Frühbronzezeitliche Siedlungen bei der Vorderen Au

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1997 von Peter Ziegler

Im Rahmen einer Kurzinventarisation der Zürcher Seeufersiedlungen, welche das Büro für Archäologie der Stadt Zürich im Sommer 1996 im Auftrag der Kantonsarchäologie Zürich durchführte, wurden im Ufergebiet von Wädenswil drei bisher unbekannte prähistorische Siedlungsplätze entdeckt. Zwischen Rietlihuus und Au-Haabe untersuchen seit November 1996 Taucher in einer kleinflächigen Unterwasser-Rettungsgrabung Siedlungsspuren aus der Jungsteinzeit und der Frühbronzezeit. Die Ausgrabungen in den prähistorischen Seeufersiedlungen Vorder Au sollen Ende Juni abgeschlossen werden. Schon heute steht auf Grund einiger sensationeller Funde fest, dass die Grabungen für die Urgeschichtsforschung von internationaler Bedeutung sind.
 

Jungsteinzeitliche Siedlung bei Naglikon

Vor 1996 waren im Ufergürtel der Gemeinde Wädenswil zwei urgeschichtliche Siedlungsplätze nachgewiesen: die jungsteinzeitliche Siedlung Naglikon sowie ein spätbronzezeitlicher Siedlungsstandort in der Hinteren Au.
Die flache Seebucht von Naglikon war schon in der jüngeren Steinzeit (Neolithikum) besiedelt. Nordwestlich des Schlossgutes Au, vor den Häusern zu Naglikon, wurde im April 1949 bei niedrigem Wasserstand etwa 70 Meter vom Strand entfernt eine dichte Ansammlung von Pfahlstummeln beobachtet, die sich über eine Fläche von 70x50 Metern erstreckten und etwa zehn bis zwanzig Zentimeter aus dem Seegrund ragten. Im Sommer 1975 schwammen hier Taucher den Seeboden ab und entdeckten dabei fünf Steinbeilklingen. Das älteste Beil gehört der Pfyner Kultur an, benannt nach der 1942 entdeckten Moorsiedlung im Breitenloo bei Pfyn im Thurgau. Diese Kultur, und damit wohl auch die erste steinzeitliche Siedlung bei Naglikon, liess sich in die erste Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrtausends datieren. Vier Steinbeile aus Naglikon könnten der etwas jüngeren, um 3000 vor Christus anzusetzenden Horgener Kultur angehören. Diese eigenständige Kultur innerhalb des Neolithikums wurde 1934 im Gebiet der Yachtwerft Faul im Scheller Horgen erkannt und nach diesem Fundort benannt.

Siedlungsreste der Spätbronzezeit bei der Hinteren Au

Seit 1973 hat man davon Kenntnis, dass im Zürichsee westlich des zum Schlossgut Au gehörenden Bootshauses in der Hinteren Au Reste von drei urgeschichtlichen Siedlungen liegen. Die älteste dürfte - nach Keramikscherben zu schliessen - der spätneolithischen Kultur der Schnurkeramik angehören und etwa um 2700 vor Christus zu datieren sein. Darüber liegen Schichten, die anhand von Eichenholzproben ins 11. Jahrhundert vor Christus datiert worden sind. Eine durch Seekreide getrennte jüngste, oberste Kulturschicht belegt bereits die Phase des Übergangs von der Spätbronzezeit zur Eisenzeit (späte Hallstatt B-Periode), also eine Epoche um 800 vor Christus.
Gegenstände aus Bronze konnten in der Siedlung Hinter Au bis heute nicht gehoben werden. Dafür ist die Keramik gut vertreten. Es handelt sich um Scherben von grossen Kochtöpfen und von feineren Bechern, Schalen und Tellern. Manche Wand- und Randfragmente sind mit Ritz- und Stichmustern verziert. Durchbohrte Scherben mit geritzten Linien deuten darauf hin, dass einzelne Gefässe mit eingelegten farbigen Fäden oder Stroh geschmückt waren. Besonders hübsch ist ein fast vollständig erhaltener spätbronzezeitlicher Topf, der 1975 beim Abschwimmen der Fundstelle durch die Tauchequipe des Büros für Archäologie der Stadt Zürich entdeckt wurde. An weiteren Fundgegenständen - sie wurden alle dem Schweizerischen Landesmuseum in Zürich übergeben - gilt es einen Spinnwirtel aus Ton zu erwähnen, einen Holzkeil in zwei Stücken, unbearbeitete Hirschhornteile sowie Getreidekörner.

Jungsteinzeitliche Siedlung Scheller

Im Rahmen der im Sommer 1996 durchgeführten Kurzinventarisation der Zürcher Seeufersiedlungen stiess die Tauchequipe im See vor dem Rietlihuus auf einen weiteren jungsteinzeitlichen Siedlungsplatz, der gegen die Untiefe des die Bucht abschliessenden Stierensteins ausläuft. Er ist mit Scheller bezeichnet worden. In der durch Baggerungen im Bereich des Bootshauses stark gestörten Einfahrt konnte am Seegrund interessantes Fundmaterial aus der Horgener Kultur (um 3000 vor Christus) aufgesammelt werden. Scherben der Pfyner Kultur belegen im gleichen Abschnitt eine noch ältere Siedlung.

Wädenswil-Scheller: Pfahlköpfe und offen am Seegrund liegende Keramikscherben.
 
Im Uferabschnitt zwischen Rietlihuus (links) und Au-Haabe liegen die im Rahmen einer Rettungsgrabung untersuchten Siedlungsplätze der Jungsteinzeit und der Frühbronzezeit.

Rettungsgrabung Vorder Au

Die laufenden Grabungen beschäftigen sich indessen nicht mit der Siedlung Scheller, sondern mit dem unterhalb davon liegenden grossen Areal, wo sich vor dem Schilfgürtel, der sich gegen die Au-Haabe erstreckt, im untiefen Wasser (je nach Wasserstand 1,6 bis 3 Meter) Reste einer frühbronzezeitlichen Siedlung erhalten haben. Eine ungefähr uferparallele Bohrserie (Methode: Gefriermantelbohrungen mittels Trockeneisgranulat) erfasste zu Beginn der Abklärungen neben der oberflächlich sichtbaren Schicht noch mindestens fünf weitere, ältere Kulturschichten, die noch gut geschützt in der Uferplatte liegen. Untersucht werden in der momentan laufenden Rettungsgrabung indessen nur die drei obersten Schichten in einem zirka 70 Quadratmeter grossen Feld.
Die oberste, also zeitlich jüngste Schicht, enthält die Reste einer frühbronzezeitlichen Siedlung. Dokumentiert sind hier die bereits stark beschädigten hölzernen Bauteile frühbronzezeitlicher Häuser: Holzpfähle und hölzerne Pfahlschuhe. Der Pfahlschuh, eine rechteckige durchbohrte Platte, hatte den dadurch in den Seegrund getriebenen Pfahl zu fixieren, dessen Einsinken in die Seekreide zu verhindern und das Gewicht zu verteilen. Die Lage der rund 200 entdeckten und in Plänen festgehaltenen Pfahlschuhe verrät als Reihung jetzt schon Hausgrundrisse und Hausfluchten. Dies wird bei der genaueren Auswertung Rückschlüsse auf die Anordnung der Bauten erlauben. Bereits steht fest, dass die ursprüngliche Siedlung einmal umgebaut worden ist. Und aus Brandspuren ist zu folgern, dass ein darunter liegendes älteres Dorf abbrannte.
Einzelne Pfahlschuhe zeigen sogar Reste der Rinde sowie Beilspuren der Bearbeitung. Die Pfahlschuhe bestehen zur Hauptsache aus Erlen-, die in den Seegrund getriebenen Pfähle aus Eichenholz. Mit der Methode der Dendrochronologie, der Altersbestimmung anhand der Jahrringe, konnte das Fälldatum der Hölzer ermittelt werden: zwischen 1604 und 1598 vor Christus. Die bis jetzt bestimmten Hölzer des Siedlungsplatzes zeigen folgende Artenverteilung: 50 % Eiche, 15 % Esche, 12 % Erle; nur vereinzelt treten Tanne, Buche, Pappel und Hasel auf.
Das Fundmaterial aus der frühbronzezeitlichen Schicht lässt sich gut mit gleich alten Siedlungen am Bodensee (Arbon) und am Baldeggersee (Hochdorf) vergleichen. Überaus reich ist die in der Vorderen Au gehobene Keramik vertreten: Gefässscherben im Gesamtgewicht um die 200 Kilogramm. Darunter etwa Fragmente von Henkeltassen mit Knick und von Siebgefässen, grobe Wirtschaftsware mit Fingertupfenleisten sowie schön verzierte Deckel. Aber auch Gegenstände aus Bronze brachten die Taucher ans Tageslicht: Unter anderem eine Bronzenadel mit Öse, eine Rollennadel und einen Angelhaken.
Pfahlschuh aus Erlenholz zur Fixierung eines in den Seegrund getriebenen Eichenpfahls.
 
Wädenswil-Vorder Au. Frühbronzezeitliche Knickwandtasse (um 1600 v. Chr). Massstab 1:4.
 
Mitglieder von Stadtrat und Kulturkommission Wädenswil lassen sich am 26. Mai 1997 über die Grabungsresultate informieren.
Vom Ruderboot aus können die unter Wasser forschenden Archäologen bei der Rettungsgrabung beobachtet werden.

Wädenswil-Vorder Au. Zwei Taucher untersuchen in etwa 1.5 Meter Wassertiefe die erosionsgefährdeten Reste eines frühbronzezeitlichen Dorfes.
 
Unter der frühbronzezeitlichen Kulturschicht liegt, durch Seekreide getrennt, eine zweite Schicht, die stellenweise ebenfalls an die Oberfläche tritt. Sie repräsentiert die Kultur der späten Schnurkeramik und ist gemäss Dendrodaten vermutlich zwischen 2571 und 2450 vor Christus zu datieren. Der Name dieser Kultur ist abgeleitet von den Gefässen, die mit eingelegten Schnüren verziert waren. Eine wiederum durch Seekreide abgegrenzte dritte, noch tiefer liegende Schicht scheint dem selben Zeitraum anzugehören. Hier trat keine Keramik mehr auf. Dagegen fand man ausserordentlich viele und gut erhaltene Geflechte, Überbleibsel von Schilfmatten mit Lindenbast-Bindung sowie Schnurreste. Dazu Sämereien von Beeren, Schlehenkerne und Haselnussschalen.
Dass unter den drei beschriebenen Kulturschichten noch Spuren älterer Siedlungen liegen, die jetzt aber nicht untersucht werden, beweisen Funde, die der Horgener Kultur (um 3000 vor Christus) zuzuordnen sind. Zu erwähnen ist etwa eine schön geschliffene, für diese Kultur typische Steinbeilklinge aus Grüngestein. Sie war einst in einem Holm geschäftet. Dafür verwendete man Zwischenfutter aus Hirschgeweih, wie es - mit Schnitzspuren - in der Siedlung Vorder Au ebenfalls zu Tage getreten ist. Belegt ist die Horgener Kultur auf diesem Siedlungsplatz aber auch durch die typische dickwandige und grob gemagerte, zum Teil mit Fingernageleindrücken verzierte Keramik.
Bemerkenswert sind sodann kleine Pfeilspitzen aus Feuerstein (Silex), der wahrscheinlich aus der Walensee-Region stammt.
Als besondere Sensation indessen gilt der Fund einer unscheinbaren Keramikscherbe in der Schicht 2. Sie ist von ihrer Beschaffenheit und Verzierung her der Glockenbecherkultur zuzuordnen. Diese spätneolithische Kultur (um 2500 bis 2000 vor Christus), benannt nach ihrer typischen Gefässform, dem glockenförmigen Becher, war bis jetzt fast ausschliesslich aus Gräberfunden bekannt, zum Beispiel aus der Region Basel und dem Wallis. Erstmals ist nun mit diesem Fund die Glockenbecherkultur auch in einer datierbaren Schicht mit schnurkeramischen Begleitfunden in einer Seeufersiedlung nachgewiesen, was für die Urgeschichtsforschung von internationaler Bedeutung ist.

Wädenswil-Vorder Au. Die archäologische Sensation: Eine Glockenbecher-Scherbe aus der endneolithischen Schicht 2 in natürlicher Grösse.
 

Fünf prähistorische Siedlungen am Wädenswiler Ufer

Bei der Kurzinventarisation der Zürcher Seeufersiedlungen stiessen die Taucher am Ufer der Gemeinde Wädenswil sogar noch auf einen fünften prähistorischen Siedlungsstandort, nämlich im Bereich vor dem Seerestaurant Meilibach. Untersucht ist diese Station noch nicht. Möglich wäre ein Siedlungsplatz der Horgener Kultur.
So sind nun allein im Uferabschnitt des Wädenswiler Gemeindegebietes fünf prähistorische Siedlungen bekannt. Die älteste Phase, die Pfyner Kultur, ist in den Stationen Scheller und Hinter Au vertreten. Die Horgener Kultur ist für die Siedlungen Scheller und Vorder Au belegt und für Naglikon und Meilibach anzunehmen. Die Kultur der Schnurkeramiker ist bekannt von den Siedlungen Hinter Au und Vorder Au, die frühe Bronzezeit vom Siedlungsplatz Vorder Au, die späte Bronzezeit von der Seeufersiedlung Hinter Au.
Damit haben die jüngsten Entdeckungen und Erforschungen auch weiteres Licht in die früheste Geschichte unserer Gemeinde gebracht, in den Zeitraum zwischen etwa 3800 vor Christus (Pfyner Kultur) bis etwa 800 vor Christus (späte Bronzezeit). Jetzt schon darf man auf die wissenschaftliche Aufarbeitung und Publikation der Grabungsergebnisse gespannt sein.
 
Zürichsee (Ausschnitt) mit den heute bekannten Pfahlbaustationen. Auffallend ist die hohe Funddichte entlang des rechten Ufers (Meilen bis Stäfa). Auf der gegenüber liegenden Seite sind wegen der meist steilen Ufer nur unter- und oberhalb der Halbinsel Au prähistorische Ufersiedlungen vorhanden.
 

Schutz der Siedlungsstandorte

Anlass zu laufenden Rettungsgrabung in der Bucht zwischen Rietlihuus und Au-Haabe gab die Tatsache, dass die prähistorischen Siedlungsreste der Zerstörung ausgesetzt sind. Der Wellenschlag hat Kulturschichten ausgewaschen, zum Teil aberodiert und Funde freigespült. Gross sind aber vor allem die Schäden, welche Bootsanker und Ketten an Pfahlschuhen und Pfahlköpfen angerichtet haben. Die bisherigen Resultate sind vom archäologischen Standpunkt aus teilweise sensationell, vom denkmalpflegerischen dagegen katastrophal. Die nächste grosse Aufgabe wird es sein, mit den zuständigen Behörden Möglichkeiten zu finden, um diese einmalige Fundstelle nachhaltig und wirkungsvoll zu schützen. Denkbar wäre das Überdecken der Siedlungsreste mit Matten, Kies und Steinen, denkbar auch das Anbringen von wellenbrechenden Balken wie vor dem Schilfgürtel in der Hinteren Au. Oder gar das Verbot des Ankerns in einer bestimmten Zone.




Peter Ziegler


Auftraggeber:
Kantonsarchäologie Zürich.
Leiter: lic. phil. Andreas Zürcher

Durchführung:
Tauchequipe des Büros für Archäologie der Stadt Zürich.
Leiter: Dr. Ulrich Ruoff

Wissenschaftliche Leitung:
lic. phil. Beat Eberschweiler
 
Örtliche Leitung:
Peter Riethmann, archäologischer Grabungstechniker
Wädenswil-Vorder Au. Zum Schutz der Pfahlbaureste vor dem zerstörerischen Wellenschlag (Schifffahrt, Stürme) werden streifenweise Matten aus Geotextil verlegt und mit Steinen beschwert.