6 Der Bau in den letzten 50 Jahren: Umbauten und Neunutzungen

6.1 Der Hauptsitz wird zur Dépendance

1968 liess die Sparkasse in ihrem Verwaltungsgebäude einen Lift und – im Keller – einen Tresor einbauen (StadtAW Baueingaben 583/1968). An einen Umzug dachte zu diesem Zeitpunkt offenbar noch niemand. Dass änderte sich in den 1970er Jahren: als sich damals die Zuger- und die Oberdorfstrasse zu Einkaufsstrassen entwickelten, wollte man näher an der Kundschaft sein. Im April 1976 entschloss sich der Verwaltungsrat zum Kauf des Hauses Zur Linde an der Zugerstrasse 18, einem 1898 erbauten Miet- und Geschäftshaus mit Mansardendach. Es wurde zum neuen Geschäftssitz umgebaut; am 13. Januar 1978 wurde dieser eröffnet (Hauser 1991: 131).
Den Bau an der Seestrasse behielt die Sparkasse noch 19 Jahre lang in ihrem Besitz. Erst gegen die Mitte der 1990er Jahre räumte sie ihn im Hinblick auf einen Verkauf; zuvor nutzte sie ihn für Büros. 1981 liess sie von Architekt HTL Hans Bossert die bergseitige Wohnung des OG 2 sogar zu Büros umbauen, die mit EDV-Infrastruktur ausgerüstet waren (StadtAW Baueingaben 331/1981).

Das Haus zur Linde an der Zugerstrasse 18: seit 1978 Sitz der de Sparcassa 1816 Wädenswil.

6.2 Aufnahme ins kommunale Inventar schützenswerter Bauten

Eben zur Zeit dieses Umbaus war eine «Arbeitsgemeinschaft für Ortsbildpflege und Inventarisation» (AOI) im Auftrag der Stadt Wädenswil am Erarbeiten eines kommunalen Inventars schützenswerter Bauten von Wädenswil.
Damals wurden bei der Erstellung von Inventaren nur selten Bauten aufgenommen, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren. Zu den Ausnahmen gehörte in Wädenswil das alte Sparkasse-Gebäude. Paul Romann, ein Mitarbeiter des AOI, inventarisierte es im August 1981. Als dann der Gemeinderat das Inventar 1982 in Kraft setzte, figurierte das Sparkassengebäude darin unter der Nummer 288.
Inventar der schützenswerten und geschützten Bauten von Wädenswil: Die ersten zwei der vier Fangblätter, die das alte Sparkasse-Gebäude an der Seestrasse 103 betreffen. Die Schutzstufe ist kommunal, der Schutz ist bis zu einer definitiven Schutzabklärung provisorisch. Seit dem 1. März 2018 sind die kommunalen, regionalen und kantonalen Inventarblätter im online-Stadtplan von Wädenswil einsehbar (Rubrik «Gebäudeinventar» anklicken).

Den Abschluss der Inventarblätter bildet jeweils ein Absatz mit dem Titel «Gesamteindruck»; hier der Wortlaut zum Objekt Seestrasse 103:

Die Sparkasse ist ein Gebäude, das vor allem dank seiner Lage – grosser, alleinstehender Bau – im Ortsbild eine recht dominante Rolle spielt. Obschon es im Heimatstil erbaut ist, bewirken die knappe, klare Ausprägung seiner Fassaden und vor allem der Treppenturm, dass die Grundstruktur leicht einem sehr viel älteren Gebäude zugeordnet wird. Für die Sparkasse charakteristisch ist der kleine Park und der durch diesen entstehende Freiraum. Es handelt sich – nebst dem Platz zwischen dem «Central» und dem Haus «Zum Zyt» – um die einzige Unterbrechung der Bebauung entlang der Seestrasse.

6.3 Stadtvilla: Wohnen und Arbeiten

1997 verlangte Architekt HTL Hans Bossert beim Bauamt einen Vorentscheid betreffend einen allfälligen Ausbaus des Daches zu einer Wohnung. Es ging vor Allem um die Frage, ob in die schmalseitigen Dachflächen kleine Dachterrassen eingeschnitten werden dürften.
Zum Zeitpunkt der Anfrage stand das Haus bereits seit zwei, drei Jahren leer: die Sparkasse wollte es verkaufen (zum Folgenden: mündliche Auskünfte von Ingrid Allen-Biel, 11.8.2020). Das britisch-deutsche Ehepaar Philip (Andrew) Allen und Ingrid (Elisabeth) Allen-Biel war an einem Kauf interessiert, aber nur wenn der Bau von Dachterrassen möglich sei. Nachdem das Bauamt Bosserts diesbezügliche Anfrage positiv beantwortet hatte, wechselte die Liegenschaft im Oktober 1997 die Hand. Die Allens beschränkten sich vorerst darauf, das OG 2 zu einer einzigen grossen Wohnung für sich umzugestalten und die zwei unteren Geschosse etwas abzuändern (StadtAW Baueingaben 2784/1997): im EG richtete Allen sein Unternehmerberater-Büro ein, im OG 1 installierte Ingrid Allen-Biel ihre Privatschule. Anschliessend erstellten sie bergwärts vom Treppenhaus eine Garage mit einer Terrasse (StadtAW 2831/1998).
2001 nahm das Ehepaar dann den Dachausbau in Angriff; durchgeführt wurde er 2004-2005 von der zur Karl Steiner gehörigen unirenova (Zürich). Die Ideen hatte weitgehend Frau Allen entwickelt; sie besorgte auch einen guten Teil der Bauleitung (StadtAW Baueingaben 3323/2001). So wuchsen das OG 2 und das Dachzelt zu einer grosszügigen Maisonette zusammen. Damals bekam der Bau auch die markante Velux-Dachfenster-Zeile auf dem First.
In Hinsicht auf die Kombination einer Arbeitsstätte mit einer luxuriösen Wohnung stand der Umbau des Ex-Sparkasse in der Nachfolge frühindustrieller Bauten wie zum Beispiel dem «Rosenhof» (Eidmattstrasse 25): Dieser hatte zeitweilig eine Doppelfunktion als Textilfabrik und Fabrikantenvilla. Was die Umfunktionierung eines Altbau-Dachbereichs zu Luxus-Wohnzwecken betrifft, ist in Wädenswil ein Eingriff im Haus Unterer Letten (Fuhrstrasse 12) von 1939 wegweisend: Im Zug einer Umgestaltung dieses alten Bauernhauses zu einer Fabrikantenvilla gestalteten Hans Fischli und Oskar Stock das Dachzelt zu einem Wohnzimmer um.
Bei der Ex-Sparkasse wurde allerdings nicht das ganze Haus, sondern bloss der Dachbereich – in diesem Fall Kniestock plus Dachstock – zu einer Luxuswohnung umgebaut, zu einer Wohnung also, die punkto Höhenlage den bei Wohnblöcken beliebten Attikawohnungen entsprach. Diesbezüglich ist in Wädenswil der 1974–1975 erfolgte Umbau des Rötibodenhofs (Rötibodenholzstrasse 8) wegweisend: damals wurden im Dachzelt des Haupthauses und im Mansarddach des Nebengebäudes je eine Wohnung eingebaut.
Links: Bauernhaus Unterer Letten (Leihof), 1939 von Hans Fischli und Oskar Stock für Willi Blattmann zu Fabrikantenvilla umgebaut: Wohnzimmer im Dachzelt (aus: Karl Jost: Hans Fischli – Architekt, Maler, Bildhauer [1909–1989], Zürich 1992, S. 236. – Rechts: Hof Rötiboden (Rötibodenholzstrasse 8), Aufnahme nach Renovation und Umbau von 1974–1975 durch das Büro Hurter + Thoma. Im Dachzelt des Hauptbaus (erbaut 1679) und im Mansarddach des Nebengebäudes (erbaut 1793) wurden je eine Dachwohnung eingebaut. Foto aus: Zürcher Denkmalpflege, 8. Bericht 1975–1976, Zürich 1980, S. 199.

Mit dem in den 1990er Jahren einsetzenden Trend zur «Verdichtung» der Siedlungen nahmen solche Altbau-Dachwohnungen und insbesondere auch Maisonettes deutlich zu. In diesem Kontext ist Ingrid Allens Unternehmen ein markantes Beispiel.
Links: «Revisionsplan» des Büros «unirenova» vom Oktober 2005 für den Ausbau des Daches des ehemaligen Sparkassengebäudes (StadtAW Baueingaben 3323/2001). – Rechts: Das zu Wohnzwecken ausgebaute Walmdach der ehemaligen Sparkasse mit einer der neuen Lukarnen und der markanten, am First angeordneten Zeile von Dachflächenfenstern.

6.4 Das Haus als Kapitalanlage: Eine Versicherung und Mietwohnungen

2010 mussten die Allens das Haus an Jana Kirchner verkaufen; sie zogen in eine Dachwohnung, die sie im Postgebäude eingerichtet hatten. Im Auftrag von Kirchner reichte die Firma Interimo & Partner (Zürich) bereits Ende 2009 Pläne für einen Umbau des EG und des OG 1 zu Wohnungen ein (StadtAW Baueingabepläne 4738/2009). Dann entschied sich die Bauherrschaft aber anders: Nur im seestrassenseitigen Teil des EG wurde eine Wohnung eingebaut, der Rest des EG und das ganze OG 1 wurden mit wenigen Eingriffen für die Bedürfnisse der 2001 gegründeten Ganztages-Privatschule «imPuls» hergerichtet, die von Schindellegi nach Wädenswil ziehen wollte (StadtAW Baueingaben 4797/2010). Im Juni 2010 nahm die Schule den Betrieb auf, machte aber bereits im Frühling 2011 Konkurs.
Umbaupläne für das Haus Seestrasse 103. Links: Projekt für Umbau des EG zu Wohnungen von der Firma Interimo & Partner (Zürich), 2009 (StadtAW Baueingabepläne 4738/2009). – Rechts: Projekt für Einrichtung von Schulräumen im OG 1, 1910 (StadtAW Baueingaben 4797/2010).

In der Folge mietete sich eine Generalagentur der Zürich Versicherung im ersten Obergeschoss ein; nach einigen Umbauten konnte sie 2013 von der Gerbe, wo sie seit 1998 zur Miete war, umziehen (StadtAW Baueingaben 5253/2012; Auskünfte von Michel Gasparoli).
Links: Projekt für das Haus Seestrasse 103, 2012: Einrichtung des OG 1 für die Wädenswiler Generalagentur der Versicherungsgesellschaft (StadtAW Baueingaben 5253/2012). – Rechts: Firmeninschrift an der Hauptfassade: Da das Gebäude im kommunalen Gebäudeinventar figuriert, war sie war ebenso ein Thema von Diskussionen wie einige Jahre zuvor der Einbau von Dachfenstern.

Im EG richtete Kirchner eine zweite Wohnung ein; die Dach-Maisonnette teilte sie so auf, dass die Räume an mehrere Parteien vermietet werden konnten. In einem Inserat für eine «loftartige 4,5-Zimmer-Wohnung» wurde das ehemalige Sparkassengebäude als «traumhafte Stadtvilla nahe am See» beschrieben.