DER BÄRENSCHLITTEN AUS DEM SCHLOSS WÄDENSWIL
Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2007 von Peter Ziegler
AUSFAHRTEN IM SCHLITTEN
Regula von Orelli-Escher, die Gattin des letzten Wädenswiler Landvogtes David von Orelli, verfasste ein ausführliches Tagebuch.2 Darin hielt sie zum Weihnachtstag 1790 fest: «Auch genoss ich Freuden der Liebe bei einem Spazierenfahren mit meinen Kindern und gestern, im Schlitten, mit meinem Mann allein, nach Richterswil.»3 Zum 4. Januar 1793 notierte die Frau Landvögtin, sie sei eine Stunde lang im Schlitten gefahren und habe sich am prachtvollen Anblick der Gegend gefreut.4 Und am 6. Januar 1793 schrieb sie ins Tagebuch: «Eine Stunde im Schlitten mit Mann und Kindern voll Gefühl der Natur».5 Unterm 24. Januar 1793 liest man: «Gestern machte ich eine Tour in unsern Berg mit dem Schlitten, da ich mich an dem Anblick der überschönen Natur ergötzte.»6 Im Inventar des Schlosses gab es wohl kaum mehrere Schlitten. Die Einträge im Tagebuch dürften sich somit mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Bärenschlitten beziehen.
Der Bärenschlitten – erstmals öffentlich gezeigt in der Ausstellung «Schatzkammer Wädenswil», 2007.
DEN BRAND ÜBERLEBT
Der Einmarsch der Franzosen im Jahre 1798 brachte das Ende des Zürcher Stadtstaates. Im Januar 1799 verliess Landvogt David von Orelli mit seiner Familie das Schloss Wädenswil und kehrte in die Stadtwohnung nach Zürich zurück. Der Bärenschlitten aber blieb offensichtlich zurück. Die Helvetische Regierung erklärte das Schloss zum Nationalgut und verpachtete die Schlossgüter an die Gemeinde Wädenswil. Während des Bockenkrieges zündeten Aufständische in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1804 das leerstehende Schloss an; es brannte vollständig nieder.7 Der Bärenschlitten überlebte diesen Brand, weil er offensichtlich in einem andern Gebäude – in der einstigen Zehntenscheune – eingestellt war.
Die Kantonsverfassung von 1814 schuf das
Oberamt Wädenswil, einen Verwaltungskreis, der als Vorläufer des Bezirks Horgen alle Gemeinden am linken Ufer des Zürichsees umfasste. Hauptort war bis 1830 Wädenswil. Für den 1816 gewählten Oberamtmann Peter Hotz aus Oberrieden, der diesem Amtsbezirk vorstand, liess Zürich das 1804 abgebrannte Schlossgebäude durch einen
Neubau ersetzen, der 1818 bezugsbereit war und nebst einer Wohnung das Sitzungszimmer des Amtsgerichtes enthielt.
8 In dieser Zeit stand der Bärenschlitten immer noch im Schloss; möglicherweise hat ihn auch die Familie Hotz für Ausfahrten im Winter benützt.
Im Schlitten über den Wädenswiler Berg. An zweiter Stelle der Bärenschlitten. Aufnahme aus den 1930er-Jahren.
Paul Hürlimann auf dem Bärenschlitten. Aufnahme aus den 1930er-Jahren.
Argentoratum ist der lateinische Name für Strassburg. Typis Eberhardi Welperi bedeutet: aus den Drucktypen von Eberhard Welper. Dieser hat von 1590 bis 1664 gelebt und verschiedene Werke, vor allem medizinische Bücher und antike Autoren, verlegt. Die Jahreszahl 1632 weist auf das Erscheinungsjahr eines von ihm in Strassburg herausgegebenen Buches hin. Dieses, ein nun veraltetes medizinisches Werk, wurde zerschnitten und diente dem Handwerker beim Einbau des ersten Blasbalgs.
Paul Blattmann schenkte den restaurierten Bärenschlitten am 17. Juli 1966 seinem Bruder Willi Blattmann zum 60. Geburtstag. So kam das Prunkstück aus Wädenswils Landvogteizeit in die Liegenschaft
Unterer Leihof.
Der aus Holz geschnitzte Bärenkopf.
Bis es aber im Raum unter dem Dach seinen Platz gefunden hatte, brauchte es einige Anstrengungen. Mit Seilen musste es an der Fassade hochgezogen und durch das alte Aufzugstor geschoben werden. Und diesen Weg hat der Bärenschlitten wieder genommen, für den Transport in die Ausstellung «Schatzkammer Wädenswil», wo er erstmals von vielen Wädenswilerinnen und Wädenswilern bewundert werden konnte. Wer ihn dort nicht gesehen hat, kann ihn nun im Hotel Engel besichtigen.
ANMERKUNGEN
1 Peter Ziegler, Schloss Wädenswil, Wädenswil 2000, S. 28/29.
2 Gustav W. v. Schulthess (Hrsg.), Regula v. Orelli-Escher (1757–1829). Selbstzeugnisse aus dem Umfeld von J.C. Lavater. Stäfa, 2001.
3 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 216.
4 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 283.
5 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 283.
6 v. Schulthess, Regula v. Orelli-Escher, S. 286.
7 Staatsarchiv Zürich, M 1.8, Akten Schlossbrand.
8 Ziegler, Schloss Wädenswil, S. 36–39.
9 Staatsarchiv Zürich, B XI Wädenswil 21, Grundprotokoll Wädenswil 1831, S. 158–160.
10 Staatsarchiv Zürich, B XI Wädenswil 22, Grundprotokoll Wädenswil 1836, S. 53.