Wandel am Central

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1992 von Peter Ziegler

Für die neue Überbauung am Central wurden 1987 und 1988 insgesamt fünf zwischen Zugerstrasse, Poststrasse, Reblaubenweg und Seestrasse gelegene Häuser unterschiedlichen Alters abgebrochen, deren Geschichte nachstehend kurz aufgezeigt wird.
Dem Bau des neuen «Sonnenhofs» bezogen 1959, des Coop-Centers (eingeweiht 1971) und des neuen Postgebäudes (eingeweiht 1982) fiel das alte Reblaubenquartier zum Opfer. Mit der nun vollendeten Überbauung am Central verschwand das östlich angrenzende Stück Alt-Wädenswil.

Haus Zugerstrasse 2

Älteste noch vollständig erhalten Liegenschaft in diesem historischen gewachsenen Komplex von Bauten war das Wohnhaus Zugerstrasse 2 westlich des Restaurants Central. Am Türsturz in der Mitte der Ostfassade war es mit 1730 datiert. 1894 erfolgte auf der südlichen Giebelseite ein Zinnenanbau mit Laden, in dem einmal das Radiogeschäft von Oskar Hodel untergebracht war. Das Gebäude im typischen Stil eines Zürichsee-Hauses war dreigeschossig und zeigte im ersten Obergeschoss vierfach gekoppelte Fenster und im südlichen Giebelfeld direkt unter dem First eine kleine, kreisrunde Fensteröffnung. Markant in Erscheinung trat das mächtige Tor mit Stichbogen und massiven Holzläden in der oberen Hälfte der Giebelfassade gegen Norden. Es hatte vermutlich ursprünglich als Aufzug für Holz und anderer Waren gedient. Aussergewöhnlich war die Firstrichtung des Hauses. Sie verlief parallel zum See; das Haus mit leicht geknicktem Giebeldach ohne Lukarne war damit gegen Süden ausgerichtet und nicht - wie im alten Wädenswil eher üblich – mit der einen Giebelfront zum See.
Ausschnitt aus dem Türsturz am Haus Zugerstrasse 2, mit Baujahr 1730.
 

«Post», «Alte Post» und «Central»

Das Restaurant Central (Seestr. 113) hatte einen älteren Vorgängerbau, der 1717 als «ein nöuw gebauwen zwyfach Hus oberhalb der Crone» bezeichnet wird. Dieses Doppelwohnhaus gehörte der Gerberfamilie Hauser und wurde 1816 von Johannes Hauser in der Gerbe dem Postverwalter Jakob Höhn aus dem Hosli verkauft. Bis 1845 war in diesem Gebäude das erste Postbüro von Wädenswil untergebracht. Es hiess darum «Post» und noch bis 1880 «zur alten Post». Den letzterwähnten Namen trug auch eine seit 1864 in diesem Wohnhaus mit sechs Wohnungen geführte Weinschenke. Die Wirtschaft befand sich im ersten Stock und war von der Zugerstrasse her über eine Freitreppe zugänglich. Im Parterre links befand sich ein Bazar, rechts eine Zigarrenladen. Weil Knaben auf der Winde mit Zündhölzern gespielt hatten, brannte das Haus am 18. Juni 1887 aus. 1888 bis 1890 wurde es umgebaut und mit einem niedrigen Mansarddach versehen. Dieses Erscheinungsbild blieb im wesentlichen bis in unsere Tage erhalten.
1891 verkaufte Robert Wartmann die Liegenschaft an Theophil Klein, Koch im Hotel Engel, und dieser wiederum veräusserte den Besitz 1894 dem Coiffeur Johnnes Steffen. Steffen betätigte sich nicht nur als Haar- und Bartschneider, sondern auch als Wirt. Er betrieb hier ein «Café», das er, allgemeinem Trend folgend, in französischer Sprache «Café Central» nannte. Der Hausname Central ging dann vom Café auf das Restaurant und schliesslich auf den ganzen Platz bei der Einmündung der Zugerstrasse in die Seestrasse über. In der Neuüberbauung, die wiederum Central heisst, lebt die Erinnerung weiter.
Restaurant und Café Central um 1920.
 

Haus Seestrasse 115

Das mittlere Gebäude einer kurzen, aus drei Bauten besehenden Zeile entlang der Seestrasse war im Süden direkt an das «Central» angebaut und im Norden vom Nachbarhaus durch eine 2,5 Meter breite Lücke getrennt. Das namenlose Haus Seestrasse 115 wurde 1815 am Platz einer abgetragenen Scheune als Wohnhaus erstellt. Seit 1894 enthielt das Erdgeschoss einen Laden. Hier verkaufte einmal Paul Stiep Schuhe, später war hier das Wolle- und Handarbeitsgeschäft von Frau Egli eingerichtet und zuletzt der Laden von «Weber Electronics».
Häuser Seestrasse 115, «Frohsinn» und Seestrasse 119. Aufnahme von 1983.

Haus «Zum Frohsinn»

Das Haus Seestrasse 117 war ebenfalls Teil der dichten Reihe von Bauten nördlich des «Central». Den Kern des Gebäudes bildete ein 1731 erbautes Zürichseehaus – die Jahrzahl blieb an einem Festersturz im Erdgeschoss auf der Südseite erhalten -, das 1839 teilweise abgebrochen wurde. Weitere Teile des Hauses brannten 1886 nieder. Eine Wirtschaft «Frohsinn», die den beiden ineindergeschachtelten Baukörpern der Liegenschaft den Namen gab, erscheint 1896 im Verzeichnis der Wädenswiler Gaststätten. Um 1900 zählte der von Simon Müller geführte «Frohsinn» zu den renommierten Wirtschaften der Gemeinde. Das Lokal im ersten Stock war für die «Herren», die Honoratioren des Dorfes, reserviert. Hier tranken Emil Gessner und der Kaufmann Louis Diezinger aus der benachbarten «Reblaube» den Abendschoppen. In der Gaststube im Parterre fanden sich die «Bürgerlichen» zum Bier ein: Handwerker, Lehrer, Beamte. Am Sonntagnachmittag erschien – wie sich Dr. Adolf Stutz erinnerte – sozusagen die ganze Wädenswiler Lehrerschaft zum vergnüglichen Kaffeejass.
Als letzte Wirtin auf dem «Frohsinn» amtete bis zu dessen Schliessung Emmeli Litschi, von den Stammgästen der «Promillhalde 8a» liebevoll «Emmeli» genannt. Theres Burkhardt hat ihr im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» vom 6. August 1988 in der Serie «Ich lebe in Wädenswil» ein liebevolles Porträt gewidmet.

Haus Seestrasse 119

Das von der Seestrasse etwas zurückversetzte würfelförmige Haus Seestr. 119, an dessen Nordseite der Reblaubenweg vorbeiführte, war ein typischer Bau des späten 19. Jahrhunderts. Das 1826 als Magazin erstellte und 1842 um zwei Stockwerke erhöhte Gebäude wurde 1878 zum Wohnhaus umgebaut; 1902 erstellte man auf der Westseite einen eingeschossigen Zinnenanbau mit Veranda.
Der dreigeschossige Massivbau mit flachem Walmdach und Zinne zeigte klassizistische Ausprägung. Je vier Achsen mit Einzelfenstern gliederten die Nord-, West- und Südfassade; die hinter einem kleinen Vorgarten gelegene Ostfassade wies drei relativ weit auseinanderliegende Achsen mit Einzelfenstern auf. Im Erdgeschoss der mittleren Achse befand sich die breite Türe mit korbbogenförmigem Sturz, profilierten Gewänden und der Jahrzahl 1826 im Schlussstein.
Bis 1953 gehörte das Haus Seestrasse 119 dem Zahnarzt Georg Peterelli, der hier seine Praxis installiert hatte. Als Romanisch-Bündner nannte er das Haus, wegen dessen grauen Besenwurfverputzes, «Villa Grischa». 
Haus Seestrasse 119 mit Druckerei Kasper, Ansicht von Südwesten, Januar 1987, Links der Reblaubenweg.

Als Peterelli krankheitshalber seinen Beruf aufgeben musste und zu seinem Bruder nach Chur zog, wurde der Zahnarzt Dr. Hans Grimm sein Nachfolger. 1953 ging das Haus ins Eigentum von Theo Kasper über, der im Erdgeschoss seine Druckerei einrichtete.

Neues Wohn- und Geschäftshaus «Central»

Erste Planungen zur Überbauung des Gevierts Seestrasse – Zugerstrasse – Poststrasse – Reblaubenweg begannen im Jahre 1979. Ein zweites Projekt wurde 1984 eingereicht. Es ordnete je einen Baukörper längs der See- und der Zugerstrasse an und verband sie durch einen dominanten Rundbau. Die Bauherrschaft zog jedoch diese Pläne zurück und verkaufte die Liegenschaft Central 1986 an Rudi Bindella. Die nicht einfache Arrondierung der angrenzenden Häuser gelang anschliessend innert Jahresfrist. Nun machten sich die Ortsansässigen Architekten Rudolf Hatt und Werner Rüesch an die Projektierung. Zwei Vorentscheide und ein aufwendiges Bewilligungsverfahren verschoben den Baubeginn bis in den September 1989. Dann wurden die Baugrube ausgehoben, die zwei Untergeschosse für die 70 Parkfelder betoniert, die Hochbauten erstellt. Anfangs Dezember 1991 konnten bereits die ersten Mieter in die insgesamt 22 Zwei- bis 5 ½-Zimmer-Wohnungen des zweiten und dritten Obergeschosses sowie der zwei ausgebauten Dachgeschosse einziehen. In den ersten Monaten des Jahres 1992 wurden die Läden im Erdgeschoss eröffnet und die Büroräume im ersten Obergeschoss belegt.
Das Wohn- und Geschäftshaus «Central» besteht aus einem grösseren Seestrassentrakt als Kopfbau, dem Poststrassentrakt und einem Verbindungs- und Mitteltrakt zwischen den Hauptgebäuden. Der Mittelbau begrenzt den Vorplatz gegen die Zugerstrasse und bildet auf der Seite gegen den Reblaubenweg mit den Hauptgebäudeteilen den rückwärtigen Anlieferungs-, Zufahrts- und Erschliessungshof.
Postgebäude, Haus Zugerstrasse 2, Haus Seestrasse 117 nach dem Abbruch des Restaurants Central und des Hauses Seestrasse 115, Januar 1987.

Haus Seestrasse 119 (links) und Haus Zugerstrase 2, Ansicht von Westen, Januar 1987.
 
Haus Zugerstrasse 2 (Mitte) und Seestrasse 117 und 119 (rechts) im Abbruch, Juli 1988.
 
Baugrube für das neue Wohn- und Geschäftshaus «Central», 1989. Im Hintergrund links die Häuser Zugerstrasse 3 und 5, rechts das Haus Gerbe.

Das neue Wohn- und Geschäftshaus am Central, Ansicht von Osten, Oktober 1992.
 

Arkaden für die Fussgänger

Entlang der Seestrasse, der Zugerstrasse und der Poststrasse weist der Neubau am Central Fussgängerarkaden auf. Dieses städtebauliche Gestaltungselement wurde in Wädenswils Kernzone erstmals beim Neubau der Post verwirklicht und dann an der Rosenbergstrasse und der Blumenstrasse wiederholt. Auch der 1992 vollendete Neubau «Zweidler» vor dem restaurierten Jakobshof an der Seestrasse hat eine Arkade. Für die Fussgänger wird damit optimale Sicherheit erreicht, und der Bauherr erhält die Möglichkeit, die oberen Geschosse gewissermassen auf die Strassengrenze zu stellen. Dadurch wird einerseits das Gebäudevolumen vergrössert, andererseits das gewachsene Strassenbild – durch Verzicht auf sechs Meter breiten Baulinienabstand – nicht zu sehr verändert.




Peter Ziegler