Die «Hirschen−Schwanen»-Überbauung

Autor: Michael D. Schmid, März 2019

Das markanteste Bauwerk im Wädenswiler Stadtkern ist zweifellos die reformierte Kirche − vor allem dank ihres 64 m hohen Turms. Fragt man aber nach dem städtebaulich relevantesten und prägendsten Bauwerk, ist wohl die Überbauung Hirschen-Schwanen Favorit für den Spitzenrang. Die Begriffe «Hirschen», «Schwanen», «Ceder» und «Ochsen» sind heute fast in Vergessenheit geraten. Diese Namen bezeichnen einige der Häuser, die in den 70er Jahren der multifunktionalen Grossüberbauung auf der Südseite der Zugerstrasse weichen mussten. Die Überbauung enthält Verkaufsgeschäfte, Büros und Wohnungen und prägt als langgezogener Baukomplex das Zentrum massgeblich. Wirkte schon die ursprüngliche Bebauung der Südseite der Zugerstrasse durch die Dichte an kleinen, eng aufgereihten Bauten recht städtisch, brachte die vom Wädenswiler Architekturbüro Heinrich Theodor Uster ab 1971 geplante und bis 1981 realisierte Überbauung ein ganz neues Verständnis von zeitgemässer Urbanität ins Wädenswiler Stadtzentrum.

Luftsicht auf das Zentrum von Wädenswil, 03.09.1960, das alte Hirschen-Schwanen-Areal ist rot umrahmt. (Swissair Air Photo / ETH-Bildarchiv LBS_P1-601832).

Luftsicht auf das Zentrum von Wädenswil, 22.07.1991, das neue Hirschen-Schwanen-Areal ist rot umrahmt. (Swissair Air Photo / ETH-Bildarchiv LBS_R1-911174).

Die Häuserzeile vor 1972

Die Zugerstrasse ist neben der Seestrasse die wichtigste Verkehrsachse Wädenswils. Sie wurde 1841 als Teil der Verbindungsstrasse von Wädenswil−Hirzel−Sihlbrugg gebaut und verbindet seit 1967 das Stadtzentrum mit der Autobahnausfahrt.[1] Auf dem Abschnitt zwischen der Schönenbergstrasse (Hirschenplatz) und der Türgass (Schwanenplatz) reihten sich bis 1971 elf teilweise aneinandergebaute Häuser − man kann sie auch als sechs Häuserkomplexe auffassen − der Zugerstrasse entlang. Sie waren teilweise dicht an den Strassenrand gebaut und liessen einer zeitgemässen Entwicklung von Strasse und Fussgängerzone kaum Raum. Die Bilder aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zeigen eine Häuserzeile, wie sie einem kleinstädtisch verdichteten Dorf entsprechen. Im Folgenden soll die Geschichte einiger der abgegangenen Einzelbauten kurz aufgerollt werden, indem wir uns vom Hirschenplatz zur Türgass bewegen.

Blick vom Schwanen (rechts) auf die Häuserzeile nach Osten vor 1970.

Blick vom Hirschen (links) auf die Häuserzeile nach Westen, im Vordergrund ein Weintransport, um 1920 (DOZ OB-4-3).

Postkarte mit «Ochsen» (links), «Schwiizerhüsli» und «Schwanen» (rechts), 3. Viertel 20.Jhdt., (DOZ OB-4-3)

Schwanenplatz, 3. Viertel 20. Jhdt., Albert Schoch.

Das Gasthaus «Hirschen»

Der Platz, auf dem die Zuger- und die Schönenbergstrasse zusammenführen, heisst «Hirschenplatz». Der Name rührt vom einstigen Gasthaus «Hirschen» her. Das stattliche klassizistische Gebäude stand längs zur Zugerstrasse. Es war dreistöckig, verfügte über ein Walmdach, das durch befensterte Zwerchaufbauten als viertes Geschoss genutzt werden konnte. Zur Schönenbergstrasse hin verfügte das Haus über einen Anbau mit Gartenterrasse. Mit seinen gleichmässig rhythmisierten Fensterachsen, den Gesimsen über den Fenstern (bei zwei Fenstern sogar Dreiecksgiebeln) und einem Wirtshausschild mit Hirsch war es ein Blickfang im Ortsbild.
Das Gasthaus wurde um 1770 erbaut und spätestens 1828 um einen Anbau mit Saal erweitert und vermutlich gleichzeitig im klassizistischen Stil erneuert. Später wurde es um Pferdestallungen erweitert und erhielt Ladeneinbauten im Erdgeschoss.[2] Fritz Mayer, 1989 bis 1905 Hirschenwirt, bewarb sein «Hôtel du Cerf» nobel und mondän in französischer Sprache.[3] 1909 wurde das Gasthaus von Karl Kessler übernommen, dessen Töchter Gret und Rosy den Betrieb bis zur Schliessung 1973 weiterführten.[4] Das Restaurant war im ersten Stock untergebracht, die Hotelzimmer im zweiten, sodass das Erdgeschoss zur Schönenbergstrasse Raum für Verkaufsgeschäfte bot. Zuletzt waren unter der Gartenterrasse das Schlachtlokal der Metzgerei Willy Rusterholz[5] und im Hauptbau ein Molkereigeschäft, eine Tabakhandlung und das Uhren- und Bijouteriegeschäft Fritz Küffer untergebracht. 1975/76 wurde das Gebäude abgebrochen.[6]

Das Gasthaus «Hirschen», 1973.

Inserat für das «Hôtel du Cerf», um 1900.

Postkarte mit «Hirschen» und Schloss, versandt 1900, (DOZ OB-4-3).

Postkarte mit «Hirschen» von Norden, um 1950, (DOZ OC-6-3).

Der Hirschenplatz von Osten mit «Hirschen» und «Florhof», um 1900.


Postkarte mit Hirschenplatz von Norden, versandt 1931, (DOZ OC-6-3).

Rückseite des «Hirschen» mit Saalanbau und Ställen, 1973.

Wirtshausschild des «Hirschen», vor 1972.

Interieur des «Hirschen» mit diversen Jagdtrophäen, vor 1972.
 

Das Reformhaus Epprecht

Neben dem Garten des Hauses «Hirschen» befand sich ein einfaches Satteldachhaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, das zuletzt das Reformwarengeschäft von Elsa Epprecht beherbergte. Es wurde 1976 geschleift.[7]
Reformhaus Epprecht, 3. Viertel 20. Jhdt..

Das Haus «Ceder»

An dieses schloss das Haus «Ceder» an. Der Name entspricht einer altertümlichen Schreibweise des Baumnamens «Zeder». Das Haus wurde 1741 errichtet. Die Wohngeschosse konnten über eine seitliche Freitreppe und ein gedecktes Portal erreicht werden, über dem sich ein Balkon mit reich dekoriertem Geländer befand − dies waren wohl Zutaten des 19. Jahrhunderts.[8] Links war in einem traufständigen Anbau mit Satteldach das Comestibles-Geschäft der Gebrüder Bianchi untergebracht. Die Familie von Natale Bianchi, einem italienischen Einwanderer, übernahm das Geschäft 1936 und führte es bis 1974.[9] Die Bauten wurden 1976 abgerissen.[10]

Links das Haus «Ceder» mit dem traufständigen Anbau, rechts das Reformhaus Epprecht, 1971.

Das Haus «Ceder» kurz vor dem Abbruch, im Hintergrund bereits der neue «Hirschen», Albert Schoch.

Das Gasthaus «Ochsen»

Das Gasthaus «Ochsen» war ein grosser, in mehreren Etappen entstandener Gebäudekomplex, der im Kern auf das Jahr 1688 zurückging, wie eine Datierung am Türsturz des Kellers besagte. 1733 wird das Haus, damals im Besitz von Färber Christoph Hotz, erstmals genannt. 1847 ging die Liegenschaft an Gottfried Blattmann über, dessen Nachkommen Paul und Willi Blattmann noch zum Zeitpunkt des Neubaus Eigentümer waren. Aus der kleinen Spenglerei von Gottfried Blattmann im «Ochsen» entstand im Laufe der Jahre die Metallwarenfabrik Blattmann (MEWA), einer der wichtigsten Industriebetriebe Wädenswils, dessen Fabrikgebäude ab 1934 an der oberen Zugerstrasse lag. Die zur Zugerstrasse gewandte Hauptfasse des «Ochsen» unter dem weit ausladenden Satteldach – bis unter First fünf Stockwerke hoch − mutete ausgesprochen wuchtig an.

An den «Ochsen» (Zugerstrasse 19) angebaut war das Haus Zugerstrasse 21, das 1775 erstmals genannt wird. Es gehörte damals Jacob von Kälen, der auch das aus dem 17. Jahrhundert stammenden, ebenfalls zum Komplex gehörige Doppelhaus Lindenstrasse 2/4 besass, und wohl die darin untergebrachte Metzgerei führte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts war hier die oben erwähnte Spenglerei Blattmann untergebracht, zuletzt der Messerschmied Emil Rüegg. Vor dem Abriss wurden ornamentale Malereien der Barockzeit von den Wänden eines der Zimmer entfernt.[11] 1972/73 fiel der «Ochsen»-Komplex der Abrissbirne zum Opfer.[12]

Das Gasthaus «Ochsen» von Nordwesten, 1971.
Der «Ochsen» von Nordosten, vor 1972, (AAZ 11.11.1972/P. Stähli).

Das Doppelhaus Lindenstrasse 2/4 mit der Spenglerei Blattmann, um 1890, (AAZ 11.11.1972).
Das Doppelhaus Lindenstrasse 2/4 kurz vor dem Abriss, um 1970.

Die barocken Grisaille-Malereien im Doppelhaus Lindenstrasse 2/4 werden entfernt, 1972, (AAZ 11.11.1972/P. Stähli).
 

Das «Schwiizerhüsli»

Zwischen dem «Ochsen» und dem «Schwanen» befand sich ein freistehendes Wohnhaus, bekannt unter dem Namen «Schwiizerhüsli». Auch dieses Haus musste 1972/73 der Neuüberbauung Platz machen.
Links das «Schwiizerhüsli», in der Bildmitte der «Schwanen», 1971, (AAZ 26.05.1971/H. Vogelbacher)

Das Gasthaus «Schwanen»

Der Bereich, an dem Türgass, Rosenbergstrasse, Zugerstrasse und Kreuzstrasse zusammentreffen, wird in Anlehnung an das einstige Restaurant «Schwanenplatz» genannt. Der «Schwanen» war wohl im 19. Jahrhundert erbaut worden, und diente als Wohnhaus, Bäckerei und Malerwerkstatt. Emil Hasenfratz übernahm das Haus 1888 und richtete darin eine Metzgerei ein. 1893 ist die Bezeichnung «Schwanen» nachweisbar. Um 1900 wurde im Haupthaus ein Restaurant eingerichtet.[13] Die Liegenschaft gelangte an den Oberrieder Metzgermeister Leo Seiler, der sie 1905 dem bereits im «Schwanen» tätigen Metzgermeister Emil Meier aus Neerach für 72‘000 Franken übertrug.[14] 1907 baute er das Satteldachhaus zu einem kleinen historistischen Stadthaus mit Jugendstilelementen um. Sichtbacksteinbögen und Laubsägearbeiten prägten den Neubau. Es erhielt ein Flachdach, hohe Rundbogenfenster und einen Anbau mit Zinnengiebel, worin nun Meier seine Metzgerei führte. Über dem Schlachtlokal wurde sogar eine zum Restaurant gehörige Kegelbahn installiert. Zum Baukomplex gehörten auch Stallungen.[15] Das Haus «Schwanen», zuletzt im Besitz von Metzgermeister Paul Meier, und die umliegenden Bauten an der Türgass waren 1971 die ersten Gebäude, die im Zuge der Neuüberbauung abgetragen wurden.[16]
Postkarte mit Schwanenplatz und Türgass, 1906, (DOZ ZF 125).

Gasthaus «Schwanen», 1907, (Schoch, Ziegler, Schudel: «Unser Dorf»).

Der «Schwanen» nach dem Umbau, 1908, (Lesegesellschaft Wädenswil).

Der «Schwanen» kurz vor dem Abriss, 1971.
Die Metzgerei im «Schwanen», links das Schlachtlokal, rechts das Verkaufsgeschäft, 3. Viertel 20. Jhdt..
Interieur der Wirtschaft «Schwanen», 3. Viertel 20. Jhdt., (DOZ ZF 125).

«Gut Holz!» Der Kegelclub Schwanen in der Kegelbahn ob dem Schlachthaus der Schwanenmetzg an der Zugerstrasse. Aufnahme 1912, PZ Alltag 186)

Die Überbauung 1971-1981

Der Architekt Heinrich Theodor Uster (1932-2015), der 1957 das noch heute als «Uster AG» bestehenden Architekturbüro gegründet hatte[17], war die treibende Kraft hinter dem Neubau der Liegenschaften. 1971 legte Uster dem Wädenswiler Gemeinderat (damals Exekutive) eine Studie mit Gestaltungsplan für das Areal vor. Ziel der neuen Überbauung war eine zeitgemässe Einkaufsmeile mit grosszügiger Fussgängerzone (vorerst parallel zur weiterhin befahrenen Zugerstrasse) und mit entsprechend zurückversetzten Gebäuden mit 3‘750 m2 Verkaufsflächen zu schaffen. In den Stockwerke über den Ladengeschossen wurden neben Büroräumlichkeiten 54 Miet- und 7 Eigentumswohnungen realisiert. Zunächst galt es jedoch, mit den 13 Eigentümerparteien das Areals eine Einigung zu finden. Trotz des massiven Eingriffs ins Wädenswiler Ortsbild erkannten Politik, Wirtschaft und Private die Bedeutung des Projekts, sodass die Umsetzung innert zehn Jahren vollzogen werden konnte.[18]
Die Überbauung besteht aus vier Teilen, von denen je zwei eine bauliche Einheit bilden − unterbrochen wird der längsgerichtete Komplex durch die Einmündung der Lindenstrasse. Eingreifende bauliche Massnahmen an der Überbauung fanden nach 1981 keine statt, abgesehen von Ladenumbauten bei Mieterwechseln.

Visualisierung der fertigen Überbauung, 1980, (Uster AG).

Der Neubau «Hirschen»

Der markante Eckbau am Hirschenplatz wurde ab 1970 geplant und 1972 bewilligt. Da das Areal Kurzfristig als Schutzzone klassifiziert wurde, verzögerte sich der Baubeginn jedoch bis zur definitiven Baubewilligung 1975. Das Gebäude konnte nach zweijähriger Bauzeit 1978 eingeweiht werden. Neben Architekt Uster waren der Grundeigentümer Peter Huber und der Schweizerische Bankverein (heute UBS) federführend. Es entstanden 1‘300 m2 Verkaufs- und Büroflächen im Haupttrakt. Auf der Rückseite des Komplexes zum Gewerbeschulhausplatz hin wurden sieben Reiheneinfamilienhäuser realisiert.[19] Der «Hirschen» besticht durch seine originelle polygonale Fassadengliederung und seine gelb-orange Fassung und nimmt durch diese Gestaltung eine Schlüsselstellung im Wädenswiler Ortsbild ein.
Der skulpturale Brunnen aus rotem Sandstein vor der UBS-Filiale ist ein Werk des englisch-schweizerischen Künstlers Robert Ralston (*1938) aus dem Jahr 1977. Er stellt eine stilisierte Blume dar.[20]

Der neue Hirschenplatz mit Schönenbergstrasse, 1980, (Uster AG).

Bauplatz des «Hirschen», in der Bildmitte ist das Alte Gewerbeschulhaus, rechts noch das alte Haus «Ceder», dahinter Teile der Neubauten «Ochsen» und «Schwanen» zu sehen, 1975, (Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2014, Albert Schoch).

Der Hirschenplatz, 2018.

Der Neubau «Ceder»

Der «Ceder»-Neubau war das letzte Glied in der Kette. Ab den späten 70er-Jahren gebaut, waren die Läden 1980, die Wohnungen 1981 bezugsbereit.[21] Der Bau hebt sich durch die flache, gräulich gefasste Fassade deutlich vom «Hirschen» ab. Die bewusst andersartige Architektursprache drückt sich auch in der Gestaltung einer Art inkorporierten Loggia als Eingangsbereich in den zweigeschossigen Ladenbereich ab. Hinter der Eingangskolonnade befindet sich eine blau gefasste Wendeltreppe. Die drei Wohngeschosse sind durch einen umlaufenden, auf Beton-Konsolen ruhenden Balkon deutlich von den Ladengeschossen abgegrenzt, die Balkone der oberen Wohnungen sind im Gegensatz zum «Ochsen» vorkragend ausgeführt. Im oberen Ladengeschoss ist seit 1980 das Architekturbüro Uster untergebracht, das die Überbauung geplant und ausgeführt hat.

Aquarellierte Zeichnung der neuen «Ceder», 1978, (Uster AG).

Der Neubau der «Ceder», 2018.

Kolonnade am Haus «Ceder», 2018.

Treppe in der «Loggia» der neuen «Ceder», 2018.

Der Neubau «Ochsen»

Der «Ochsen»-Neubau wurde 1975 an den bereits zwei Jahre zuvor fertiggestellten «Schwanen» angebaut. Er übernimmt die Fassadenstaffelung des Schwanen und verzichtet auf eine eigenständige Architektursprache.
Vor dem Gebäude erhebt sich eine 1976 aufgestellte Skulptur Hans Aeschbachers (1906-1980), eines Vertreters der Zürcher Konkreten. Das 3.5 Meter hohe Werk aus Veltliner Granit besteht aus einem Kelch und einer gespaltenen Kugel und trägt im Volksmund den Namen «Rappenspalter».[22]
Die Neubauten «Ochsen» (links) und «Schwanen» (rechts).

Der Neubau «Schwanen»

1971 wurde mit dem Abbruch der Liegenschaften am Schwanenplatz begonnen. Bereits 1973 war der Neubau fertiggestellt.[23] Es handelt sich um ein Eckhaus, das weit in die Türgass eingreift. Im Erdgeschoss befinden sich durchgehend Verkaufslokalitäten. Eine grosse Halle mit Pilzpfeilern stellt die befahrbare Verbindung zwischen Türgass und Blumenstrasse sicher. Die auskragenden Balkone des ersten und zweiten Obergeschosses ruhen auf markanten Betonkonsolen, die an dem ansonsten gestalterisch zurückhaltenden Eckbau fast skulptural anmuten. Die übrigen Balkone sind inkorporiert in den Baukörper, der durch eine Staffelung der Fassaden belebt wird und den Eindruck eines strassenparallelen «Riegels» zu verhindern vermag.
Während zur Zugerstrasse hin Flachdächer zur Anwendung kamen, sind im Türgass-Flügel Satteldächer realisiert worden. Dies sollte den Kontrast zwischen der modernen Überbauung und der von barocken Fachwerkhäusern geprägten dörflich-idyllischen Türgass vermindern. Dennoch stiess der Türgass-Flügel auf Kritik: 1972 schalteten anonyme BürgerInnen eine Todesanzeige, die den «tragischen Tod» der Türgass beklagte.[24] Das Gebäude war ursprünglich im Besitz der Regionalbank Sparcassa und wurde 1991 von der Mieter-Baugenossenschaft MBG aufgekauft.[25]

Abriss des alten «Schwanen», 1971,
(AAZ 26.06.1971/H. Vogelbacher).


Visualisierung des «Schwanens» vor dem Bau, 1971, (Uster AG).

Todesanzeige für die verstorbene «Türgass», 1972, (DOZ ZF 53).
Markante Betonkonsolen am «Schwanen» an der zur Türgass gerichteten Fassade, 2018.

Fassadenecke Zugerstrasse/Türgass des «Schwanen», 2018.

Durchfahrt Blumenstrasse-Türgass im Haus «Schwanen» mit Pilzpfeilern, 2018.

Laut-bunter Ausnahmenzustand in der Durchfahrt des «Schwanen»: Das Guggen-Konzert an der Fasnacht findet wegen Regens «unter Dach» statt, 09.03.2019.
 

50 Jahre Diskussionen um Verkehrsberuhigung

Seit über 50 Jahren werden Massnahmen diskutiert, um den Verkehr im Bereich der mittleren Zugerstrasse zu beruhigen. Zwar hat die «Hirschen-Schwanen»-Neuüberbauung von 1971-1981 die Zugerstrasse fussgängerfreundlicher gemacht, aber der Belastung durch den Strassenverkehr keine Abhilfe geschaffen.
Schon in den 60er-Jahren wurde im Rahmen einer Konsultativkommission im Auftrag des Gemeinderates (damals noch Exekutive) Vorschläge für eine Verkehrsentlastung der Zugerstrasse geprüft. Diese Ideen wurde von der «Arbeitsgruppe Dorfkern» weiterverfolgt, die 1975 vorschlug, den Verkehr der Schönenbergstrasse via Oberdorfstrasse in die obere Zugerstrasse umzuleiten, um die mittlere untere Zugerstrasse zu entlasten. Weiter wurden Pläne für eine Umleitung der Zugerstrasse entwickelt, an denen der Stadtrat noch 1978 festhielt. Die Hauptverkehrsachse wäre somit zwischen der «Alten Fabrik» und den Stadthaus verlaufen. Allerdings sprach einiges gegen diese Lösung: Die hohen Kosten, die Steilheit der neu zu bauenden Strasse, die Abtrennung der «Alten Fabrik» vom übrigen Stadtkern und die Verbreiterung der Zugerstrasse inklusive Fussgängerbereich, die dank der Uster-Überbauung «Hirschen-Schwanen» bereits in der Realisierung begriffen war. 1980 lehnte der Gemeinderat einen entsprechende Vorlage ab. Das Thema Verkehrsentlastung blieb aber aktuell. Doch auch ein 1994 lanciertes «Postulat offene Zentrumsplanung» wurde 1997 ohne Resultate vom Gemeinderat abgeschrieben.[26]
In der Diskussion um Verkehrsentlastung und Zentrumsplanung war das Architekturbüro Uster stets aktiv beteiligt: Schon Ende der 60er-Jahre beteiligte sich Heinrich Theodor Uster auf Einladung von Gemeindepräsident Heinrich Brändli an den ersten Konzepten für eine fussgängerfreundlichere Zugerstrasse.[27] Man darf davon ausgehen, dass Uster bei der Planung der Überbauung an der mittleren Zugerstrasse mit weiterführenden verkehrberuhigenden Massnahmen zur Schaffung einer fussgängerfreundlichen Einkaufsmeile an der Zugerstrasse gerechnet hat.[28] 1997 bezeichnete die Firma ihrer Hauszeitung die Wädenswiler Verkehrsplanung als «Trauerspiel» und forderte erneut eine Umfahrung des Stadtkerns via Kreuzstrasse.[29] 2002 bildete sich eine Interessengemeinschaft zur Verkehrsberuhigung − wieder unter Federführung von Heinrich Theodor Uster.
Heinrich Theodor Uster (1932-2015), Architekt und Visionär, (Uster AG).

Sein Plankonzept sah je einen Kreisel am Hirschen- und am Schwanenplatz vor, sowie eine bessere Verkehrsführung durch Entlastungsachsen.[30] 2006 entwickelte die Uster AG ein Leitbild für eine verkehrsberuhigte Zugerstrasse.[31] 2014 zeigte sich die Firma Uster verärgert über die Reformunwilligkeit der Stadtregierung. Besonders die 1989 eigenführte Einbahnregelung der Oberdorfstrasse habe die Verkehrsbelastung verschlimmert. Eine Gegenverkehrsregelung an der Oberdorfstrasse, ein Kreisel am Hirschenplatz und Tempo-30-Zonen im Zentrum sollten Abhilfe schaffen.[32] Eine völlig autofreie Fussgängerzone an der Zugerstrasse stand also nicht mehr zur Diskussion.

Visualisierung der verkehrsberuhigten mittleren Zugerstrasse in der «Vision Leitbild für das Stadtzentrum von Wädenswil», rechts der «Ochsen», 2006, (Uster AG).

Verkehrsplanung im Stadtzentrum gemäss dem Vorschlag der Uster AG, 2014, (Uster AG).

Würdigung

Der Verlust einiger wertvoller Objekte im Bereich zwischen dem Hirschenplatz und dem Schwanenplatz ist zu beklagen. Die Häusergruppe war zwar höchst heterogen, aber gerade die Vielfalt und Dichte der teilweise eng zusammen und nahe an die Strasse gebauten Häuser entlang der Zugerstrasse war sichtbarer Ausdruck eines verstädterten Dorfes.
Andererseits war es gerade diese Enge, die infolge des Autobahnbaus und des wachsenden Verkehrsaufkommens eine zeitgemässere Gestaltung dieses zentralen Strassenabschnitts nötig machte. Der Architekt und Visionär Heinrich Theodor Uster hat mit seiner 1971-1981 realisierten Überbauung eine dem schwierigen Umstand entsprechend städtebaulich interessante Lösung geschaffen. Es gelang ihm, zu verdichten, neue Wohn- Büro- und Verkaufsflächen und gleichzeitig eine breite und attraktive Fussgängerzone zu schaffen. Dank der gestaffelten und unterschiedlich ausgeführten Fassaden wirkt die Überbauung optisch nicht als Riegel. Dass die Lösung einer längsgestreckten strassenparallelen Überbauung für ein Stadtzentrum suboptimal ist, liegt in der Natur der Sache. Uster hat dies selbst erkannt, und daher wiederholt für eine Umleitung des Verkehrs zugunsten der Schaffung einer ganz oder teilweise autofreien Fussgängerzone an der mittleren Zugerstrasse plädiert. Dass dies nicht umgesetzt werden konnte, hat vielfältige Gründe. Ungeachtet dieser Probleme ist die Überbauung Hirschen-Schwanen eine der mutigsten und für Ortsbild und Stadtleben Wädenswils prägendsten Bauunternehmungen des 20. Jahrhunderts.



Michael D. Schmid


ANMERKUNGEN

[1] Ziegler, Peter: Wädenswil Band 2, Wädenswil 1988 (2. Auflage), S. 152.
[2] Ziegler, Peter: Wädenswil am Zürichsee in alten Ansichten, Zaltbommel NL 1980.
[3] Ziegler, Peter: Alltag und Festtag im alten Wädenswil, Wädenswil 1996, S. 149.
[4] Ziegler, Peter: Das einstige Wädenswil im Bild, Wädenswil 1992, S. 85.
[5] Ebd., S. 83.
[6] Ebd., S. 85.
[7] Ebd., S. 145.
[8] Ebd., S. 146.
[9] See-Rundschau, 22.08.1991.
[10] Ebd., S. 146.
[11] Blattmann-Stähli, Paul: Alte Häusergruppe «Ochsen» verschwindet, in: AAZ 11.11.1972.
[12] Ebd., S. 82 und 147.
[13] Ziegler, Peter: Wädenswil. Vergangenheit und Gegenwart in Bildern, Wädenswil 1962, S. 41.
[14] DOZ ZF 125.
[15] Ziegler, Peter: Wädenswil. Vergangenheit und Gegenwart in Bildern, Wädenswil 1962, S. 41.
[16] Ziegler, Peter: Das einstige Wädenswil im Bild, Wädenswil 1992, S. 88.
[17] Werbebroschüre Uster AG, DOZ ZA 6:7.
[18] Werbezeitschrift Hch. Th. Uster, 1980, DOZ ZA 6:7.
[19] Werbezeitschrift Hch. Th. Uster, 1980, DOZ ZA 6:7.
[20] Scherrer, Adrian: Brunnenblume vor dem Hirschen, in: WädiInfo 3/2016, S. 27.
[21] Werbezeitschrift Hch. Th. Uster, 1980, DOZ ZA 6:7.
[22] Scherrer, Adrian: Der Rappenspalter, in WädiInfo 2/2015, S. 27.
[23] Werbezeitschrift Hch. Th. Uster, 1980, DOZ ZA 6:7.
[24] DOZ ZF 53.
[25] Rohr, Kurt: Mieterbaugenossenschaft auf Expansionskurs, in: AAZ 11.05.1992.
[26] Scherrer, Adrian: Bewältigung des Wachstums, in: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2014, S. 36-47 (passim).
[27] Ziegler, Peter: Heinrich Th. Uster (1932-2015), in: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2016, S. 23.
[28] Scherrer, Adrian: Nachdenken über die Zukunft, in: Vision Leitbild für das Stadtzentrum von Wädenswil, Uster AG, Wädenswil 2006.
[29] Hauszeitung der Uster AG, [Wädenswil 1997].
[30] Däppeler, Reto: Anwohner wollen nicht mehr warten, in: ZSZ 08.12.01.
[31] Vision Leitbild für das Stadtzentrum von Wädenswil, Uster AG, Wädenswil 2006.
[32] Ohne Leitbild keine Verkehrsplanung, in: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2014, S. 48-51.