2 Hausname, Adresse, Bestandesaufnahme

2.1 Hausname und Adresse

In einem Grundprotokoll aus dem Jahr 1694 ist von einem Hans Huser die Rede, der ein «nöuw Hus mit der Gerbi, item Krutgarten, Hanfland und Matten, ob der Krone liegend», bewirtschafte (StAZ, Grundprotokoll Bd. 4, S. 11a; vgl. Ziegler 1961). Wenn damit – was anzunehmen ist – das heutige Haus Gerbestrasse 2 gemeint ist, muss dieses kurz vor 1694 erstellt worden sein. Allerdings nicht in der heutigen Form: Im Lauf der Zeit wurde das Haus stark verändert; darauf kommen wir zurück.
Inschriften mit Hausname «Talgarten», wohl anlässlich der Renovation der 1980er Jahre und/oder um 2000 aufgemalt. – Links: Dachhaus der Südfassade. – Rechts: Sturz des Portals am Hinterhaus (Nordflügel). Bei dieser Inschrift kann es sich um die Erneuerung einer bereits bestehenden handeln. Aufnahmen 20.11.2022.

Das Haus Gerbestrasse 2 gehört zu den Wädenswiler Liegenschaften, die einen Namen haben; es heisst, wie zwei Inschriften bezeugen, «Talgarten». An diese Bezeichnung wollen wir uns im Folgenden halten. Fassbar ist der Name – soweit wir sehen – erstmals in einem Kaufbrief vom 10. November 1906; darin ist von einem «Wohnhaus […] zum Thalgarten genannt» die Rede (Privatbesitz Walter Hunziker). Aus kulturgeschichtlicher Sicht könnte der Name aus der Biedermeierzeit stammen; damals hat auch das Haus Zum Friedberg (Friedbergstrasse 7) seinen Namen bekommen.
In den Grundprotokollen wird das Haus nicht mittels seines Namens, sondern seiner Lage identifiziert, in Bezug auf einen traditionsreichen Gasthof, der an der Stelle des heutigen Geschäfts- und Wohnhauses Seestrasse 112 stand: «ob der Krone liegend» (1694; Grundprotokoll 4, S. 11a); «oberhalb der Krone» (1748; Grundprotokoll 6, S. 177b). Als im frühen 19. Jahrhundert die Brandassekuranz eingeführt wurde, bekam das Haus die Versicherungsnummer 93a, so dass die Adresse jetzt lautete: «Ob der Krone 93a» (StadtAW, IV.B.59.1, Katataster- und Schätzungstabelle 1809, S. 7). In der ersten, 1826 einsetzenden Serie von Assekuranzbüchern steht neben der Nummer 93a – von anderer Hand geschrieben – «Schulweg» (StadtAW, IV.B.59.4). In der zweiten, 1894 einsetzenden Serie von Katasterbänden hat das Haus die Assekuranznummer 303; daneben hat ein Schreiber den heutigen Strassennamen hingeschrieben: Gerbestrasse (StadtAW, IV.B.59.10).
Das seeseitige Nachbarhaus des Talgartens, das von Peter Ziegler nach einem späteren Eigentümer als Goldschmied-Hess-Haus bezeichnet wird und das 1971 abgebrochen wurde, war nicht der Gerbe-, sondern der Seestrasse zugeordnet; in der zweiten Serie der Assekuranzbücher hat es die Adresse «Mittlere Seestrasse No. 368» (später gab man ihm die Hausnummer 111). In der ersten, 1826 einsetzenden Serie wird das Haus mit «ob der Krone No 94» bezeichnet. Hier interessiert, was eine andere Hand rechts davon notiert hat: «Bei der Gerbe».
Mit der «Gerbe» ist der Talgarten gemeint; das Haus wurde nach dem Gewerbe benannt, das es bis um 1840 beherbergte, offenbar auch noch nach 1826, obwohl der Talgarten-Besitzer Johannes Hauser inzwischen – nämlich 1813–1814 – ein neues, grösseres Gerbegebäude erstellt hatte (Gerbestrasse Nr. 6). Möglicherweise nannte man nach 1814 die Häuser Gerbestrasse 2 und 6 alte respektive neue Gerbe, aber dafür gibt es keinen Nachweis.
In einem Grundprotokoll von 1779 ist betreffend den nachmaligen Talgarten von einem «Haus mit der Gerwi darunter», in solchen von 1834 und 1840 von einem «Haus mit der Gerberey darunter» die Rede (StAZ, Grundprotokoll Wädenswil, Bd. 11, S.88 und Bd. 22, S. 519). Offenbar befanden sich im abgetieften Erdgeschoss Gerberwerkstätten, während in den Obergeschossen gewohnt wurde.

2.2 Bestandesaufnahme

Bevor wir zur Baugeschichte kommen, wollen wir eine Bestandesaufnahme vornehmen. Bei Hausbeschreibungen kommt man nicht um die Verwendung von Himmelsrichtungs-Bezeichnungen herum – wobei die Leser:innen dann jeweils eine Karte brauchen, um diese zu identifizieren. Deshalb stellen wir ein genordetes, numeriertes Plänchen mit den wichtigsten verwendeten Bauteil- und Fassadenbenennungen voran.
Ausschnitt aus dem Katasterplan Wädenswil 2022, Numerierung vom Autor.
Sprachregelung für die Beschreibung des Hauses Talgarten (Gerbestrasse 2): (1) Vorder- oder Haupthaus. (2) Hinterhaus oder Nordflügel. (3) Ehemaliges Nebengebäude des Talgartens. (a) Südsüdost-Fassade, abgekürzt: Südfassade. (b) Westsüdwestfassade, abgekürzt: Westfassade des Vorderhauses. (c/d) Ostnordostfassade, abgekürzt: Ostfassade oder seeseitige Fassade. (c) Ost- oder seeseitige Fassade des Vorderhauses. (d) Ost- oder seeseitige Fassade des Hinterhauses resp. Nordflügels. (e) West- oder Hofseite des Nordflügels.

Vom Talgarten nimmt man prioritär den Baukörper an der Gerbestrasse wahr, ein traufständig zur Strasse stehendes, dreigeschossiges Züriseehaus mit grossem Dachhaus, das nach Süden orientiert ist: Es steht dicht bei der stark begangenen, in die Gerbestrasse mündenden Bahnhofsunterführung und bildet den nördlichen Abschluss des platzartigen, namenlosen Raums, der im Zug von Verkehrssanierungen und Abbrüchen in den 1960er und 1970er Jahren entstanden ist.
Der Putz des Talgartens ist in einem etwas grell wirkenden Hellgelb bemalt. An der Platzfront fehlen bei den Fenstern die traditionellen Klappläden und das Erdgeschoss ist hier fast ganz in grosse Schaufenster aufgelöst.
Die traufständige Fassade des Talgartens zur Gerbestrasse hin, mit ihrem grossen Dachhaus. Sicht vom Vorplatz des Credit-Suisse-Gebäudes. Rechts die Unterführung, links das 1884 erbaute Haus Gerbestrasse 4. Aufnahme November 2022.

Von der bergseitigen, westlichen Giebelfassade ist nur der obere Teil sichtbar; der untere ist von einem modernen Eingangs- und Schaufenster-Anbau des Hauses Nr. 4 – eines 1884 erbauten Wohn- und Geschäftshauses – verdeckt. Im Giebelfeld sitzen – unterhalb eines Firstfensterchens – zwei Fenster; sie sind von vierpass-förmigen Lüftungsöffnungen flankiert.
Links: Übereckansicht vom Gessnerweg aus, mit westlicher resp. bergseitiger Giebelfassade. Seit dem Bau eines modernen Eingangstrakts für das 1884 erstellte Haus Gerbestrasse 4 ist die untere Hälfte dieser Fassade verdeckt. – Rechts: Seeseitige oder Ost-Fassade (genauer: Ostnordost). Sicht vom Zentralkreisel. – Die Aufnahmen – beide vom November 2022 – zeigen eine Besonderheit der Dachhäuser: Die Flanken enthalten je ein schmales, hochrechteckiges Fensterchen. Diese seitlichen Öffnungen sind schon auf Aufnahmen aus dem frühen 20. Jahrhundert zu sehen.

Die Ostseite des Talgartens präsentiert sich als Kombination eines giebel- und eines traufständigen Trakts. Beim ersten handelt es sich um die seeseitige Flanke des oben beschriebenen Hausteils an der Gerbestrasse. Auf der Höhe des ersten Geschosses links befindet sich ein Eisenbalkon in in Louis XVI-Formen, der 1925 vom «Hinterhaus» (Baueingabeplan, StadtAW 103/1925) hierher versetzt wurde. An den Dachuntersichten fallen rollenartige Stuckvoluten auf; auf sie ist zurückzukommen. Am traufständigen Nordtrakt ist das ganz links platzierte Portal bemerkenswert: Eine Holztür ist von einem Steinrahmen im Stil um 1800 umfasst. Auf dem Dach sitzt, wie auf der Platzfront, ein Dachhaus.

Links: Seeseitiger Giebel mit volutenförmigen Gipsrollen, die hölzerne Büge verkleiden. – Mitte: Mittig vorschwingender Balkon mit schmiedeisernen Brüstungen in Louis-XVI-Formen, 1925 von der nördlichen Giebelfront des Nordflügels an die seeseitige Giebelfassade des Haupthauses versetzt. – Portal am Hinterhaus respektive Nordflügel, an der Naht zum Vorderhaus. Eingang zum Treppenhaus, das beide Hausteile (Vorder- und Hinterhaus) erschliesst. Aufnahmen November 2022.

Der Raum zwischen dem Talgarten und der Zugerstrasse – bis 1971 Standort eines hübschen Hauses mit Vorgarten – dient als Autoabstellplatz; zur Kompensation hat man einen Baum gepflanzt, der die Fassade des Altbaus im Sommer verdeckt.
Die Hofseite ist, wie die untenstehende Fotografie zeigt, buchstäblich unansehnlich: Parkierte Autos, Absperrschranken, abgestellte Gebrauchsgegenstände und rückwärtige Ausbauten von Nachbarhäusern verstellen den Raum und erschweren Zugang und Sicht. Man erkennt aber, dass der Nordtrakt auch hier eine Dachaufbaute hat, nicht ein Dachhaus wie auf der Vorderseite, sondern ein Zwerchhaus. Man kann einen Teil der nördlichen Giebelseite des Nordtrakts erkennen, die von der Seestrasse her wegen eines Nachbarhauses kaum sichtbar ist.

Links: Hofseite des Talgartens. Links und rechts die Häuser Zugerstrasse 5 und Gerbestrasse 4, beide auf ehemaligem Umschwung des Talgartens erstellt; dazwischen sieht man den Nordflügel des Altbaus. – Der Giebel des Nordflügels, mit differenzierter Bauornamentik: Fensterpaar mit flankierenden Ochsenaugen; im Giebel Rundbogenfensterchen zwischen Blend-Ochsenaugen. Besondere Beachtung verdient das Ochsenauge im Giebelspitz; es hat eine Form, die aus der Gotik stammt – die eines Vierpasses. Aufnahmen Oktober 2022.

Das Giebeldreieck ist reicher dekoriert als das bergseitige des Vorderhauses; die zwei Fenster der unteren Dachebene und das Einzelfenster der oberen Dachebene sind von kreisförmigen Ochsenaugen flankiert; ein weiteres, in den Giebelspitz gesetztes Ochsenauge ist als Vierpass ausgeformt: ein neugotisches «Einsprengsel»
Blickt man vom Hof Richtung Süden, erkennt man, dass der Hauptrakt um zwei Fensterachsen über den Nordflügel vorragt.
Hof- respektive Bergseite des Talgartens. Links Rückseite des Nordflügels, rechts Rückseite des Vorderhauses. Links unten Kellerfenster, von dem das unten abgebildete Detail stammt. Aufnahmen November 2022.
 
Am Sturz eines Kellerfensters des Nordtrakts befindet sich ein wichtiges Detail: ein Schlussstein, in den die Buchstaben JHH und die Zahl 1807 eingemeisselt sind.
Kellerfenster an der Rückseite des Nordflügels. Keilstein mit Inschrift in schildförmigem Feld: JHH = Johann Heinrich Hauser und Jahrzahl 1807. Die Einzüge an den unteren Ecken des Keilstein-Trapezes dürften bei der Versetzung vom Ursprungsort ausgeschnitten worden sein. Aufnahme Oktober 2022.
 
Schaub sagt, der Stein befinde sich «an einem Fensterpfosten» im Nordtrakt (Schaub 1950). Wahrscheinlich ist damit der heutige Standort gemeint, aber dieser dürfte nicht der ursprüngliche sein.
Nun noch ein Blick aufs Innere. Die einstigen Kellerräume im Erdgeschoss dienen als Läden und – im Nordtrakt – auch als Kaffee; sie sind durchgreifend modernisiert. Im Nordtrakt-Keller sollen sich bis in die 1930er Jahre in den Fels gehauene Gerbebecken befunden haben.
Im Treppenhaus ist ein Holzgeländer aus dem frühen 19. Jahrhundert erhalten, in den im Lauf der Zeit immer wieder modernisierten Wohnungen einige schlichte Täfer, Türen und Beschläge. Eine genaue Bestandesaufnahme ist ein Desiderat.
Details aus dem Inneren, aufgenommen im Oktober 2022. Links oben: Holzgeländer im Treppenhaus. – Restliche Aufnahmen aus der Wohnung im 2. Obergeschoss des Haupt- resp. Vorderhauses. Rechts oben: Korridor; im Hintergrund das zweite Fenster der Platzfassade (von Aussen gesehen und von rechts gezählt). – Links unten: Holzdecke Frontzimmer rechts vom Korridor. Unten rechts: Zwei Türgarnituren.

In der Karteikarte V/35 des Baudenkmal-Kurzinventars der Kantonalen Denkmalpflege ist von einer im 2. Stock befindlichen «Zunftstube der Fischerzunft mit Gips-Blattornament als Umrandung» die Rede; ein «inneres Rundornament mit Emblemen» sei vom Hausbesitzer – gemeint ist Emanuel Hunziker – «abgelöst» worden; es befinde sich bei ihm zuhause an der Schönenbergstrasse 99. Wir kommen darauf zurück.