BEOBACHTUNGEN IN DEN NATURSCHUTZGEBIETEN DER HALBINSEL AU

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2003 von Hans Oberhänsli

Die Halbinsel Au ist Teil der landschaftlich grossartigen und kulturgeschichtlich bedeutsamen Zürichseelandschaft. Auf kleinstem Raum findet sich ein grosses Mosaik an verschiedenen Lebensräumen für seltene Pflanzen und Tiere.

DIE FLACHMOORE

Am Auffallendsten sind die Riedgebiete «Vorder Au» (5.11 ha) und «Am Ausee» (3.45 ha). Beides sind Flachmoore von nationaler Bedeutung (Objekte Nrn. 87 und 88 der Flachmoorverordnung vom 7. September 1994). In diesen Flächen können verteilt auf wenige Standorte acht geschützte oder seltene Pflanzenarten bestimmt werden. Neben der gelben und der sibirischen Schwertlilie finden sich sehr spezielle Arten wie der kantige Lauch, die Sumpfplatterbse oder die Lachenals Rebendolde. Auf Flächen mit wenig Schilf in der «Vorder Au» bilden gefährdete Heuschreckenarten wie der weissrandige Grashüpfer und die Sumpfschrecke kleine Populationen. An alten Schilfhalmen baut der noch häufig anzutreffende Teichrohrsänger sein Nest.
Der bis vor kurzem heimischen Rohrammer fehlen dagegen die lockeren Pflanzenbestände in den Grossseggen- und Kalkkleinseggen-Riedgesellschaften, in denen sie sich als Bodenbrüterin wohl fühlt. Das Schilfrohr und Hochstaudengesellschaften überwachsen und verdrängen sie immer mehr.
Das Flachmoor «Am Ausee» bildete in Naglikon bis anfangs der 1990er Jahre einen Vegetationskomplex mit Verlandungsgesellschaften im angrenzenden Flachufer des Zürichsees. Zu den Verlandungsgesellschaften zählten das Röhricht, die Schwimmblattgesellschaften und die Unterwasserfluren. Diese Kumulation von Naturwerten gibt es nicht mehr. Der Kanton versuchte ab den 1960er Jahren das Schilfrohr mit Zäunen und schwimmenden Stämmen vor Unrat und Wellenschlag zu schützen. Dieser Schutz erwies sich als unzureichend. Er vermochte den dramatischen Rückgang der einst ausgedehnten Verlandungsgesellschaften nicht aufzuhalten.
Das Flachmoor «Vorder Au» stösst im Norden und Osten auf seiner ganzen Länge ans Ufer des Zürichsees. Lediglich ein langgezogener, aber schmaler Röhrichtgürtel im See schliesst sich an. Es handelt sich um eine eher individuenarme Fläche. Vögel suchen diese vielfach erst dann als Aufenthaltsort auf, wenn sich ihnen keine andere Möglichkeit mehr bietet.

Das Schilfrohr im Riedgebiet der «Vorder Au».

DAS SCHILFROHR IM WASSER ALS LEBENSRAUM

Für die auf Schilf im Wasser angewiesenen Tierarten ist die Lage prekär. Sie konzentrieren sich auf den letzten Rest an Röhricht im Wasser im Gebiet der «Rietliau», am östlichen Ende der Halbinsel. Diese Flurbezeichnung gilt dem Seeabschnitt westlich des Strandbades Wädenswil, dort wo das Abwasser der Kläranlage dem See zugeleitet wird. Wer an einem Sommerabend die kleine Parkanlage zum Beobachten nutzt und zum Schilf schaut, wird das Balzen der Haubentaucher, den Einflug der Stare in grösseren Verbänden und kleineren Gruppen, den wellenförmigen Flug der Bachstelzen und das sich vom Himmel Fallen lassen der Rauchschwalben beim Erlöschen der Dämmerung kaum mehr vergessen.
Zwischen dem Zaun im See und dem Ufer wuchs einst Schilf.

Im Frühjahr ist das im Wasser stehende Altschilf auch der Ort, wo Rotaugen (Schwalen), Schleien und Brachsmen ihre Eier ablegen und wo die Brütlinge Schutz vor Raubfischen wie Egli und Hecht geniessen. Je bescheidener die Altschilfbestände werden, desto mehr verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Brütlinge, weil sie ohne Deckung im offenen Wasser für die gemeinsam jagenden Eglis ein leichtes Opfer sind. Treiben die Eglis Raubbau an den juvenilen Weissfischen, stellt sich für sie sehr schnell eine geringere Verfügbarkeit an Fischnahrung ein. Das Fehlen eines hinreichenden Schilfbestandes im Wasser hat so eine limitierende Wirkung auf den gesamten Fischbestand im See. Die Haubentaucherkolonie der «Rietliau», die über Jahrzehnte einen Bestand von rund zwanzig Paaren umfasste, reagiert auf die geringere Verfügbarkeit von Fischnahrung mit Abwanderung. Immer weniger Paare brüten im  Schilfrohr der «Rietliau».
Das Schilfrohr der «Rietliau» bildet sich seit den 1990er Jahren trotz der zum Schilfschutz angelegten Umzäunungen zurück und von den schweren Schädigungen im Frühjahr 1999 erholt es sich nur mühsam.
Stare beim Einfliegen in das Schilf.

Die unstabile Lebensraumsituation setzt den Tieren, die den letzten bedeutenden Schilfrest im See nutzen, Grenzen, was einen Rückgang der Arten und Individuen zur Folge hat. Den Rauchschwalben behagt seit 1999 der zum Rasten und Schlafen verbliebene Schilfrest wenig. Ihr Bestand ist rückläufig und mit dem Ersatzstandort in der «Vorder Au» konnten sie sich nicht anfreunden. Für die Stare ist das Schilfrohr der «Rietliau» der bevorzugte Schlafplatz bis zum Zeitpunkt, wo Platzprobleme entstehen. Bei einem Bestand von rund 2000 und mehr Individuen müssen sie sich trennen, abwandern oder zusätzlich das Schilf der «Vorder Au» beziehen. Im Jahr 2002 traf das letztere zu. Der Schwarm, der sich in der «Vorder Au» niederliess, verblieb schliesslich ausgesprochen lange, bis Ende Oktober, im Gebiet.
Weissfische ohne Deckung von jagenden Eglis bedrängt.

DAS PARADOXE VERHALTEN DES SCHILFES

Paradox ist das Verhalten des Schilfes am Land und im Wasser am Beispiel der Naturschutzgebiete der Halbinsel Au. In den Flachmooren gedeiht es besser als für einen gesunden Pflanzenbestand erwünscht ist. Es verdrängt dort die nährstoffempfindlichen Seggen und die zwischen ihnen gedeihende Fülle von Sumpfpflanzen. Im Wasser hat es Mühe zum Überleben, obwohl der Wasserkörper als gesund bezeichnet wird.
Das Schilfrohr hat bis zehn Meter lange Ausläufer. Es wächst im See bis zu einer mittleren Wassertiefe von maximal zwei Metern. Die Pflanze gilt als sehr anpassungsfähig. Sie ist sowohl an nährstoffarmen (oligotrophen) als auch an nährstoffreichen (eutrophen) Standorten und an kalkarmen wie an kalkreichen Stellen zu finden. Sie lässt andere Pflanzenarten oft kaum mehr aufkommen. Die Schilfbestände sind gewissermassen eine natürliche Monokultur, eine artenarme Einheit.

URSACHEN DES PARADOXEN VERHALTENS DES SCHILFES

Trotz vieler Untersuchungen ist das Verhalten des Schilfes nicht restlos geklärt. Anzeichen sprechen dafür, dass sein Verhalten in den Flachmooren wie im Wasser schliesslich denselben Grund hat, der in der Stickstoffzufuhr über den Wasserhaushalt zu suchen ist.
Die charakteristischen wie auch die seltenen Pflanzenarten der Flachmoore sind an nährstoff- (stickstoff-)arme Verhältnisse angepasst. Die Überdüngung der Flachmoore «Vorder Au» und «Am Ausee» durch Einschwemmen von Nährstoff aus dem angrenzenden Kulturland fällt als Ursache ausser Betracht. Das angrenzende Kulturland wird extensiv bewirtschaftet. Die Annahme liegt deshalb nahe, dass der Stickstoffeintrag aus der Luft den Bedarf der typischen Flachmoorpflanzen übersteigt. Indizien in diese Richtung sind auch die Verschlammung der beiden künstlich angelegten Weiher in der «Vorder Au».
Das Schilfrohr der Rietliau im Frühjahr 2001.

Für das Röhricht im See wird der Stickstoff zum wachstumsbegrenzenden Faktor. Die Algen in den oberflächennahen Wasserschichten verwenden ihn zum Aufbau ihrer Biomasse. Wenn diese Biomasse absinkt und durch Bakterien zersetzt wird, wird bei diesem Abbauvorgang dem Wasser viel Sauerstoff entzogen. Der Sauerstoffmangel führt zum Absterben der Schilfrhizome, die auf genügende Sauerstoffzufuhr angewiesen wären. Dieser Vorgang lässt sich im Bootshafen beim Strandbad Wädenswil eindrücklich beobachten. Dieser wurde im Jahre 2002 neu eingerichtet und rundum mit Spundwänden, die bis zum Seegrund reichen, von der Zufuhr von Frischwasser abgeschnitten. Die verbliebenen Schilfreste sind als Folge davon mit dicker Algenwatte umgeben und sterben mangels Sauerstoffzufuhr ab.

AUSBLICK

Die vom Wasser geprägten Naturschutzgebiete der Halbinsel Au können heute an Naturwerten nicht mehr das bieten, was natürliche und naturnahe Ökosysteme hervorzubringen vermögen. Dieses Leistungsvermögen hat Walter Höhn-Ochsner in seinen 1942 veröffentlichten Beobachtungen über «Die stehenden Gewässer und Moore der Herrschaft Wädenswil» sehr eindrücklich beschrieben. Damals waren die dargestellten Naturschutzgebiete noch kaum derartigen intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt, wie dies heute der Fall ist. Ob es je wieder zu einer dauerhaften Trendumkehr kommen wird, ist unsicher.




Hans Oberhänsli