DER BÄRENSCHLITTEN AUS DEM SCHLOSS WÄDENSWIL

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2007 von Peter Ziegler

EIN WERTVOLLES GESCHENK

Am 14. März 2007 übergaben Enkel von Fabrikant Willi Blattmann (1906–1984) der Stadt Wädenswil namens der Erbengemeinschaft einen Bärenschlitten, der – nach stilistischen Merkmalen zu schliessen – aus der Zeit um 1780 stammt. Das wertvolle Objekt gehört jetzt zum Fundus des ehemaligen Ortsmuseums, den die Historische Gesellschaft Wädenswil im Auftrag der Stadt verwaltet. Erstmals zu sehen war der Bärenschlitten in der Ausstellung «Schatzkammer Wädenswil». Nun ist er im Foyer des Hotels Engel aufgestellt.
Welcher Kunsthandwerker den aus Holz geschnitzten Bären und die Galionsfigur wo geschaffen hat, ist nicht bekannt. Erwiesen aber ist, dass der prachtvolle Schlitten – ein Unikat – einst im Landvogteischloss Wädenswil stand und mit vorgespanntem Pferd der Familie des Landvogtes zu winterlichen Ausfahrten in der Herrschaft Wädenswil diente. Von 1784 bis 1790 amtete Hans Caspar von Orelli-Usteri auf dem Schloss, von 1790 bis 1798 dessen Bruder David von Orelli-Escher.1

AUSFAHRTEN IM SCHLITTEN

Regula von Orelli-Escher, die Gattin des letzten Wädenswiler Landvogtes David von Orelli, verfasste ein ausführliches Tagebuch.2 Darin hielt sie zum Weihnachtstag 1790 fest: «Auch genoss ich Freuden der Liebe bei einem Spazierenfahren mit meinen Kindern und gestern, im Schlitten, mit meinem Mann allein, nach Richterswil.»3 Zum 4. Januar 1793 notierte die Frau Landvögtin, sie sei eine Stunde lang im Schlitten gefahren und habe sich am prachtvollen Anblick der Gegend gefreut.4 Und am 6. Januar 1793 schrieb sie ins Tagebuch: «Eine Stunde im Schlitten mit Mann und Kindern voll Gefühl der Natur».5 Unterm 24. Januar 1793 liest man: «Gestern machte ich eine Tour in unsern Berg mit dem Schlitten, da ich mich an dem Anblick der überschönen Natur ergötzte.»6 Im Inventar des Schlosses gab es wohl kaum mehrere Schlitten. Die Einträge im Tagebuch dürften sich somit mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Bärenschlitten beziehen.
 
Der Bärenschlitten – erstmals öffentlich gezeigt in der Ausstellung «Schatzkammer Wädenswil», 2007.

DEN BRAND ÜBERLEBT

Der Einmarsch der Franzosen im Jahre 1798 brachte das Ende des Zürcher Stadtstaates. Im Januar 1799 verliess Landvogt David von Orelli mit seiner Familie das Schloss Wädenswil und kehrte in die Stadtwohnung nach Zürich zurück. Der Bärenschlitten aber blieb offensichtlich zurück. Die Helvetische Regierung erklärte das Schloss zum Nationalgut und verpachtete die Schlossgüter an die Gemeinde Wädenswil. Während des Bockenkrieges zündeten Aufständische in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1804 das leerstehende Schloss an; es brannte vollständig nieder.7 Der Bärenschlitten überlebte diesen Brand, weil er offensichtlich in einem andern Gebäude – in der einstigen Zehntenscheune – eingestellt war.
Die Kantonsverfassung von 1814 schuf das Oberamt Wädenswil, einen Verwaltungskreis, der als Vorläufer des Bezirks Horgen alle Gemeinden am linken Ufer des Zürichsees umfasste. Hauptort war bis 1830 Wädenswil. Für den 1816 gewählten Oberamtmann Peter Hotz aus Oberrieden, der diesem Amtsbezirk vorstand, liess Zürich das 1804 abgebrannte Schlossgebäude durch einen Neubau ersetzen, der 1818 bezugsbereit war und nebst einer Wohnung das Sitzungszimmer des Amtsgerichtes enthielt.8 In dieser Zeit stand der Bärenschlitten immer noch im Schloss; möglicherweise hat ihn auch die Familie Hotz für Ausfahrten im Winter benützt.

Im Schlitten über den Wädenswiler Berg. An zweiter Stelle der Bärenschlitten. Aufnahme aus den 1930er-Jahren.

BESITZERWECHSEL

Nach dem Ustertag von 1830 kam in Zürich eine liberal gesinnte Regierung an die Macht. Die Oberämter wurden aufgehoben und durch elf Bezirke ersetzt. An die Stelle des Oberamtes Wädenswil trat der Bezirk Horgen mit Horgen als Hauptort. Das Schloss Wädenswil wurde nun nicht mehr für Verwaltungszwecke benötigt. Zur Finanzierung neuer Aufgaben veräusserte der Staat einen Teil seines Güterbesitzes. Am 9. Juni 1832 stimmte der Regierungsrat dem Verkauf des Schlosses Wädenswil mit Nebengebäuden und Umschwung – zum Beispiel Eichweid und Sennweid – zu. Neuer Eigentümer der Liegenschaft und auch des noch immer hier stehenden Bärenschlittens wurde Statthalter Johannes Hürlimann-Burkhard (1767–1854) in Richterswil.9
Bereits am 15. März 1836 veräusserte Johannes Hürlimann die Schlossliegenschaft dem Manufakturisten Johannes Dollfuss in Mülhausen.10 Zurückbehalten wurde indessen die Zehntentrotte, die Eichweid, die Sennweid und auch der prächtige Bärenschlitten. Vermutlich liess Johannes Hürlimann in den Bären die mit einem Blasbalg bewirkte Brummstimme einbauen. Solche mechanischen Einrichtungen waren nämlich in den 1830er Jahren Mode. Der Schlitten vererbte sich in der Richterswiler Familie Hürlimann und kam später, wieder durch Erbschaft, ins Eigentum der Familie von Paul Hürlimann (1906–1970) zur Bernburg in Wädenswil. Fotos aus den 1930er Jahren zeigen den damaligen Besitzer auf Ausfahrten mit dem Bärenschlitten.

Paul Hürlimann auf dem Bärenschlitten. Aufnahme aus den 1930er-Jahren.

EIN SCHÖNES GEBURTSTAGSGESCHENK

Im Mai 1966 entschloss sich Paul Hürlimann, den wertvollen Schlitten zu veräussern. So kam das Gefährt ins Auktionshaus Koller in Zürich. Dort wurde es vom geschichtlich interessierten Fabrikanten Paul Blattmann-Stähli (1900–1985) entdeckt. Er kaufte den Schlitten und liess ihn restaurieren. Namentlich der Blasbalg im Bauch des Bären war defekt, so dass beim Ziehen am Ring die Brummstimme nicht mehr ertönte. Es wurde ein neuer Blasbalg eingebaut, der wieder Luft zum Bleirohr mit Messingzunge führt und so das Brummen auslöst. Beim Ausbau des zerstörten Balgs machte man eine überraschende Entdeckung, die aber mit dem Bären selbst wenig zu tun hat: Auf einem dünnen Tannenbrettchen klebten Papierstreifen einer zerschnittenen Buchseite. Auf einem der Streifen war zu lesen:
«A R G E N T O R A T I
Typis Eberhardi Welperi
Anno M.D.C. XXXII.»
Argentoratum ist der lateinische Name für Strassburg. Typis Eberhardi Welperi bedeutet: aus den Drucktypen von Eberhard Welper. Dieser hat von 1590 bis 1664 gelebt und verschiedene Werke, vor allem medizinische Bücher und antike Autoren, verlegt. Die Jahreszahl 1632 weist auf das Erscheinungsjahr eines von ihm in Strassburg herausgegebenen Buches hin. Dieses, ein nun veraltetes medizinisches Werk, wurde zerschnitten und diente dem Handwerker beim Einbau des ersten Blasbalgs.
Paul Blattmann schenkte den restaurierten Bärenschlitten am 17. Juli 1966 seinem Bruder Willi Blattmann zum 60. Geburtstag. So kam das Prunkstück aus Wädenswils Landvogteizeit in die Liegenschaft Unterer Leihof.
Der aus Holz geschnitzte Bärenkopf.
Bis es aber im Raum unter dem Dach seinen Platz gefunden hatte, brauchte es einige Anstrengungen. Mit Seilen musste es an der Fassade hochgezogen und durch das alte Aufzugstor geschoben werden. Und diesen Weg hat der Bärenschlitten wieder genommen, für den Transport in die Ausstellung «Schatzkammer Wädenswil», wo er erstmals von vielen Wädenswilerinnen und Wädenswilern bewundert werden konnte. Wer ihn dort nicht gesehen hat, kann ihn nun im Hotel Engel besichtigen.




Peter Ziegler


ANMERKUNGEN

1 Peter Ziegler, Schloss Wädenswil, Wädenswil 2000, S. 28/29.
2 Gustav W. v. Schulthess (Hrsg.), Regula v. Orelli-Escher (1757–1829). Selbstzeugnisse aus dem Umfeld von J.C. Lavater. Stäfa, 2001.
3 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 216.
4 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 283.
5 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 283.
6 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 286.
7 Staatsarchiv Zürich, M 1.8, Akten Schlossbrand.
8 Ziegler, Schloss Wädenswil, S. 36–39.
9 Staatsarchiv Zürich, B XI Wädenswil 21, Grundprotokoll Wädenswil 1831, S. 158–160.
10 Staatsarchiv Zürich, B XI Wädenswil 22, Grundprotokoll Wädenswil 1836, S. 53.