Luftsicht auf das Zentrum von Wädenswil, 03.09.1960, das alte Hirschen-Schwanen-Areal ist rot umrahmt. (Swissair Air Photo / ETH-Bildarchiv LBS_P1-601832).
Luftsicht auf das Zentrum von Wädenswil, 22.07.1991, das neue Hirschen-Schwanen-Areal ist rot umrahmt. (Swissair Air Photo / ETH-Bildarchiv LBS_R1-911174).
Die Zugerstrasse ist neben der Seestrasse die wichtigste Verkehrsachse Wädenswils. Sie wurde 1841 als Teil der Verbindungsstrasse von Wädenswil−Hirzel−Sihlbrugg gebaut und verbindet seit 1967 das Stadtzentrum mit der Autobahnausfahrt.[1] Auf dem Abschnitt zwischen der Schönenbergstrasse (Hirschenplatz) und der Türgass (Schwanenplatz) reihten sich bis 1971 elf teilweise aneinandergebaute Häuser − man kann sie auch als sechs Häuserkomplexe auffassen − der Zugerstrasse entlang. Sie waren teilweise dicht an den Strassenrand gebaut und liessen einer zeitgemässen Entwicklung von Strasse und Fussgängerzone kaum Raum. Die Bilder aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zeigen eine Häuserzeile, wie sie einem kleinstädtisch verdichteten Dorf entsprechen. Im Folgenden soll die Geschichte einiger der abgegangenen Einzelbauten kurz aufgerollt werden, indem wir uns vom Hirschenplatz zur Türgass bewegen.
Blick vom Schwanen (rechts) auf die Häuserzeile nach Osten vor 1970.
Blick vom Hirschen (links) auf die Häuserzeile nach Westen, im Vordergrund ein Weintransport, um 1920 (DOZ OB-4-3).
Postkarte mit «Ochsen» (links), «Schwiizerhüsli» und «Schwanen» (rechts), 3. Viertel 20.Jhdt., (DOZ OB-4-3)
Schwanenplatz, 3. Viertel 20. Jhdt., Albert Schoch.
Der Platz, auf dem die Zuger- und die Schönenbergstrasse zusammenführen, heisst «Hirschenplatz». Der Name rührt vom einstigen Gasthaus «Hirschen» her. Das stattliche klassizistische Gebäude stand längs zur Zugerstrasse. Es war dreistöckig, verfügte über ein Walmdach, das durch befensterte Zwerchaufbauten als viertes Geschoss genutzt werden konnte. Zur Schönenbergstrasse hin verfügte das Haus über einen Anbau mit Gartenterrasse. Mit seinen gleichmässig rhythmisierten Fensterachsen, den Gesimsen über den Fenstern (bei zwei Fenstern sogar Dreiecksgiebeln) und einem Wirtshausschild mit Hirsch war es ein Blickfang im Ortsbild.
Das Gasthaus wurde um 1770 erbaut und spätestens 1828 um einen Anbau mit Saal erweitert und vermutlich gleichzeitig im klassizistischen Stil erneuert. Später wurde es um Pferdestallungen erweitert und erhielt Ladeneinbauten im Erdgeschoss.[2] Fritz Mayer, 1989 bis 1905 Hirschenwirt, bewarb sein «Hôtel du Cerf» nobel und mondän in französischer Sprache.[3] 1909 wurde das Gasthaus von Karl Kessler übernommen, dessen Töchter Gret und Rosy den Betrieb bis zur Schliessung 1973 weiterführten.[4] Das Restaurant war im ersten Stock untergebracht, die Hotelzimmer im zweiten, sodass das Erdgeschoss zur Schönenbergstrasse Raum für Verkaufsgeschäfte bot. Zuletzt waren unter der Gartenterrasse das Schlachtlokal der Metzgerei Willy Rusterholz[5] und im Hauptbau ein Molkereigeschäft, eine Tabakhandlung und das Uhren- und Bijouteriegeschäft Fritz Küffer untergebracht. 1975/76 wurde das Gebäude abgebrochen.[6]
Das Gasthaus «Ochsen» war ein grosser, in mehreren Etappen entstandener Gebäudekomplex, der im Kern auf das Jahr 1688 zurückging, wie eine Datierung am Türsturz des Kellers besagte. 1733 wird das Haus, damals im Besitz von Färber Christoph Hotz, erstmals genannt. 1847 ging die Liegenschaft an Gottfried Blattmann über, dessen Nachkommen Paul und Willi Blattmann noch zum Zeitpunkt des Neubaus Eigentümer waren. Aus der kleinen Spenglerei von Gottfried Blattmann im «Ochsen» entstand im Laufe der Jahre die Metallwarenfabrik Blattmann (MEWA), einer der wichtigsten Industriebetriebe Wädenswils, dessen Fabrikgebäude ab 1934 an der oberen Zugerstrasse lag. Die zur Zugerstrasse gewandte Hauptfasse des «Ochsen» unter dem weit ausladenden Satteldach – bis unter First fünf Stockwerke hoch − mutete ausgesprochen wuchtig an.
An den «Ochsen» (Zugerstrasse 19) angebaut war das Haus Zugerstrasse 21, das 1775 erstmals genannt wird. Es gehörte damals Jacob von Kälen, der auch das aus dem 17. Jahrhundert stammenden, ebenfalls zum Komplex gehörige Doppelhaus Lindenstrasse 2/4 besass, und wohl die darin untergebrachte Metzgerei führte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts war hier die oben erwähnte Spenglerei Blattmann untergebracht, zuletzt der Messerschmied Emil Rüegg. Vor dem Abriss wurden ornamentale Malereien der Barockzeit von den Wänden eines der Zimmer entfernt.[11] 1972/73 fiel der «Ochsen»-Komplex der Abrissbirne zum Opfer.[12]
Der Hirschenplatz, 2018.
Der «Ceder»-Neubau war das letzte Glied in der Kette. Ab den späten 70er-Jahren gebaut, waren die Läden 1980, die Wohnungen 1981 bezugsbereit.[21] Der Bau hebt sich durch die flache, gräulich gefasste Fassade deutlich vom «Hirschen» ab. Die bewusst andersartige Architektursprache drückt sich auch in der Gestaltung einer Art inkorporierten Loggia als Eingangsbereich in den zweigeschossigen Ladenbereich ab. Hinter der Eingangskolonnade befindet sich eine blau gefasste Wendeltreppe. Die drei Wohngeschosse sind durch einen umlaufenden, auf Beton-Konsolen ruhenden Balkon deutlich von den Ladengeschossen abgegrenzt, die Balkone der oberen Wohnungen sind im Gegensatz zum «Ochsen» vorkragend ausgeführt. Im oberen Ladengeschoss ist seit 1980 das Architekturbüro Uster untergebracht, das die Überbauung geplant und ausgeführt hat.
Sein Plankonzept sah je einen Kreisel am Hirschen- und am Schwanenplatz vor, sowie eine bessere Verkehrsführung durch Entlastungsachsen.[30] 2006 entwickelte die Uster AG ein Leitbild für eine verkehrsberuhigte Zugerstrasse.[31] 2014 zeigte sich die Firma Uster verärgert über die Reformunwilligkeit der Stadtregierung. Besonders die 1989 eigenführte Einbahnregelung der Oberdorfstrasse habe die Verkehrsbelastung verschlimmert. Eine Gegenverkehrsregelung an der Oberdorfstrasse, ein Kreisel am Hirschenplatz und Tempo-30-Zonen im Zentrum sollten Abhilfe schaffen.[32] Eine völlig autofreie Fussgängerzone an der Zugerstrasse stand also nicht mehr zur Diskussion.
Michael D. Schmid