3 Würdigung

Andreas Hauser, Fassung 03.12.2021

3.1 Vergleiche: Moderate Moderne

Nur vier Jahre bevor die Planung des Wädenswiler Bahnhofgebäudes in Angriff genommen wurde, waren zwei bedeutende neue Bahnhöfe der Seebahnlinie eingeweiht worden: Enge und Wiedikon, beide in Zürich.
Der erste steht mit seinem martialischen Auftritt – segmentbogenförmige Kolossalarkaden, rustikales Granit-Sichtmauerwerk, grabartige Kuppel-Rundhalle usf. – noch in der Tradition von expressiv-archaisierenden Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts und ist insofern mit Paul Bonatz‘ Stuttgarter Bahnhof verwandt. Der wurde zwar 1927 vollendet, war aber schon 1914 in Angriff genommen worden. In der Vorkriegszeit wurzelt auch der Wiedikoner Bahnhof mit seinem stilisierten Neuklassizismus, aber diese Stilströmung war keineswegs am Auslaufen, sondern prägte noch die ganzen 1930er Jahre, vor allem in Deutschland.
Oben links: Bahnhof Enge, erb. 1925–1927 nach Plänen der Gebrüder Otto und Werner Pfister. – Oben rechts: Bahnhof Wiedikon, erb. 1926–1927 von Hermann Herter (1887–1945). – Unten: Bahnhof Wädenswil, erb. 1931–1932 nach Plänen von Alfred Fehr, unter Einarbeitung von Ideen Heinrich Bräms.

Schaut man auf die zwei wuchtigen Zürcher Bauten, rückt der Wädenswiler Bahnhof in die Nähe jenes «Neuen Bauens», das kurz darauf im faschistischen Deutschland als entartet gebrandmarkt wurde. Der Baukörper erscheint nicht als imponierendes, dunkelfarbiges Massiv, sondern als heller Quader. Der Baudekor besteht vor allem in den unterschiedlichen Rechteckformen der Öffnungen. Obwohl die Anordnung – anders als bei Wiedikon – funktional-asymmetrisch ist, kündet sie von der Existenz einer geometrischen Harmonik. Modern ist auch, dass die Fenster des Obergeschosses ein Band formen, das um die Hausecke – die südliche – herumführt.
Im Bereich der zürcherischen Bahnhofbauten ist derjenige von Wädenswil mit seinen Modernismen eine Ausnahme; noch der Bahnhof Horgen wird 1957 in einer braven Landi-Heimatstil-Moderne erstellt werden. Erst der Corbusier-Bewunderer Max Vogt (1925–2019) wird ab 1957 die Moderne in der Zürcher SBB-Architektur etablieren.
Unten links: Bahnhof Horgen, erb. 1957, Architekt unbekannt. Unten rechts: Bahnhof Thalwil, erb. 1963 von Max Vogt (1925–2019), Leiter der Hochbausektion der Kreisdirektion III SBB.

Zur Zeit, als der Wädenswiler Bahnhof geplant wurde, war die radikale Moderne in Zürich erst mit Bauten präsent, die nichts mit der Bahn zu tun hatten: dem Volkshaus Limmathaus (1930–1931) und dem grossen Komplex von Gewerbeschule und Kunstmuseum (1930–1933). Für beide war Karl Egender (1897–1969) verantwortlich, damals noch in Gemeinschaft mit Adolf Steger.
Links: Das Volkshaus Limmathaus, erbaut 1930–1931. Rechts: Gewerbeschule und Kunstgewerbemuseum, erbaut 1930–1933. Beide Bauten in Zürich, beide nach Plänen und unter Leitung von Karl Egender (1897–1969), der bis 1932 mit Adolf Steger assoziiert war.

Im Vergleich mit diesen Bauten zeigt sich, dass der Wädenswiler Bahnhofbau nur auf moderate Weise modern ist. Er hat nicht das kanonische Flach-, sondern ein Walmdach; auch wenn es schwach geneigt und deshalb von Nahem unsichtbar ist, ist seine Existenz stets spürbar. Dachvorsprung, Sockel sowie Tür- und Fensterrahmungen sind nicht, wie bei den Avantgardisten, wegrationalisiert, sondern bloss reduziert. Und ganz und gar «unmodern» ist, dass die Fenster der Wohnungen im Obergeschoss mit Klappläden ausgestattet sind.

3.2 Auf Umwegen zu einer überzeugenden Lösung

Die moderate Moderne ist im Fall des Wädenswiler Bahnhofgebäudes nicht ein fauler Kompromiss, sondern eine souveräne Synthese. Dass es zu einer so überzeugenden Lösung kam, war, wie nun zu zeigen ist, ein Glücksfall – die Tatsache, dass viele Köche im Brei rührten, hatte ausnahmsweise keine negativen, sondern positive Folgen: Der zuständige SBB-Architekt wuchs in der Schlussphase über sich hinaus.
Von diesem Architekten – Alfred Fehr – wissen wir nur, dass er 1892 geboren wurde, von Zürich stammte, 1918 ins Baubüro der Kreisdirektion III der SBB eintrat, Ende 1919 den Beamtenstatus erhielt und 1927 zum Technischen Beamten II. Klasse befördert wurde. Sein Vorgesetzter war Meinrad Lorenz (1880–1968), der in den 1910er Jahren etliche Aufnahmegebäude für die Rhätische Bahn entworfen hatte, alle im Bündner Heimatstil (Leza Dosch, in: Architektenlexikon der Schweiz 1998, 348).
Heimatstilmotive wies auch Fehrs Projekt auf, das die Kreisdirektion III im März 1931 dem Gemeinderat Wädenswil präsentierte, aber sie waren mit neusachlichen Elementen kombiniert. Über einem elfachsigen Erdgeschoss, das – inspiriert wohl von der Perronseite des Bahnhofes Enge – ganz in grosse Rechtecköffnungen aufgelöst war, erhob sich ein neunachsiges Wohngeschoss mit traditionellen, von Klappläden eingefassten Fenstern. Das modernste Motiv des Baus war ein gerade schliessender Treppenhausturm mit Vertikalfenster.
Links: Projekt für den Bahnhof Wädenswil vom SBB-Bautechniker Alfred Fehr vom 2. März 1931, in Form eines von Architekt Heinrich Bräm gezeichneten Schaubildes vom 19. März (StadtAW). Mitte und rechts: Bahnhof Wipkingen, erbaut 1931–1932 nach Plänen des Thurgauers Emil Schlaginhaufen (geb. 1887), einem Kollegen Fehrs im Baubüro der Kreisdirektion III der SBB. Der Bau, in süddeutscher Sachlichkeit gestaltet, weist ein steiles Walmdach auf, wie es die SBB-Generaldirektion wünschte. Alte Postkarte und jüngere Aufnahme, aus dem Internet, Standort unbekannt. Vgl. Wikipedia-Eintrag «Bahnhof Zürich Wipkingen» sowie Verwaltungsgerichts-Urteil VB 2003.00195, online publiziert 23.5.2005, mit Auszügen aus einem Gutachten der Kantonalen Denkmalpflegekommission.

Das relativ steile Walmdach hatte Fehr auf Geheiss der Generaldirektion einführen müssen, er hatte ein flacher geneigtes vorgesehen. Nicht zuletzt wegen dieses Daches passte Fehrs Entwurf den Wädenswilern nichts ins Konzept.
Im Hinblick auf den neuen Bahnhofbau und auf eine Verbreiterung der Seestrasse war der Gemeinderat seit 1929 am Entwickeln eines Projektes für ein neues Bahnhofquartier. Gemäss einem bereits oben vorgestellten Plan vom November 1929, den vermutlich Heinrich Bräm gezeichnet hat, sollten anstelle des Kleinquartiers zwischen Merkur und Hotel Engel drei grosse Bauten entstehen: ein weitläufiges Blockrand-Geviert anstelle der Krone und zwei viergeschossige Blöcke, einer jenseits der Seestrasse anstelle des Hauses Zum Zyt, einer diesseits der Strasse anstelle des Hauses Fortuna. Für alle diese Bauten waren Walmdächer vorgesehen, einzig der Bahnhof sollte ein Flachdach bekommen – so bekämen die Bewohner des Kronen- und des Fortuna-Blocks eine bessere Seesicht.
Vogelschau des geplanten Bahnhofquartiers, 2. November 1929, vermutlich gezeichnet von Architekt Heinrich Bräm im Auftrag des Gemeinderats Wädenswil. Ausschnitt. Beilage zur Weisung des Gemeinderats vom 27.1.1930 betreffend Vertrag zwischen der Gemeinde Wädenswil und der SBB über den Bahnhofbau (StadtAW, Standort Bb).

Am 28. April 1930 beauftragte der Gemeinderat Bräm mit Studien über die «Ausgestaltung» des neuen Bahnhofs und des Bahnhofplatzes. In diesem Zusammenhang entstand der Plan vom September des gleichen Jahres, den wir ebenfalls bereits vorgestellt haben.

Heinrich Bräm, Plan für «Bebauung des Bahnhofplatzes Wädenswil», September 1930 (Standort: Ba). Ausschnitt.

Der Bahnhof behält das Flachdach, das er schon im Plan vom November 1929 hatte, aber die Fassadenorganisation ist moderner geworden: die von Klappläden flankierten Fenster sind zu zusammenhängenden Horizontalbändern verkettet. Dass das Erdgeschoss und der Nebenbau eine Verkleidung mit rustikalem Plattenmauerwerk bekommen sollen, zeigt, dass wir uns im Genre der moderaten Moderne bewegen.
Soweit war also die Planung gediehen, als der Gemeinderat Wädenswil im März 1931 das Bahnhofprojekt der SBB vorgelegt bekam. Vom Gemeinderat dazu beauftragt, lieferte Bräm einen Gegenvorschlag, in Form eines Gutachtens, eines grossen Plan mit Grundrissen, eines Aufriss und eines kleineren Blattes mit zwei Schaubildern.
Soweit war also die Planung gediehen, als der Gemeinderat Wädenswil im März 1931 das Bahnhofprojekt der SBB vorgelegt bekam. Wie erwähnt, beauftragte er Architekt Bräm mit der Erarbeitung eines Gegenvorschlags, bestehend aus einem Gutachten, einem grossen Plan mit Grundrissen und einem Aufriss sowie einem kleineren Blatt mit zwei Schaubildern.
Schauen wir uns zuerst die Rückseite des grossen Planes an: Da ist in Bleistift die Seefront Wädenswils skizziert, von den Pappeln am Seeplatz (links aussen) bis zum Engelsaal (rechts aussen). Das schraffierte Gebäude ist der geplante Bahnhof nach dem Projekt Bräm, mit Flachdach. Noch deutlicher als in der Vogelschau von 1929 tritt hier zutage, weshalb der Wädenswiler Gemeinderat auf dem Bahnhofgebäude kein Walmdach will: man soll über den Bau hinweg sehen können, vom Kronenblock aus Richtung See, aber auch vom See aus Richtung Rosenmattpark.
Bleistiftskizze der zukünftigen Seefront Wädenswils, auf der Rückseite des Projektes von Heinrich Bräm für den Bahnhof Wädenswil vom 19.3.1931 (Gegenvorschlag zum SBB-Projekt). Standort: Ba.

Hat man die Bleistiftskizze vor Augen und bedenkt man, dass das Flachdach ein Leitmotiv des Neuen Bauens war, möchte man annehmen, Bräm habe dem Projekt Fehr etwas entschieden Neusachlich-Modernistisches entgegenstellen wollen. Das ist aber nicht der Fall. Zwar vermeidet er restaurative Heimatstilmotive wie die Fehr‘schen Obergeschoss-Fenster, aber andererseits streicht er ausgerechnet das modernste Element des SBB-Planes (obwohl es wahrscheinlich von der Bräm‘schen Sihlpost inspiriert war): den Treppenhausturm mit dem Vertikalfenster und dem geraden Abschluss.
Links: Projekt Fehr für das Aufnahmegebäude Nr. 5090 vom 2.3.1931, Ausschnitt: Platzfassade. Standort: A. Rechts: «Gegenvorschlag» zum nebenstehenden SBB-Projekt von Architekt Heinrich Bräm, 19.3.1931. Ausschnitt: Platzfassade des Aufnahmegebäudes. Standort: Ba

Im Übrigen strafft er den Baukörper, indem er das Walm- durch ein Flachdach ersetzt und das Obergeschoss merkurwärts verlängert, so dass die von Fehr geplante Terrasse wegfällt. Den langgestreckten Körper teilt er dann in drei ungleichmässige Kompartimente. Die zwei Achsen links gestaltet er durch leichte Rückstaffelung und Überhöhung als stumpfen Uhr-Turm. Die Gliederung – unten Rechteckfenster, oben ein Band mit Klappläden und Fenstern – nimmt er in den vier merkurseitigen Achsen (Stationsbüro-Bereich) – wieder auf. Dazwischen schaltet er fünf Achsen, denen im Inneren das Treppenhaus und eine durch zwei Geschosse laufende Schalterhalle entspricht. Das Hauptmotiv besteht hier in einer Reihe von Hochrechtecken mit Türen und Oberlichtern sowie Halbrundfenstern über der Vordach-Horizontale.
Motive wie das Halbrundfenster sind in der neuen Sachlichkeit und erst recht im Bauhausstil tabu. Insgesamt hat Bräms Projekt Züge der verspielt-kunstgewerblerischen Reformstil-Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. Der Grund dafür, dass der Architekt eine retro-moderne Linie verfolgt, dürfte mit der Auftraggeberschaft zusammenhängen: Es handelt um ein vielköpfiges politisches Gremium. Dass die bestimmenden Köpfe auf ein Flachdach drängten, zeigt, dass sie der modernen Architektur nicht feindlich gegenüberstanden, aber Anhänger einer radikalen Bauhaus-Moderne waren sie sicher auch nicht. Gerade Gemeindepräsident Ernst Felber 1884–1954) war ein typischer Vertreter moderater Fortschrittlichkeit; das hatte er mit dem Hutfabrikgebäude gezeigt, das er 1910–1911 von Johannes Bollert und Hermann Herter (der letztere nachmals Architekt des oben erwähnten Bahnhofes Wiedikon) sowie von Bauingenieur Robert Maillart hatte erbauen lassen.


Die Hut- und Mützenfabrik Felber an der Oberdorfstrasse 16, erbaut 1910–1911 nach Plänen von Johannes Bollert und Hermann Herter in sachlich-reformerischem Heimatstil. Eisenbetonkonstruktion mit Pilzdecken von Ing. Robert Maillart. Fotografie um 1910/1915, Archiv Peter Ziegler.
Ausserdem hatte der Gemeinderat auf die öffentliche Meinung zu achten. Dass bei einem zu modernistischen Projekt mit Widerstand zu rechnen war, zeigt ein Brief, den der Obmann der Zürcherischen Vereinigung für Heimatschutz, Hans Giesker (1879–1936), am 6. März 1931 an SBB-Generaldirektor Anton Schrafl, schickte:

«Unsere Vereinigung ist kürzlich darauf aufmerksam gemacht worden, dass im Laufe dieses Jahres in Wädenswil ein neues Stationsgebäude gebaut wird, und dass im Anschluss daran von privater Seite am zukünftigen Bahnhofplatz Wädenswil ein grosser Gebäudeblock erstellt werden soll. Ueber den architektonischen Stil dieser Bauten sind nun Gerüchte im Umlauf, die sich zwar hoffentlich nicht bewahrheiten werden, die unserer Vereinigung aber doch Anlass geben, Sie anzufragen, ob wir von allenfalls schon vorliegenden Plänen und Skizzen Einsicht nehmen dürften, um uns zu orientieren» (Standort: A).

Sowohl Bräm als auch der Gemeinderat standen also bei der Bahnhofgestaltung vor der Aufgabe, möglichen Gegnern wie dem Heimatschutz und seinen Wädenswiler Informanten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aus solcher Anpassungs-Anstrengung geboren, vermochte das Projekt Bräm am Ende ebenso wenig zu überzeugen wie das von Fehr, und die gemeinderätlichen Wünsche wirkten teils widersprüchlich, teils überzogen, wie im Fall des wohl von Wiedikon inspirierten Wunsches nach einer durch zwei Geschosse durchlaufenden Schalterhalle.
Die Kreisdirektion III, die sich oft über die Wädenswiler Behörden geärgert hatte (manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht), benutzte Bräms Kritik am SBB-Projekt als Vorwand für ein Sparprogramm: Das Turmmotiv wurde ersatzlos gestrichen und mit ihm – zum Entsetzen der Wädenswiler – auch gleich die Bahnhofuhr. Dafür durfte der SBB-Architekt Schlaginhaufen beim kleinen Bahnhof Wipkingen einen Uhrturm von genau der Art realisieren, wie Bräm ihn für Wädenswil vorgeschlagen hatte.
Abgeschmettert wurde des Weiteren der Wunsch nach einer hohen Schalterhalle, und die Verkleidung des Erdgeschosses mit rustikalem Steinwerk wurde auch gleich weggespart. Noch so gerne kam man dagegen in Zürich dem Wunsch des Gemeinderats entgegen, die malerische Staffelung des Baukörpers auf der Seite zum Merkur zugunsten eines geschlossenen Blocks aufzuheben: mit wenig Mehrkosten bekam man im Obergeschoss einige vermietbare Büros, ohne dass die Wädenswiler wegen einer Verringerung des Sichtfeldes hätten reklamieren können.
Der Wunsch des Gemeinderats nach einem Flachdach wurde abgelehnt, dafür aber beim geplanten Walmdach die Neigung verringert. Das war ohnehin die Absicht des SBB-Architekten Fehr gewesen; gegenüber der Generaldirektion in Bern konnte man diese Massnahme als Kompromiss mit den Wädenswilern verkaufen.
Links: Erstes Projekt Alfred Fehrs für ein neues Aufnahmegebäude Wädenswil, Variante mit nur einem Obergeschoss, Nr. 4846, 7.5.1930. Ausschnitt: Platzfassade. Standort: A. – Rechts: Bahnhofplan Fehrs vom 2.6.1931, Nr. 5147. Ausschnitt: Platzfassade. Bis auf Details entspricht der Plan dem Ausführungsplan. Standort: A und Ba.

Was den SBB-Architekten Fehr betrifft, so nutzte er das Retro-Projekt Bräms, um den renommierten Architekten mit dessen eigenen Waffen zu schlagen: Er trimmte sein konservatives Projekt nun so auf Sachlichkeit, dass es moderner und klarer als das von Bräm wirkte. Von diesem übernahm er die schlichte Form der Erdgeschossfenster und das schöne Motiv des Fenster-Klappläden-Bandes im Wohngeschoss, aber er band sie in seine Fassadenstruktur ein. Auch das vertikale Treppenhausfenster behielt er bei, nun aber nicht mehr als Teil eines Turms, sondern als Binnenelement eines geschlossenen Fassenrechtecks.
Beim Bahnhofgebäude Wädenswil trifft die alte Weisheit zu, dass weniger mehr ist. Unter dem Druck, zu vereinfachen und sich gleichzeitig gegen einen erfolgreichen Kollegen zu behaupten, wuchs der SBB-Bautechniker Fehr über sich selbst hinaus: Er wusste Rechteckelemente so geschickt zu komponieren wie ein konstruktivistischer Künstler.
Definitiver Plan von Alfred Fehr für den Bahnhof Wädenswil, 2.9.1931, Nr. 5207. Ausschnitt: Platzfassade des Hauptgebäudes. Standort: Ba. In Abänderung des Plans vom 2.6.1931 ist das vertikale Treppenhausfenster jetzt von der Eingangstür abgetrennt, dafür sind die zwei Wohn-Fensterreihen des Obergeschosses zu einem einzigen Band zusammengefasst.

3.3 Der Kronenblock: Architekt Bräm profiliert sich als Modernist

Während Architekt Bräm bei seinem Bahnhofprojekt Zugeständnisse an antimodernistisch eingestellte Gemeinderäte machen und am Ende erleben musste, dass der SBB-Architekt ihn punkto Sachlichkeit «überholte», konnte er beim Kronenblock, wo er für eine private Auftraggeberschaft – die Bank in Wädenswil – arbeitete, seine Vorstellungen von zeitgemässer Architektur durchsetzen und nun seinerseits den Bahnhofarchitekten an Strenge und Schilchtheit übertrumpfen. Das zeigt das Baueingabeprojekt für den Kronenblock, das aus dem gleichen September 1931 wie Fehrs definitiver Bahnhofplan stammt.
Bräm arbeitete beim Kronenblock mit Architekt Albert Kölla zusammen. Dieser galt eigentlich als Heimatstilspezialist, aber beim Kronenblock hat er offenbar die neusachliche Linie Bräms mitgetragen.

Aufriss des sogenannten Kronenblocks (Bahnhofstrasse 9/Seestrasse 112). Plan von Heinrich Bräm und Albert Kölla vom 16.9.1931, als Baugesuch eingegeben am 11.11.1931. Das Gesuch betraf erst die seeseitige Hälfte des Blocks, aber die Bauherrschaft hatte bereits den Kauf der Krone im Auge, an deren Stelle der Bau an der Seestrasse entstand. 1932 war der Block vollendet.