834 den Talgarten, das Haus Seestrasse 111 und einen Garten an seinen jüngeren Sohn Robert verkaufte. Es ist eben dieses Dokument, in dem Hauser die Bezeichnung «zum Friedberg» trägt – eine Bezeichnung, die zugleich das erste Zeugnis für den Hausnamen Friedberg ist (StAZ, B XI 37.52, Grundprotokolle Wädenswil Bd. 22, S. 519–520).
Vergegenwärtigen wir uns, dass die Brandassekuranz 1832 das Haus, das heute die Adresse Friedbergstrasse 7 trägt, als «neu renovirt» bezeichnet und als Wohnhaus (statt als Nebenhaus) qualifiziert, bietet sich folgende These an: Beschwingt von der politischen Neuordnung und von der Ankunft von Enkeln, baute Hauser das Haus an der Friedbergstrasse zu einem «Stöckli» um und zog in dieses um. So hatten die Söhne Carl und Arnold in der Gerbe mehr Platz für Ihre Familien, und der Vater hatte einen Wohnsitz, der seinem neuen Status als Kantonsrat gerecht wurde. Indem er das Haus – vielleicht im Sinn einer Hommage an den St. Galler Politiker Karl von Müller-Friedberg (1755–1836) – «Friedberg» taufte, konnte der nunmehrige Kantonspolitiker sich als «Johannes Hauser zum Friedberg» präsentieren.

Ein interessantes Stuckemblem
In einer Decke im 2. Obergeschoss des Talgartens – angeblich im Nordtrakt –befand sich ein Gipsrelief mit einem Emblem, das Emanuel Hunziker – vermutlich um 1965 – abnehmen liess und zu Hause aufbewahrte. Ende 1976/Anfang 1977 stiftete er es nach Männedorf für ein zukünftiges Schiffahrts- und Ortsmuseum (Recherchen über den Verbleib sind im Gang).
Das «Rückgrat» des Emblems bildet ein Anker, auf dem ein geflügelter Hut sitzt. Der langgezogene Schaft wird von zwei Stäben gekreuzt, von denen der eine in einer ovalen Scheibe endet, der andere in einem Dreieck, in das ein Auge eingeschrieben ist. Quer über dem Kreuzpunkt der Stäbe liegt ein Paket, das von einem Blatt-Blumen-Kranz umgeben ist, und rechts erscheint ein rechteckiges Gebilde, bestehend aus einem Rahmen und einer etwas dunkleren Füllung.
Stilistisch gehört das Ornament – soweit sich das nach der Fotografie beurteilen lässt – ins 19. Jahrhundert, eher in die erste als in die zweite Hälfte. Es dürfte von Johannes Hauser, seinem Sohn Robert oder der Familie Isler in Auftrag gegeben worden sein. Es handelt sich insofern um ein bedeutendes Dokument, als hier der Besitzer eines wichtigen Wädenswiler Bürgerhauses in allegorischer Form seine Ideale kundtat.
Stuckemblem aus dem Talgarten mit Symbolen des Handels und verschiedener Tugenden, ehemals an der Decke eines kleinen Salls im 2. Obergschoss des Vorderhauses. Wohl 1. Hälfte 19. Jh.; um 1930 abgelöst, im Moment verschollen. Foto Kantonale Denkmalpflege Zürich Nr. 4894/11).
 
Einen entsprechenden Willen traut man am Ehesten Johannes Hauser-Stephan zu.
Im Kurzinventar, das die kantonalzürcherische Denkmalpfege in den 1970er Jahren angelegt hat, ist über den Talgarten Folgendes vermerkt: «2. Stock: Zunftstube der Fischerzunft mit Gips-Blattornament als Umrandung. Inneres Rundornament mit Emblemen von Hr. Hunziker (ehem. Besitzer) abgelöst und aufbewahrt». Den Hinweis auf das Emblem hatte der Inventarisator aus dem Inventar, das der Lehrer Oskar Schaub 1950 im Auftrag der Zürcherischen Vereinigung für Heimatschutz erstellt hatte; dort heisst es: «Im Nordtrakt Stukkaturen im ehemaligen ,Schiffer-Zunft´-Säli mit Emblemen der Schiffer, wie Anker, Schifferhut, Stachel.» (Objekt Nr. 27).
Wenn der Talgarten ein Schifferzunft-Säli enthalten hätte, wäre das eine Sensation. Was hat ein Gerberhaus mit dem Fischer- respektive Schiffergewerbe zu tun? Und warum soll es in Wädenswil einen Zunftsaal gegeben haben? In der Mediation hiessen die ländlichen Wahlkreise zwar Zünfte (in Analogie zu den traditionellen Stadtzürcher Zünften), aber eine Zunft zu Schiffleuten gab es nur in Zürich. Die Zürcher Zunft Zur Schiffleuten hatte 1798 ihr Zunfthaus verkauft und musste, als sie wieder aktiv wurde, in verschiedenen Lokalen tagen. Dass sie das in Wädenswil im Talgarten tat, ist unwahrscheinlich. Als Stadtzürcher Institution war sie konservativ gesinnt; das zeigt sich darin, dass sie 1803 den «Alt Comissair und Untervogt Hauser auf dem Rötiboden», einen Anhänger der alten Ordnung, als Grossrat vorschlug. Auch der fortschrittlich gesinnte Gerber Johannes Hauser, Besitzer des Talgartens, wurde damals als Grossrat portiert, aber von einer Land-Wahlkreis-Zunft, der Zunft Embrach (Chronik Lesegesellschaft, S. 70). Vielleicht hat Schoch die entsprechende Notiz in der Chronik der Lesegesellschaft falsch interpretiert.
Möglicherweise führte aber auch eine unvorsichtige Deutung des Emblems zur These, dass sich im Talgarten ein Fischer- oder Schifferzunft-Säli befunden habe. Der Anker dürfte hier nicht – wie von Schoch angenommen – als Berufsattribut, sondern als abstraktes Symbol gemeint sein, sei es für Glaube, Treue und Hoffnung und/oder für Sicherheit und Schutz. Beim Hut, der auf dem Anker sitzt, handelt es sich – wie die Flügel deutlich machen – um einen Merkurhut, also um ein Symbol des Handels. Zu diesem Themenkreis würde auch das geschnürte Paket passen. Das Auge im Dreieck stammt aus der christlichen Symbolik, wo es für das allsehende Auge Gottes steht; im vorliegenden Fall dürfte es – wie bei den Freimaurern – Durchblick und Voraussicht bedeuten. Beim Oval links dürfte es sich um einen von einer Schlange umwundenen Spiegel handeln; trifft das zu, haben wir ein Symbol für Klugheit vor uns. Was wir allerdings nicht erklären können ist der Umstand, dass der lange Spiegelschaft in einem schrägen Griff endet, an dem ein Seil befestigt ist.
Im Emblem sind also eine Anzahl Tugenden und Qualitäten vereint, die einem aufgeklärten Politiker und Grosskaufmann wie Johannes Hauser sicher wichtig waren. Denkbar ist, dass das Emblem nicht für Hauser allein, sondern für einen Verein bestimmt war, dem er angehörte und dem er einen Raum zur Verfügung stellte.

4.2 Das Haus im Besitz der Familie Isler: Die Umgebung des Talgarten verändert sich

Nach dem Tod Robert Hausers verkauften seine Erben den Talgarten und das seeseitige anschliessende, nicht mehr bestehende Haus «Ob der Krone 94» (Brandassekuranz) an verschiedene Käufer – das letztere an den Goldschmied J.J. Brupbacher, das erste an Johannes Isler. In der Brandassekuranz figurieren die beiden 1842 als jeweilige neue Besitzer.
Das seeseitige Nachbarhaus des Talgartens, erbaut um 1842, abgebrochen 1971 (ehemals Seestrasse 111). Der Vorgängerbau war 1812 bis 1840/42 im Besitz der Gerberfamilie Hauser. Fotografie um 1900–1920, Archiv Peter Ziegler.

Der Wertsteigerung 1843 nach zu urteilen hat Brupbacher nach dem Kauf das sogenannte Goldschmied-Hess-Haus erstellt, das 1971 abgebrochen wurde: einen hübschen Bau mit klassizistischen Motiven. Möglicherweise handelt es sich dabei nicht um einen Neu-, sondern um einen Umbau, denn wie wir oben gesehen haben, hat bereits Robert Hauser an der Liegenschaft herumoperiert – vielleicht war schon er es, der den Altbau «abgeschlissen» hat.
Wie auch immer die Baugeschichte des Goldschmied-Hess-Hauses im Detail aussieht: jedenfalls war es, anders als der Vorgängerbau, von der Gerbestrasse zurückversetzt und hatte einen Vorgarten, so dass die seeseitige Front des Talgartens teilweise sichtbar blieb.
Möglicherweise waren für diese Freistellung Robert Hauser oder seine Erben verantwortlich. In einem den Talgarten betreffenden Kaufbrief von 1906 ist nämlich festgehalten, dass der damalige Besitzer des «Wohnhauses No 368», Jakob Hess, gegenüber dem Eigentümer des Talgartens «ein unbedingtes Baurecht» habe, «mit der einzigen Beschränkung, dass das untere Fensterlicht gegen der Krone nicht soll verbauen werden dürfen» (Kaufbrief im Besitz von Walter Hunziker).

Umbauten Haupt- und Hinterhaus
Was den neuen Besitzer des Talgartens – Johannes Isler – und seine Familie betrifft, so sind ihre Biografien noch nicht erforscht. Wie schon oben erwähnt, muss Isler am Talgarten Umbauten vorgenommen haben, denn sein Versicherungswert ist 1843 grösser als 1842, und von geriegelten Bauteilen (1842: 1/8) ist jetzt nicht mehr die Rede.
Johannes Isler scheint im Textilgewerbe tätig gewesen zu sein, denn 1847 liess er im Garten hinter dem Nordflügel ein Webereigebäude (Zugerstrasse 3) erstellen (Gebäudeinventar 1981, Nr. 300). Eine Erhöhung der Versicherungssumme im Jahre 1855 weist darauf hin, dass er damals oder kurz zuvor am Talgarten erneut Umbauten vorgenommen hat; nun ist in der Assekuranz auch eine Tuchpresse erwähnt.
1874 verzeichnet die Brandassekuranz einen Emil Isler als Besitzer; er muss – wie der steigende Versicherungswert (1876) suggeriert – Umbauten vorgenommen zu haben. Zu diesen Umbauten gehörte die Umnutzung des Webereigebäudes (heutige Zugerstrasse 3) zu einem Wohnhaus.
 
Die Umgebung verändert sich
1880 fertigte der Architekt Karl Schweizer einen Plan der Liegenschaft Gerbestrasse 6 an, auf welchem am rechten Rand der Islerschen Besitz sichtbar ist. Der Talgarten ist als «Wohnhaus Emil Jsler», das Gebäude Zugerstrasse 3 als «Hinterhäuslein Emil Jsler», das Areal zwischen Talgarten und Gerbe als «Gerbeplaz» bezeichnet. Eine Mauer trennt diesen «Platz» von einem Gärtchen, das sich zwischen dem «Hinterhäuslein» und der Zugerstrasse befindet – ein Rest jenes grösseren, ummauerten Gartens, den wir im Diezingerplan von 1829/30 erkennen können.
«Situations-Plan der Gerbe in Wädenswil», mit Stempel von «Architect Karl Schweizer», Ausschnitt. Gefertigt um 1880 (nach 1876 = Beginn Tätigkeit Schweizer in Wädenswil, vor 1884 = Bau Gerbestrasse 4). Original aufgehängt im Eingangsbereich der Gerbe (Gerbestrasse 6). Gelbe gefärbte Fläche: «Gerbeplaz». Dunkelgrau gefärbte Häuser rechts: «Wohnhaus» und «Hinterhäuslein» Emil Isler.
 
Kurz nach der Entstehung des Plans muss Isler den im Dokument gelb gefärbten «Gerbeplaz» und das Gärtchen an der Zugerstrasse an den Schuhmacher J[eremias] Gredig verkauft haben: 1884 liess dieser von Architekt Karl Schweizer bergwärts vom Talgarten ein Wohnhaus erbauen, das den Altbau überragte (Gerbestrasse 4; StadtAW 251/1884), 1887-1888 auf dem Gartengelände ein «kleines Wohnhäuschen» mit dem Namen Venezia (Zugerstrasse 1; StadtAW 291/1887: unsignierter Plan, Schrift von Karl Schweizer) und 1893 auf dem hinteren Teil des «Gerbeplatzes» – wiederum nach Plänen Schweizers – ein weiteres Wohnhaus (Zugerstrasse 5; vgl. StadtAW, 434/1993).
Zwischen 1884 und 1893 realisierte Bauten, die den Talgarten westlich und nördlich umfassen. Fotos aus Gebäudeinventar Nrn. 302 und 300, 1981. – Links: Wohn- und Geschäftshaus Gerbestrasse 4, erb. 1884 nach Plänen von Karl Schweizer. – Rechts: Die Häuser Zugerstrasse 3, 1 und 5 (von links nach rechts). Nr. 3: Hinterhaus des Talgartens, 1847 erbaut als Kleinfabrik, später zu Wohnhaus umgenutzt, spätestens 1887 im Besitz eines «Tailleur Jenter» (Plan StadtAW 299/1887); Nr. 1: Geschäfts- und Wohnhaus Venezia, erb. 1887–1888, wohl von Karl Schweizer; Nr. 5: Geschäfts- und Wohnhaus, erbaut 1893 nach Plänen von Karl Schweizer.

Mit diesen Bauten war der Talgarten west- und nordwärts «zugebaut». Dafür kam es auf der Vorderseite zu Aufwertungen. In dem zum Haus gehörigen, jenseits der Gasse liegenden Garten stellte der Ornithologische Verein 1894 eine Volière auf (Peter Ziegler: Das einstige Wädenswil im Bild, Wädenswil 1992, S. 162). Und 1902/03 bis 1905 wurde der (ziemlich sicher) übel riechende Gerbebach eingedolt. So verwandelte sich ein Weg in ein Strässchen. Damals oder schon in den 1890er Jahren wurde das unterste, vor dem Talgarten verlaufende Stück des Schulwegs (Gessnerweg) der Gerbestrasse zugeschlagen, so dass das Haus jetzt adressmässig zu ihr gehörte.

«Gerbegasse mit der Volière». Postkarte (Ausschnitt), um 1905. Rechts das Haus Talgarten, kurz vor dem Einbau von Läden im Erdgeschoss. Im Vordergrund die 1894 vom Ornithologischen Verein aufgestellte Volière, die 1912 einer Trafostation weichen musste. Archiv Peter Ziegler. Die Fotografie ist auch in der Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee zu finden.
Der untere Teil der Gerbestrasse. Links der zum Talgarten gehörige Garten mit der 1894 aufgestellten Volière, in der Mitte das Haus Talegg, rechts der Talgarten, mit kürzlich eingebauten Läden. Aufnahme von Emil Listenow, um 1910. Archiv Peter Ziegler.

Der Talgarten von der Friedbergstrasse aus. Links der Seidenhof, an dessen Stelle sich seit 1975 der Vorplatz des Credit-Suisse-Gebäudes befindet. In der Mitte der baumbestandene Garten des Talgartens, dahinter das Haus selber. Seit 1906 ist es im Besitz von Emil Hunziker-Lang. Fotografie um 1910, im Besitz von Walter Hunziker.

4.3 Der Talgarten im Besitz der Familie Hunziker

Von der Familie Isler ist in der Brandassekuranz 1842 ein Johannes, 1874 ein Emil und 1887 wieder ein Johannes als Eigentümer verzeichnet; vermutlich handelt es sich um drei Generationen. Beim Letztgenannten ist als Wohnort «Hoboken bei New York» angegeben. Nach knapp zwei Jahrzehnten wollte der USA-Emigrant – ein Kaufmann – sein fernes Eigentum offenbar loshaben, denn am 10. November 1906 verkaufte er den Talgarten samt Umschwung (wozu der vor dem Haus und jenseite der Gerbestrasse liegende Garten gehörte) an den Hutmacher Emil Hunziker (1871–1950) (vgl. Kaufbrief 1906, im Besitz von Walter Hunziker, Wädenswil).


«Kaufbrief per Frk. 48,500.- für Emil Hunziker in Wädenswil. dat. den 10. November 1906. Grundprotokoll Wädenswil Bd. 30 pag. 575»; Besiegelung durch das Bezirksgericht Horgen am 3. Juli 1907 (Besitz Walter Hunziker, Wädenswil). Aus der Unzahl von Rechten und Pflichten sei hier nur die Nummer 8 zitiert: «Das Vordach am Guggenhur auf dem Wohnhaus No 306 der Frau Wwe. Lina Vonwiller geb. Gautschi soll soweit abgenommen werden und bleiben, dass die Ansicht der Kirchenuhr von Käufers obigem Wohnhaus aus auf jenem Punkt vollkommen offen ist». Die Rede ist vom Dachhaus des Hauses Gerbestrasse 3; ob eine Reduktion von dessen Umfang oder eine Ausbau-Verhinderung gemeint ist, ist unklar.
Biographisches zur Familie Hunziker
Auskünfte von Walter Hunziker (geb. 1947) erlauben es, Einiges über seinen Grossvater Emil und seinen Vater Emanuel zu berichten. Emil wurde in Lörrach (Baden-Württemberg) geboren und war Bürger von Oberkulm AG. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit kam er 1891 nach Wädenswil. 1894 heiratete er Maria Amalia Lang (1870–1951), eine Lehrerstochter aus Oftringen AG. Beide engagierten sich in der Wädenswiler Freikirche, deren Lokal in etwa an der Stelle der Turnhalle an der Kirchgasse stand. Sie hatten elf Kinder, von denen aber Einige früh starben.
Die Familie Hunziker, aufgenommen um 1925. Fotografie Privatbesitz Walter Hunziker). In der Mitte das Elternpaar Amalie und Emil. Links hinter der Mutter (Marie) Gertrud (Trudi) (geb. 1901), zwischen Mutter und Vater, in Diakonissengewand, Martha (geb. 1895), rechts aussen Emanuel (geb. 1911). Bei den drei anderen Söhnen handelt es sich um um Karl, Willy und Max.
 
Nachdem Emil Hunziker eine Hutmacherlehre in der Firma Von Arx in Zofingen absolviert hatte, nahm er 1891 eine Stelle bei der Hutfabrik Hochstrasser in Wädenswil an. Dieser Betrieb war 1848 von Heinrich Hochstrasser Senior im neu erworbenen Haus Zum Platz (Schönenbergstrasse 6) gegründet worden; sein gleichnamiger Sohn, der den Betrieb 1869 übernommen hatte, baute die Fabrik stark aus (Peter Ziegler: Restauration des Hauses ‘Am Platz’, in: JSW 1978, S. 24–26). 1903 wechselte Hunziker zur Hutfabrik Felber, wo er 35 Jahre blieb. Diesen Betrieb hatte Karl Felber, der zuvor bei Hochstrasser als Reisender gearbeitet hatte, 1870 gegründet. Als Hunziker Angestellter wurde, befand sich die Felbersche Fabrik in der Gerbe (Gebestrasse 6); dort war sie 1889 eingerichtet worden, dort blieb sie bis zum Umzug in einen 1911 erstellten Neubau an der Oberdorfstrasse 16 (Peter Ziegler: Haus Oberdorfstrasse 16 im Wandel der Zeit, in: Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 12.6.1986, online in Infothek BKW).
Hunziker arbeitete aber nicht nur als Angestellter, sondern auch privat im Huthandel. Als er 1894 Amalia Lang heiratete, eröffneten die beiden ein Hutgeschäft, das die Ehefrau führte. Es befand sich zuerst gegenüber der Sonne, dann in der alten Krone. 1906 erwarb das Paar den Talgarten, in dem es bereits wohnhaft war. Im Erdgeschoss liessen die beiden zwei Läden einbauen; in dem von der Gerbestrasse aus gesehen rechten Lokal richteten sie ein Hut-, Pelz- und Schirmgeschäft ein, das andere vermieteten sie an einen Herrn Stamm, der dort eine Geschirrhandlung betrieb.
Flugaufnahme von Wädenswil, um 1920, wohl von Walter Mittelholzer (Ad Astra Aero AG). Alter Abzug in der Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee. Auschnitt mit dem Talgarten in der Mitte. Der Umschwung des Hauses (oben und rechts von ihm) ist ganz mit Wohn- und Geschäfstbauten aus dem späten 19. Jahrhundert überstellt. Ganz rechts der Gasthof Krone mit seinem breiten Giebel; er wird 1931 dem Kronenblock weichen. Darüber das Goldschmied-Hess-Haus, dessen Vorläufer von 1812 bis 1842 der Gerberfamilie Hauser gehörte: es wird 1971 abgebrochen werden. «Unter» dem Talgarten das Haus Scharfeck, links von ihm der Seidenhof, erbaut 1857 im einstigen Garten des Friedbergs (links aussen): der erste Bau wird 1960, der zweite ca. 1975 abgebrochen werden.
 
Im bergseitigen Erdgeschoss-Lokal eröffnete die Molkereigenossenschaft Wädenswil 1928 eine Filiale, die bis zu ihrer Schliessung 1970 von Gertrud Hunziker (geb. 1901), einer Tocher des Ehepaars Hunziker-Lang, geführt wurde (Peter Ziegler: Hundert Jahre Molkereigenossenschaft Wädenswil, in: JSW 2008, S. 69–93, hier S. 76).
1932 verkauften Emil und Amalia Hunziker-Lang, die 1929 das Bürgerrecht von Wädenswil erlangt hatten, ihr Hutgeschäft an Herrn Schärer-Steiger, der bis Anfang 1950er Jahre im Talgarten blieb. Dann übernahm Emanuel Hunziker (1911–1986) das Lokal und betrieb darin ein «Vorhangstübli». Schon in den 1930er Jahren hatte er im Erdgeschoss des Nordflügels seine Inneneinrichtungs-Werkstatt eingerichtet; seit 1936 besass er das Meisterdiplom als Tapezierer-Dekorateur.
Nach dem Tod von Emil Hunziker (28. September 1950) übernahm Emanuel den Talgarten in Alleinbesitz. Die Schwestern Martha und Trudi hatten gemäss Testament von Emil Hunziker lebenslanges Wohnrecht; sie bewohnten das erste Obergeschoss. Trudi führte, wie erwähnt, die ab 1928 im Haus befindliche Filiale der Molkerei-Genossenschaft Wädenswil, Martha war als Diakonisse für die China-Inlandmission tätig.
Emanuel, seit 1945 mit Meta Helene geborene Meier von Schleitheim SH verheiratet, bezog Anfang 1950er Jahre mit seiner Familie das zweite Obergeschoss. Er war begeisterter Amateurfilmer und interessierte sich für Eisenbahnwesen und Fertigbau.
1961 schloss er mit Marthe Bär-Waldmeier einen Vorvertrag über den Kauf des Talgartens; 1965 wurde dieser vollzogen. Damals war er bereits aus der Wohnung ausgezogen, weil sie ihm zu lärmig war; nach zweimaligem Wohnungswechsel bezog er 1967 mit seiner Familie das Haus Schönenbergstrasse 99, das er sich 1966 in Elementbauweise hatte bauen lassen. Sein Geschäft führte Emanuel im Talgarten bis ca. 1970 «auf Sparflamme» weiter; die Firmeninschrift «E. Hunziker Innenausbau» verblieb noch bis zur Renovation der 1980er Jahre an der Fassade.
 
Umbauten von Emil Hunziker
Die Familie Hunziker hat am Talgarten zahlreiche kleinere Um- und Ausbauten vorgenommen. Worin genau diese bestanden, kann nur in Einzelfällen rekonstruiert werden.
Sicher ist, dass das Ehepaar Hunziker nach dem 1906 erfolgten Kauf der Liegenschaft im Erdgeschoss des Vorderhauses Läden einbauen liess; die Brandassekuranz erwähnt diese erstmals 1909, nachdem 1907 von einer elektrischen Beleuchtung die Rede war (StadtAW, IV. B. 59. 10, Nr. 303).
Eine um 1905 entstandene Fotografie zeigt, dass im Erdgeschoss schon vorher ein Laden bestand: die «Käse- und Butterhandlung Schenk-Häuptli». Nach dem Ausbau des Ladens befand sich hier eine Geschirrhandlung Stamm (Information Walter Hunziker).
Für 1913 und 1921 verzeichnet die Brandassekuranz markante Wertvermehrungen: das Resultat von unbekannten Innenausbauten. Gewissheit haben wir dagegen – dank einem Baueingabeplan – von einer baulichen Massnahme, die Emil Hunziker 1925 durchführen liess: Er liess einen «am Hinterhaus gelegenen Balkon ans Vorderhaus gegen die Seestrasse zu verlegen».
Es handelt sich um einen hübschen Eisenbalkon mit Girlandendekor. Familieneigenen Akten hat Walter Hunziker entnehmen können, dass er sich auf der Giebelseite des Nordtrakts befunden hat; vor dieser hatte sich einst ein ummauerter Garten befunden (vgl. oben, Abbildung Diezingerplan von 1829/30).
Baueingabepläne des damaligen Talgarten-Besitzers Emil Hunziker für kleinere Umbauten. Links: Verlegung eines «am Hinterhaus gelegenen Balkons [ans] Vorderhaus gegen die Seestrasse» (StadtAW, 103/1925). – Rechts: Lukarnenausbau «zwecks Küchen-Erweiterung» auf der hofseitigen Dachfläche des Vorderhauses (StadtAW, 582/1935).
Grosse Abbildung rechts: Der Talgarten mit dem Ladeneinbauten von 1907/1908 und dem 1925 vom Hinterhaus an die seeseitige Front versetzten barockklassizistischen Balkon. Auf dem Balkon posiert die Familie Emil Hunziker (nur auf dem Originalabzug erkennbar). – Für den Zugang musste ein Fenster zu einer Balkontür vergrössert werden. Dafür wurde ein darunter im Erdgeschoss befindliches Fenster zugemauert (vgl. die Abbildung links unten: Ausschnitt aus einer kurz vor 1925 entstandenen Aufnahme. Beim Jungen dürfte es sich um Emils jüngsten Sohn Emanuel handeln). – Wir vermuten, dass Emil Hunziker 1925 nicht bloss den Balkon versetzte, sondern das Haus neu verputzen liess – die Aufnahme links oben, auf dem das Haus eingerüstet und der Riegel freigelegt ist, würde demnach von 1925 stammen. Alle Fotografien im Besitz von Walter Hunziker.
 
Wir vermuten, dass dieser Balkon-Transfer Teil einer grösseren Renovation war, dass nämlich Emil Hunziker damals das ganze Haus neu verputzen liess, wofür der alten Putz entfernt werden musste und so für kurze Zeit der Riegel zum Vorschein kam.
Von der Hunziker-Zeit ist im Baueingabeplan-Archiv nur noch ein weiterer Plan vorhanden. Er stammt von 1935; es geht um die Erweiterung einer Lukarne an der rückseitigen Dachfläche des Haupthauses »zwecks Küchen-Erweiterung». Tatsächlich befanden sich in der unteren Ebene des Daches zwei Wohnungen; im Firstraum waren Estrich-Abteile untergebracht.
Emil Hunziker-Lang und seine Frau müssen aber in den 1930er Jahren noch andere, bedeutendere Umbauten durchgeführt haben: beträgt der Assekuranzwert 1930 92'000.- Fr., so 1939 107'000.- Fr. An der Steigerung mag Einiges aufs Konto der Inflation gehen, aber nicht Alles: beim Jahr 1939 steht der Vermerk «Bauten vollendet». Den Anstoss zu der Bautätigkeit mag der Rückzug des Ehepaars aus dem Hutgeschäft im Jahr 1932 gegeben haben. Auf eben dieses Jahr datiert Ziegler (wohl basierend auf Auskünften von Emil Hunziker) einen Umbau, bei dem zwei in der Fels gehauene Gerbebecken entfernt worden seien (Ziegler 1961). Es geht hier um das Erdgeschoss des Nordflügels; vielleicht war es damals, dass hier eine Tapezierer- und Dekorateurs-Werkstatt für Emils Sohn Emanuel eingerichtet wurde. Ein Sohn Emil Hunzikers sagt in Aufzeichnungen, 1938 seien eine «Renovation des Hauses» und ein «Umbau der Front» durchgeführt worden (Information Walter Hunziker).
Der «Umbau der Front» dürfte in der Ausstattung der gerbestrasse-seitigen Fenster mit Rollläden bestanden haben. Die Vorfenster und die Klappläden wurden entfernt, da sie nicht mehr benötigt wurden. Möglicherweise strebte Emanuel, der den Vater zu dieser Veränderung angeregt haben mag, einen moderneren Fassaden-Auftritt an.
Der Talgarten nach der Modernisierung von 1938: Auf der Front zur Gerbestrasse sind die Klappläden durch Rolläden ersetzt. An der seeseitigen Giebelfront sind die gemalten Fenster, die auf älteren Fotos sichtbar sind, übermalt, dafür prangt hier jetzt der Firmenname «E. Hunziker Innenausbau». Darüber ein wohl aus einem Festanlass aufgehängtes Wädenswiler Wappen mit Girlanden; Girlanden auch auf der Hauptfront. Unter dem Balkon ist eine Vitrine installiert. Fotografie um 1950. – Kleines Bild rechts: Ausschnitt aus einer nach der Renovation von 1938 entstandenen Aufnahme: Emil Hunziker vor der neu installierten Vitrine, auf dem Balkon seine Gattin und zwei weitere Frauen. Beide Fotografien im Besitz von Walter Hunziker.
Emanuel Hunziker und der Talgarten
1950 starb Emil Hunziker; den Talgarten erhielt, wie erwähnt, sein jüngster Sohn Emanuel (1911–1986). Während die Witwe und die Töchter Martha und Gertrud im ersten Obergeschoss blieben, bezog Emanuel mit seiner Familie das zweite Obergeschoss. Wohl im Hinblick darauf organisierte er 1952 die Liegenschaft um. Er installierte eine mit Briquets betriebene Zentralheizung, die jeden Tag gefüttert werden musste (1956 wurde sie auf den 3. Stock ausgedehnt und wohl damals auf Öl umgestellt). Der Heizkessel wurde im bergseitigen Teil des Vorderhauses bei der Waschküche eingebaut, wo ein Zugang vom Hof her bestand. Im seeseitigen Teil des Vorderhaus-Erdgeschosses – dort, wo die Grosseltern einst ihr Hutgeschäft betrieben hatten – richtete er ein «Vorhangstübli» und eine Näherei ein. Im Nordfügel befanden sich nebst Kellerräumen die Werkstätte und Maschinen zum Befüllen von Duvets und zur Bearbeitung von Rosshaar.
Das erste Obergeschoss des Nordflügels baute Hunziker zu einer Praxis für den Kinderarzt Ernst Howald um; es wurden ein Labor und ein WC installiert, das letztere in der Flucht des mittigen Erschliessungs-Korridors. Im zweiten Obergeschoss schlug der neue Hauseigentümer den schmalen Treppenhaus-Abort zur Frontwohnung; später nutzte die Familie Hunziker auch noch ein Zimmer der Nordflügel-Wohnung.
Links: Skizze von Emanuel Hunziker für die 1952 durchgeführte Neuorganisation des Erdgeschosses. – Rechts: Heizkosten-Verteilungs-Tabelle vom 16. Juni 1964. Beide Dokumente im Besitz von Walter Hunziker.
 
Eine «Verteilung der [Heizungs-]Gesamtkosten unter die Rauminhaber» vom 16. Juni 1964 zeigt, wer damals im Talgarten wohnte respektive arbeitete und wie gross die entsprechenden Räume waren (Dokument im Besitz von Walter Hunziker).

4.4 Der Talgarten im Besitz von Marthe Bär-Waldmeier

In den 1960er und 1970er Jahren veränderte sich die Umgebung des Talgartens massiv: 1960–1962 wurde die Bahnhofunterführung bis zum Beginn der Gerbestrasse verlängert; die Rampe kam vor den Talgarten zu liegen. Jenseits von dieser dehnte sich jetzt ein Leerraum aus, denn für die Unterführung war nicht nur das Haus Ammann am Bahnhofplatz, sondern auch das Haus Scharfeck (neben dem Haus Zum Zyt) abgebrochen worden. 1975 wurde dieser Freiraum nochmals erweitert: Als die Schweizerischen Kreditanstalt (nachmals Credit Suisse) anstelle eines Altbaus am Gessnerweg einen Neubau erstellte, liess sie anstelle des 1857 erbauten Hauses Seidenhof, das die Bank zuvor beherbergt hatte, einen Vorplatz anlegen. Dieser entspricht in etwa dem Garten, der um 1800 zum Talgarten gehört hatte.
Auch zur Seestrasse hin lag der Talgarten inzwischen frei: im Zug einer Sanierung der Zugerstrassen-Einmündung in die Seestrasse war 1971 das sogenannte Goldschmied-Hess-Haus abgebrochen worden. Eben damals wurden Pläne entwickelt, anstelle des Talgartens und der Nachbarbauten eine hochhausartige Zentrumsüberbauung zu realisieren. Das Projekt scheiterte, prioritär wegen Erschliessungsproblemen. In den 1980er Jahren wurde der Talgarten dann renoviert und unter Schutz gestellt.
 
Projekt für eine Zentrumsbebauung anstelle des Talgartens
1964 verkauften Marthe Bär-Waldmeier (1912–1990) und ihre Söhne das familieneigene Haus Seehof (Seestrasse 94) an den Kanton Zürich, der es für die geplante Verbreiterung der Seestrasse haben wollte (Information von Serge Bär). Als Ersatz erwarben sie 1965 den Talgarten (Gerbestrasse 2) und das benachbarte kleine Haus Zugerstrasse 3. Dies in der Absicht, ein grosses Geschäfts- und Wohnhaus zu realisieren und das Sportgeschäft Bär vom Seehof dahin zu verlegen. Die Hauptinitiantin war Marthe Bär; sie gewann Investoren und gründete mit diesen eine «Baugesellschaft Zentrum Wädenswil». Für die Architektur wurde das Planungs- und Architekturbüro Werner Appenzeller (geb. ca. 1939) und Louis Demmler (geb. 1939) beigezogen (StadtAW, Baueingabepläne, 816/1971: aus diesem Dossier stammen die unten erwähnten Pläne und Schriftsachen).
 
Planungsverlauf
1966 oder 1967 sprach Frau Bär das erste Mal mit den zuständigen Behördenvertretern, den Herren Maurer, Walser und Furrer (Protokoll eines Telefonats von Frau Bär mit Bausekretär H. Bär vom 13.8.1874); 1970 wurden Briefe betreffend einen Vorentscheid gewechselt. Am 26. November 1971 gingen beim Bauamt Baueingabepläne von Appenzeller + Demmler ein.
Baugesuchspläne von W. Appenzeller + L. Demmler Architekten für Baugesellschaft Zentrum Wädenswil, signiert von W. Appenzeller, datiert «November 1971». Eingang 26.11.1971 (StadtAW 816/1971). Oben links: Situationsplan der geplanten Talgarten-Bebauung. – Oben rechts: Grundriss Erdgeschoss, mit Sportgeschäft Bär, Reisebüro, Schuhbar, Bank und Cafeteria. Grau die Häuser Gerbestrasse 4 und Zugerstrasse 5. – Unten: «Suedostansicht», gezeichnet von «Scheuber», datiert 22.11.1971. Im Vordergrund die Unterführung.
 
Die Eigentümer des Hauses Zugerstrasse 5, die Schuhfabrik Hug & Co AG in Dulliken, erhob Einsprache wegen Verletzung der Bauordnung, Schuhmacher Emil Bürgin, Eigentümer des Hauses Zugerstrasse 3 opponierte, weil er sich von den Planern überfahren fühlte. Im März konnten die Architekten dem Bauamt melden, dass sich eine Übereinkunft mit den Anstössern abzeichne (Brief vom 26.3.1979), und im Oktober 1973 lag ein überarbeitetes Projekt vor, bei dem die Liegenschaften Gerbestrasse 4 und Zugerstrasse 5 in den Neubau einbezogen waren.
Baueingabepläne von W. Appenzeller + L. Demmler Architekten für Baugesellschaft Zentrum Wädenswil (StadtAW 816/1971). Überarbeitete Pläne. Ansicht von der Ecke Engel-Seestrasse. Datiert und signiert: 17.10.1973, W.G. Die Überbaung – nun «Zentrum» genannt – umfasst jetzt zusätzlich die Liegenschaften Gerbestrasse 4 und Zugerstrasse 5, respektive ein Modegeschäft Hess und ein Schuhgeschäft Hug.
 
Am 13. August 1974 telefonierte Frau Bär mit dem Bauamtssekretär H. Bär und beschwerte sich bitter darüber, dass die Behörden sie in den späten 1960er Jahren nicht über die Schwierigkeiten informiert hätten, die einem Grossprojekt an dieser Lage erwachsen würden, und dass sie sich bis jetzt nicht zum überarbeiteten Projekt Appenzeller geäussert hätten (Protokoll, wie oben).
Im November 1974 beschäftigte sich die kommunale Natur- und Heimatschutzkommission mit dem Projekt, da es den Abbruch des Talgartens bedingte. Am 27.2.1975 protestierte dieselbe Kommission gegen «Verunstaltungen» des Talgartens: die Erdgeschoss-Fensterumrahmungen waren «poppig»-orange und das Gitter des Balkons weiss gestrichen worden (alle zitierten Dokumente StadtAW 816/1971).
Ahnend, dass das Grossprojekt in absehbarer Zeit nicht realisierbar sei, hatte die Familie Bär offenbar begonnen, den Talgarten intensiver zu nutzen. Vier Jahre später, am 9. August 1979, erwähnte das Bauamt Wädenswil dem Bezirksgericht gegenüber, dass das Projekt für das Amt «für immer sistiert» sei.
 
Kommentar
Wäre das Bär’sche Vorhaben einer Talgarten-Überbauung – im überarbeiteten Projekt trägt sie den Namen «Zentrum» – zustandegekommen, hätte Wädenswil einen Grosskomplex mit einer Tiefgarage, einem zweigeschossigen Sockelbau und einem gedrungenen Büro- und Wohnturm bekommen. Im überarbeiteten Projekt hätte der Sockelbau das Sportgeschäft Bär, die Schuhmacherei Bürgi, das Schuhgeschäft Hug, das Modegeschäft Hess, eine Cafeteria, ein Reisebüro und eine Bank beherbergt und einen Arkadengang sowie eine Passage enthalten. Die Architektursprache wäre ähnlich gewesen wie beim Uster’schen Geschäfts- und Wohnhaus Ceder (Zugerstrasse 15), die Gesamterscheinung ähnlich wie beim Haus zur Enge, das 1974–1978 nach Plänen von Werner Stücheli und Jakob Frei erbaut wurde (beim Bahnhof Enge, Zürich).
Links: Die Horgner Zentrumsüberbauung Schinzenhof, erbaut 1963–1967. – Rechts: Haus zur Enge, erbaut 1974–1978 nach Plänen von Werner Stücheli und Jakob Frei, aufgenommen vor dem 2009–2015 erfolgten Umbau zum FIFA World Football Museum. Beide Fotos aus dem Internet.
 
Die Anregung zu ihrem ambitionierten Vorhaben könnte Marthe Bär von Horgen bekommen haben: Dort wurde 1963–1967 eine grossdimensionierte Zentrumsbebauung – der Schinzenhof – realisiert, allerdings ohne Turmmotive. Auf spektakuläre Art wurde dagegen das Turmmotiv 1963–1967 beim Hochhaus Zur Palme in Zürich-Enge umgesetzt.
 
Renovation
Am 22. November 1974 hatte die Natur- und Heimatschutzkommission den Antrag ihres Präsidenten Prof. Dr. Albert Hauser, den Talgarten in die «Liste der schützenswerten Gebäulichkeiten» aufzunehmen, abgelehnt (Protokoll der Natur- und Heimatschutzkommission; Auszug in StadtAW 816/1971). Als dann 1981–1982 ein qualifiziertes Büro ein Inventar schützenswerter Bauten von Wädenswil erarbeitete, empfahl es ein «integrales Erhalten des Baus», da er durch seine «ruhige, einfache Gestaltung» überzeuge und «im Ortsbild eine ganz besondere Bedeutung» habe, definiere er doch die Nordseite «des zentralen Freiraumes bei der Zugerstrasse» auf entscheidende Weise (Gebäudeinventar Wädenswil Nr. 299).
Inventar der schützwürdigen Bauten von Wädenswil, erarbeitet 1981–1982 von der Arbeitsgemeinschaft für Ortsbildpflege und Inventarisation (Online: Stadtplan Wädenswil). Zwei Blätter aus dem Dossier Nr. 299, betreffend Haus Zum Talgarten, datiert und signiert August 1981/rom (Paul Romann).
 
An einen Abbruch des Hauses war nun nicht mehr zu denken. In der Folge – 1983–1984 – liess Marthe Bär den Altbau renovieren. Peter Ziegler und Christian Renfer fungierten als denkmalpflegerische Berater, der erste für die Stadt, der zweite für den Kanton. An einer Begehung am 31. März 1983 beschlossen die Experten, den «Riegel nicht hervorzunehmen» und den – auszubessernden – Putz mit der gleichen Farbe wie beim Friedberg zu streichen (Notizen von Peter Ziegler, mitgeteilt am 28.9.2022). An der Hauptfront wurde auf Wieder-Einführung von traditionellen Klappläden verzichtet; diese waren schon 1938 durch Storen ersetzt worden. Im Inneren scheint damals das Dachzelt des Vorderhauses in die Dachwohnung integriert worden zu sein.
Im Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1984 zählte Peter Ziegler den Talgarten zu den Wädenswiler Bauten, die «mustergültig restauriert oder renoviert» worden seien; er und der Gambrinus seien «besondere Zierden» geworden (JSW 1984, S. S. 107). Auf der abgebildeten Foto kann man erkennen, dass sich in den beiden Erdgeschoss-Gewerberäumen die «Boutique Stutz» und ein Kleiderladen «Molly Chic» befanden. Die erste hatte Vreni Möhr 1974 vom Talgarten hierher verlegt (JSW 1994, S. 82), den zweiten betrieb die Hauseigentümerin Marthe Bär, vermutlich ab 1884.
Links: Der Talgarten nach der Renovation von 1983–1984, mit der «Boutique Stutz» (Vreni Möhr) und dem Kleiderladen «Molly Chic» (Marthe Bär-Waldmeier) im Erdgeschoss. Fotografie aus JSW 1984, S. 107 (Online in der Website «Baukultur Wädenswil»). - Rechts: Ausschnitt aus dem Online-Stadtplan der Stadt Wädenswil, Rubrik «Gebäudeinventar»: Die blaue Färbung der Häuser Talgarten (Assekuranznummer 299, Gerbestrasse 2) und Talegg (Assekuranznummer 303, Gerbestrasse 1) besagt, dass sie gemässs Planungs- und Baugesetz § 205 mit Schutzmassnahmen belegt sind, mittels eines öffentlich-rechtlichen Vertrags respektive einer Verfügung der Baudirektion. Bei den grün gefärbten Bauten (Häuser Gerbestrasse 4 und Zugerstrasse 1,3 und 5) handelt es sich um schützenswerte Bauten auf kommunalem Niveau. Die lila gefärbte Gerbe (Gerbestrasse 6) ist ein «kantonales Denkmalpflege-Objekt», der auf dem Ausschnitt nicht sichtbare, orange gefärbte Friedberg (Friedbergstrasse 7) ist ein «regionales Denkmalpflege-Objekt». Das rot gefärbte Haus Gerbestrasse 3 ist aus dem Inventar entlassen.
 
Sowohl die Stadt Wädenswil als auch der Kanton subventionierten die Renovation des Talgartens; im Gegenzug wurde das Haus am 25. Mai 1986 und am 23. September 1988 in Form von Dienstbarkeiten zugunsten der Stadt Wädenswil respektive des Kantons geschützt – was bedeutet, dass ohne die Zustimmung der Stadt und des Kantons keine Veränderungen stattfinden dürfen.
 
Kleiner Umbau 1992
Ein solches Veränderungsprojekt reichte die Erbengemeinschaft Marthe Bär am 13. Mai 1992 ein; die Pläne stammen von Architekt HTL Jürg Rota. Die Hausbesitzer wollten das Erdgeschoss des Nordflügels, der lange Zeit als Werkstatt des Innendekorateurs Emanuel Hunziker gedient hatte, etwas umbauen, um hier einen Sportladen einzurichten. Was genau realisiert wurde, wissen wir nicht, denn später wurde das Erdgeschoss zwei weitere Male umgebaut.
Baugesuch für einen Umbau des Erdgeschosses im Nordflügel, 13.5.1992. Architekt HTL Jürg Rota für die Erbengemeinschaft Marthe Bär. StadtAW 1997/92.

4.5 Das Haus im Besitz von Donato Pisanelli

Kurz nach 2000 muss die Familie Bär den Talgarten an Donato Pisanelli (geb. 1961), den Inhaber eines Gipser- und Malergeschäfts, verkauft haben. Von 2003 bis 2011 erneuerte dieser sukzessive die Läden im Erdgeschoss und sämtliche Wohnungen des Vorder- und des Hinterhauses (vgl. die Baueingabe-Dossiers StadtAW 3599/02; 3870/04; 3958/05; 4212/06 (mit Nachtrag 1.9.2011). Die Pläne stammen von Architekt Dieter Weber resp. von der «architekturwerkstattweber».
Renovierungsprojekte für das Innere des Talgartens von der «architekturwerkstattweber» im Auftrag von Donato Pisanelli. Gelb: Abbrüche; Rot: Neubau. – Links: Umbau und Erneuerung Erdgeschoss-Läden, Eingang 20.12.2002; Bewilligung 18.3.2003 (StadtAW, 3599/02). – Rechts: Umbau und Erneuerung der Dachwohnung im Nordflügel, Eingang 8.4.2005; Abrechnung 14.4.2008 (StadtAW, 3958/05).

Die Wohnungen des Vorder- und des Hinterhauses im 1. Obergeschoss nach den Umgestaltungen von 2006. Unter anderem wurde das schmale Treppenhaus-WC des Nordflügels zum Bad der Vorderhaus-Wohnung geschlagen. StadtAW, 4212/06.

Donato Pisanelli bei einer Begehung mit dem Autor, in der Wohnung des 2. Obergeschosses im Vorderhaus, am 4. Oktober 2022.

Im Nachgang baute 2014 eine Mieterin das bereits überholte Erdgeschoss des Nordflügels nochmals um, um dort ein Kaffee einzurichten (StadtAW, 5479/14).