AUS DER GESCHICHTE DER ROTFARB IM GIESSEN

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1994 von Peter Ziegler

GIESSBACH UND GIESSEN

Der Reidbach, welcher streckenweise die natürliche Gemeindegrenze zwischen Wädenswil und Richterswil bildet, verdankt seinen Namen dem krummen Lauf, denn mittelhochdeutsch «reid» bedeutete «krumm, gewunden»1.
Als Wildbach entwässert er das Beichlenried; ab der Höhe des Reidholzes heisst er Reidbach; als Giessbach stürzt er in einem Wasserfall über einen noch 1841 «die Kanzel»2 genannten Felsen aus Nagelfluh, Mergel und Sandstein zum Giessen hinunter, unterquert Seestrasse und SBB-Trassee, durchfliesst das Giessenhorn und mündet in den Zürichsee. Der Flurname Giessen war im Spätmittelalter auf den Abschnitt zwischen Wasserfall und heutiger Seestrasse beschränkt. Die an den See grenzende Matte und Weide unter dem Giessen wurde noch 1567/68 als Ottenhorn bezeichnet3; später setzte sich für die Halbinsel der Name Giessenhorn durch.
Bis 1878 bildete im Giessen der Giessbach die Grenze zwischen den Gemeinden Wädenswil und Richterswil. Im Februar dieses Jahres beschloss dann der Zürcher Kantonsrat eine neue Grenzziehung4. Richterswil entliess zugunsten der Nachbargemeinde die am rechten Bachufer gelegenen Gebäude der Siedlung Giessen − mit damals 238 Einwohnern − aus seiner Gemeindehoheit, so dass seither die Gemeindegrenze ausserhalb des Staubenweidlis zum See führt.

Giessen mit Giessenmühle auf der Landkarte von Hans Conrad Gyger, 1667.

DIE GIESSENMÜHLE

Bereits im 15. Jahrhundert nutzte man die Wasserkraft des Giessbachs für gewerbliche Zwecke. Spätestens 1468 stand hier die Giessenmühle, Besitz eines Heini Müller5. Um 1550 erscheint als Inhaber Ulrich Minner und 1555 Jakob Taler6. Auf ihn folgte 1571 Ulrich Friedrich7. Er war möglicherweise der Auftraggeber für das heute noch bestehende ehemalige Mühlegebäude (Seestrasse 27), das an einer Fenstersäule in der südöstlichen Stube des Erdgeschosses mit 1577 datiert ist. Der markante dreistöckige Massivbau über einem Kellergeschoss zeigt – vor allem an der Ostfassade – spätgotische Stilelemente.

Der Wasserfall im Giessen – nicht nur bei Hochwasser, sondern auch in strengen Wintern von besonderem Reiz. Wer kennt diesen Abschnitt des Giessbachs, des Unterlaufs des Reidbachs?

1656 war die Giessenmühle Eigentum des Eichmüllers Heinrich Gattiker8. Als sie 1659 auf öffentlicher Gant an Christian Diezinger kam, umfasste die Liegenschaft ein Wohnhaus mit Hofstatt, Garten und Hanfland, eine Scheune, die Mühle mit einer Relle, zwei Mahlwerken, einer Haberdarre, einer Wergreibe und einer Schleife, ferner eine Säge in gesondertem Bau9. Diezinger veräusserte das Mühleheimwesen im gleichen Jahr an Hans Eschmann10. Dieser ersetzte 1683 die Hanfreibe und Schleife durch einen weiteren Mahlgang11. Eschmanns Sohn, Feldschreiber Heinrich Eschmann-Wiler, der 1706 seine Brüder Hans Jakob und Johannes ausgekauft hatte, führte den väterlichen Betrieb weiter12.
Dieser vererbte sich später auf einen Johannes Eschmann, dessen Witwe 1742 die Giessenmühle dem Gegenschwäher Rudolf Pfister in der Stocken veräusserte13. Pfister konnte sich seines Besitzes nicht lange erfreuen. Schon 1745 kam das Mühleheimwesen auf die Gant und ging an Leutnant Caspar Blattmann-Wunderli (1679–1759) über, den Inhaber der Eichmühle14. Blattmann überliess den Gewerb seinem ältesten Sohn Caspar Blattmann-Eschmann (1716–1786). Dieser wurde später Untervogt und spielte namentlich beim Bau der neuen Wädenswiler Kirche in den Jahren 1764 bis 1767 eine führende Rolle15. Unter Blattmann erhielt die Giessenmühle 1755, während des Rokokos, ein neues Aussehen. Mit Eckpilastern und Krüppelwalmdach samt beidseitigen grossen Walmdachgauben stand das Haus baukünstlerisch wieder auf der Höhe der Zeit.
Ende Mai 1786, fünf Wochen nach dem Ableben des Vaters, kauften die beiden Söhne des Untervogts ihre drei Schwestern aus und bewarben nun den elterlichen Betrieb gemeinsam16. 1796 kam es dann zu einer einvernehmlichen Teilung, und Hans Caspar Blattmann-Hofmann (1741–1803) nahm die Giessenmühle ganz in Besitz17.
Giessenmüller und Untervogt Hans Caspar Blattmann-Eschmann (1716−1786), nach einem Gemälde in Privatbesitz.
Von dessen Sohn Hans Caspar Blattmann-Blattmann (1776–1850) ging sie 1824 an Ulrich Hauser-Blattmann (1793–1870) über, einen Enkel von Landrichter und Hauptmann Rudolf Hauser-Wüest, des Erbauers des Hauses auf der Vorderen Fuhr18. Ulrich Hauser avancierte 1824 zum Major, 1832 zum Oberst und kommandierte während des Sonderbundskriegs von 1847 die Brigade 2 der 3. Division19. Nach dem Ustertag wurde Hauser 1831 als Liberaler in den Grossen Rat (seit 1869 Kantonsrat genannt) und von diesem im gleichen Jahr in den Regierungsrat gewählt, wo er bis 1839 dem Militärdepartement vorstand. Militärische und politische Karriere nötigten Giessenmüller Ulrich Hauser, seinen Beruf aufzugeben. 1832 verkaufte er seine Liegenschaft im Giessen an eine Gesellschaft von 14 Teilhabern. Zum Besitz gehörten damals ein grosses Doppelwohnhaus, samt Mühle und Relle, eine Wirbelwassersäge und eine doppelte «Circul-Säge», eine Trotte, eine neue Mühle mit Beutelmühle, Grieszug und Stäubi. Dazu kamen Garten- und Mattland im Giessen sowie zwei Drittel Nutzungsrechte an den drei Weihern ob der Mühle und im Reidholz20.
Mit dem durch den Züriputsch von 1839 vollzogenen konservativen Umschwung schied Ulrich Hauser aus dem Regierungsrat aus. Er lebte ab 1842 im «Sonnenhof» in Wädenswil als Rentner und amtete in seiner Heimatgemeinde von 1847 bis 1855 als Gemeindepräsident21.
Die zur Giessenmühle gehörende Scheune mit Trotthaus wurde 1832 abgetragen und 1834 durch ein Kosthaus mit Magazin und Werkstätte (Seestrasse 29) ersetzt. Erbauer war Jakob Billeter, der in den Mühlegebäuden eine Spinnerei betrieb, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Seidenzwirnerei der Gebrüder Zinggeler abgelöst wurde. Letztere war im rückwärtig in den Hang hineingebauten ehemaligen Mühlegebäude eingerichtet. Von 1898 bis 1925 stellte hier die Firma «Elektra» Heiz- und Kochapparate her; 1925 kam das Haus an die Brauerei Wädenswil, die es als Silo nutzte und durch Silobauten aus Beton erweiterte.

Engpass der Seestrasse im Giessen, 1932. Links die Giessenmühle von 1577, daran angebaut das 1938 abgebrochene Aufseherhaus der Tuchfabrik Pfenninger.

DAS GIESSENHORN WIRD INDUSTRIEAREAL

Das in den Zürichsee vorspringende Giessenhorn bot in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts günstige Voraussetzungen zur Entwicklung eines industriellen Schwerpunktes in der aufstrebenden Gemeinde Wädenswil. Der Giessbach lieferte Antriebskraft und Brauchwasser; auf dem Seeweg konnten Rohprodukte angeliefert und Fertigwaren abtransportiert werden. Durch den Bau der neuen Seestrasse im Jahre 1836 erhielt man zusätzlich günstige Landverbindungen. Einzig die 1875 eingeweihte Nordostbahn-Linie, welche das Giessenareal durchschnitt, brachte gewisse Einschränkungen in diesem Industriegebiet.




Johann Ludwig Rensch (1799−1876), Gründer der nachmaligen Tuchfabrik Pfenninger.

VON DER FIRMA RENSCH & HAUSER ZUR TUCHFABRIK PFENNINGER

Seit etwa 1820 betrieben Johann Ludwig Rensch (1799–1876) und Johann Isler am Krähbach in Wädenswil auf der Basis der Heimarbeit eine kleine Baumwoll- und Wollweberei22. 1832 verband sich Rensch mit dem Lederhändler und Grosskaufmann Heinrich Hauser (1778–1853) «zur Treu» und gründete die Textilfirma «Rensch & Hausern. Noch im gleichen Jahr kauften die beiden Associes vom Liegenschaftenkomplex der Giessenmühle ein Haus samt Laden- und Holzschopf und eröffneten im Giessen eine neue Fabrik für wollene und halbwollene Stoffe23.
Seeseits gegenüber dem Mühlewohnhaus entstand 1833 ein vierstöckiger Massivbau (Ass.-Nr. 30, Giessen 26) für die Wollspinnerei. 1859 wurde ihm auf der Ostseite als zweigeschossiger Sichtsteinbau ein Dampfkesselgebäude (Ass.-Nr. 29) angefügt, dessen Hochkamin bis 1902 stand. Eine Turbine ersetzte 1883 das Wasserrad.
Der Teilhaber alt Kantonsrat Heinrich Hauser starb am 12. September 185324. An seine Stelle trat im Tuchgeschäft der Sohn aus der zweiten Ehe mit Anna Barbara Ulrich, Gottfried Hauser-Landis «zum Freihof» in Wädenswil. Der kinderlose Rensch nahm wenig später seinen Neffen Wilhelm Pfenninger zu sich ins Geschäft. Nach dem Tod von Rensch, 1876, führten Wilhelm Pfenninger-Oechslin und Gottfried Hauser-Landis den Textilbetrieb gemeinsam weiter. 1877 errichteten sie im Giessen einen kleinen Shedbau für 15 mechanische Webstühle, und 1885 kauften sie im Namen der Firma die ehemals hausersche Chemische Fabrik samt Wohnhaus auf dem Giessenhorn25.
Am 27. September 1887 erlosch die Tuchfabrik Rensch & Hauser; die Kommandit-Gesellschaft Pfenninger & Co. trat die Nachfolge an. Das neue Unternehmen besass an diesem Stichtag zwei Wohnhäuser, eine mechanische Weberei, eine Wollspinnerei, ein Dampfkesselgebäude, eine Trocknerei, eine Färberei, ein Waschhaus sowie verschiedene Magazine26. 1894 wurde der Fabrikbau von 1833 zwischen Seestrasse und Bahngeleise gegen Nordwesten um einen neuen Trakt (Ass.-Nr. 35, Seestrasse 28) erweitert, den man 1916 um ein Geschoss aufstockte. Kurz vor der Jahrhundertwende kam der letzte Teil der kleinen Giessen-Halbinsel ins Eigentum der Tuchfabrik Pfenninger.

Tuchfabrik Pfenninger auf dem Giessenhorn, Postkarte aus dem Jahre 1908. In der Bildmitte das 1904 bis 1906 erstellte Webereigebäude an der Seestrasse.

Giessenareal um 1925. Rechts die drei Arbeiterwohnhäuser von 1874 bis 1876 und die Rotfarb von 1826.

Firmenreklame aus dem frühen 20. Jahrhundert − in englischer und französischer Sprache.
Die Liegenschaften der Tuchfabrik Pfenninger auf dem Giessenhorn im frühen 20. Jahrhundert.

Das Weberei- und Appreturgebäude von 1894 wurde 1916 umgebaut und aufgestockt.

1906 konnte ein grosses neues Fabrikgebäude für die Weberei und Appretur eingeweiht werden. Der viergeschossige Satteldachbau (Ass.-Nr. 28, Giessen 7) seeseits der Bahnlinie war einer der ersten grösseren armierten Betonbauten auf Schweizerboden: das Werk des später berühmt gewordenen Architekten Robert Maillart (1872–1940).
1907 wandelte man die Kommandit-Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft um27. An deren Spitze stand bis zu dessen Tod der Nachfolger des Gründers Rensch, Wilhelm Pfenninger-Oechslin (1845−1913). Von 1913 bis 1930 führte Wilhelm Pfenninger-Thiel (1871−1950) das Unternehmen in dritter Generation.
1930 übernahm in vierter Generation Hans Pfenninger-Roth (1899−1968) die Direktion. Als Delegierter in den Verwaltungsrat berufen, legte Hans Pfenninger 1962 die Führung des Betriebs in die Hände seines Sohnes Hansjörg Pfenninger-Mettler, des Vertreters der fünften Generation28.
Der kleiner werdende Weltmarkt und zunehmende Importe in einen gemeinsamen europäischen Markt und innerhalb der Freihandelszone verschlechterten die Ertragslage der Pfenninger & Cie. AG in den 1960er Jahren. 1972 stellte die Tuchfabrik im Giessen ihre Produktion ein. Mit der Umwandlung zur Immobilienfirma entstand ab 1973 das blühende «Industrie- und Gewerbezentrum Giessen»29.
 
Rotfarb und Spinnerei im Giessen auf der Wild-Karte, um 1850.

DIE ROTFÄRBEREI RHYNER & BLATTMANN

Im Jahre 1825 mieteten die Baumwollfabrikanten Jean Blattmann (1800−1868) und Johannes Rhyner im Luftquartier Räume, um darin Mouchoirs sowie weisse und bedruckte Baumwollwaren herzustellen30. Um die Jahreswende 1825/26 entschlossen sie sich dann, ein eigenes Fabrikgebäude zu erstellen und erwarben als Bauplatz Landparzellen beim «Steg» in der Nähe des Krähbachs31. Noch vor Baubeginn änderten sie ihre Absichten: Sie wollten ihrem Betrieb auch eine Türkischrot-Färberei angliedern, aber eine solche benötigte noch mehr Frischwasser als eine Kattundruckerei. Vor dem Friedensrichter erwirkten sie am 24. April 1826 bei Verlust der Anzahlungen, dass die Landkäufe beim «Steg» rückgängig gemacht wurden32; dann sahen sie sich nach neuem Bauland um.
Und solches fanden sie im Gebiet des vorderen Giessens, jenseits des Giessbachs auf Richterswiler Boden, wo eine möglicherweise verwandte Familie Rhyner einen Bauerngewerb bewirtschaftete, den sie aufzugeben geneigt war. Dieses Land wurde 1826 samt Wohnhaus, Scheune und Trotte in das Vermögen der Societät Rhyner & Blattmann eingebracht33.
Gleichzeitig sicherten sich die Unternehmer das Nutzungsrecht des am Rhynerschen Bauernheimwesen vorbeifliessenden Giessbaches.
 
Auf der Matte am Seeufer entstand noch 1826 ein grosses Fabrikgebäude – das heutige Haus Giessen 6 − und dazu ein Tröckneturm34. Am 12. November 1827 wurden die beiden gemauerten und hart bedachten Hochbauten als Nummern 1 c und 1 d mit den Assekuranzsummen von 10 000 Gulden bzw. 1500 Gulden in die staatliche Brandversicherungsanstalt aufgenommen35. Während 1826 erst von einem «Fabrikgebäude» der Herren «Reihner und Blattmann» die Rede ist, wird derselbe Bau 1832 als «Wohn- und Druckgebäude» bezeichnet36.
Die beiden initiativen Gesellschafter drängten vorwärts. Sogar gefärbt musste sein, wenn auch unter ungünstigen Vorbedingungen und zum Teil in erst behelfsmässigen Anlagen. Das Resultat war denn auch danach: Schon anfangs März 1827 erhielt Färbermeister Carl Bizenberger von Grüsch GR die Kündigung. Die beiden Prinzipale waren mit seinen Farbkünsten nicht zufrieden und entliessen ihn Knall auf Fall. Vor dem Friedensrichter ergab sich dann allerdings, dass nicht alle Schuld auf den Bündner abgewälzt werden konnte, und die Firma musste ihm für verfrühte Kündigung eine Entschädigung von 60 Gulden ausrichten37.
Auch mit einem weiteren Farbkünstler hatte die neue Färberei auf dem Giessenhorn ausgesprochenes Pech: mit Konrad Brändli von Meilen. Dieser hatte Rhyner & Blattmann versprochen, deren Arbeiterschaft für die Summe von 300 Gulden «die Kunst, Türkischrothgarn nach Muster und Rosenrothgarn färben» zu lehren. Das gelang Brändli nicht wie vereinbart; auch er wurde vor die Tür gesetzt. Er verzog sich ins Elsass und belangte von dort aus seine früheren Arbeitgeber für die vertraglich festgelegten 300 Gulden, drang aber in erster Instanz nicht durch38.
Bereits 1828 färbten Rhyner & Blattmann im vorderen Giessen nicht nur für den Eigenbedarf, für ihre Fabrikation von Mouchoirs und andern Baumwollwaren. Sie waren auch ausgesprochene Kundenfärber. So übernahmen sie beispielsweise im Januar 1828 von Jakob Biber in Horgen zum Rotfärben zwanzig Pack Garn, das aus der Spinnerei von Escher, Wyss & Co. in Zürich stammte39. Und im Jahre 1830 färbte man 70 Stück Tuch für die Kattundruckerei von Caspar Markwalder in Zürich40.

STREIT UM WASSERRECHTE – VERZICHT AUF EINE GROSSE KATTUNDRUCKEREI

lm 1826 erstellten Fabrikgebäude sollte nach dem Willen der Unternehmer Rhyner & Blattmann eine grosse Kattundruckerei eingerichtet werden. Giessenmüller Hauser als Nachbar verweigerte indessen die Erlaubnis, für den Betrieb eines oberschlachtigen Wasserrads eine Grundschwelle ins Bett des Giessbachs einzulegen41. In der Folge gaben die Fabrikanten ihr Projekt auf. Sie strebten nun den Bau eines eigenen Kanals auf ihrem Land an, in dem sie ohne Schwellung des Hauptkanals ihre Tücher auswaschen konnten. Das wurde ihnen am 4. November 1827 vom Kleinen Rat in Zürich bewilligt42.
Da das bereits fertiggestellte Kattundruckgebäude wegen der Einsprache des Nachbars nicht planmässig genutzt werden konnte und sich darum als zu gross erwies, entschloss sich die Firma Rhyner & Blattmann, einen Teil des Neubaus zu Wohnzwecken umzugestalten. Die Baumeister Stadler und Vögeli in Zürich als Experten der Brandassekuranzanstalt konnten im November 1827 für das Färberei- und Wohngebäude sowie den Tröckneturm ihren zustimmenden Bericht verfassen43. Die Wohnung wurde wenig später von Johannes Blattmann, dem einen Teilhaber, bezogen.

AUSBAU DES FÄRBEREIBETRIEBS

Nachdem die Unternehmer nun schwergewichtig auf den Färbereibetrieb gesetzt hatten, bauten sie diesen Zweig konsequent aus. 1828 entstanden ein Holzbehälter (Ass.-Nr. 1 e), ein zweiter Lufttröckneturm (Ass.-Nr. 1 f), ein seit 1832 als Rotfarb bezeichnetes Farbgebäude (Ass.-Nr. 1 g) sowie ein Waschgebäude (Ass.-Nr. 1 h). Von diesen Bauten war nur die Farb gemauert. Die andern Gebäude bestanden aus Holz, aber alle trugen Ziegeldächer44.
Es ist kaum anzunehmen, dass alle Neubauten auf der Giessen-Halbinsel ausschliesslich für die Türkischrotfärberei genutzt wurden. Denn das Rotfärben mit Krapp musste in geschlossenen Farbkesseln und das Trocknen in überhitzten Kammern erfolgen. Und solchen Anforderungen entsprachen nicht alle Bauten, die Rhyner & Blattmann 1828 erstellen liessen. Weniger anspruchsvoll war die Schwarz- und Blaufärberei. Dafür genügten offene Kessel und für das Trocknen der gefärbten Textilien die Frischluft im Tröckneturm45.

EIN CHEMISCHES LABORATORIUM GEFÄHRDET DIE FÄRBEREI

Ohne auf die in freier Luft zum Trocknen aufgehängten gefärbten Garne und Tücher Rücksicht zu nehmen, wollte der inzwischen Quartierhauptmann gewordene Ulrich Hauser im Jahre 1830 auf seinem Land im Giessen mit dem Bau eines chemischen Laboratoriums beginnen, mit einer Soda-, Vitriol-, Salzsäure-, Schwefelsäure- und Salpeterbrennerei. Dagegen protestierten nun Rhyner & Blattmann in aller Form. Wohl zu Recht befürchteten sie, Hausers Fabrikationszweig werde «ihnen an ihrem Etablissement sowohl an der Rothfärberey als an Gebäuden und Gütern Schaden und Nachtheil bringen»46. Hauser kümmerte sich indessen nicht um die Bedenken seiner Nachbarn und baute weiter, trotz ordnungsgemässer Baueinsprache über Friedensrichter und Amtsgericht bis ans Obergericht. Bevor der Fall von der letzten Instanz entschieden wurde, hatte der inzwischen in den Zürcher Regierungsrat gewählte Ulrich Hauser bereits mit der Herstellung von Schwefelsäure begonnen und belastete und belästigte die Umwelt mit Dünsten. Und trotzdem verloren die Rekurrenten Rhyner & Blattmann am 22. September 1831 den Prozess vor Obergericht. Aufgrund einer Gerichtsexpertise wurde nämlich behauptet, die Fabrikation wirke sich wohl schädlich auf Mensch und Vegetation aus, aber nur bis zu einer Distanz von 40 Fuss (rund 12 Meter). In einer Entfernung von hundert Fuss dagegen lasse sich jedes Gewerbe ohne Nachteil betreiben, und bei 130 bis 140 Fuss Distanz könne man auch ungestört wohnen. Die Gerichtsexperten sagten, Hausers chemisches Laboratorium sei vom Garten der Kläger 61 Fuss entfernt. Geometer Rudolf Diezinger in Wädenswil konnte zwar nur 38 Schuh Distanz errechnen, allerdings auf ungestempeltem Papier, was das Gericht nicht gelten liess47.
Am 14. Mai 1831 erklärten Rhyner & Blattmann vor Gericht, die vom benachbarten Laboratorium abgehenden Säuredünste seien für ihre gefärbten Stoffe höchst nachteilig. Die Dämpfe würden die Farben teils auslöschen, teils verändern, und dadurch erwachse ihrem Betrieb − von dem Glück und Wohlstand der Besitzer abhingen − «augenscheinliche Gefahr». Diese Gefahr ein für alle Mal zu bannen, missglückte indessen erneut. Es blieb den Färbern nichts anderes übrig, als für jeden konkreten Schadenfall beim Gericht gegen den Betrieb von Regierungsrat Hauser auf Schadenersatz zu klagen48.
Auf dem «Plan der Giessenmülli in Wädenschweil» vom 15. September 1832 ist das Laboratorium eingezeichnet. Es stand westlich der Mündung des Giessbachs am Seeufer. 1849 und 1872 brannte die Chemische Fabrik ab; sie wurde zweimal neu aufgebaut. Am 6. November 1885 ging die Liegenschaft (Giessen 8) an die Firma Rensch & Hauser über, welche nun von Gottfried Hauser-Landis und Wilhelm Pfenninger-Oechslin geführt wurde49. Die 1887 gebildete Kommanditgesellschaft Pfenninger & Co.50 liess das ehemalige Chemische Laboratorium zum Appreturgebäude umgestalten. 1892 folgte der Anbau eines Färbereigebäudes und 1920 ein mit Flachdach gedeckter Erweiterungsbau seeseits.

Im September 1832 zeichnete Ingenieur Oberst Pestalozzi einen Plan der Giessenmühle in Wädenswil. Dieser zeigt die Giessenmühle mit ihren Nebengebäuden, den offenen Giessbach und in Seenähe die Rotfarb und das Laboratorium.

ERWEITERUNG DER FÄRBEREIANLAGEN

Anfänglich hatte die Färberei Rhyner & Blattmann mit natürlichen organischen Farbstoffen gearbeitet. 1832 wandten sich die Inhaber ihrerseits etwas der anorganischen Chemie zu, die Ulrich Hauser zu ihrem Schaden in nächster Nachbarschaft betrieb. Im selben Jahr 1832, da sie sich mit Josef Simone von Treviso verassoziierten51, fügten sie an das Farbhaus von 1828 ein Kippenhaus (Ass.-Nr. 373) an, in dem sie für eine neue Färbereibranche «Kippen- und steinern Destillierfass» – also Behälter für fertige und erst entstehende Farblösungen – unterbrachten. Zusätzlich erweiterte die Firma Rhyner & Blattmann den hölzernen Brennmaterialschopf von 1828 um ein Gebäude in Voll- und Riegelmauerwerk, das sie als Magazin und Beizhaus (Ass.-Nr. 375) verwendeten. Auf den bisherigen Holzschopf selbst stellte man einen dritten Tröckneturm. Wie schon im 1828 vollendeten Turm trocknete man auch hier gefärbte Stoffe an der Luft. Im ältesten − gemauerten − Turm von 1826 richtete man gleichzeitig eine «Wärme-Trökne» ein52.
Um die ausgedehnten Neubauten im Giessen zu finanzieren, nahmen Rhyner & Blattmann am 3. August 1833 von Johann Jakob Hauser im Freihof 14 000 Gulden Kapital auf53. Sie versprachen, den Betrag ab Mai 1834 zu verzinsen und am 10. Dezember des gleichen Jahres zurückzuzahlen. Es sollte indessen nicht mehr dazu kommen.
 

NIEDERGANG UND LIQUIDATION DES UNTERNEHMENS

Die Bauerei hatte offenbar die finanzielle Leistungskraft des Unternehmens überstiegen. Mit der Firma ging es bald sichtlich bergab. Grosse Hoffnungen, dass sich die geschäftliche Situation wieder bessere, setzten die beiden Fabrikanten auf den Bau der 1832 projektierten Seestrasse im Abschnitt zwischen Wädenswil und Richterswil. Sie würde − so hoffte man − dem Etablissement eine bedeutend günstigere Verkehrslage verschaffen. Und damit wäre man gegenüber ähnlichen Betrieben in Richterswil, Horgen und Rüschlikon wieder konkurrenzfähiger. Mit dem Strassenbau wurde aber erst im Februar 1836 begonnen. Und bald zeigte sich, dass der Strassenzug die Rotfarb und Kattundruckerei im Giessen mehr behinderte als förderte54.

Wädenswil um 1840. Ausschnitt aus einer Zeichnung von E. H., Lithographie von A. Grimminger, Zürich. Links die reformierte Kirche; auf dem Giessenhorn (rechts der Bildmitte) ist ein Tröckneturm sichtbar.

Geblendet durch die sich selbst eingeredeten künftigen Auswirkungen der verbesserten Verkehrslage hatten Rhyner & Blattmann zudem 1835 das Beizhaus mit mehreren «Gallanden» ausgerüstet und auf dem 1828 erbauten und 1832 für die Rotfärberei erweiterten Farbgebäude einen vierten Tröckneturm aufgestockt: den zweiten Wärmetrockner des Unternehmens. Mit dieser Erweiterung der Fabrikation Kapazität und den wiederholten Kapitalinvestitionen hatte sich die Firma Rhyner & Blattmann endgültig übernommen. Im März 1836 musste sie beim Bezirksgericht Horgen die Insolvenzerklärung abgeben; am 5. Mai 1836 stand der Konkurs fest. Die Konkursverhandlung wurde auf den 30. Mai 1836 angesetzt55.
Die bisherigen Geschäftsinhaber dachten nicht mehr daran, den Betrieb fortzusetzen. Und es fand sich auch keine Nachfolgefirma, welche die Konkursmasse übernehmen wollte. So wurde der ganze Betrieb liquidiert. Zunächst konnten Interessenten in der Woche vom 13. bis 19. Juni 1836 in der Fabrik im Giessen sämtliche Waren besichtigen und darauf Angebote machen. Zum Verkauf standen mehrere Tausend rohe sowie rotgefärbte und bedruckte Tücher, ferner eine bedeutende Zahl Fässer mit Krapp und andern zur Rotfärberei und Druckerei dienlichen Drogen56.
Auf diesem Weg gingen aber längst nicht alle Vorräte weg. Am 20. und 21. März 1837 wurden daher noch regelrechte Ganten abgehalten, und zwar über folgende Waren: Krapp, Pariserblau und verschiedene andere Farbwaren, rohe und gefärbte Tücher, rotes und blaues Garn, leinene Nastücher und Kölsch, Dicktuch, Wachs-, Filz- und Packtuch, über Wein, Branntwein, Heu, Stroh und Holz. Die auf die Gant gebrachten Gegenstände sollten wenn immer möglich dem Meistbietenden gegen Barzahlung überlassen werden57.
«Die aufs beste eingerichtete, an einem Bach und am See, auf einer der schönsten Stellen gelegene Türkischrothfärberei und Cattundruckerei von Reyhner und & Blattmann im Giessen bei Wädenschweil» selbst wurde im November und Dezember 1836 in der «Zürcher Freitags-Zeitung» und im «Schweizerischen Republikaner» zum Verkauf ausgeschrieben58. Dazu gehörten auch verschiedene Utensilien: neun eingemauerte Kessel, Calander, Drucktische und Model. Interessenten hatten sich nicht mehr an einen der beiden früheren Inhaber zu wenden, sondern an «Herrn Hauser von Bern, dato im Freyhof in Wädenschweil». Johann Jakob Hauser war ein Schwager Blattmanns. Seine Schwester Henriette (1808−1869) hatte nur wenige Jahre zuvor, am 2. September 1833, jenen Mann geheiratet, für den sich jetzt Hauser bemühte, um das Ansehen der Familie zu retten.
Da sich für die Rotfarb und Kattundruckerei im Giessen keine Käufer finden liessen, wurde der gesamte Besitz schliesslich Johann Jakob Hauser für dessen darauf versicherte Forderungen überlassen. Dies bezeugten die Liquidatoren der Konkursmasse Rhyner & Blattmann im Giessen − Hauser zur Treu und J. Diezinger − am 15. Oktober 1838 auf der Notariatskanzlei59.
1839 war Hauser zum Freihof rechtmässiger Besitzer des ganzen Geländes im Giessen, auf dem ein Wohnhaus (1a) und eine Scheune (1b) samt Trottgebäude mit Trotte, ein Wohn- und Druckgebäude (1c), ein Rotfärbereigebäude mit Tröckneturm darauf (1g), ein Waschgebäude (1h), ein Kippenhaus (373), ein Magazin- und Beizhaus (375) mit zwei eingemauerten Kesseln, einer Calander und Treibwerk darin, ein Holzschopf mit Turm darüber (J1) sowie zwei Wärmetrockentürme (1d, 1f) standen. Dazu kamen rund 6½ Jucharten Garten, Acker, Matten und Reben im Giessen auf Richterswiler Gemeindegebiet und weiter ½ Jucharte Holz und Boden jenseits des Baches in der Gemeinde Wädenswil60.

Giessenhorn, Ausschnitt aus einem Plan des Grenzbereichs Wädenswil-Richterswil von 1878.

DIE ROTFARB UND KATTUNDRUCKEREI VON GEORG LEEMANN

Johann Jakob Hauser im Freihof hatte keine Verwendung für die ihm zugefallenen Gebäude. Bis Ende 1840 ruhten Druck- und Färbereibetrieb im vorderen Giessen. Dann erwarb Georg Leemann aus Wollishofen am 24. November 1840 den ganzen Besitz für 25 000 Gulden, mit Kaufantritt am 1. Januar 1841. Der neue Eigentümer zahlte Hauser 5000 Gulden in bar; 20 000 Gulden übernahm er als Schuldbrief61.
Georg Leemann hatte zusammen mit Eduard Stouky bis anhin in Wollishofen ein ähnliches Etablissement geführt. Vom 15. Juli 1841 bis zum 31. Dezember 1842 bestand diese Geschäftsverbindung im Giessen weiter. Dann zog sich Eduard Stouky zurück und überliess Rotfarb und Kattundruckerei seinem bisherigen Mitgesellschafter. Dieser führte nun den Betrieb unter der Bezeichnung «Georg Leemann» bis ins Jahr 1862 auf alleinige Rechnung weiter. Dann zerstörte eine Feuersbrunst den grössten Teil der Anlagen62. Leemann liess sie nicht mehr aufbauen, sondern begehrte am 18. März 1863 die Streichung seiner Firma aus dem Ragionenbuch63.

Die Arbeiterwohnhäuser auf dem Giessenhorn, erstellt in den Jahren 1874 bis 1876 durch die Seidenfirma Zinggeler & Huber, wurden in den letzten Jahren durch die Immobilienfirma Pfenninger & Cie. AG renoviert und im Innern modernisiert.

Einige Jahre hauste noch ein Chemiker namens Adolf Baur in der Rotfärberei. Er setzte aber den Betrieb nicht im eigentlichen Sinne fort64. 1868 empfahl sich Baur zur Beseitigung von Rostflecken, und 1869 suchte er durch Inserat im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» einen der Schule entlassenen Jüngling zur Mithilfe in der ehemals Leemannschen Rotfärberei65.
1868 ist in den Lagerbüchern der Brandassekuranz die Witwe Elisabeth Leemann-Kienast als Eigentümerin des Wohnhauses mit Kattundruckerei und der zugehörigen Nebenbauten im Giessen eingetragen. Sie hatte bei der Erbausrichtung vom 23. März 1868 zusammen mit ihrem in Amriswil lebenden Sohn Albert den gesamten Nachlass übernommen66. Das baufällige Waschgebäude (Ass.-Nr. 1 h) wurde schon 1864 als «geschlissen» vermerkt. 1872 liess die Witwe auch das mit «Rotfärberei» bezeichnete Gebäude (Ass.-Nr. 1 g), das Kippenhaus (Ass.-Nr. 373) und den Tröckneturm mit Anbauten (Ass.-Nr. 389) abtragen67.

DIE GIESSEN-HALBINSEL IM EIGENTUM VON ZINGGELER & HUBER

Am 19. April 1873 verkauften Witwe Leemann-Kienast und Sohn Albert, jetzt Kaufmann im aargauischen Veltheim, ihren ganzen Besitz auf der Giessen-Halbinsel an alt Regierungsrat Karl Adolf Huber «zum Walfisch» in Wädenswil und Samuel Zinggeler-Huber, Seidenfabrikant «zum Talhof» daselbst. Die Handänderung erfolgte um den Preis von 80 000 Franken. Kaufantritt war der 1. Mai 1873; der Witwe wurde bis Ende Juli gleichen Jahres das Wohnrecht zugesichert68.

So präsentieren sich Giessenhorn und Giessen mit den Gebäuden der 1972 stillgelegten und 1973 zur Immobilienfirma umgewandelten Tuchfabrik Pfenninger & Cie. AG heute. Das Fabrikareal wird seit 1875 von der Bahnlinie Zürich-Chur durchschnitten.

Die beiden Wädenswiler Industriellen machten sich nun daran, die Giessen-Halbinsel für ihre Bedürfnisse umzugestalten. Für das ehemalige Bauernhaus mit Scheune (1 a) und für die Trotte hatten sie offensichtlich keine Verwendung. Am 16. Juli 1874 verkauften sie diese Liegenschaften für 23 000 Franken dem Weinhändler Kaspar Hitz «zur Weinburg» in Richterswil69. Die beiden Tröcknetürme (1 d und 1 f) sowie den Holzschopf mit Lufttröckneturm darüber liessen sie 1874 abtragen70. An ihrer Stelle entstand 1874 das Kosthaus Giessen 3, 4, 5. 1875 wurde das Arbeiterwohnhaus Giessen 1 erstellt, 1876 an der neuen Eisenbahnlinie das Kosthaus Giessen 271. In den Neubauten hielten zum Teil Arbeiter der hinter der Giessenmühle gelegenen Seidenzwirnerei Zinggeler Einzug. 1897 kamen die drei Häuser an die Tuchfabrik Pfenninger.

DAS HAUS GIESSEN 6 SEIT 1873

Der klassizistische Walmdachbau Giessen 6, das zur Rotfarb im Giessen gehörende, 1826 von Rhyner & Blattmann erbaute Wohn- und Kattundruckereigebäude, kam 1873 ebenfalls durch Kauf aus dem Besitz der Witwe Leemann-Kienast an die Industriellen Karl Adolf Huber und Samuel Zinggeler-Huber72. Sie liessen die Kattundruckerei noch im gleichen Jahr in Wohnungen umwandeln. Im Lagerbuch der Brandassekuranz figuriert dieses Gebäude bereits 1873 als Wohnhaus, allerdings mit dem Vermerk «Bauten, noch unvollendet»73. Für 1874 sind Mehrbauten erwähnt. 1878 wurde das Haus − nach der Grenzbereinigung zwischen Wädenswil und Richterswil − unter der neuen Nummer 431 brandversichert. Bei der Revision von 1894 erhielt das Gebäude die heutige Versicherungsnummer 18.

Der klassizistische Walmdach bau wurde 1826 von Rhyner & Blattmann als Wohn- und Kattundruckereigebäude erstellt. Ansicht von Süden, mit intaktem Garten. 1992/93 erfolgten Aussenrenovation und totale Erneuerung im Innern.

Karl Adolf Huber und Samuel Zinggeler behielten das Wohnhaus Giessen 6 nur knapp drei Jahre. Am 15. Februar 1876 verkauften sie es an Wilhelm Pfenninger-Oechslin (1845−1913), Fabrikant «am Steg» in Wädenswil74. Das damals für 55 000 Franken assekurierte Wohnhaus, «mit 17 000 Quadratfuss Hofraum und Garten rings dabei und einem 50 Fuss langen und 12 Fuss breiten Landesteg», hiess damals «zum Giessbach». Es wechselte auf Martini 1876 für 60 000 Franken die Hand.
Bereits 1877 bezeichnete sich Wilhelm Pfenninger als «Fabrikant zum Giessbach in Richtersweil»75. Am 15. November jenes Jahres nahm er von Franz Tobler im Mittelort ein Darlehen auf, um Umbauten in seinem Wohnhaus Giessen 6 − unter anderem ein neues Treppenhaus auf der Seeseite − zu finanzieren. Das Lagerbuch der Brandassekuranz erwähnt für 1879/80 bauliche Veränderungen76. Nun entstand als erster Erweiterungsbau auf der Westseite ein Tuchmagazin (Ass.-Nr. 1161, neu 19). Seit 1893 wird es im Grundprotokoll als «Magazingebäude mit Zinne» umschrieben77. 1907 erfolgte nochmals eine Verlängerung gegen Norden: der neue Massivbau diente als Spedition der Stoffe mit Pferden und Wagen.
Im Wohn- und Geschäftshaus Giessen 6 richtete man 1913 eine Wasserheiz- und Warmwasseranlage ein, und zudem installierte man die elektrische Beleuchtung78. Wilhelm Pfenninger-Thiel legte Wert auf eine schöne Umgebung des Hauses Giessen 6: Am See vor dem Gebäude und gegen Giessen liess er schöne, kunstgeschmiedete Geländer und je ein Tor anbringen. Auch das Inseli, der Pavillon, der gotisierende Umbau der «Sust» und ein gepflegter «englischer Garten» gingen auf seine Initiative zurück. 1957 wurde der Treppenhausvorbau in der Seefassade renoviert, und gleichzeitig baute man einen Aufzug ein. 1992/93 wurde das Haus Giessen 6 ausgekernt und im Innern vollständig neu gestaltet. Eine Aussenrenovation gab dem klassizistisch geprägten Walmdachbau mit regelmässiger Fensterordnung seine frühere Harmonie und Eleganz zurück.




Peter Ziegler


ANMERKUNGEN

1 Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Leipzig 1876, Spalten 385 und 397.
2 StAZ, B XI Wädenswil 43, Grundprotokoll Richterswil Bd. 13, 1834, S. 447.
3 StAZ, C II 15, Nr. 5 und 6. − StAZ, F II c 86, Frühmessurbar.
4 Peter Ziegler, Wie Spitzen zu Hirzel und der Giessen zu Wädenswil kam. Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1978, S. 54.
5 Edwin Hauser und Werner Schnyder, Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des 14. und 15. Jahrhunderts, Zürich 1944, S. 331.
6 StAZ, F II c 88, Jahrzeiturbar, 1555.
7 StAZ, F III 38, Landvogteirechnung Wädenswil 1580/81.
8 StAZ, B XI Wädenswil 1, Grundprotokoll Wädenswil Bd. I, 1654, S. 63 a.
9 StAZ, B Xl Wädenswil 1, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 1, 1654, S. 123 a.
10 StAZ, B XI Wädenswil 1, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 1, 1654, S. 140 a.
11 Gottlieb Binder, Die Bauernmühlen des Bezirkes Horgen, Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil für 1947, S. 25. − StAZ, A 150/3. − StAZ, B 111 338, S. 349.
12 StAZ, B XI Wädenswil 4, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 4, 1694, S. 354a; Bd. 5, 1715, S. 66b.
13 StAZ, B XI Wädenswil 6, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 6, 1741, S. 60 a.
14 StAZ, B XI Wädenswil 6, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 6, 1741, S. 94 a.
15 Heinrich Höhn, Wahrhafte Beschreibung der Erbauung der neuen Kirche zu Wädenschweil in den Jahren 1764−1767. Abgedruckt in: Die Kirche von Wädenswil, 24. Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil, Wädenswil 1967.
16 StAZ, B XI Wädenswil 16, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 16, 1801, S. 111.
17 StAZ, B XI Wädenswil 16, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 16, 1801, S. 111.
18 StAZ, B XI Wädenswil 19, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 19, 1818, S. 1, 2, 477–479. − Christian Renfer, Geschichte des Hauses «Zur Vorderen Fuhr», Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1988, S. 47 ff.
19 Rudolf Jaun, Das Eidgenössische Generalstabskorps 1804−74, Basel 1983, S. 83/84.
20 StAZ, B XI Wädenswil 21, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 21, 1831.
21 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 32 vom 17. März 1870 (Nachruf).
22 Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil, Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil für 1956, S.152/153.
23 StAZ, B XI Wädenswil 21, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 21, 1832, S. 169.
24 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 74 vorn 17. September 1853 (Nachruf).
25 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 22, 1885−1888, S. 1-5, 107-109.
26 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 22, 18851888, S. 560-579.
27 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Richterswil Bd. 31, 19071909, S. 360.
28 Albert Hauser, Aus der Geschichte der Tuchfabrik Pfenninger, 2. Auflage, Wädenswil 1976, S. 19-21.
29 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 25. Januar 1972, 11. April und 10. Dezember 1973.
30 Fabriken und Handelshäuser der Stadt und des Kantons Zürich, 1826. Beilage zum Regierungs- und Adresskalender des Kantons Zürich auf das Jahr 1826, S. 21.
31 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, 24. April 1826. Das Protokoll des Friedensrichters ist im Archiv-Verzeichnis von 1923 (IV B 68.1.) aufgeführt, fehlt dagegen heute im Archiv. Die Zitate erfolgen nach Dielhelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, Zürich 1938.
32 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, 24. April 1826.
33 StAZ, B XI Wädenswil 20, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 20, 1826, S. 92.
34 StAZ, B XI Wädenswil 20, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 20, 1826, S. 92.
35 StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 544 und 545. Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 165/166.
36 StAZ, RR I 256 a, S. 544.
37 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, 12. März 1827. Diethelm Fretz, Die Blaumann, Bd. 2, S. 166.
38 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, 19. Juni 1827. Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 167.
39 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, 25. Juni 1828.
40 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, 23. Juli 1830.
41 StAZ, NN 10.24, S. 139, 299; NN 10.25, S. 45 f.
42 StAZ, NN 10.25, S. 182 ff. und 232.
43 Stadtarchiv Wädenswil, Schachtel 15.1., dat. 3. April 1827 und Schachtel 34.1, dat. 16. November und 27. Dezember 1827 (Signaturen nach Archiv-Verzeichnis 1923). StAZ, R 248.1., dat. 18. Oktober 1827.
44 StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 552, 553, 554, 555.
45 Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 169.
46 Stadtarchiv Wädenswil, Schachtel 53.2., datiert 28. August 1830 (Signatur nach Archiv-Verzeichnis 1923).
47 StAZ, YY 7.29, S. 481-488.
48 StAZ, YY 7.29, S. 135-142.
49 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 22, 18851888, S. 107. Albert Hauser, Aus der Geschichte der Tuchfabrik Pfenninger, S. 17.
50 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 22, 18851888, S. 560.
51 Stadtarchiv Wädenswil, Protokoll des Friedensrichters Dorf, dat. 21. Dezember 1832.
52 StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 545, 552, 596, 597.
53 StAZ, B XI Wädenswil 43, Grundprotokoll Richterswil Bd. 13, 1834, S. 51.
54 Stadtarchiv Wädenswil, IV B 1.7, S. 197, Gemeinderatsprotokoll vom 27.2.1836.
55 Amtsblatt des Kantons Zürich, Nr. 20 vom 8. 3. 1836, S. 71, Inserat 20; Nr. 84 vom 18. Oktober 1836, S. 308, Inserat 14.
56 «Zürcher Freitags-Zeitung», Nr. 24 vom 10. Juni 1836.
57 «Zürcher Freitags-Zeitung», Nr. 24 vom 10. Juni 1836, Beilage S. 2; «Schweizerischer Republikanern, Nr. 47 vom 10. Juni 1836, S. 224.
58 Amtsblall des Kantons Zürich, Nr. 22 vom 17. März 1837, S. 80, Inserat 14.
59 StAZ, B XI Wädenswil 43, Grundprotokoll Richterswil Bd. 13, 1834, S. 51 ff.
60 StAZ, B XI Wädenswil 43, Grundprotokoll Richterswil Bd. 13, 1834, S. 51 ff. und S. 354. StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 544, 545, 552, 553, 554, 555.
61 StAZ, B XI Wädenswil 43, Grundprotokoll Richterswil Bd. 13, 1834, S. 445-447.
62 Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil, S. 169/170.
63 StAZ, 0 38 d 9, fol. 199.
64 Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil, S. 170.
65 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 3. September 1868 und 15. April 1869.
66 StAZ, B XI Wädenswil 155, Grundprotokoll Richterswil, Bd. 18, 18661869, S. 346-349.
67 StAZ, RR 1 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 555, 554. StAZ, B XI Wädenswil 155, Grundprotokoll Richterswil Bd. 18, 18661869, S. 346-349.
68 StAZ, B XI Wädenswil 162, Grundprotokoll Richterswil Bd. 7, 18721875, S. 201.
69 StAZ, B XI Wädenswil 162, Grundprotokoll Richterswil Bd. 7, 18721875, S. 472.
70 StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 545, 553.
71 StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 545, 552, 553.
72 StAZ, B XI Wädenswil 162, Grundprotokoll Richterswil Bd. 7, 18721875, S. 201.
73 StAZ, RR I 256 a, Lagerbuch der Brandassekuranz, Richterswil, S. 544.
74 SLAZ, B XI Wädenswil 163, Grundprotokoll Richterswil Bd. 8, 18751878, S. 46.
75 SLAZ, B XI Wädenswil 163, Grundprotokoll Richterswil Bd. 8, 18751878, S. 450/451.
76 StAZ, RR I 260 b, Lagerbuch der Brandassekuranz, Wädenswil, S. 709.
77 Notariat Wädenswil, Grundprotokoll Richterswil, Bd. 30, 19051907, S. 477.
78 StAZ, RR I 260 f, Lagerbuch der Brandassekuranz, Wädenswil, S. 19.

Nordwestlich des Spinnereigebäudes der Firma Pfenninger stand zwischen Seestrasse und Bahnlinie das Haus des Baumeisters Cavallasca. Es wurde 1936 abgebrochen.