REBBERG HALBINSEL AU - EIN RUNDGANG DURCH DEN LEHR- UND VERSUCHSBETRIEB DER ZHAW

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2011 von Peter Schumacher

Das Weinbaumuseum am Fusse des Au-Hügels ist ein guter Startpunkt für unseren Rundgang durch den 5,3 ha grossen Rebberg der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW. Der Weg führt uns zuerst zum Sortengarten hinter dem Weinbaumuseum, dann am Fuss des Rebbergs entlang Richtung Schloss zu den beiden kleineren Rebbergen auf dem Land des Kantons. Dann steigen wir hinauf auf den Au-Hügel und wandern dem Hauptweg entlang durch den Rebberg zurück zum Weinbaumuseum. Von dort geht es über die Brücke zum Berufsbildungszentrum Wädenswil. Dabei werden wir neue spannende Erkenntnisse über den Weinbau erfahren, wie zum Beispiel die Verwandtschaften zwischen den Rebsorten. Aber Sie erhalten auch Informationen zum Anbau und über die verschiedenen Organisationen vor Ort, die sich mit dem Weinbau beschäftigen.
Die Halbinsel Au mit dem Lehr- und Versuchsbetrieb Rebberg Au der ZHAW.

DER SORTENGARTEN

Gleich hinter dem Museum gelangen wir zum neuen Sortengarten. Der Blick fällt auf die Informationssäule, wo die Besucher auf einer kleinen Tafel das Wichtigste in Kürze erfahren:
Hier ist die Vielfalt der Rebsorten zu bestaunen. Von den Tausenden weltweit finden Sie hier über 180 Sorten, thematisch gegliedert: Von den Wildreben aus Europa und Amerika über Tafeltrauben zu den typischen Sorten aus verschiedenen Ländern Europas.
Diese Sammlung hat zwei Hauptnutzen: Erstens wird sie für die Sortenkunde in der Berufsschule für Winzer und Weintechnologen, im Bachelor Umweltingenieurwesen und in diversen weiteren Kursen eingesetzt. Zweitens dient sie der Erhaltung der Sorten- und Klonenvielfalt im Schweizer Weinbau. Sie ist eine von vier Sammlungen der Schweiz, die vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt wird.
Für weitere Informationen kann dem «Briefkasten» der Säule ein vierseitiger Informationsflyer entnommen werden.
Der alte Sortengarten wurde 2005 gerodet, weil die Kurzreihen sehr aufwändig zu bewirtschaften waren. Bei den Maschinenarbeiten wurde die Hälfte der Zeit für das Wenden gebraucht. Aber auch die Integration der offiziellen Primärsammlung in den bestehenden Sortengarten gestaltete sich als sehr problematisch. Die Richtlinien des Bundes forderten fünf Stöcke pro Sorte und im alten Sortengarten waren es meist nur drei Stöcke.
Nun ist der neue Sortengarten in Längsreihen angelegt und kann effizient bewirtschaftet werden. Immer nach zwei Sorten hat es einen Durchgang, so dass die Sorten einfach auffindbar sind. Der Sortengarten umfasst über 180 Sorten und ist thematisch in die folgenden Blöcke gegliedert:
Die Führungen durch den Sortengarten finden hauptsächlich im September statt. Dann sind die Trauben reif und die Besucher können die Vielfalt der Traubensorten auch vom Geschmack und Aroma her erleben.
Informationssäule vor dem neuen Sortengarten.

WER BEWIRTSCHAFTET DEN REBBERG AUF DER AU?

Urkundlich ist belegt, dass seit mindestens 1484 der Au-Hügel mit Reben bepflanzt wurde. In der Folge der grossen Rebbaukrise in der Deutschschweiz wurden die Reben 1912 ausgerissen. Seit der Wiederbepflanzung im Jahr 1951 wird der Rebberg auf der Au von der gleichen Organisation gepflegt, wobei die damalige Schweizerische Obst- und Weinfachschule nur noch wenig gemeinsam hat mit der heutigen ZHAW und ihrem Departement Life Sciences und Facility Management am Standort Wädenswil. Der Name der Schule wechselte 1970 zu «Technikum für Obst-, Wein- und Gartenbau Wädenswil», 1988 zur «Ingenieurschule Wädenswil» (lSW) und im Jahr 1997 kam es dann zur Teilung in die «Hochschule Wädenswil» (HSW) und das «Berufsbildungszentrum Wädenswil» (BZW), weil für die Akkreditierung als Fachhochschule der Berufsbildungsteil abgegrenzt werden musste. Bis 2007 wurden beide Schulen durch ein Konkordat, bestehend aus den Kantonen der Deutschschweiz, getragen. Mit dem Übergang zum Kanton im Jahr 2007 wurde die HSW in die neu geschaffene ZHAW integriert.
Innerhalb der ZHAW ist es die Fachstelle Weinbau, die verantwortlich ist für die Bewirtschaftung des Rebberges auf der Au. Die Fachstelle ist Teil des Zentrums Hortikultur, das wiederum zum Institut Umwelt und Natürliche Ressourcen innerhalb des Departementes gehört.
Ein Überblick über die vielfältigen Aufgaben des Rebberges Au ist in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

EIN NEUER PIWI-SORTENGARTEN ENTSTEHT

Am Ende des Sortengartens stehen wir am Fuss der Treppe, die durch den Rebberg steil hinauf zum Landgasthof Halbinsel Au führt. Schon seit längerem werden auf beiden Seiten der Treppe pilzwiderstandsfähige Rebsorten (kurz Piwi) angebaut. Diese Rebsorten zeigen eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber dem Falschen und Echten Mehltau, den zwei wichtigsten Pilzkrankheiten der Rebe. Diese Sorten müssen daher gar nicht oder nur reduziert mit Fungiziden behandelt werden, so dass die Fussgänger auf der Treppe nicht dem Sprühnebel ausgesetzt sind.
Pilzwiderstandsfähige Rebsorten entstehen durch die Kreuzung von Europäer- und Amerikaner-Sorten. Durch diese Kreuzungszüchtung wird seit über 100 Jahren versucht, die Widerstandskraft der Amerikaner-Rebe mit der Weinqualität der Europäer-Sorten zu kombinieren. Diese Sorten könnten die Nachhaltigkeit des Weinbaus in der Region massiv verbessern, da bei Europäer-Reben in gewissen Jahren bis acht Behandlungen gegen den Falschen Mehltau durchgeführt werden müssen, wobei die eingesetzten Mittel sich in den letzten Jahrzehnten bezüglich den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt stark verbesserten.
Der Anbau von pilzwiderstandsfähigen Sorten bringen einen doppelten Vorteil: Es werden keine oder viel weniger Fremdstoffe ins Agroökosystem Rebberg eingebracht und es können Kosten eingespart werden. Bei diesen Vorteilen stellt sich die Frage, warum die Piwis nicht besser bekannt und weiter verbreitet sind? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten; die Gründe sind vielfältig und komplex. Folgende Punkte können angeführt werden:
1. Unbefriedigende Weinqualität. Vor allem zur Anfangszeit waren zum Teil recht mangelhafte Weine aus Piwi-Sorten im Umlauf, da häufig Quereinsteiger, die keine professionelle Ausbildung in Weinbereitung hatten, mit diesen Sorten experimentierten. Man ist sich in der Branche einig, dass die Piwis zum Teil hohe Ansprüche an die Vinifikation stellen. Es gibt einige Beispiele, die zeigen, dass aus Piwi-Sorten gute bis sehr gute Weine hergestellt werden können. Als Hinweis dafür können die Weinpreise genommen werden. So wird ein Solaris für 24 Franken oder ein Léon Millot für 26 Franken auf dem Markt angeboten. Auf der anderen Seite bleibt bis jetzt der Eindruck, dass aus Piwi-Sorten keine ganz grossen Weine gekeltert werden können. Es scheint, dass bis zu einem gewissen Grad ein Trade-off zwischen Widerstandskraft und Weinqualität besteht. Aber gleichzeitig fehlt auch die Erfahrung in der Weinbereitung. Es hat schliesslich auch eine lange Zeit gedauert, bis aus der europäischen Sorte Blauburgunder nicht mehr der einfache Ostschweizer Clevner, sondern die hochwertigen Blauburgunder-Weine gekeltert wurden.
2. Andere Weinstilistik, andere Aromen. Vor allem bei Weinspezialisten haben sich zum Teil feste Erwartungen eingespielt, so dass die etwas andersartige Aromatik per se negativ bewertet wird. Bei Degustationen mit Laien oder Weineinsteigern zeigt sich oft ein anderes Bild. Die Piwi-Sorten werden vergleichbar oder manchmal sogar besser bewertet als die herkömmlichen Sorten.
3. Schlechte Erfahrungen mit dem Regent. Der Regent wurde 1967 gezüchtet und wird vor allem in Deutschland seit der Jahrtausendwende im grösseren Stil angebaut. Diese Sorte wurde an der Agroscope ACW intensiv getestet und schliesslich aufgrund der guten Erfahrungen als neue widerstandfähige Sorte empfohlen. Schon nach wenigen Jahren wurde eine erhöhte Anfälligkeit auf den Falschen Mehltau beobachtet, und heute muss an gewissen Standorten der Deutschschweiz der Regent ähnlich häufig behandelt werden wie die Europäersorten, zum Beispiel Blauburgunder. An der Widerstandskraft hat sich wahrscheinlich nichts geändert, sondern es hat sich möglicherweise ein Pilzstamm herausselektioniert, der die Widerstandskraft des Regents durchbrechen konnte. Für unser Klima war die Basis der Widerstandskraft offensichtlich zu schmal. Diese schlechte Erfahrung hat viele Winzer vorsichtig gemacht beim Anbau von Piwi-Sorten. Es sind daher vor allem die Bio-Winzer, die die Pionierrolle übernehmen und auf dieser Schiene weiterarbeiten.
Für die langfristige Vision eines nachhaltigen Weinbaus in der Deutschschweiz nimmt der Anbau von Rebsorten, die nur wenig gespritzt werden müssen und die Erwartungen der Konsumenten an die Weinqualität erfüllen, einen hohen Stellenwert ein. Es kann sein, dass dieses Ziel in den nächsten Jahrzehnten erreicht werden kann. Aber es kann auch gut sein, dass die Skeptiker Recht bekommen, dass die Vision nur eine Illusion war.
Es ist aber das Ziel unserer Schule, diesen Weg zu pilzwiderstandsfähigen Sorten zu fördern und bei der Weiterentwicklung mitzumachen. Ein erster Schritt ist ein Piwi-Sortengarten links und rechts der Hoteltreppe. Dadurch erhalten die Piwis in der Ausbildung einen höheren Stellenwert und die Bevölkerung wird für das Thema sensibilisiert.
Für die Umsetzung wurden im Rahmen einer Bachelor-Arbeit und in Zusammenarbeit mit der AON, dem FiBL und Piwi-International 70 der interessantesten Piwi-Sorten ausgewählt und bezüglich ihrem Potenzial für den Anbau rangiert. Die besten Sorten sind in der nächsten Tabelle aufgeführt. Im Mai 2012 werden die ersten Sorten gepflanzt.

Piwi-Sorten mit dem Grössten Potenzial für den Anbau in der Deutschschweiz.
In Klammern ist der Züchter aufgeführt.

DIE QUERTERRASSEN UND DIE NEUE PREMIUMPARZELLE

Für das nächste Thema können wir gleich stehen bleiben. Östlich der Hoteltreppe wurde 2007 der letzte Abschnitt des Steilhangs querterrassiert. Mit der Parzelle ganz östlich wurde 1993 begonnen und die zweite Etappe westlich der Hoteltreppe folgte 1999. Wichtigster Grund für die Terrassierung ist, dass ab einer Neigung von 45% die maschinelle Bewirtschaftung gefährlich wird. Die Neigung zwischen 50 und 55% im Steilhang hat die Terrassierung daher sicher gerechtfertigt. Weitere Vorteile der Querterrassen sind die erhöhte Artenvielfalt dank den Böschungen mit mageren Böden und die verringerte Erosion.
Der Winzer muss aber auch Nachteile in Kauf nehmen. Die Produktionskosten sind insgesamt leicht höher im Vergleich zur Bewirtschaftung in der Falllinie, und der Ertrag ist bei gleicher Qualität rund 20% niedriger. Wirtschaftlich ist es also lohnender, die Reben in der Falllinie zu bewirtschaften. Aber warum hat man einen geringeren Ertrag? Bei den Querterrassen beträgt der Reihenabstand zirka 2,4 Meter und ist damit etwa 20% breiter als beim Direktzug mit zwei Meter Reihenabstand. Da die Laubhöhe bei beiden Systemen zirka 1,4 Meter beträgt, hat man pro Einheit Bodenfläche eine geringere Laubfläche − und somit entsprechend eine um 20% reduzierte Fotosyntheseleistung.
Bei der neuen Terrassenanlage handelt es sich um eine der besten Lagen der Au und ist daher bestimmt für die Premiumproduktion. Es ist wichtig, dass bereits bei der Planung einer Neuanlage das Produktionsziel definiert wird, damit die dafür geeigneten Sorten, Klone und Unterlagen ausgewählt werden.
Allgemein ist bekannt, dass ein eher moderater Wuchs der Reben bessere Traubenqualitäten ergibt, was zum Teil auf die kleineren Beeren und damit auf einen höheren Anteil Traubenhaut im Vergleich zum Fruchtfleisch zurückzuführen ist. Ein grösserer Anteil Traubenhaut ist positiv, weil dort viele wertbestimmende Inhaltsstoffe eingelagert werden. Ziel der Neuanlage war es also, einen geringeren Wuchs zu haben als bei den bestehenden Querterrassen, wo der Wuchs als zu stark eingestuft wird.
Daher wurde mit 3309 eine eher schwachwüchsige Unterlage gewählt. Gleichzeitig zeigt diese Unterlage auch eine geringere Anfälligkeit auf Stiellähme. Diese physiologische Störung hat 2010 bedeutende Ertragsausfälle verursacht. Einen Nachteil hat die Unterlage 3309 jedoch. Sie ist anfällig auf Trockenheit, vor allem in jungen Jahren, und daher wurde eine Tropfbewässerungsanlage eingerichtet. Sie werden sich zu Recht fragen, warum bei den hohen Niederschlägen eine Bewässerung nötig ist. Auf der Au sind die Böden relativ flachgründig, so dass die Wasserreserven bei längeren Trockenperioden rasch aufgebraucht sind. Eine Trockenheit, wie sie im Frühling 2011 aufgetreten ist, hätte im Hochsommer massive Schäden verursacht. Aufgrund der Klimamodelle geht man von einem gehäuften Auftreten von Trockenperioden aus. Jedenfalls konnten wir die Bewässerungsanlage bereits mehrmals einsetzen.
Der neue mischbeerige Klon des Blauburgunders aus Geisenheim (Gm 20-13).

Auch bei der Wahl des Blauburgunderklons sind wir neue Wege gegangen. Auf der Au haben wir mit der Nähe zum See und den hohen Niederschlägen einen sehr hohen Druck durch die Graufäule. Wir brauchen also einen Klon mit lockeren Trauben, die schnell abtrocknen. Dafür sind die Mariafeld-Klone bekannt, die jedoch grosse Beeren haben. Kleinbeerige Klone sind hingegen meist sehr kompakt. Der Kompromiss zwischen den beiden Anforderungen sind mischbeerige Klone aus Geisenheim, Deutschland. Wir wählten den Klon Gm 20-13 und sind gespannt auf den ersten Wein aus der neuen Parzelle. Die Reifeerhebungen von diesem Jahr sind vielversprechend.

UMSTELLUNG AUF BIO

Nun gehen wir unten dem Weg entlang in die Hintere Au in Richtung Schloss, wo zwei Parzellen mit Sauvignon blanc auf dem Land des Kantons liegen. Beide Parzellen sind deutlich abgetrennt vom Hauptrebberg und eignen sich daher sehr gut für den Anbau nach den Richtlinien der biologischen Produktion. Bei der Parzelle beim Schloss gehen wir noch einen Schritt weiter und bewirtschaften seit diesem Jahr biologisch-dynamisch.
Die langfristige Planung sieht vor, je nach Erfahrung den Anteil der Bio-Produktion gegen Osten auszuweiten, wobei der Teil östlich der Hoteltreppe auch langfristig nach den Richtlinien der integrierten Produktion (I P) bewirtschaftet werden soll. Damit haben wir alle drei wichtigen Bewirtschaftungssysteme oder -konzepte im Weinbau auf der Au und können diese in der Ausbildung im Weinbereich einsetzen. Die Teilumstellung auf die biologische Bewirtschaftungsweise passt gut zur neuen Vertiefung Biologische Landwirtschaft und Hortikultur (BLH) innerhalb des Bachelor-Studiengangs Umweltingenieurwesen an der ZHAW. Die ersten Studierenden der neuen Vertiefung werden 2013 ihr Diplom erhalten.
Dieses Nebeneinander der drei Systeme hat jedoch den Nachteil, dass wir kein Bio-Label führen können. Für die Zertifizierung und damit den Erhalt der Knospe ist zwingend vorgeschrieben, dass der ganze Betrieb umgestellt wird. Wie gross sind aber sonst die Unterschiede zwischen dem biologischen Weinbau und der integrierten Produktion? Sehr vereinfacht gesehen erscheinen die Unterschiede zwischen Bio und IP nicht sehr gross. Im Bio-Anbau sind chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, Herbizide und leicht lösliche Dünger, insbesondere Ammonsalpeter, nicht erlaubt. Und wie schwierig ist es, diese Richtlinien am Standort Wädenswil zu erfüllen?
Der Verzicht auf Herbizide verursacht beträchtliche Mehrkosten, da die mechanische Bearbeitung des Unterstockbereichs arbeitsaufwändig ist. Technisch ist dies jedoch relativ problemlos umzusetzen.
Von der Pflanzenernährung her ist die Rebe eine anspruchslose Kultur, weil nur der Traubenmost aus dem System exportiert wird. Die Blätter und geschnittenen Triebe bleiben im Rebberg und die Stielgerüste, Beerenhäute und Kerne werden wieder in den Rebberg zurückgeführt. Daher ist der Bedarf an Stickstoff oft schon gedeckt durch die natürliche Freisetzung aus dem Boden und dem Eintrag aus der Luft.
Auch die Schädlinge hat man ohne chemisch-synthetische Insektizide Im Weinbau gut im Griff. Einerseits hat man ein vielfältiges Ökosystem mit vielen Nützlingen, die die Schädlingspopulationen gut regulieren. Andererseits kann mit der Verwirrungstechnik zur Bekämpfung des Traubenwicklers eine Technik eingesetzt werden, die auch im biologischen Weinbau erlaubt ist.
Die grösste Herausforderung im biologischen Weinbau am Zürichsee ist und bleibt die Bekämpfung des Falschen Mehltaus. Die im biologischen Weinbau zugelassenen Fungizide haben eine kürzere Wirkungsdauer und müssen daher häufiger appliziert werden. Die wirklich überzeugendste Bekämpfung ist, wie weiter oben schon erwähnt, der Anbau von Piwi-Sorten.

RIESLING-SILVANER ODER MÜLLER-THURGAU?

Auf unserem weiteren Weg umrunden wir das herrlich gelegene Schloss und gehen durch grüne Matten den Hügel hinauf zum Tor, wo wir das Kantonsland verlassen und auf die Flächen des Au-Konsortium gelangen, das dieses Jahr sein 100-Jahr-Jubiläum feiern durfte. Wir gehen weiter bis zur Parzelle F1, die mit Riesling x Silvaner beschildert ist.
Bei dieser Sorte können zwei Themen angesprochen werden. Die Aufklärung der Verwandtschaften mit genetischen Tests und die Auswirkung der Klimaänderung auf den Weinbau.
Prof. Dr. Hermann Müller-Thurgau hat noch als Direktor der Forschungsanstalt in Geisenheim (Deutschland) Kreuzungen durchgeführt zwischen den Sorten Riesling und Silvaner. Bei seinem Antritt als erster Direktor an der Eidgenössischen Forschungsanstalt in Wädenswil hat er Stecklinge von diesen Kreuzungen aus Deutschland mitgebracht, diese hier selektioniert und den Stock 58 unter dem Namen Riesling x Silvaner zum Anbau empfohlen. Diese neue Sorte hatte drei bedeutende Vorteile und wurde daher rasch auf grosser Fläche angebaut: Sie war frühreif und kam jedes Jahr zur Vollreife, sie hatte einen hohen Ertrag und blühte auch regelmässig jedes Jahr.
Seit 2000 ist dank den genetischen Tests bewiesen, dass der Riesling x Silvaner ein Kuckucksei ist. Der eigentliche Vater ist die Königliche Magdalenentraube, auf Französisch etwas nobler Madeleine Royal. Wie soll nun diese Sorte heissen? Bis auf weiteres wird die Vielfalt bestehen bleiben. Der Bund hat die in Deutschland und Österreich übliche Bezeichnung Müller-Thurgau übernommen. Viele Winzer haben das x, das eine Kreuzung anzeigt, ersetzt und schreiben Riesling-Silvaner. Wenige Weingüter gehen weiter und schreiben Riesling x Madeleine Royal auf ihre Etiketten.

Eine Traube von Müller-Thurgau (Stock 58) hinter dem Weinbaumuseum.

KLIMAÄNDERUNG

Die Klimaänderung ist im Weinbau ein Fakt. Der Lesetermin hat sich im Durchschnitt um fast drei Wochen vorverschoben, 2011 war noch früher als 2003. Dies kann auch mit den Wetterdaten dokumentiert werden. Es ist vor allem die Temperatur, die die Entwicklungsgeschwindigkeit der Rebe steuert, und zwar die Temperaturen oberhalb von 10 °C. Für die Beurteilung einer Reblage kann nun mit den entsprechenden Wetterdaten der sogenannte Huglin-Index berechnet werden. Im Rahmen einer Semesterarbeit wurden die Werte der letzten 50 Jahre für die Region Zürichsee berechnet und ausgewertet.
Darin zeigt sich, dass die Werte der letzten zehn Jahre mit rund 1800 Huglin-Graden fast 400 Grade höher liegen als im langjährigen Mittel zwischen 1961 und 1990. In der internationalen Einteilung werden Lagen mit einem Huglin-Index von 1400 als knappe Müller-Thurgau-Lagen bezeichnet, während 1800 als knappe Merlot-Lagen eingestuft werden! Laut den neusten Prognosen kann es durchaus sein, dass im Jahr 2100 die Hänge am Zürichsee mit Cabernet Sauvignon bestockt sind.
Dies ist auch bei den Weinen erkennbar. Seit etwa zwanzig Jahren wird der Blauburgunder jedes Jahr reif, und wir haben bezüglich der Reife nur noch sehr gute bis ausgezeichnete Jahrgänge gehabt im Vergleich zu den Jahren 1961 bis 1990. Dies schlägt sich auch in den sehr guten Weinen nieder.
Im Gegensatz zum Blauburgunder macht sich die Klimaänderung beim Müller-Thurgau eher negativ bemerkbar. Er ist an den guten Lagen sehr früh reif und macht ihn anfällig auf Wespenfrass und den folgenden Befall durch Graufäule und Essigbakterien. Bereits wird auf diese Entwicklung reagiert. Am rechten Zürichseeufer wird der Müller-Thurgau an den höheren Lagen angepflanzt und auf der Au befindet sich die neue Parzelle mit Müller-Thurgau an der kühleren Ostlage. Diese Parzelle ist der nächste Ort unseres Rundgangs.

VON DER HAGELKANONE ZUM HAGELSCHUTZNETZ

Von weitem ist das kleine Häuschen mit dem seltsamen Kamin sichtbar. Es handelt sich um eine Hagelkanone, die früher für die Abwehr von Hagel eingesetzt wurde. Mit Schwarzpulver wurden gewaltige Knaller losgeschossen und die Idee war, dass die Druckwelle das Hagelgewitter vertreiben könnte. Es ist mir keine Studie bekannt, die eine Wirkung der Massnahme nachgewiesen hätte. Gegenüber der Hagelkanone ist die moderne Variante, der Hagelabwehr zu sehen und dieser Schutz mit Netzen kann den Schaden durch Hagel nachweislich verhindern. Seit diesem Jahr ist die Parzelle mit Hagelnetzen des Typs Whailex bestückt. Für die Rebarbeiten kann das Netz einfach vor einer Seite und nur durch eine Person mit einer Kurbel aufgerollt werden. Die Investitionen von über 30‘000 Franken pro ha sind innert zehn Jahren amortisiert, da neben der Einsparung der Hagelversicherung auch der grosse Aufwand für die Vogelabwehr wegfällt. Einziger Nachteil könnte sein, dass die Trauben weniger gut belüftet werden und daher anfälliger sind auf Botrytis. Die bisherigen Erfahrungen waren jedoch durchwegs positiv.
Schon länger wurde der Einsatz von Hagelnetzen ins Auge gefasst. Der starke Hagelschlag vom Mai 2009 war dann der Auslöser für den Kauf der Netze. Dieser Hagelzug verursachte Schäden von bis zu 80 Prozent. Für den gleichen Sommer war auch eine Bachelor-Arbeit geplant, die den Einfluss des Zeitpunktes des Gipfelns auf die wichtigsten Traubeneigenschaften untersuchen sollte. Der Hagelschlag köpfte einen Grossteil der Schosse, so dass nur eine Variante übrig blieb.
In der Folge machten wir den Hagelschaden zum Thema der Bachelor-Arbeit mit dem Ziel, die Erholungsfähigkeit der Reben in Abhängigkeit der Schadstärke zu dokumentieren. In dieser Arbeit zeigte sich, dass der Hagelschock unabhängig von der Schadstärke etwa acht Tage dauerte, also bedeutend kürzer war, als oft beschrieben. In der Folge erholten sich aber die weniger stark geschädigten Reben viel schneller (siehe Abbildung).
Erholungsfähigkeit der Reben nach dem Hagelschlag vom 26. Mai 2009: Laubwandentwicklung bei drei Schadstärken (Bonitierungsklassen 1, 4 und 6). Die Prozentzahlen geben an, wie gross der Anteil der schwarzen, also der belaubten Fläche ist.

VOM WANDEL DER ERZIEHUNGSSYSTEME

Am Ende des Kiesweges kommen wir zu einer weiteren Informationssäule, wo die Vielfalt der Erziehungssysteme vorgestellt wird. Der Standort für dieses Thema ist ideal, um die Veränderungen des Weinbaus zu veranschaulichen. Hinter dem Museum befindet sich der historische Rebberg, der den Weinbau von früher zeigt. Gegenüber ist der Status Quo und auf der anderen Strassenseite befindet sich eine Pilotanlage für das Minimalschnittsystem, das in Australien bereits grossflächig eingesetzt wird und eine mögliche Entwicklung für den Deutschschweizer Weinbau sein könnte.
Die Veränderungen bei den Erziehungssystemen sind hauptsächlich auf den technischen Fortschritt und weniger auf neue Erkenntnisse in der Biologie der Rebe zurückzuführen. Treiber der Entwicklung ist der Ersatz von Handarbeit durch die maschinelle Bewirtschaftung. Brauchte man im 19. Jahrhundert mit dem Stickelanbau noch gegen 3000 Arbeitsstunden pro Hektare, sind es heute mit dem üblichen Drahtrahmensystem 600 bis 700 und in Australien mit dem Minimalschnittsystem sogar nur 50 bis 80 Stunden. Es ist klar, dass damit die Produktionskosten massiv gesenkt werden können. In Australien beträgt daher der Kilopreis 20 bis 40 Rappen, während bei uns ein Kilo Trauben je nach Region und Qualität zwischen vier und fünf Franken kostet. Rein von den Produktionskosten her ist der Deutschschweizer Weinbau nicht konkurrenzfähig im Preissegment bis zehn Franken für eine Flasche Wein. Daher ist es zwingend, dass sich die Winzer am Zürichsee im Premiumbereich positionieren mit Preisen für eine Flasche Müller-Thurgau von durchschnittlich 13 und beim Blauburgunder von 16 Franken.

DAS WEINBAUMUSEUM AM ZÜRICHSEE

Bei den Erziehungssystemen haben wir mit dem Stickel-Anbau bereits einen ersten Blick in die Vergangenheit geworfen. Die Geschichte des Weinbaus steht nun bei unserem nächsten Ort im Zentrum: dem Weinbaumuseum am Zürichsee, das seit 1978 prominent am Eingang zum Au-Hügel steht.
Holzküfer bei seiner Arbeit am traditionellen Herbstfest des Weinbaumuseums im September.

Beim Betreten der umgebauten Scheune stehen wir vor dem Prunkstück des Museums, der 13 Meter langer und 250 Jahre alten Baumpresse. Im Jahre 2003 wurde die Presse beim Fest zum 25-Jahr-Jubiläum in Betrieb genommen und es ist geplant, anlässlich der nächsten Sonderausstellung zur Geschichte des Weinbaus im Jahr 2013 am traditionellen Herbstfest die Trotte wieder einzusetzen. Diese Aktivitäten entsprechen optimal unserem Leitbild, dessen Aufbau sich an der Rebe anlehnt:
2010 besuchten um die 4800 Personen das Museum, die meisten davon in Gruppenführungen, die von unseren fachkundigen und humorvollen Führern durchgeführt werden. Besuche im Weinbaumuseum können sehr vielfältig gestaltet werden. Die einstündige Führung durch den historischen Rebberg und das Museum ist das Kernstück. Diese kann ergänzt werden mit einem Apéro, entweder vor oder nach der Führung, mit oder ohne Käseplatte. Aber auch Essen sind möglich bis zu 100 Personen in Zusammenarbeit mit ausgewählten Catering-Anbietern.
Das Museum wird von einem Verein, der Gesellschaft für das Weinbaumuseum am Zürichsee. geführt. Jedermann ist willkommen, Vereinsmitglied zu werden und damit die vielfältige Arbeit des Museums zu unterstützen.

DAS BZW WIRD ZUM STRICKHOF STANDORT WÄDENSWIL

Wir gehen nun auf der Brücke über die Geleise und die Seestrasse hinüber zum Berufsbildungszentrum Wädenswil (BZW), das sich seit 2007 neben dem Au-Parc in der Au befindet.
Das BZW wird den Namen nur noch bis Ende 2011 tragen. Aufgrund eines Regierungsratsbeschlusses wird die Berufsschule in den Strickhof integriert. Der Standort Wädenswil mit den Ausbildungen im Weinfach und der Lebensmitteltechnologie bleibt jedoch erhalten. Physischer Beleg dafür ist der Neubau des Internats an der Waisenhausstrasse, das im Frühling 2012 bezogen werden kann.
Es gibt gewichtige Gründe, die für den Standort Wädenswil sprechen, sowohl für den Bereich Wein wie Lebensmitteltechnologie. Für den Bereich Wein sind dies:
- Die Kräfte im Weinfach können so gebündelt und die Kompetenzen von der ZHAW und der ACW vor Ort genutzt werden.
- In den Teams erfolgt ein intensiver Erfahrungsaustausch. Diese Informationen und Erfahrungen fliessen in den Unterricht ein und verbessern dessen Qualität.
- Die vorhandene Infrastruktur kann gemeinsam genutzt werden: der Lehr- und Versuchsbetrieb auf der Au, die Versuchskellerei, die Degustations- und Laborräume, die Bibliothek und das umfassende Demonstrationsmaterial.
- Ein zentraler Ort für das Weinfach hat eine Ausstrahlung auf die ganze Schweiz und das deutschsprachige Ausland und fördert die Identifikation und den Zusammenhalt in der Deutschschweizer Branche.

NEUE BILDUNGSVERORDNUNG FÜR WINZER UND WEINTECHNOLOGEN

Auch in der Ausbildung selber hat sich einiges verändert. Für die Berufe Winzer und Weintechnologen mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) gilt seit dem Lehrbeginn 2009 eine neue Bildungsverordnung. Dies sind die wichtigsten Änderungen:
- Die Berufe Winzer und Weintechnologen sind Teil des Berufsfeldes Landwirtschaft und deren Berufe (Oda AgriAliForm, Infos unter wvwv.agrijob.ch).
- Die neue Verordnung gilt für die gesamte Schweiz. Vorher existierten sprachregional verschiedene Reglemente, die den spezifischen Verhältnissen angepasst waren.
- Die Kantone sind verantwortlich für die Lehraufsicht, wie zum Beispiel die Anerkennung von neuen Lehrbetrieben.
Die Zahl der Lektionen wurde von 1200 auf 1600 erhöht. Diese Erhöhung ist ein Kompromiss zwischen den Spezialkulturen und der allgemeinen Landwirtschaft, die zuvor noch mehr Lektionen hatte.
- Die Lektionen sind neu progressiv über die drei Lehrjahre verteilt 460 im ersten, 420 im zweiten und 680 Lektionen im dritten Lehrjahr. Auch dies stellt einen Kompromiss zwischen den Spezialkulturen und der allgemeinen Landwirtschaft dar.
- Mit den überbetrieblichen Kursen wurde neu, neben Berufsfachschule und dem Lehrbetrieb, ein dritter Lernort eingeführt. Organisiert werden diese acht Kurstage im ersten und zweiten Lehrjahr vom BZW im Auftrag des Branchenverbandes Deutschschweizer Wein.
- Gleich bleibt, dass der Unterricht in Blöcken von zwei bis sechs Wochen Länge stattfindet. Während dieser Zeit über-nachten die Lernenden im Internat.

WEIN WÄDENSWIL.CH – EINE VISION FÜR DIE ZUKUNFT

Auf unserem Rundgang haben wir gesehen, dass am Standort Wädenswil viele Organisationen rund um das Thema Wein aktiv sind. Neben der ZHAW, dem BZW und dem Weinbaumuseum sind dies: die Agroscope Changins-Wädenswil (ACW, die ehemalige Eidgenössische Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau), die Redaktion der Schweizerischen Zeitschrift für Obst- und Weinbau und das Büro des Branchenverbands Deutschschweizer Wein.
Auch von der breiten Öffentlichkeit wird Wädenswil mit Wein in Verbindung gebracht. Oft wird ganz allgemein von Wädenswil gesprochen, ohne dass zwischen den verschiedenen Organisationen unterschieden wird. Auf der anderen Seite hört man auch, dass der Weinbau in Wädenswil nicht mehr existiere, da alles in die Westschweiz verlegt worden sei. Um solche Punkte zu klären, entstand die Idee eines gemeinsamen Internet-Auftritts unter dem Label weinwädenswil.ch. Mit dieser Seite werden folgende Ziele verfolgt:
- Die Angebote und Tätigkeiten rund um den Wein am Standort Wädenswil einer breiten Öffentlichkeit sichtbar zu machen.
- Das Auffinden von Informationen für die Weinbranche zu erleichtern.
- Den Standort Wädenswil als Deutschschweizer Zentrum für Weinbau und Wein zu stärken.
- Und schliesslich die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen am Standort zu intensivieren.
An diesem Punkt möchte ich den Rundgang beschliessen, und Sie werden sicherlich Appetit bekommen haben auf einen guten Schluck Wein vom Zürichsee. Prost!



Peter Schumacher,
Dozent für Weinbau an der ZHAW und Präsident des Weinbaumuseums



Literaturhinweise können beim Autor angefragt werden (spet@zhaw.ch).

Informationen:
www.weinwädenswil.ch
www.lsfm.zhaw.ch
www.weinbau.ch