Veränderungen am Bahnhofplatz

Quelle: «Zürichsee-Zeitung», 22. Februar 2007 von Peter Ziegler

Vor dem Abbruch des Dosenbach-Hauses

Ab Osterdienstag, 10. April 2007, wird die Stadt Wädenswil das Haus Dosenbach an der Seestrasse 106, das eigentlich «Fortuna» heisst, abbrechen lassen. Damit verschwindet eines der letzten Gebäude des alten Wädenswiler Bahnhofquartiers.

Der Bereich zwischen Seestrasse und Seeufer erfuhr seit den 1830er Jahren im Abschnitt vom «Engel» bis zur Sust weitreichende Veränderungen. 1835 wurde das heutige Hotel Engel gebaut, 1840 legte man eine grosse Seehaabe an und an deren Rand das Lagerhaus Sust und das moderne Hotel Seehof (Seestrasse 93). Zur gleichen Zeit vollendete man in diesem Abschnitt die Seestrasse, welche die bisherige Hauptstrasse – den Strassenzug Florhofstrasse – Gerbestrasse – Eidmattstrasse – Plätzli – Luftstrasse – ersetzte.

Das alte Bahnhofquartier

Zwischen heutiger Engelstrasse und Bahnhofplatz lag ein Quartier mit zehn Häusern. «Schiffli», «Akazie», «Bellevue», «Schönegg», Haus Brupbacher und «Engel» bildeten die zum See ausgerichtete Front. Der Gasthof Krone mit Saalbau, die Wirtschaft Johannisburg und das Haus der späteren Bäckerei Ammann grenzten oben an die Seestrasse. Die Gerbestrasse und deren Fortsetzung – später Fortuna-Strasse benannt – bildeten mit dem Eckhaus «Schiffli» und dem angebauten Haus Seeau die östliche Begrenzung. Mitten im heutigen Bahnhofplatz stand das kleine Haus Friedau. Wo 1903 der seeseitige Teil des Hauses Merkur erstellt wurde, erhob sich das alte Grossmann-Haus. Das Areal bergseits bis zur Seestrasse war nicht überbaut. Am Standort des jetzigen Hauses Dosenbach gab es bis 1866 zwei Scheunen.
In den Jahren 1870 bis 1875 legte die Nordostbahngesellschaft die Seebahnlinie an. Zu diesem Zweck liess sie den Hafen bei der Sust auffüllen. Auf das Aufschüttland kam der Güterschuppen zu stehen und zürichwärts anschliessend das Bahnhofgebäude nach gleichem Bauplan wie der noch bestehende Bahnhof Richterswil. Vom «Engel» bis zur Sust erstreckte sich nun die Bahnhofstrasse, in paralleler Führung zur Seestrasse.
1881 eröffnete das Hotel Du Lac, und 1903 und 1906 entstand in zwei Etappen das Geschäftshaus Merkur. Den grössten Eingriff erlebte das Bahnhofquartier in den Jahren 1931/32. Damals wurden die Häuser im Viereck zwischen Engelstrasse, Bahnhofstrasse, Fortuna-Strasse und Seestrasse abgebrochen. Auf diesem Areal entstand der moderne Kronenblock, eine der ersten Flachdachbauten in Wädenswil, und ein Teil des Bahnhofplatzes. Durch den Abbruch des Hauses Johannisburg (Seestrasse 110) verbesserte man die Zufahrt zum Bahnhofplatz von der Seestrasse her.
Am 29. Oktober 1932 nahmen die SBB den neuen Bahnhof in Betrieb. Der Vorgängerbau gegenüber dem «Du Lac» wurde hierauf abgebrochen. 1958 hatten das Hotel Du Lac und die sogenannte Dependance – ein Gebäude von 1687 – für zwei Neubauten zu weichen. Für den Bau der Unterführung von der Gerbestrasse zum Bahnhofplatz beseitigte man 1960 das einst mit der Johannisburg zusammengebaute Haus mit der Bäckerei Ammann (Seestrasse 108). Damit verblieben Sust, Seehof und das Haus Dosenbach zwischen Güterschuppen und Kronenblock als einzige Bauten aus der Zeit bevor Wädenswil den Anschluss an die Eisenbahn fand.
Wädenswil mit dem alten Bahnhofquartier, um 1920.

Bau des Hauses Fortuna

Am 1. Oktober 1866 verkaufte Friedensrichter Konrad Isler am See dem Baumeister Heinrich Knabenhans, wohnhaft «Zur Seeau» in Wädenswil, zwei Schöpfe mit einem Sodbrunnen und etwas Land dabei, vorhalb der «Krone» gelegen und an die Seestrasse und die Strasse gegen dem See (später Fortuna-Strasse) grenzend. Der Verkäufer sicherte dem Käufer zu, er habe nichts dagegen, wenn die Schöpfe abgebrochen und dort ein Haus gebaut werde. Der Kaufantritt fiel auf Martini 1866.
1867 begann Baumeister Knabenhans mit dem Bau eines grossen Wohnhauses, das er in jenem Jahr für 24'000 Franken gegen Brand versichern liess. Das Haus sei freistehend, neu erbaut und noch unvollendet, lautete der entsprechende Registereintrag. Und so blieb es bis 1870. Stets wurden «Mehrbauten» erwähnt, und der Assekuranzwert stieg schliesslich auf 68'000 Franken an. Es scheint, dass Knabenhans immer dann am viergeschossigen Wohnhaus bauen liess, wenn er sonst wenig oder keine Aufträge hatte. 1871 war der sehr hoch und schlank wirkende Massivbau unter Giebeldach mit parallel zur Seestrasse verlaufendem First vollendet. Finanziert wurde er zu einem grossen Teil mit Krediten, welche der Bauherr bei der 1863 gegründeten Leihkasse Wädenswil, der späteren Bank Wädenswil, aufgenommen hatte.
Mit einem Inserat, das am 24. Mai 1873 im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» erschien, zeigte der Schuster J. Stähle, bisher am Sagenrain domiziliert, seiner Kundschaft an, dass er «in einem Laden zur Fortuna» eine Schuhwarenhandlung eingerichtet habe. Er empfahl sich für die Abnahme aller Arten von Schuhwaren in guter Qualität und zu billigen Preisen, ferner für Schuhreparaturen. 1875 pries Stähle in seinem «Schuhladen zur Fortuna» folgende Artikel zu herabgesetzten Preisen an: «Herrenrohrstiefel, Herren- und Knabenbottinen, Damen- und Kinderbottinen mit Elastic und zum Schnüren, Winterschuhwaren, Herren- und Knabengamaschen in Kautschuk und Glanzleder».

Warenhaus Schubiger zur Fortuna

1876 wurde Baumeister Heinrich Blattmann durch Kauf Eigentümer des Hauses Fortuna und 1887 der Wädenswiler Kaufmann Johannes Schubiger. Letzterer betrieb seit 1865 ein Merceriewarengeschäft neben der Gerbe und handelte mit Garn und Wolle. Am 28. Mai 1887 liess er im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» ein Inserat einrücken, um bekannt zu machen, dass er sein Geschäft «anfangs nächster Woche in die „Fortuna“ verlegen» werde. Gleichzeitig empfahl er auf Pfingsten hin seine Tricothandschuhe, Seidenhandschuhe, Rüschen in prachtvoller Auswahl und Spitzen in 80 Sorten und Farben.
Das Geschäftslokal im Parterre des Hauses Fortuna bot Schubiger die Gelegenheit, das Sortiment auszuweiten. Anfang Dezember 1887 machte er im «Anzeiger» auf seine Spielwarenausstellung aufmerksam. Gross war das Angebot an Spielsachen für Knaben: Kuhställe, Pferdefuhrwerke, Menagerien, Eisenbahnen in Holz und Blech, Fahnen, Säbel, Flinten, Patronentaschen, Trompeten, Knallpistolen, Holz- und Steinbaukasten, Laubsägebogen ... Als Geschenke für Mädchen waren bei Schubiger zu kaufen: Puppen in vielen Sorten, Puppenstuben, Puppenmöbel, Puppenwagen, Bügeleisen, Kommoden, Services, Küchengeräte, Waschgarnituren, Kochherde, Violinen, Waagen, Ausnäharbeiten. Im Weiteren vertrieb J. Schubiger Bilderbücher, Spiele, Christbaumverzierungen und Christbaumkerzen.
Die Inserate im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» geben ein gutes Bild von Schubigers Geschäftstätigkeit. Sie zeigen die Entwicklung seines einfachen Ladens zum Warenhaus (1896) und Leipziger Bazar (1899) und informieren über den laufenden Ausbau des Sortiments. 1891 etwa rief er «das geehrte Publikum» bereits am 24. November auf, in seinem Spielwarenlager möglichst frühzeitig einzukaufen, «da die Auswahl jetzt noch grösser ist und kurz vor Weihnachten bei dem grossen Andrange in meinem Magazine oft nicht die gewünschte sorgfältige Bedienung möglich ist». In den 1890er-Jahren war übrigens Schubigers Geschäft, seit 1897 als «Warenhaus z. Fortuna» bezeichnet, an Sonntagen im Dezember bis 6 Uhr abends geöffnet und am Neujahrstag bis 15 Uhr.
1891 gab Johannes Schubiger bekannt: «Sogenanntes Markten ist bei mir unnütz.» Und am 6. Dezember 1892 verkündete er in einem ganzseitigen Zeitungsinserat: «Bin in den Stand gesetzt, die Preise bei gleicher Ware und Qualität tatsächlich billiger stellen zu können wie sie in Zürich gestellt werden, was mir meine sehr grossen Bezüge aus bester Quelle ermöglichen und weil das Zinsbetreffnis trotz den grossen Lokalitäten ein vielfach kleineres ist und ich mich mit bescheidenem Nutzen begnügen kann.»
Neuartig war die Weihnachtsaktion 1896. Bei einem Einkauf von über drei Franken erhielt jeder Käufer ein Geschenk. Und wer in der Neujahrswoche zehn Dezemberquittungen vorweisen oder zusenden konnte, bekam einen Abreisskalender.
Haus Fortuna mit Bazar von J. Schuber, um 1900.

Der Pantoffelhandel

Im Juli 1898 wies Johannes Schubiger in einem Inserat für Filzschuhe darauf hin, seine Ware sei besser als jene der Konkurrenz. Ohne dass ein Name genannt wurde, bezog sich diese Feststellung auf das ebenfalls in Wädenswil ansässige Kaufhaus von Heinrich Alter zur alten Post. Dieser liess am 16. Juli im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» sofort ein Gegeninserat veröffentlichen, des Inhalts: «100 Fr. Strafe zahle ich, wenn mir der Nachweis geliefert wird, dass die von mir geführten Filzschuhe mit Gummisohlen geringer sind als die der Firma J. Schubiger. Obige Firma erdreistet sich, öffentlich zu behaupten, dass ihre Schuhe nicht zu verwechseln sind mit der leichteren Konkurrenzware. Ich verkaufe nach wie vor Schuhe für Kinder zu 40 Rp., für Frauen zu 60 Rp.»
In der folgenden Ausgabe, am 19. Juli 1898, reagierte wieder Johannes Schubiger mit einem Inserat: «Der Ärger-Erguss vom 17. Juli seitens der Firma Alter hatte allgemein höchstens einen Heiterkeitserfolg. Es ist bezeichnend, dass obige Firma, ohne dass ich sie nannte, die in meiner Annonce betreffend Filzpantoffeln gebrauchten Worte: „Nicht zu verwechseln mit leichterer Konkurrenz-Ware“ auf sich bezog, somit sich betroffen fühlte. Bevor ich meine Annonce abgefasst, habe ich durch hiesige Bürger ein Paar Pantoffeln mit Gummisohlen holen lassen, um der Sache sicher zu sein und fand mich zu der Bemerkung voll und ganz berechtigt und lasse ich mir auch durch obige Firma die Tatsachen nicht wegdisputieren. Glücklicherweise versteht das Publikum von Wädensweil die Qualitäten sehr gut zu unterscheiden und überlasse es getrost demselben, das Richtige zu finden.»
Im Oktober 1898 gab Heinrich Alter den Verkauf seines Warenhauses zur alten Post an M. Scheitlin bekannt. Ob ihm der Konkurrent Schubiger das Geschäften verleidet hatte, ist nicht bekannt.

Neuerungen im Warenhaus Schubiger

Johannes Schubiger zur Fortuna bot ständig neue Artikel zum Kauf an. 1897 empfahl er den Damen seine Fichus, Schleifen, Schärpen, Puls- und Kniewärmer, Strümpfe, Handschuhe und Korsetts, aber auch Broschen, Ohrringe, Spiegel, Gürtel, Haar-, Zahn- und Nagelbürsten, Parfums und Riechkissen. Am 22. April 1899 warb er für seine «Ansichtspostkarten von Wädensweil in verschiedenen Aufnahmen», das Stück zu 5 Rappen und im Dutzend zu 50 Rappen. Am 24. Mai machte er auf sein grösstes Lager an Leder- und Reiseartikeln aufmerksam: auf Koffern und Reisetaschen, Feldflaschen, Trinkbecher, Schulmappen, Taschenfernrohre, Zigarren- und Zigarettenetuis, Spazierstöcke, Sonnen- und Regenschirme ...
Am 13. November 1902 gab er in der Zeitung bekannt, dass wieder eine Eisenbahnwagenladung Steingutwaren eingetroffen sei: Salzbehälter, Platten, Spargelschalen, Kaffeebecken, Suppenschüsseln, Wasserkrüge, Waschbecken, Nachttöpfe, Tortenplatten, Butterhäfen, Blumentöpfe, Wein- und Milchkrüge ... Und am 2. Dezember 1904 tat er öffentlich kund: «Gratistag war der 8. November. Und werden alle an diesem Tag bezahlten Beträge zurückbezahlt und ist man höfl. ersucht, das Geld auf meinem Bureau in nächsten Tagen abzuholen. Achtungsvoll J. Schubiger.»
Im Jahre 1900 hatte Johannes Schubiger sein Warenhaus in der Fortuna um einen eingeschossigen Zinnenanbau mit Laden auf der südöstlichen Giebelseite des Hauses erweitern lassen. Bald aber hatte er Grösseres vor.

Warenhaus Schubiger im «Merkur»

Anstelle des abgebrochenen älteren Wohnhauses Grossmann baute die Firma Kellersberger & Zimmermann im Jahre 1903 den seeseitigen Teil des Wohn- und Geschäftshauses Merkur. Zwischen diesem Neubau und der Seestrasse lag eine weitere Bauparzelle, die Johannes Schubiger den Baumeistern, deren gemeinsame Firma 1904 erloschen war, im Jahre 1905 abkaufte. Dabei ging der Käufer folgende Bedingungen ein: Auf der Parzelle wird sofort ein Geschäftshaus erstellt, das auch eine Etage Wohnräume enthält. Das Gebäude soll in der äusseren Architektur dem Gebäude zum Merkur zum mindesten nicht nachstehen. Erd-, Fundations-, Maurer-, Steinhauer-, Zement-, Verputz- und Gipserarbeiten sind zu ortsüblichen Tagespreisen an die selbständigen Firmen Emil Kellersberger und Abraham Zimmermann zu vergeben.
Im Oktober 1906 war der Bau vollendet, und Johannes Schubiger, der sein Warenhaus aus der «Fortuna» in den geräumigeren neuen «Merkur» verlegt hatte, konnte am Donnerstag, 18. Oktober, zur Eröffnung der «Grands Magasins» einladen. Begeistert schrieb der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» in der Ausgabe vom 19. Oktober: «Am Donnerstag Nachmittag war jedermann Gelegenheit geboten, den Neubau des Herrn J. Schubiger vis-à-vis dem Postgebäude zu besichtigen. Das neue Haus steht unserem Dorfe wohl an und darf mit seinen Erkern, Türmchen und grossen Schaufenstern mancher grossstädtischen Baute wohl zur Seite gestellt werden. Der innere Ausbau, speziell für ein Warenhaus eingerichtet, entspricht allen Anforderungen der Neuzeit. Personen- und Warenaufzüge, Zentralheizung, elektrisches Licht, Telefon usw. fehlen nicht, und von der Terrasse aus geniesst man eine prächtige Rundsicht über das Dorf und den See. In den oberen Räumen des Hauses konzertierte am Abend die hiesige Harmoniemusik, als Anerkennung für eine jüngst dem Verein gemachte Zuwendung.»
Johannes Schubiger führte sein Warenhaus im Merkur bis im Herbst 1909. Dann gab er am 13. Oktober den Totalausverkauf bekannt, «wegen Aufgabe des Geschäftes und Wegzug». Im Merkur vermietete er seinem Nachfolger, dem Kaufmann Leonhard Ascher, «zur Betreibung eines Warenhauses» das Parterre und die erste Etage, einen Keller und für das Warenlager einen Teil des 5. Stocks. Die Familie Ascher bezog die Vierzimmerwohnung im 3. Stockwerk. 1910 geriet Johannes Schubiger in Konkurs. 1911 ersteigerte Johannes Boesch-Schubiger in Zürich den oberen Teil des Merkurs aus der Konkursmasse und verkaufte ihn 1918 an den Einwohnerverein Wädenswil, der in der Folge im Erdgeschoss einen Lebensmittel-Verkaufsladen einrichtete.

Arnold Eschmann zur Fortuna

Nach der Eröffnung seines Kaufhauses im neuen Merkur verkaufte Johannes Schubiger die von ihm nicht mehr benötigte Nachbarliegenschaft Fortuna. Eigentümer wurde Arnold Eschmann, der hier ein Comestibles-Geschäft einrichtete. Am 13. Dezember 1907 inserierte er im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee». Er pries nicht nur seine Flaschenweine verschiedener Herkunft und Jahrgänge an, sondern empfahl auch seinen Cognac, Rum, Kirsch, Whisky, Eiercognac, Absinth, Vermut und Magenbitter. In einem zweiten Inserat in der gleichen Ausgabe warb er für Wild, Geflügel, Fische, Austern, Südfrüchte, Biskuits und Tee. Und in einer dritten Annonce gab er bekannt, dass bei ihm als Festgeschenk auch Zigarren in grösster Auswahl, tadelloser Qualität und eleganten Packungen zu finden seien, hundert Stück von 70 Rappen bis 10 Franken.
Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember 1907, liess Arnold Eschmann zur Fortuna wiederum ein Inserat in den «Anzeiger» einrücken, diesmal für Mandeln, Haselnusskerne, Feigen, Birnen, süsse und saure Apfelschnitze, Zitronat, Orangeat, Zimt, Anis, Koreander, Vanille, Vanillezucker, Backpulver, Rosinen, Sultaninen und Weinbeeren.
Offensichtlich hatte sich Arnold Eschmann mit dem Hauskauf finanziell übernommen, und auch der Laden warf wohl zu wenig Einnahmen ab. Mit Datum vom 10. März 1910 jedenfalls musste Notar J. Nägeli den Konkurs von «Arnold Eschmann, Sohn, Kaufmann, zur Fortuna» bekannt geben. Die öffentliche Steigerung fand am 11. April 1910, nachmittags vier Uhr, im Hotel Du Lac statt. Zur Versteigerung stand «die Liegenschaft zur Fortuna, bestehend in einem für Fr. 87'500 Fr. assekurierten Wohnhaus mit Zinnenanbau, Ladenlokalen mit elektrischer Beleuchtungsanlage, nebst zirka 4 Aren Gebäudegrundfläche und Hofraum dabei, in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs gelegen». Und weiter gab das Konkursamt bekannt: «Das Haus enthält drei schöne, sonnenreiche, fünfzimmrige Wohnungen mit Badezimmer, eine Mansardenwohnung, Waschküche, Keller, Estrich und drei Verkaufslokale, von denen das eine zur Zeit frei ist und sich für den Betrieb eines Spezerei- oder Comestibles-Geschäftes eignen würde.»
Am 13. April 1910 erfuhr die Öffentlichkeit aus dem «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» vom Ausgang der Konkursgant. Neuer Eigentümer der Liegenschaft zur Fortuna war das «Schuhwarenhaus Carl Dosenbach & Cie. in Zürich» geworden, zum Preis von 127'000 Franken.

Schuhhaus Dosenbach

Im neu erworbenen Haus an bester Geschäftslage in Wädenswil richtete Carl Dosenbach (1870–1955), dessen Hauptgeschäft für Schuhwaren sich am Rennweg in Zürich befand, eine Filiale ein. Ab 1911 warb er in Wädenswil für seine Produkte: für Schuhe, Stiefel und Finken. 1912 konnte man, die Leistungsfähigkeit und die Vorzüge rühmend, der Wädenswiler Kundschaft mitteilen: «Das Schuhhaus Dosenbach, welches auf ein 57-jähriges Bestehen zurückblicken kann, nimmt unter den schweizerischen Schuhwaren-Detailgeschäften den ersten Rang ein, denn es ist das grösste Geschäft dieser Art in der Schweiz.» Und ausgerechnet in Wädenswil gab es jetzt eine Filiale.
1917 ging die Liegenschaft Fortuna in den Besitz der Immobiliengenossenschaft Doso über. Das Schuhgeschäft Dosenbach gab seinen Laden in der Fortuna im Herbst 2001 auf, nachdem man 1998 im ersten Stock des Coop an der Zugerstrasse – im aufgehobenen Coop-Restaurant – neue Verkaufsräume bezogen hatte.
Haus Fortuna vom Bahnhofplatz her, um 1930.

W. Simon, Kolonialwaren, zur Fortuna

Die Firma Dosenbach beanspruchte nicht die ganze Verkaufsfläche, die im Erdgeschoss und im Anbau des Hauses Fortuna zur Verfügung stand. Das Ladenlokal im Zinnenanbau war an die Firma W. Simon vermietet, ein Kolonialwarengeschäft mit Filialen in Rapperswil, Horgen, Thalwil und Bendlikon/Kilchberg. Am 29. März 1912 inserierte W. Simon zur Fortuna im «Anzeiger» für Eier, Butter, Fett, Mehl, Mandeln, Weinbeeren, Sultaninen, Rosinen, Blondorangen, Blutorangen, Äpfel, Zwiebeln und Malta-Kartoffeln. Und am 15. Dezember 1916 empfahl er unter anderem Mandarinen, französische Kastanien, neue gedörrte Bohnen, Feigen, Orangeat, Zitronat, Zitronen, Toggenburger Birnbrot, Appenzeller Biber, Tirggeli, Mailänderli, Willisauer-Ringli, Tee, Kakao, Schokolade, Weine und Spirituosen.
1921 waren bei W. Simon zu haben: frische Eier, hiesige Trinkeier, jugoslawische geräucherte Schweinsrippli, geräucherter Magerspeck, amerikanische Schinkli, Stockfisch, Rollmops und Salzheringe aus Holland. Ferner gehörten zum Angebot Kabis, Rotkohl, Lauch, Wirz, Öl und Fett, Kaffee, Schokoladepulver und verschiedene Seifen.

Modewaren in der Fortuna

Um 1920 gab es in der Liegenschaft Fortuna nebst Schuhhaus und Lebensmittelladen auch ein Modegeschäft. Am 3. November 1919 zeigte Frau Bürker-Koepfli ihrer verehrten Kundschaft in Wädenswil, Schönenberg, Hütten und Umgebung «hochachtungsvoll» an, sie verlege ihr Modegeschäft, das sie seit 15 Jahren im Haus Linde an der Zugerstrasse geführt habe, in die Liegenschaft Fortuna an der Seestrasse. Nachfolgerin war später offenbar Frau Francioni zur Fortuna, die nach Weihnachten 1928 wegen Geschäftaufgabe den Totalauskauf von Damen- und Töchterhüten sowie Damenstrümpfen in Seide und Baumwolle bekannt machte.
 

Migros-Laden in der Fortuna

Am Samstag, 14. November 1931, eröffnete die Migros AG im früheren Ladenlokal der Firma W. Simon im Anbau des Dosenbach-Hauses in Wädenswil ein «Ladengeschäft» oder ein «Verkaufsmagazin», wies es damals hiess. Als Begründung für die Niederlassung der Migros in Wädenswil wurde angeführt, man wolle damit das Verkaufsmagazin in Zürich-Enge entlasten. Und weiter hiess es im Inserat: «Damit können wir unsern Kunden ausser mit den Wagen-Waren auch mit Fleischwaren, Früchten und Gemüsen etc. dienen. Besonders hoffen wir denjenigen Kunden dienlich zu sein, die verhindert sind, zu bestimmter Stunde an unsern Wagen zu kaufen. Wir glauben nicht, dass wir viele Wort machen sollten. Nur auf eines möchten wir hinweisen: auf die Migros-Qualitäten.» Die Lage des neuen Geschäftes war hervorragend: am neu geschaffenen Bahnhofplatz, zwischen viel besuchter Post und neuem Bahnhof. In der Liegenschaft Fortuna befand sich der Migros-Laden, der erste am linken Seeufer, bis 1958. Dann bezog man ein Provisorium beim Haus Zugerstrasse 2 nahe dem Zentral. 1973 konnte der grosse Migros-Markt mit Restaurant an der Oberdorfstrasse eröffnet werden.
Migros-Laden am Haus Fortuna, eröffnet 1931.

Arztpraxis und Fotoatelier

Es würde zu weit führen, auf alle Bewohner und Bewohnerinnen des grossen Mehrfamilienhauses Fortuna einzugehen. Zwei Hinweise mögen genügen. Am 1. Oktober 1920 machte Dr. med. Emil Ochsner-Orell bekannt, er praktiziere ab 6. Oktober im Haus Fortuna in Wädenswil und sei über Telefon Nummer 287 erreichbar. Später verlegte er seine Arztpraxis auf die andere Seite der Seestrasse, ins Postgebäude Seestrasse 105.
Im Juli 1937 zog Marcel Hoffmann (1904–1968) von Dietikon nach Wädenswil und eröffnete im Haus Fortuna ein Fotogeschäft. Im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» publizierte der Fotograf am 7. August 1937 sein erstes Geschäftsinserat. Darin empfahl er «einem geschätzten Publikum von Wädenswil und Umgebung» sein soeben in der Fortuna, im Schuhhaus Dosenbach, am Bahnhofplatz eröffnetes «Portraits- und Amateur-Geschäft». Als Spezialhaus für alle Zweige der Fotografie konnte Hoffmann innert kürzester Zeit auch Atelier-Aufnahmen für Industrie, Reklame, Kataloge, Vereine sowie Passaufnahmen herstellen. Das Atelier war selbst am Sonntag geöffnet, und zwar von 10 bis 12 Uhr. Und was in Wädenswiler Geschäften damals nicht die Regel war: Bei Hoffmann wurde man auch fremdsprachig bedient: «On parle français» und «Si parla italiano», hiess es in der Bekanntmachung in der Wädenswiler Lokalzeitung.
Die Familie Hoffmann wohnte im Nordteil des Hauses Fortuna. Als Atelier diente die Stube mit Plüsch- und Velourvorhang als Hintergrund. Die Dunkelkammer lag im feuchten Keller. Während der Mann in der Dunkelkammer arbeitete, führte die Ehefrau den Laden. Dieser war auch über Mittag geöffnet und abends bis 19 Uhr. Spezialität von Foto Hoffmann waren Hochzeitsaufnahmen, Porträt- und Familienbilder, Sachaufnahmen (zum Beispiel Schmuck) und Aktfotos. Anfang 1940 erfolgte der Umzug des Fotogeschäfts von der Fortuna ins Haus Seestrasse 89, wo Laden, Atelier und Arbeitsräume günstiger gemietet werden konnten.

Die Stadt Wädenswil interessiert am Dosenbach-Haus

Nach dem Abbruch des Nachbarhauses Ammann im Jahre 1960 stand das Haus Fortuna oder das Dosenbach-Haus, wie es häufiger genannt wurde, isoliert da, auf allen vier Seiten von Asphaltflächen umgeben. Das Inventar der schutzwürdigen Bauten in Wädenswil von 1981 attestierte dem Gebäude einen bedeutenden Eigenwert und einen hervorragenden Situationswert. Doch der Eigentümer, die Doso AG, investierte nicht mehr ins Haus, dessen baulicher Zustand sich laufend verschlechterte. Der Stadtrat musste den Bau aus dem anvisierten Denkmalschutz entlassen. Seit den 1990er Jahren versuchte die Behörde das Haus zu erwerben, um es im Zuge einer Neugestaltung des Bahnhofplatzes abbrechen zu lassen. Die Verhandlungen kamen aber nur schleppend voran. Am 13. Oktober 2001 berichtete die «Zürichsee-Zeitung»: «Die Hoffnung auf eine baldige Realisierung der städtischen Bahnhofplatz-Pläne haben einen Dämpfer erhalten. Denn das im Weg stehende Dosenbach-Haus wird vorerst nicht verkauft. Die Stadt, welche das Haus zwecks Abbruchs kaufen will, hat zwar noch keine Antwort auf ihre Kaufofferte erhalten. Doch es verdichten sich die Anzeichen, dass die Besitzerin das Haus nicht so rasch verkaufen will. Denn wenn in einigen Wochen das darin beheimatete Dosenbach-Schuhgeschäft schliesst, sollen die Räume im Erdgeschoss sanft umgebaut werden: für ein Lebensmittelgeschäft. Zwar müssen Umbau- und Nutzungsänderung noch bewilligt werden, klar ist aber: Das störende Haus ist für die Stadt nicht so einfach zu haben.»
Im Juni 2002 beantwortete der Stadtrat eine schriftliche Anfrage zweier SP-Gemeinderäte zur Sanierung des Bahnhofplatzes. Darin betonte er, nötigenfalls sei sogar eine Enteignung des Dosenbach-Hauses verhältnismässig. Zu dieser Massnahme kam es allerdings nicht. Nach intensiven weiteren Verhandlungen mit der Eigentümerin, der Doso AG, konnte die Stadt Wädenswil die Liegenschaft Dosenbach an der Seestrasse 106 im August 2004 kaufen.

Vor dem Abbruch

Im Geschäftsbericht 2004 teilte der Stadtrat bezüglich des Hauses Dosenbach mit: «Seit kurzem liegt die Abbruchbewilligung vor. Allerdings soll das Gebäude erst abgebrochen werden, wenn mit dem Bau des Busbahnhofes begonnen wird. Bis dahin werden die Wohnungen noch durch den städtischen Sozialdienst als Notwohnungen oder zur Unterbringung von Asylbewerbern genutzt.» Mit der Zustimmung der Stimmberechtigten zur Neugestaltung des Bahnhofplatzes in der Urnenabstimmung vom 26. November 2006 sind die Voraussetzungen geschaffen worden, um das aus den späten 1860er Jahren stammende Haus Dosenbach im Zuge einer Neugestaltung des Busbahnhofs abzubrechen. Dann wird nur noch aus den Hausnummern Seestrasse 104 für den Merkur und Seestrasse 112 für die «Krone» ablesbar sein, dass zwischen diesen beiden grossen Bauten einmal weitere drei Häuser – Seestrasse 106, 108 und 110 – gestanden hatten.
Haus Fortuna, abgebrochen 2007.




Peter Ziegler